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Print wirkt. Behauptet der Branchenverband der Zeitschriftenverleger VDZ, ein Lobby-Verein mit manchmal bemerkenswert absurden Forderungen. Nun ist diese Wirkungsbehauptung nicht neu. „Print wirkt“ ist eine Kampagne überschrieben, die lustlos Werbekunden davon überzeugen soll, bei der Magazin-Stange zu bleiben.

Wahrscheinlich war es jenes auf jeder Schützenvereins-Sitzung vorgezeigte Social-Media-Video von Erik Qualman, das den VDZ’lern die Lefzen wässerte, bevor sie hinausstießen: „So was brauchen wir auch!“.

Entstanden ist nun also ein Video, das sogar auf Youtube eingestellt wurde. 10 Fakten soll es enthalten und gibt sie in 100 Sekunden zur hektischen Gitarrenschrammelei wieder.

Nun gut, dann schauen wir uns die 10 Fakten mal an – inklusive den Zahlen, die der VDZ lieber verschweigt.

1. 93% aller Deutschen lesen Zeitschriften.

Ja. Aber laut der „Typologie der Wünsche“ lesen nur 42% sie regelmäßig und intensiv.

2. 92% der 14- bis 29-Jährigen lesen Zeitschriften.

Merkwürdig. Denn vor zwei Jahren war eine Nationale Initiative Printmedien gegründet worden, weil die Zahl der jugendlichen Print-Leser sich innerhalb von 10 Jahren halbiert hat. Bei der Vorstellung der Initiative hieß es noch, nur noch jeder 4. Jugendliche lese Gedrucktes. Gründungsmitglied der Initiative – von der wir seitdem wenig gehört haben – war natürlich: der VDZ.

3. Jeden Monat geben die Deutschen 283 Mill. Euro für Zeitschriften aus – für Qualität wird nämlich gern bezahlt.

Letzteres würde ich nie bestreiten. Allerdings umfasst die Qualitätsdefinition des VDZ wohl auch die „Super-Illu“ und ähnliche Produkte. Ob aber tatsächlich jeder Deutsche (Babys und Grundschüler eingeschlossen) 3,45 monatlich in Zeitschriften steckt? Mutmaßlich hat der VDZ hier all die hübschen Freiexemplare reingerechnet.

4. Zeitschriften wachsen mit dem Internet – ein Drittel aller Abos wird online abgeschlossen.

Letzteres ist unbestritten – aber schlicht logisch. Denn wer bei Google nach Begriffen sucht wie „Abo Focus“, der wird überschüttet mit den Billigheimer-Angeboten der Abo-Vermittler. Offeriert werden sie von Seiten wie „Sparen-wie-Schwaben.de“ – Nomen est omen. Ob also die Umsätze gleich hoch sind wie zu den Zeiten der Postkarten-Oder, wissen nur die Verlage selbst. Wobei wir hier ja über Umsätze pro Kunde reden, denn die Auflage aller Publikumszeitschriften in Deutschland – das verschweigt der VDZ gern – ist seit 2000 um rund 13 % gesunken.

5. Zeitschriften sind die meistzitierten Medien Deutschlands – das nennt man Agenda Setting.

In der Liste der meistzitierten Medien 2009 tauchen 4 Zeitungen und zwei Sonntagsableger von Tageszeitungen aus. So oder so sagt Quantität bekanntermaßen nichts über Qualität (und somit das Agenda Setting) aus.

6. Zwei Drittel aller deutschen Journalisten arbeiten für Print.

Stimmt. Aber schon vor den Abbauwellen der vergangenen zwei Jahre ist ihre Zahl dramatisch gesunken – und immer weniger Journalisten können von ihrer Arbeit leben.

7. 7 der 10 beliebtesten News-Apps stammen von Print-Marken.

Mit der Genauigkeit hat es der VDZ ja nicht so. Zunächst einmal weiß niemand, welches die beliebtesten News-Apps sind, weil sich keine Hitliste über alle Plattformen hinweg erstellen lässt. Mutmaßlich geht es hier um die meist heruntergeladenen oder meistgekauften Iphone-Apps. Bei den gekauften Programmen stammen sechs der Top 10 von Print-Marken, allerdings ist das „Feuerwehr-Magazin“ die einzige Zeitschrift darunter. Bei den meist heruntergeladenen Apps kommen fünf aus Print-Häusern, davon drei von Magazinen.

8. 93% der Jugendlichen stört Werbung in Zeitschriften nicht.

Nun, wenn sie diese nicht lesen, ist der Störfaktor begrenzt. Zum anderen: Seit wann ist das Ziel von Werbung, nicht zu stören?

9. Print wirkt schnell: 50% der Leser erreicht man an den ersten beiden Verkaufstagen.

Schnell? Schon mal was von Internet gehört? Vor allem aber: Was will diese Zahl sagen? Dass kaum noch jemand den „Spiegel“ vom vorigen Montag am Freitag kauft? Wow, Überraschung.

