Die Bewohner des Ortes Oberstaufen werden es mir nicht übel nehmen wenn ich schreibe: Oberstaufen gehört nicht zu meinen ständig im Fokus befindlichen Lokalitäten. Um ehrlich zu sein: Bis vor einiger Zeit hatte ich den Ortsnamen nicht einmal gehört.
Heute nun wird Oberstaufen einen medialen Ansturm erleben wie nie zuvor. Es wird Bilder in vielen Boulevard-TV-Magazinen geben, vielleicht gar in den „Tagesthemen“ oder ähnlichen Sendungen. In zahlreichen Zeitungen wird der Name morgen fallen, in vielen Magazinen in den kommenden Tagen. Und: Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen werden sich m Bildschirm in Bild von diesem Örtchen machen. Es ist ein Coup, der Marketing- und Tourismus-Preise in unüberschaubarer Zahl verdient hätte.
Hier zum Beispiel das Ergebnis der Google-News-Suche nach „Oberstaufen“ von heute morgen:
Wie die Allgäuer das geschafft haben? Mit Technikfreundlichkeit und Kreativität.
Denn während in diesem Sommer Kommunalpolitiker in der ganzen Republik über Google Streetview tobten, benahmen sich die Entscheider in Oberstaufen weniger alarmistisch. Sie erkannten eine Chance: Wenn Menschen sich ein Bild vom Ort machen können, reisen sie vielleicht her. Die Tourismus-Chefin erläuterte den Bürgern, weshalb sie Streetview für interessant hält:
„Tourismus bedeutet für uns in erster Linie Service am Gast – und dazu gehört auch die nötige Transparenz vor Ort. Mit dem Online-Dienst können sich Interessierte zum Beispiel die Lage der Gastgeber vor der Buchung genau ansehen, Oberstaufen schon vor der Anreise genauer ansehen oder nach dem Urlaub Bekannten zeigen, wo man überall gewesen ist. Damit lässt sich vermeiden, dass der ein oder andere bei seiner Ankunft vielleicht enttäuscht ist, weil die Erwartungen anders gesetzt wurden. Wir können es also nur begrüßen, wenn man überall in der Welt einen virtuellen Spaziergang durch Oberstaufen machen kann.“
Was sie nicht sagte: Natürlich lieferte sie damit eine schöne Geschichte, die das graue Allerlei der Berichterstattung auflockern konnte. Das kleine Oberstaufen lädt das große Google ein – und bäckt gleich mal eine Torte. Googles PR-Leute reagierten wie erhofft: Oberstaufen kam auf ihr Radar.
Heute nun startete Google Streetview in Deutschland. Erster Ort, der zu besichtigen ist: Oberstaufen.
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Das bedeutet auch: Google hat mutmaßlich nach der Torten-Aktion nochmal einen Kamerawagen ins Algäu geschickt. Denn bei aller Liebe zu Oberstaufen: Die Gemeinde dürfte nicht auf der A-Streckenliste der Streetview-Fahrzeuge zu finden gewesen sein. Doch auch Google weiß: Der Start von Streetview ist ein Medienthema. Und über nichts werden die Medien in diesem Fall glücklicher sein als eine menschliche Neben-Story – versehen mit Bildern, die nicht allein vom Computer-Bildschirm stammen.
Natürlich wird der Wirbel um das Örtchen bald vorbei sein. Doch so funktioniert Tourismus-Marketing eben oft: Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Das zeigt sich derzeit auch in Düsseldorf: Millionen werden investiert in den Eurovision Song Contest im Glauben, dass Menschen in die Stadt reisen, wenn ihnen die schönsten Ecken auf dem Bildschirm präsentiert werden. Ob das tatsächlich so ist, das mögen die Experten entscheiden.
Heute also werden sich mutmaßlich Millionen Menschen durch Oberstaufen bewegen. Virtuell, natürlich. Das demonstriert nicht nur, wie Stadtmarketing funktionieren kann. Es ist auch ein Symbol für verfehltes Polit-Marketing. Denn die meisten Kommunalpolitiker, die sich im Sommerloch zu Streetview äußerten, stellten sich auf die Seiten der Angsthabenden. Drohten mit Wegezoll. Mit Verbot. Schrieen Zeter und Mordio. Dabei war völlig klar, dass der größere Teil der Bevölkerung das Streetview-Thema mit Achselzucken zur Kenntnis nimmt – oder sich auf den Dienst freut. Sollte irgendein Stadt-, Gemeinden- oder Landesväterchen geglaubt haben, er könne Streetview verhindern, so darf er sich das Etikett „Naiv wie ein Backfisch“ auf die Aktentasche schreiben.
