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Wie konferiert es sich in Zeiten der Krise? Eine berechtigte Frage nach drei Tagen auf der Burda-Zukunftskonferenz DLD. Die Antwort lautet: eigentlich recht gut.

„Eigentlich“ bedeutet aber: Ein Spuckskandal am letzten Tag ist ein Symbol für die unterhäutige Hypernervosität der Medienbranche. Hiermit gestehe ich: Ich habe es nicht geglaubt. Also, die Ankündigung der Organisatoren des DLD, nun endlich die Zahl der Teilnehmer drastisch nach unten zu fahren. Für mich war diese Äußerung auf dem gleichen Niveau wie die Versprechungen des Schalke-04-Managements vor jeder Saison, nun endlich richtig um die Meisterschaft mitzuspielen.

Der DLD als medialer Hauskongress von Hubert Burda hat eigentlich gute Wurzeln: Er ist ein Aufwärmen für das World Economic Forum in Davos, hat ein höchst motiviertes Organisationsteam und durch Burda Zugriff auf Top-Redner. Nur leider soll er unbedingt im HVB-Forum in Münchens City stattfinden. Und das war in den vergangenen zwei Jahren viel, viel zu klein – weshalb ich auch nicht mit Kritik gespart habe.

Nun, dieses Jahr war es anders. Sicher, es wurde auch mal richtig voll – aber die Teilnehmerzahl 09 machte das HVB-Forum zur richtig guten Tagungsstätte. Einzig ein ruhiger und mit ausreichend Steckdosen versehener Presseraum wäre jetzt noch schön. Als Journalist muss ich aber auch die Arbeit der Burda-Kommunikationsabteilung während der Tage loben: Die Interviewverteilung vorher und das Arrangieren der Treffpunkte lief absolut perfekt. Und, ja, auch die Party war klasse. Hielt die Wage zwischen Feier und Smalltalk, krisengerecht wurden Currywurst und Pizza serviert.

Natürlich gab es Tiefpunkte. Zum Beispiel den Auftritt von Daimler-Designer Gorden Wagener. Fast eine halbe Stunde salbaderte er über die Autos seines Hauses, sehr zum Ärger des Publikums – und kein Moderator stoppte ihn. Selten hat ein so hochrangiges Mitglied des Stern-Konzerns vor einem so interessierten Publikum die Marke derart lächerlich gemacht: eine Unverschämtheit.

Hier ist vielleicht das einzige Manko des DLD09 zu finden: Einige der Panels waren schlecht vorbereitet und mies moderiert. So jenes über BestBuy, das mehr aus dem Betrachten von Videos bestand. Als Moderator völlig ungeeignet ist dagegen der als Redner höchst unterhaltsame Investor Yossi Vardi: Sein eigener Geltungsdrang zerstört jede Diskussion. So gelang es, in einer 60minütigen Diskussion Youtube-Gründer Chad Hurley Raum für drei Worte zu lassen (so mir nichts entgangen ist).

Doch es gab auch interessante Diskussionen. Wer sie per Video auf der DLD-Seite nochmal betrachten möchte, dem sei vor allem die Runde zum Thema Online-Video empfohlen, jene zum Cloud Computing, der Vortrag von David Weinberger und das immer stille, aber inhaltlich manchmal ins Irre abdriftende Gespräch mit Bestsellerautor Nassim Taleb.

Hier noch ein paar Zitate:

Micah Sifry (Personal Democracy):
„Der vielleicht eindrucksvollste Monat des US-Wahlkampfs war vielleicht der Februar 08. Es gab 55 Millionen Dollar Spenden für Obama – ohne einen Auftritt des Kandidaten.“
„Sollte unser Land das nächste mal glauben, ein anderes angreifen zu müssen, würden die Proteste vollkommen anders organisiert werden.“

„Der Einfluss der klassischen Medien, vor allem der Print-Medien, im Wahlkampf wird sinken. Die Frage ist: Was bedeutet das für uns Wähler?“

Jack Hidary (Hidary Foundation):
„Als ich am ersten Tag bei der Kerry-Kampagna half, hingen an den Wänden selbstgemalte Karten. Am ersten Tag bei der Obama-Kampagne gab es Google-Maps-Ausdrucke von Regionen mit einer Auflistung, welche Häuser man zuerst besuchen sollte und Informationen, wie sich deren Bewohner bisher engagiert haben.“

Michael Arrington (Techcrunch):
„Print ist nützlich für Magazine, die auf dem Beistelltisch liegen. Für tägliche Nachrichten ist es absurd.“

Carolyn McCall (CEO Guardian Media Group):
„Rubrikenanzeigen sind für uns derzeit noch das stabilste Geschäft.“

Jason Glickman (Tremor Media):
„Die meisten Anzeigenvertriebler können Online-Videos nicht richtig erklären.“

Jeremy Allaire (Brightcove):
„Die meisten Medienunternehmen sind lausig in der Vermarktung ihrer Online-Videos.“

