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Auch die konservativsten Branchen kommen nicht umhin, sich an die Welt des Internet anzupassen. Jüngstes Beispiel: die Anwaltszunft. Es gibt Regeln, die so unzeitgemäß sind, dass ihre Umgehung schon zu bücherige Ratgeber füllt. Dazu gehört zum Beispiel das Werbeverbot für Ärzte und Juristen.

Schon vor einigen Jahren fiel mir bei einem Arzt aus dem Freundeskreis ein solches Buch in die Hände. Es riet, Kunstausstellungen in der Praxis abzuhalten und die örtliche Presse davon zu verständigen. Oder sich der Lokalzeitung als Experte anzudienen. Auch jene Anzeigen zu Urlaubsvertretungen in der Praxis sind nichts anderes als die Umgehung von Werbung.

Im Internet böten sich da noch mehr Möglichkeiten. Erstaunlicherweise aber sind die meisten Seiten von Ärzten grausam, zumindest die der Düsseldorfer Damen und Herren.

Anwälte sind da im Web ein wenig findiger, zum Beispiel finden sich einige der besten Blogger und Podcaster unter den Juristen. Auf eines aber wäre ich nicht gekommen: die Online-Versteigerung einer Rechtsberatung.

Genau das aber hat ein Vertreter der Branche gemacht – logischerweise sehr zum Ärger jener, die sich an die gängigen Kostensätze halten wollen. Die Sache endete vor Gericht. Sieger: das Internet.

Denn die Versteigerung von Anwaltsberatungen ist nicht berufswidrig entschied nun das Bundesverfassungsgericht, wie ich gerade der Pressemitteilung entnehme – wieder eine Branche, die vor der Macht des Netzes kapitulieren muss. Ein wenig, zumindest.

Hier der Text der Mitteilung:

„Beschluss vom 19. Februar 2008

1 BvR 1886/06

Versteigerung anwaltlicher Dienstleistungen in einem Internetauktionshaus nicht berufswidrig

Der Beschwerdeführer ist Fachanwalt für Familienrecht. Er bot Beratungen in einem Internetauktionshaus an. Dabei handelte es sich um zwei „Beratungen bis 60 Minuten in familien- und erbrechtlichen Fragen“ mit Startpreisen von 1 € beziehungsweise 75 € und um einen „Exklusivberatungsservice (fünf Zeitstunden)“ mit einem Startpreis von 500 €. Die Rechtsanwaltskammer erteilte dem Beschwerdeführer eine Rüge, da die Versteigerung anwaltlicher Dienstleistungen in der Form von Internetauktionen berufsrechtswidrig sei. Das Anwaltsgericht bestätigte die Rüge.

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der Berufsfreiheit verletzen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Nach der Bundesrechtsanwaltsordnung dürfen Rechtsanwälte über ihre berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichten, soweit die Werbung nicht auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichtet ist. Die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen in einem Internetauktionshaus kann nicht als Werbung um ein Mandat im Einzelfall behandelt werden. Zwar kommt mit dem Meistbietenden ein Mandatsvertrag zustande, jedoch zielt die Werbung des Rechtsanwalts – schon mangels Kenntnis vom potentiellen Mandanten und dessen Beratungsbedarf und weil der Aufruf der Internetseite des Auktionshauses vom Willen des Rechtsuchenden abhängt – nicht auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall.

Ein Verbot der Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen in einem Internetauktionshaus kann auch nicht auf die Bewertung als eine unsachliche Werbung gestützt werden. Die Art und Weise der Informationsübermittlung ist bei Versteigerungen in einem Internetauktionshaus dadurch gekennzeichnet, dass nur derjenige, der die entsprechende Internetseite aufruft, davon Kenntnis nimmt. Die Werbung über eine solche passive Darstellungsplattform belästigt regelmäßig nicht und drängt sich keiner breiten Öffentlichkeit unvorbereitet auf. Auch die Wiedergabe der angebotenen Beratungsleistungen mit einem niedrigen Startpreis oder dem aktuellen Höchstgebot ist nicht irreführend.

Für eine Beeinträchtigung schützenswerter Gemeinwohlbelange ist nichts ersichtlich. Die Versteigerung von Beratungsleistungen über ein Internetauktionshaus deutet weder auf eine Vernachlässigung von anwaltlichen Berufspflichten hin noch gefährdet dies die ordnungsgemäße Berufsausübung. Die gebührenrechtliche Bestimmung, wonach die Vergütung anhand gesetzlich festgelegter Kriterien vom Rechtsanwalt zu bestimmen ist, wird bei einer Versteigerung nicht konterkariert. Dem Rechtsanwalt steht es frei, eine von den gesetzlichen Gebühren abweichende Honorarvereinbarung zu treffen. Nichts anderes geschieht bei einer Versteigerung.

Eine Versteigerung von Beratungsleistungen in einem Internetauktionshaus verstößt auch nicht gegen das Verbot, das dem Rechtsanwalt untersagt, für die Vermittlung von Aufträgen eine Provision zu zahlen. Die dem Auktionshaus zu zahlende Provision wird nicht für die Vermittlung eines Auftrages geschuldet; denn das Internetauktionshaus stellt lediglich das Medium für die Werbung der Anbieter zur Verfügung. Seine Leistung durch das Überlassen einer Angebotsplattform ist vergleichbar mit den Leistungen der herkömmlichen Werbemedien.“


Kommentare


djmq 4. März 2008 um 14:05

Ärzte und das Internet… neulich in Hamburg, Anruf in einer Arztpraxis:

Ich: Hallo, ich habe ihnen ja auch vor 3 Tagen eine Mail geschrieben…

Sprechstundenhilfe: Oh, ich wusste gar nicht das wir sowas haben.

Ist klar.

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SvenR 5. März 2008 um 9:58

Ihre Prämisse \“Auch die konservativsten Branchen kommen nicht umhin, sich an die Welt des Internet anzupassen. Jüngstes Beispiel: die Anwaltszunft.\“ ist in doppelter Hinsicht falsch: Erstens schließt Konservatismus moderne Technologien per se nicht aus (wobei \“Internet\“ an sich, na ja, modern ist was anderes), und zweitens scheren Sie \“Anwälte\“ über einen Kamm.

Sicherlich gibt es noch den \“kleinen Krauter umme Ecke\“, der mit Wählscheibentelefon, Thermofax (wenn überhaupt) und Kugelkopfschreibmaschine über die Runden kommt.

In jeder \“Magic Circle Law Firm\“ – gern auch Großbude genannt – aber auch in den erfolgreichen mittelständischen überörtlichen Sozietäten ist \“das Internet\“ nicht wegzudenken. Wenn Sie wüssten, wie viele Deals heutzutage mit virtuellen Dealräumen abgewickelt werden, dass eAuctions für die Vergabe von speziellen (dafür geeigneten) Deals eher die Regel, als die Ausnahme sind – von E-Mail, Webrecherche, Dokumentenmanagement, Dokumentenautomatiserung, digitalem Diktieren, Spracherkennung, Texterkennung, \“der Seuche BlackBerry\“ usw. will ich gar nicht schreiben – würden Sie sich nicht über die Ebay-Auktion wundern.

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Brandau 10. März 2008 um 18:06

Ärzte haben halt meist einen kleinen Betrieb und kleine Betriebe haben häufiger fürchterliche Seiten. Das gleiche gilt für kleine bis mittelständische Rechtsanwaltskanzleien, wenn sich nicht einer aus diesem kleinen Betrieb dafür interessiert.

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