Stattdessen gewinnt eben jene Kommune hinzu, die einer neuen Technik freundlich gegenüber tritt. Und die ihre Bürger mitnimmt. Denn vermutlich dürfte auch nicht jeder in Oberstaufen freundlich gesinnt sein gegenüber Streetview. Doch von Demonstrationen ist bisher nichts bekannt.
Und so darf man all den anderen Tourismusmarketing-Verantwortlichen in kleinen und mittleren Ortschaften ruhig einen Tritt in den Allerwertesten versetzen. Versehen mit den Worten: „Du hättest Oberstaufen sein können.“
Kommentare
Andreas Wollin 2. November 2010 um 15:37
Da hat Oberstaufen alles richtig gemacht. Normalerweise hätten sich alle Orte Deutschlands darum bemühen müssen, aber wie es in Wirklichkeit ablief, ist bekannt.
Ob wirklich Millionen durch Oberstaufen wandeln werden? Denke es werden Hunderttausende sein. Aber Millionen? Oder? Reine Schätzung…
Hängt auch davon ab, ob die Tagesthemen/das heute journal usw. das Örtchen aufgreifen.
Leer-Meinung » Blog Archive » Nochmal Google Street View: Ein Lehrstück für Tourismus-Manager und Bürgermeister 2. November 2010 um 15:38
[…] “Du hättest Oberstaufen sein können” […]
Mark 2. November 2010 um 15:42
Klasse! Endlich mal ein positives Beispiel, dass hier auch schön herausgestellt wird. Hoffentlich fassen sich jetzt sämtliche anderen Sturköpfe von Kommunalpolitikern gehörig an den Kopf.
M. C. Jordan 2. November 2010 um 15:43
Ist doch vollkommen berechtigt von den Allgäuern. Während alle anderen sich (typisch deutsch) erst einmal gegen das Neue verschworen haben, hat Oberstaufen die Zeichen der Zeit erkannt und einen cleveren Schachzug gemacht. Glückwunsch!
NetzBlogR 2. November 2010 um 15:45
Ich habe von dem Ort Dank meiner Schwester schon früher erfahren – sie war dort nämlich mal im Urlaub.
Und ich denke, die Marketing-Leute dort haben sicher auch im Hinterkopf gehabt, dass durch die Bekanntheit der ein oder andere „echte“ Gast vielleicht dort hinkommt.
Einfach mal das Örtchen in der Realität anschauen.
Street-View-blurmany « Surveillance Studies « Kulturkampf 2. November 2010 um 15:50
[…] Thomas Knüwer über den Ort Oberstaufen, den bis eben noch kaum einer kannte: “Denn während in diesem Sommer Kommunalpolitiker in der ganzen Republik über Google Streetview tobten, benahmen sich die Entscheider in Oberstaufen weniger alarmistisch. Sie erkannten eine Chance: Wenn Menschen sich ein Bild vom Ort machen können, reisen sie vielleicht her.” […]
kreitner 2. November 2010 um 16:00
Ich glaube so ganz berechnend kann man das nicht machen. Dass Google testweise nur eine Stadt auswählt und da gerade die eine, die einen Kuchen gebacken hat… Also wenn das alles eiskalt berechnet war, dann war mindestens 100 mal so viel Glück dabei wie Marketingkalkül. Trotzdem natürlich ein genialer Schachzug, freut mich nach all den miesen Meldungen zu StreetView.
netzvitamine 2. November 2010 um 16:00
DANKE Thomas für diesen tollen Beitrag! Wir freuen uns, dass wir Oberstaufen auf diesem Weg begleitet haben – eine tolle Kampagne, die „aus dem Netz“ gedacht wurde. Hat Spaß gemacht!
Michael 2. November 2010 um 16:03
Exakt – wir brauchen einen neuen Positivismus im Land, der einzige Ismus der auch Spaß macht. Vielleicht wird der Tourismus noch Vorreiter für eine moderne Weltsicht und ein modernes Marketing.