Axel Schmiegelos (Sevenload):
„Werbung funktioniert meistens nicht.“
„TKP ist eine schlechte Währung.“

Marissa Mayer (Google):
„In welchem Land Server stehen ist technisch unerheblich – rechtlich aber ein riesiges Problem.“

Ora Ito (Designer) über seine Club-Liveübertragungsseite Awdio:
„Wenn sie irgendwo leben, wo es nicht cool ist, habe ich gerade ihr Leben gerettet.“

Loic le Meur (Seesmic und Sarkozy-Berater):
„Politiker reichern die Realität in ihrem Sinne an – und das kommt im Internet nicht gut an. Lügen überleben dort nicht.“

So könnten wir nun nett auseinander gehen – wenn es nicht diesen Vorfall gegeben hätte. Techcrunch-Gründer Michael Arrington wurde beim Hinausgehen angespuckt. Ins Gesicht:

„Yesterday as I was leaving the DLD Conference in Munich, Germany someone walked up to me and quite deliberately spat in my face. Before I even understood what was happening, they veered off into the crowd, just another dark head in a dark suit. People around me stared, then looked away and continued their conversation.“

Zyniker werden jetzt sagen, dass mediale Kritik an RTLs Dschungelcamp doch überflüssig ist – dafür reichen Web-Konferenzen. Doch die Frage, wer diese Widerlichkeit begangen hat, wirft den Scheinwerfer auf die Stimmung in zwei Branchen, zwischen denen Arrington jongliert.

Da wären zum einen die Medien. Sie hat der gelernte Anwalt in platter und – das Wort passt wirklich – blöder Art und Weise attackiert. Nun ist Arrington auf einem steten Sinkflug in Sachen Niveau. Auf der Techcrunch50 waren seine Moderationen noch trocken-böser Humor, auf der Le Web beleidigte er Organisator Loic le Meur auf offener Bühne. In München lümmelte er sich auf dem Podium herum, gähnte, demonstrierte Uninteressiertheit. Auch, wenn er grippegeplagt war: Er war eingeladener Gast und von diesen darf man eine Grundhöflichkeit erwarten. Dann kanzelte er Journalisten als Faulpelze ab, eine Berichterstattung über Krisengebiete interessiere ihn nicht.

Somit also könnte ein durchgeknallter Medienvertreter der Täter sein. Denn wer sich in München über die Krise klassischer Medien unterhielt, bewegte sich schnell in Richtung Suizid-Gefährdung. Es ist keine Übertreibung: Wenn die Situation zu Beginn des Jahres 2009 das Gesamtjahr 2009 anhält, dann werden wir keine Medienkrise mehr haben – weil es keine Medien mehr geben wird.

Doch noch eine Gruppe ist höchst nervös: Startup-Gründer. Unter ihnen gibt es einerseits die coolen, die wissen, dass sie ein gutes Produkt haben. Aber da sind auch jene, die mit geklauten Ideen versuchen, Kapital einzusammeln.

Ihre Verzweiflung bricht sich Bahn in einem Verhalten, das vergleichbar ist mit dem Jahr 2001. Zu beobachten gab es das stärker als beim DLD während der Web-Konferenz Le Web in Paris. Dort wurde jeder, dessen Namensschild ihn als Geldgeber auswies, von einer blonden Dame angesprochen. Fünf Millionen brauche sie für ein Geschäftsmodell im Bereich Real-Time-Shopping – aber bitte ganz, ganz schnell. Sie dürfte erfolglos gewewesen sein.

Eine andere Geschichte ist mir nur aus zweiter Hand bekannt, aber von mehreren Menschen beobachtet worden. Ein deutscher Investor wurde angesprochen von einem Startup-Gründer mit aufgeklapptem Laptop: Ob er ihm seine Idee zeigen dürfe. Klar, kein Problem. Nach Ende der Präsentation zückte jener Gründer aber ein Blatt Papier mit einer Verschwiegenheitserklärung – bitte unten unterschreiben. Selbstverständlich weigerte sich jener Investor, denn solche Erklärungen vereinbart man vor der Vorstellung. Daraufhin wurde der Gründer ausfallend und laut, was ihm den Rausschmiss durch den Sicherheitsdienst einbrachte.

Die Nerven liegen blank bei vielen, in diesen Tagen. Und deshalb ist es nicht weit hergeholt, wenn sich Michael Arrington im jüngsten Techcrunch-Artikel Sorgen um seine Gesundheit macht. Wir haben Selbstmorde bereits erlebt, es ist wohl nur eine Frage der Zeit, wann der erste durchdreht und anderen nach dem Leben trachtet. Die Krise ist nicht mal richtig heißgelaufen – und doch hinterlässt sie üble Spuren.


