Skip to main content

Selbst Joshua Benton blies die Wangen auf. „Puh“, meinte der Direktor des Nieman Journalism Lab der Uni Harvard, gestern auf der Marketing2Conference in Paris, als er von den Plänen des Jahreszeiten-Verlags hörte. 70 Stellen sollen dort wegfallen, der reaktionelle Apparat zusammenschrumpfen zu einem Haufen Häuptlinge ohne Indianer. Benton gab sich als Zweckoptimist, dass wenigstens irgendetwas Gedrucktes überbleibt, am Ende. Seine Lokalzeitung, den „Boston Globe“ stellt er sich in fünf Jahren vor als ein- bis zweimal erscheinendes Hochglanzmagazin mit sehr anspruchsvollen Inhalten zum Preis von 10 Dollar je Ausgabe – was natürlich nichts mit dem zu tun hat, was der „Globe“ heute ist.

Fliegender Holländer Geisterschiff Shutterstock klein(Foto: Shutterstock)

Doch die Gutsherren-Idee bei Jalag, wie der Verlag in der Branche heißt, erhebt die Frage, ob nicht nur Zeitungen sondern auch Magazine vor einem Massensterben stehen. „Am 23.3.2010 ist Print gestorben“, twitterte Thomas Koch, Chef der Mediaagentur Crossmedia gestern. Heute morgen grübeltwitterte er mit Recht, wo denn die Seele einer Redaktion bleibe, wenn diese praktisch nur noch aus Ressortleitern bestehe.

print wirktDies darf man auch bei der „Abendzeitung“ fragen: 40 von 90 Stellen dürften wegfallen. Allüberall in der Republik wird ausgedünnt bis auf die Knochen. Übrig bleiben nur noch jene, die den Papierplatz verwalten und ihn füllen mit der Arbeit freier Mitarbeiter – oder den Anlieferungen von „Kooperationspartnern“. Hier darf dann das Jahreszeiten-Produkt „Merian“ als Musterbeispiel gelten. Wer über Jahre hinweg immer mal wieder ganze Hefte an liebreizende Partner abgibt, muss sich nicht wundern, wenn Journalismus zum kalten Zahlenspiel mutiert und eingeholte Unternehmensberater die Qualität eines Mediums als Excel-Sheet messen. Spätestens wenn ein Berater einen Redakteur fragt: „Wie lang brauchen Sie denn im Durchschnitt so für 80 Zeilen?“, ist es Zeit zu gehen. Besser: zu rennen. Dann sind jene Berater am Werk, die keinen Funken Sachverstand von Redaktionsarbeit haben – auch wenn sie dies auf ihrer Homepage beteuern.

Damit will ich übrigens nichts gegen die Arbeit freier Journalisten sagen. Aber natürlich werden viele von ihnen nicht so bezahlt, dass sich Top-Qualität für sie lohnt. Recherche ist eben ein teures Spiel und ein freier Journalist ist ein Unternehmer, der sehen muss, wo er bleibt.

Nicht nur das aber lässt die Qualität jener Produkte sinken.

Kreativität – und die ist eine der wichtigsten Ingredienzen für Journalismus – potenziert sich in der Gemeinschaft. Wenn die Redaktion nur noch aus überarbeiteten Ressortleitern besteht, entfallen jene Gespräche am Kaffeeautomaten oder beim Büronachbarn, die Humus sind für ungewöhnliche, bereichsübergreifende Stücke. Und natürlich wechseln die Autoren häufiger, steigt der Anteil der externen Dienstleister unter ihnen. Sie werden auch nicht in den Vordergrund geschoben – was aber nötig wäre zur Leserbindung.

So werden Zeitungen und Magazine immer seelenloser, wandeln sich zu Fliegenden Holländern der Medienmeere: Sie sind zwar da, man mag ihnen aber nicht begegnen. Davon zeugen schon heute die sinkenden Absatzzahlen der meisten Print-Objekte. Denn der Leser ist nicht dumm: Er bemerkt diesen Qualitätsrückgang – und wendet sich ab. Das passiert nicht von heute auf morgen: Deutschland ist ein Abo-Land. Aber eben Stück für Stück.

Nehmen wir nur die Wirtschaftsmagazine aus dem Haus Gruner + Jahr. Sie werden nun bestückt von einer Zentralredaktion, auch so eine Excel-Idee. Hat es geholfen? Nein.

„Impulse“ hat in den vergangenen 12 Monaten 10 Prozent Abos verloren und 35 Prozent im Einzelverkauf; „Capital“ hat 23 Prozent Einzelverkauf und 16 Prozent Abos weniger; „Börse Online“ stürzte im EV um 14 und bei Abos um 13 Prozent ab. Morgen werden auf einer Pressekonferenz wohl wirtschaftliche Details bekannt gegeben.

