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Das vergangene Wochenende – ausgerechnet der Termin, an dem das WWW 20 wurde, machte wenig Mut für Deutschland im digitalen Zeitalter. Denn was sich rund um Axel E. Fischer, CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Internet-Enquete-Kommission abspielte, bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen: Die deutsche Politik kommt in Sachen Internet keinen Schritt voran.

Bestenfalls Symbolpolitik ist derzeit zu verzeichnen. Über Wochen murmelten CDU-Leute immer wieder, da werde eine Strategie kommen, ein großer Wurf. Das Ergebnis: Beliebigkeiten.

Stattdessen werden viele Debattierclubs eingerichtet wie die Enquete-Kommission oder jüngst der Dialog Internet. Familienministerin Schröder hat zwar schon eine Strategie zum Thema Jugend und Internet – trotzdem darf noch mal ein wenig geredet werden. Wer an einer faktischen Beteiligung der Bürger interessiert ist, wählt die entgegengesetzte Reihenfolge.

Es ist wohl eine Folge des Zensursula-Desasters. So übel wie Ursula von der Leyen da digital umhergewirbelt wurde – das möchte keiner ihrer Kollegen nochmal erleben. Andererseits hält man den Bürger aber auch für die größte Gefahr des Staates. Nehmen wir nur Wolfgang Schäuble, der in einem Interview offen das umstrittene Werk „Selbstbehauptung des Rechtsstaates“ von Otto Depenheuer empfahl. Dieser hält das Grundgesetz für ein Sicherheitsrisiko im Kampf gegen den Terror.

Und so sieht offensichtlich auch Axel E. Fischer die Welt. Dass der die Enquete-Kommission Internet führen darf, ist für mich ohnehin ein Treppenwitz. Sein stark ausbaufähiges Wissen demonstrierte er in einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur. Und zum Amtsantritt plauderte er munter gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“:

„Ich nutze das Netz, um zu kommunizieren und mich zu informieren. Ich habe eine Seite bei Facebook. Aber ich habe nicht die Zeit, mich stundenlang im Internet aufzuhalten.“

Man stelle sich vor, Karl Theodor zu Guttenberg verkündete: „Ich habe nicht die Zeit , die Truppen in Afghanistan zu besuchen.“

An diesem Wochenende erlebte Axel E. Fischer nun seinen ersten Shitstorm, wie der um rüde Worte nie verlegene Allgemeinbürger dies nennt. Er gab den „Badischen Neuesten Nachrichten“ ein Interview. Die Zeitung verzichtet auf mutmaßlich tausende von Klicks und hunderte von Verlinkungen und versteckt das Gespräch in ihrem Paid-Content-Bereich (weshalb es auch keinen Grund gibt, dorthin zu linken). Nur so viel ist zu lesen:

„Es könne nicht sein, dass sich die Bürger in Foren oder anderen Einrichtungen des Netzes hinter selbst gewählten Pseudonymen versteckten und sich so der Verantwortung entzögen, sagte der Karlsruher CDU-Abgeordnete. „Der neue Personalausweis bietet die ideale Möglichkeit, sich im Internet zu identifizieren“. Gleichzeitig sprach sich Fischer für die Einführung eines „Radiergummis“ im Internet aus, mit dem Inhalte nach einer gewissen Zeit gelöscht werden können. „Kein Vermummungsverbot ohne Radiergummi, sonst entsteht ein Ungleichgewicht.““

Ein Vermummungsverbot. Das ist, schauen wir nochmal genau nach, ein Gesetz, das „Teilnehmern von Demonstrationen“ verbietet, „ihr Gesicht zu verdecken oder Gegenstände mitzuführen, die dazu bestimmt sind, das Gesicht zu verdecken und damit die Feststellung der Identität zu verhindern.“

Fischer jedoch fordert anscheinend, die komplette Identifizierung jeder Surfbewegung über den Personalausweis. Im Umkehrschluss ist jede digitale Bewegung eines Bürgers für ihn Demonstration. Jede Kommunikation, jeder Tweet, jedes eingestellte Foto.

Auf Fischers Facebook-Seite gibt es mehr (wenn dies tatsächlich seine ist, sag ich mal vorsichtshalber):

„Es kann nicht sein, dass sich viele Bürger in Foren oder anderen Einrichtungen des Netzes hinter selbstgewählten Pseudonymen verstecken und sich so vermeintlich jeglicher Verantwortung für Äußerungen und Verhalten entziehen. Nicht nur die Qualität von Diskussionen in Foren und Blogs leidet hierunter – die vermeintliche Anonymität verleitet viele Nutzer zu Äußerungen und Verhaltensweisen, die sie hinterher bereuen könnten.“

Doch, Herr Fischer, das kann sein. Und das muss sein. Denn wenn ich bei einer öffentlichen CDU-Bierzelt-Veranstaltung hinein möchte, dann muss ich nicht meinen Ausweis scannen lassen – obwohl ich vielleicht Dinge rufe, die ich hinterher bereuen könnte. Wenn ich bei der Vorstellung eines neuen Bauprojektes in der Kommune, in der ich lebe, mitdiskutieren möchte, muss ich dies ebenfalls nicht tun. Und die Diskussion leidet keineswegs darunter. Diese Maßnahmen, die Fischer da vorschlägt, sind undemokratische Visionen wie sie gemeinhin diktatorischen Regimen vorschweben.

Der Bürger ist für Axel E. Fischer eine beständige Gefahr, einer, der jederzeit losschlagen kann, brutal, ungesetzlich, unbarmherzig.