Glückwunsch an Benjamin Buhl und natürlich die mutigen Bürger von Oberstaufen. Jetzt kann man den Claim auch sehen: Perle des Allgäu 😉
Michael 2. November 2010 um 16:14
@kreitner: schau mal hier: http://www.tagesschau.de/multimedia/video/ondemand100_id-video800250.html
Carsten Raimann 2. November 2010 um 16:30
selbst wenn es „nur“ Hunderttausend sind. Für Orte solcher Größenordnung ein Segen!
Google hätte das aber auch noch besser nutzen können, mit einer öffentlichkeitswirksamen bundesweiten Ausschreibung!
OliverG 2. November 2010 um 17:49
Also unser Ort hat etwa halb so viele einwohnung und die Google-Autos waren auch da, insofern war wohl kein 2. Besuch nötig.
Und Fremdenverkehr ist hier auch, und max. 2 Mbit 😉
Google Streetview & Oberstaufen | pixel.301 2. November 2010 um 18:02
[…] hier die ersten Reaktionen im Netz von nicht ZDF-Mediathek, der Blog Indiskretion Ehrensache und auf Twitter gab es die ein oder andere Reaktion […]
zweipunktnull » Blog Archive » Street View: No sleep till Oberstaufen 2. November 2010 um 18:42
[…] Nicht unter den Tisch kehren möchte ich, dass es neben Oberstaufen aber heute bereits auch ein paar Sehenswürdigkeiten und 10 Fußballstadien (wie z.B. den Tempel in Gelsenkirchen) zu sehen gibt – und zum Oberstaufen-Thema einen großartigen Artikel von Thomas Knüwer gibt auf Indiskretion Ehrensache. […]
Sachar 2. November 2010 um 20:24
Thomas, vollkommen richtig analysiert. Oberstaufen hat alles richtig gemacht.
links for 2010-11-03 « Where is my towel? 3. November 2010 um 8:00
[…] Du hättest Oberstaufen sein können (tags: icommented fremdenverkehr google streetview) […]
Fundstücke vom 03.11.2010 | daniel rehn – digitales & reales 3. November 2010 um 8:42
[…] Du hättest Oberstaufen sein können Das Brimborium, das um das Sommerloch-Thema Google Street View gemacht wurde, war an manchen Tagen nur schwerlich zu ertragen. Berechtigte, zumindest aber ernst zu nehmende und nicht gleich als lächerlich abzuwertende Bedenken standen hysterischer Angst gegenüber, gerne und immer wieder von den Medien angefacht. Und während die meisten Kommunen, Städte und Co. sich dem Kameraauto verweigerten, erkannte man in Oberstaufen eine große Chance. Und so kam es, dass Oberstaufen zu Beginn der Woche die erste Stadt wurde, die man in GSV virtuell durchschreiten kann. Ein großartiger, von so gut wie allen Medien beachteter Coup des Stadtmarketings, den Thomas Knüwer in seiner Famosität beschreibt. […]
links for 2010-11-03 – Oliver Gassner: Digitale Tage 3. November 2010 um 9:59
[…] flattr_url = 'http://blog.oliver-gassner.de/archives/4652-links-for-2010-11-03.html'; Tweet Du hättest Oberstaufen sein können (tags: icommented fremdenverkehr google streetview) Studie zu Social Media in der […]
stimmviech 3. November 2010 um 11:03
#Oberstaufen macht bei #streetview alles richtig. Und #parum alles falsch http://tinyurl.com/3a2422e
Die Oberstaufen Strategie – oder: Deutschland kann Social Web im Tourismus auf Marketing Welten 5. November 2010 um 12:07
[…] Du hättest Oberstaufen sein können […]
Streetview-Debatte: Typisch deutsch? : netzpolitik.org 7. November 2010 um 16:02
[…] man könnte noch darauf hinweisen, dass Oberstaufen seine 15 Minuten Ruhm hatte (Und dabei ignorieren, dass so eine Nummer nur genau einmal funktioniert, […]
Trotzendorff | Blog | Delicious Links 12. November 2010 um 20:02
[…] »Du hättest Oberstaufen sein können« — 02/11/2010 — Wie es der kleine Ort Oberstaufen geschafft hat, zur Schlagzeile zu werden? »Mit Technikfreundlichkeit und Kreativität«, schreibt Thomas Knüwer. Ein Stück über ein Lehrstück und Googles Streetview. […]