Seelenlose Produkte mag der Leser nicht – Zeitungen und Zeitschriften mit Seele dagegen schon. Davon zeugen Erfolge wie „Brand Eins“, „11 Freunde“ oder „Die Zeit“. Aber so etwas kostet eben Geld. Die meisten Verlage bevorzugen es, sich in eine Todesspirale zu stürzen.

m2c

Und die Journalisten? Scheinbar dürften die Freiberufler unter ihnen erblühen. Scheinbar. Denn so viele, wie von ihnen gefeuert werden, fängt kein Markt auf. Und je mehr Anbieter es gibt für die Fliegenden Holländer, desto niedriger sinkt der Preis – und mit ihm die gebotene Qualität.

„Ist dies das Zeitalter der freien Journalisten?“, fragt ich Nieman-Chef Benton in Paris.

Er lächelte bitter: „Es ist das Zeitalter der zwangsweise freien Journalisten.“


Kommentare


Eckhard Supp 24. März 2010 um 20:52

Egal ob Freier (wie ich) oder Festangestellter (wie ich in meinem Leben zum Glück nur 7 Monate lang, als Chefredakteur, von denen man jetzt munkelt, sie würden innerhalb der Verlage überleben): Wir haben es alle zusammen versäumt, uns für die Advokaten, Politiker und Controller in den Vorstandsetagen rechtzeitig eine Lösung auszudenken.

Aber: Auch wir haben mitgespielt, haben nicht energisch protestiert, als uns der Druck aus den Vorstandsetagen zwang, nur noch Agentur- oder PR-Meldungen abzuschreiben, uns statt dessen angepasst und den seelenlosen Journalismus abgeliefert, der uns jetzt zum Verhängnis wird. Wir waren so von unserer „Qualität“, unserer „Klasse“, von unserer „Unersetzbarkeit“ überzeugt, dass wir nicht einmal mehr merkten, dass wir nur noch kalten Kaffee lieferten, haben statt dessen sogar immer wieder „gute Gründe“ für diese Entwicklung gefunden. Ich jedenfalls erinnere mich noch sehr gut, was mir ein Festangestellter „Kollege“ im Brustton der Überzeugung antwortete, als ich ihm vorwarf, die Weinkolumnen seiner Zeitung von Weinhändlern schreiben zu lassen: „Für solche Themen haben wir nur wirklich kein Geld!“ Und fand das vollkommen in Ordnung!

Antworten

Armin 25. März 2010 um 10:22

Wenn das Herausstellen der Autoren so wichtig ist fuer die Leserbindung, wieso scheint dann der Economist so wunderbar ohne das auszukommen?

Antworten

Thomas Knüwer 25. März 2010 um 10:35

Weil der „Economist“ eine der ganz, ganz, ganz wenigen Publikationen ist, die Inhalte bieten können, die spezifisch genug für Experten aber interessant genug für eine substanzielle Menge Leser sind.

Antworten

Benno Stieber 25. März 2010 um 10:53

Grüß Gott vom Verband für Fliegende Holländer: Freischreiber,

Lieber Herr Knüwer ich glaube, Sie sind da auf dem Holzweg. Die Unterscheidung zwischen Redaktionsblättern und seelenlosen Blättern funktioniert schon bei Ihren Beispielen nicht: Brandeins ist ein Heft, dessen Inhalte zu hohen Prozentsätzen von freien Journalisten geliefert werden. Die Redaktion selbst ist klein aber schlagkräftig und Brandeins wird von Ihnen zu Recht als ein Beispiel für ein Heft mit Seele aufgeführt. Weitere solcher Hefte mit hohem Freien-Anteil und Seele sind auf www.freischreiber.de/ohne-freie-fehlt-was zu besichtigen.

Nein ich glaube, der Fisch stinkt – wie immer – vom Kopf. Die Frage ist, welche Seele haucht ein Verlag und seine Chefredakteure einem Blatt ein. Die Freien, das habe ich in bald zwei Jahren Freischreiber erfahren, sind diejenigen, die unter den seelenlosen Blättern genauso leiden, wie die Redakteure. Denn sie sind vor allem eins: Leidenschaftliche Journalisten.

Antworten

Eckhard Supp 25. März 2010 um 14:09

@Benno Stieber: Sowieso!

Antworten

gsohn 25. März 2010 um 15:02

“Wie lang brauchen Sie denn im Durchschnitt so für 80 Zeilen?” Hat man Dir diese Frage gestellt?

Antworten

Jahreszeitenverlag entläßt 70 Redakteure « Würtz-Wein 19. Mai 2010 um 0:40

[…] Hier noch ein guter link zu diesem Thema: Indiskretion Ehrensache […]

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*