Die Frage ist nun: Soll man Fischer angesichts solcher abgrundtief dummen Vergleiche noch ernst nehmen? Viele im Netz entschlossen sich, dies am Wochenende nicht zu tun. Es entwickelte sich ein großartiger Kreativwettbewerb um den Web-Vergleich, der noch schwachsinniger ist. Die Liste der Ergebnisse können Sie hier einsehen.

Doch leider ist Fischer eben auch ein Amtsträger. Und er könnte mit seiner Kommission dafür sorgen, dass Deutschland in einer der wichtigsten Technologien unserer Zeit (und einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor) endlich eine Rolle spielt. Nun stellt sich heraus: Auch er will, dass alles schön beim Alten bleibt. In einer globalisierten Wirtschaft wird das nicht funktionieren.

„Wir möchten die größtmögliche Freiheit im Internet gewährleisten“, sagte Fischer zum Start. Heute wissen wir: Es war eine Lüge.

Und wahrscheinlich auch das, mit dem „keine Zeit für das Internet“. Denn zum Spielen reicht es immer noch:


Kommentare


Henning 15. November 2010 um 20:44

Das ist natürlich eine üble Stasiforderung.
Aber dass die Qualität potentiell gewinnt, wenn in Internet-Diskussionen Klarnamen verwendet werden, kann nicht einfach so als falsch abgestempelt werden. Im Usenet tobt seit Ewigkeiten der Kampf um Klarnamen, und es ist immer wieder zu beobachten, dass die besten Beiträge von Klarnamenträgern kommen.
Nur: Das ist kein Thema um das sich der Staat kümmern sollte.
Das Bild das Fischer vom Bürger und dem Verhältnis zwischen Staat und Bürger hat, ist bedenklich und traurig.

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Björn 15. November 2010 um 21:40

Thomas, jetzt mal ehrlich: ihn einen Lügner zu schimpfen, geht vielleicht etwas weit, findest Du nicht? Ich bin sicher, dass mit der „größtmöglichen Freiheit hat er schon so gemeint! Das Mass an Freiheit, das im Internet aus Sicht eines Politikers möglich & wünscheswert ist, ist halt einfach nicht so wirklich gross…

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Twitter Updates for 2010-11-15 | inpressulum 15. November 2010 um 23:15

[…] @tknuewer Axel E. Fischer vs. die Bürger https://www.indiskretionehrensache.de/2010/11/axel-e-fischer-vermummungsverbot/ […]

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Gardinen für Windows | sixumbrellas 15. November 2010 um 23:31

[…] Warum die Forderung eines Vermummungsverbots und die permanente Identifikation mit Hilfe des neuen elektronischen Personalausweises eine ganz und gar gefährliche Idee ist, die auch in der Welt außerhalb des Internets keine Entsprechung findet, hat Indiskretion Ehrensache gut zusammen gefasst. […]

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Feingeist 16. November 2010 um 1:50

Es ist ja noch nicht einmal ein Shitstorm. Es ist einfach schallendes Gelächter.

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Sven 16. November 2010 um 12:42

Die letzte Aussage, er habe keine Zeit zum spielen würde ich sogar unterschreiben. Immerhin geht es hier nicht ums spielen, sondern um flache Promotion eines Produkts.

Es geht hier sogar noch einen Schritt weiter. Der gute Mann nutzt ein Werbe-„Spiel“ und postet das seinen Followern? Spammt sie mit Werbung? Macht sich zum Multiplikator eines Großkonzerns?

Da frage ich mich dann auch schon wieder, wo die weiteren Verbandelungen zwischen ihm und dem Unternehmen liegen.

Gut, vielleicht ist er ja auch nur Fan der vier Ringe. Der Ringe, die er gerne als Hand und Fußfesseln an den Gliedern des freien Bürgers sehen würde.

Leider muss man solch einen Menschen aufgrund seines Amtes ernster nehmen, als ihm zusteht.

Und leider muss man seine Industrie-, ähhh ich meine Volksvertreter, nach jeder Wahl ertragen.

Aber das Volk bekommt eben immer die Regierung, die es verdient. Und sei es in Ermangelung wählbarer Alternativen. (Wobei ich damit nichts über meine letzte Stimmabgabe aussagen will.)

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Peter Witt 16. November 2010 um 15:19

auch sehr schön:
http://www.memegenerator.net/Axel-E-Neumann

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Hans 18. November 2010 um 2:18

Der Vergleich hinkt aber schon sehr. Das Vermummungsverbot fordert also, sein Gesicht zu zeigen.

Wenn Sie auf einer CDU-Bierzelt-Veranstaltung peinliche Dinge rufen, dann zeigen Sie auch ihr Gesicht. Und es kann Sie jemand erkennen.

Aufs Internet übertragen gehörten neben die Postings also zwar keine Realnamen, aber doch Passfotos.

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Kotzbröckchen: Links der Woche 13.11. – 19.11. | Kotzendes Einhorn 19. November 2010 um 12:08

[…] an sich und nicht die Metapher ging. Ulkigerweise Auf Indiskretion Ehrensache gibt es einen lesenswerten Artikel dazu. Sehr schön auch, dass Herr Fischer sein Impressum auf einer Seite vergaß und somit selbst […]

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abgeordnetenwatch.de: Blog » Warum Offline-Politiker ihren Berufsstand in Verruf bringen 13. April 2011 um 9:17

[…] der “Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft” qualifiziert, wo er es mit dem Internet nach eigener Angabe nicht so hat und auch schon mal ein digitales Vermummungsverbot fordert. Allein: auf öffentliche Antworten […]

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