10. Anzeigen werden meist zweimal gesehen?

Meist? Bemerkenswert, wie verschwommen der VDZ mit einem Mal wird.

Seien wir ehrlich: Natürlich ist dies platte Werbung. Nicht einmal sonderlich gelungen ist sie, denn die Argumente werden auf der VDZ-Seite nicht (wie beim Vorbild Qualman) direkt mit einsehbaren Zahlen unterfüttert.

Tatsächlich ist Werbung im Magazinbereich ein Feld, das an Bedeutung verloren hat und weiter verliert. Und genauso verlieren Zeitschriften bei Lesern an Bedeutung. Weil ihre Qualität sinkt, bedingt durch dramatische Kostenkürzungen in Redaktionen. Und durch deprimierende Ideen- und Mutlosigkeit bei den Verlagen. Selbst wenn einer mal eine gute Idee hat: Sofort versuchen die anderen, den Markt mit Copycats zu verstopfen.

Ja, Print wirkt.

Noch.

PS: Ach, wo doch alle das Video von Erik Qualman so toll finden – wie wäre es, auch mal sein Buch zu lesen? Ist nämlich ganz brauchbar.

Nachtrag vom 9.7.2010: Der Unsinn geht noch weiter. Anscheinend weiß der VDZ nicht mal, mit welcher Technik seine Mitglieder ihre Produkte herstellen.


Kommentare


Dirk Landau 21. Juni 2010 um 12:02

Altuelle Schützenvereins-Sitzungen müssen wohl ohne Qualman auskommen.
Solange sie auf youtube schauen: „Not available in your country“

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Thomas Knüwer 21. Juni 2010 um 12:04

Danke, liebe Gema… Hier das Video bei Vimeo: http://vimeo.com/11551721

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paul 21. Juni 2010 um 14:25

Was für ein gruseliges Video!

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Ralf Heinrich 21. Juni 2010 um 16:19

Die (meisten) Printmedien wollen einfach nicht verstehen, dass Online irgendwann die alleinige Zukunft ist. Bis dahin (und das wird noch eine ganze Weile dauern!) ist das Zusammenwirken von Print und Online die beste Idee. Aktuell ist es nämlich so, dass Online prima ohne Print auskommen kann; Print aber nicht ohne Online…

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vera 22. Juni 2010 um 0:05

Den Slogan hat Michalis Pantelouris doch schon vor geraumer Zeit klar widerlegt ,)

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Klaus 22. Juni 2010 um 12:51

„wie zu den Zeiten der Postkarten-Oder,“

?
Da könnte man was dran verbessern.

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Klaus 22. Juni 2010 um 12:56

…und was soll das Auf-die-Gema-hauen?

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Frank Didszuleit 22. Juni 2010 um 15:34

… weiss jemand, mit welchem Tool das Video gemacht wurde? Es gibt ja immer mehr dieser Videos, da wird es doch bestimmt schon eine ganz bestimmte Software zum Erstellen geben, oder?

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M.Elfarouk 22. Juni 2010 um 18:52

a side from the 10 reason , why Printed News Papers and Magazines is developing a side of the digital life and INTERNET , is because news paper and Magazines are connected to certain life style and daily habits of a lot of people in every day life and in difference places, you need no electricity and you can just read every where , the history of papers industry , Books, News papers , Magazine and so on , has a special taste in people life style, especially the older age , who enjoy reading a book , or even a younger who enjoy reading or watching nice pictures in a magazine on the beach , printing will just get better and reach perfection by digital printing this is something that will never die , it will just get better and collect much more users in the future a side from the Internet and all the digital revolutionary, the day will come that a book page will be interactive and change more images like a „Gif „image while it is still a paper in a book !!

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Scho-Ka-Kola – oder: Online wirkt! » Pottblog 28. Juni 2010 um 12:23

[…] Kampagne übrigens 10 Argumente in 100 Sekunden vor, die Thomas Knüwer im Blogbeitrag Print wirkt immer weniger gekonnt seziert […]

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links for 2010-06-30 « Nur mein Standpunkt 30. Juni 2010 um 13:03

[…] Print wirkt – immer weniger Fakten, Fakten, Fakten – und was man davon halten muss wenn sie vom VDZ kommen… (tags: Journalismus, verlage) […]

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Social Media Profis – Über Facebook Luden und Twitter Cheater | Social Media Marketing, SEO Blues & Rock 'n' Roll 13. Juli 2010 um 11:54

[…] scheint es auch jetzt zu sein, denn Social Media hat eine enorme Faszination ausgelöst. Print wirkt eben schon lange nicht mehr so wie die Druckindustrie immer noch glaubt. Also machen sich jede Menge neue Social Media Experten […]

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