Kommentare


Jeriko 28. Januar 2009 um 14:41

Ist ja lustig, sie bemerken die Uninteressiertheit und das Fehlen einer Grundhöflichkeit bei Herrn Arrington auf dem Podium. Können sie sich noch an das Aufeinandertreffen zwischen Vertretern des DJV und web2.0-\“Vorreitern\“ erinnern, bei dem sie ständig das Handy in der Hand hatten, weil sie ja unbedingt twittern mussten, und damit der Gegenseite ganz klar zur Kenntnis gaben, dass sie kein Interesse an ihren Ausführungen haben? Wer im Glashaus sitzt…

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Thomas Knüwer 28. Januar 2009 um 14:44

Es gibt einen Unterschied zwischen der Demonstration einer Technik und einer daraus entstehenden Bereicherung der Diskussion – und einer Abneigung. Mein Verhalten damals war vielleicht unhöflich. Mir aber ein Desinteresse an der Diskussion mit den anderen Podiumsteilnehmern zuzusprechen ist eher ungewöhnlich. Die meisten anderen Teilnehmer meinten hinterher, ich sei eher zu diskussionsfreudig gewesen…

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Detlef Borchers 28. Januar 2009 um 15:12

Gibt es eigentlich eine zweite Quelle, die Arringtons Darstellung bestätigt? Ich weiß nicht, aber zumindest als ich David Weinberger nach draußen begleitete, waren da auch protestierende Globalisierungsgegner wegen Davos. Einige der fetten DLD-Kisten chauffierten ja Teilnehmer in die Schweiz. Möglicherweise bezieht Arrington da etwas auf sich, was der gesamten Veranstaltung galt. –Detlef

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David Zwadlo 28. Januar 2009 um 18:56

Sehr interessanter Beitrag, auch wenn mir die Selbstmord-These ein bisschen sehr weit hergeholt scheint. Menschen töten sich nicht selbst, nur weil die Auflage im Printbereich in den Keller rutscht…

Mir haben die Zitate sehr gut gefallen und die Ausführungen über die nervösen Start-Ups. Vielen Dank für die Inspiration.

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Hendrik Boeing 28. Januar 2009 um 20:16

Visuals (siehe Foto oben) auf der DLD-Party by www.myvisualworld.com

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Detlef Borchers 28. Januar 2009 um 20:20

@David: doch, es gibt in der langen zweihundertjährigen Geschichte der Presse (die weiter gehen wird trotz all des Geraffels) einige Selbstmordfälle nach Einstellungen von Blättern. Aber hier wäre die Frage, ob ein Journalist wirklich so einen Hass auf Arrington haben könnte. Das glaube ich nicht, denn es waren eh nur die üblichen Verdächtigen von der Presse anwesend, die positiv über Digitalien schreiben.

Ich habe bei der DLD oben im Presseraum gesessen, als Arrington auf dem Podium loslegte und behauptete, das Journalisten faule Ärsche sind, die nur von 9-17.00 Uhr arbeiten. Dann wollte er das noch toppen und sagte, alle Journalisten seien gewerkschaftlich organisiert (unionized). Das muss wohl in den USA skandalös sein, im Presseraum wurde dagegen gelacht. –Detlef (in der Gewerkschaft dju)

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SheephunteR 28. Januar 2009 um 21:44

Vielen Dank für die eindrucksvolle Zusammenfassund und vor allem die Auswahl der Zitate.

Das der Satz \“Wenn die Situation zu Beginn des Jahres 2009 das Gesamtjahr 2009 anhält, dann werden wir keine Medienkrise mehr haben – weil es keine Medien mehr geben wird.\“ ausgegorener Schwachsinn ist dürfte Ihnen (gerade als Blogger) aber inzwischen bewusst sein, oder?

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jörg@web.de 28. Januar 2009 um 22:01

Thomas gute Zusammenfassung, habe es ähnlich empfunden, wenngleich ich mich mehr geärgert habe, dass ich 1.5 tage meiner zeit da verbracht habe.. da ich die doch hätte sinnvoller investierenkönnen..
die lächerliche moderation von yossi yardi war wirklich ein witz… überhaupt mag ich ihn nicht, da er sich immer auf kosten anderer produziert.. so hat der die top top freaks auf dem panel und lässt die lächerlich dastehen, weil er zu dappig ist mit seinen 70 jahren mal ein video abzuspielen, lässt die personen nicht ausreden und überhaupt hatte man nicht dasd gefühl dass ihn eine einzige antwort überhaupt interessiert hat. .. zudem nervt immer wieder wie er seine Israel GAng ins spiel bringen will…

und indeed BEST BUY war schon eine commercial veranstaltung mit zu vielen videos, simplicity mit mercedes benz und telekom war – gebe dir recht ebenfalls lächerlich..

zudem werden jetzt seit drei – vier jahren, immer die gleichen US / Internationals folks (martin V, loic, marissa, jeff pulver, jarvis, smair, etc und wie sie alle heissen durch die veranstaltung getrieben ) so macht das nächstes jahr überhaupt keinen sinn mehr.. denke dass das konzept überarbeitet werden muss..

gruss jörg

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andy lenz 28. Januar 2009 um 22:52

besten dank für dies extrem spannenden DLD review und die lebhafte beschreibung der aktuellen lage.

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