Wie weit die USA uns enteilt sind in Sachen Internet, der wichtigsten Technik unserer Zeit, zeigt der US-Wahlkampf. Jüngstes Beispiel: Die Kandidaten des Vorwahlkampfes treffen sich mit einem Blogger – und der will eine Wahlempfehlung aussprechen. Was würde wohl passieren, fragte man Angela Merkel, Wolfgang Schäuble oder Kurt Beck: Welche Weblogs lesen Sie? Es ist kein gewagter Tipp, dass sie eine Gegenfrage stellen würden: „Welche – was???“
Welchen Einfluss Blogs dagegen in den USA gewonnen haben, zeigt das Beispiel Techcrunch: Gründer Michael Arrington unterhielt sich mit fast allen Vorwahl-Kandidaten und wird nun je ein Endorsement für jede Partei aussprechen. Diese Endorsements werden in Deutschland gern als „Empfehlung“ übersetzt, aber irgendwie finde ich das nicht richtig treffend – mir fällt aber auch kein anderes Wort ein. Endorsements sind in US-Medien bei Wahlen Alltag, hier in Deutschland machten die Kollegen der „Financial Times Deutschland“ Schlagzeilen, als sie Ähnliches bei der (ich glaube) vorletzten Wahl zum ersten Mal machten.
Nicht nur, dass Arrington den Zugang zu den Kandidaten erhielt ist bemerkenswert, sondern auch, dass dies eine Nachricht ist und ein Thema für ABC.
Im Interview erklärt Arrington auch, warum ein Dienst wie Techcrunch für die Politik wichtig ist: Die Web-Szene ist politisch interessiert, meinungsfreudig, mulitplikatorisch und spendenfreudig. Bis auf letzteres deckt sich dies mit dem, was ich in der deutschen Weblog-Szene sehe.
Aber immerhin: Wir haben ja eine Kanzlerin, die SMS aus den Fingerkuppen schüttelt und gelegentlich neujahrsansprachige Videopodcasts dreht. Das hätte man als fortschrittlich empfunden – vor zehn Jahren.
Arrington will seine Endorsements am Freitag bekannt geben.
Kommentare
Matthias Schrade 20. Dezember 2007 um 10:20
als besseres Wort für Endorsement vielleicht \“Einschätzung\“? – ansonsten solltest du den Artikel vielleicht mal an die diversen Parteien verschicken, sind ja noch zwei Jahre Lernzeit bis zur nächsten BTW…
Lukas 20. Dezember 2007 um 11:21
Ich habe in letzter Zeit öfter mal bei Hinterbänklern und Oppositionsparteien im Bundestag recherchiert und war überrascht, wie gut das Blog-Wissen einiger Abgeordneter und vor allem ihrer Mitarbeiter war. Bis dieses Wissen auf der Regierungsbank ankommt, werden wir aber vermutlich schon alle Bluetooth-Implantate im Kopf tragen.
Jörg Friedrich 20. Dezember 2007 um 11:52
Wenn Blogs in Deutschland die gleiche Reichweite hätten wie die in den USA, würden Politiker auch Blogs lesen und sich mit Bloggern treffen. Auch in dieser Frage hat das Volk die Politiker, die zu ihnen passen.
Die meisten Blogs in Deutschland, die relativ große Leserzahlen haben, beschäftigen sich nicht mit Politik, sondern mit sich selbst, und – wennst hoch kommt – mit anderen Blogs, und wenns ganz hoch kommt, mit dem, was andere über Blogs schreiben. Der deutsche \“Blogger des Jahres\“ schreibt über Blogs, über Medien, und über seine eigenen Rechtsstreits. Viele andere machen ihm genau das nach, dann gibt es noch ein paar bekannte private Blogs und welche über Kochrezepte und andere Hobbys. Warum sollte eine Bundeskanzlerin ihre wertvolle Zeit mit dem Lesen dieser Tagebücher verschwenden?
Armin 20. Dezember 2007 um 12:38
Matthias, Einschaetzung trifft es nicht. Es geht darum seine Unterstuetzung fuer einen Kandidaten auszusprechen, etwa im Sinne von \“Ich unterstuetze die Bewerbung von xyz als Kandidat von Partei A gewaehlt zu werden\“. Wie Thomas ist mir bei Empfehlung nicht ganz wohl, eine Empfehlung hat irgendwie eine andere Nuance.
Unter Empfehlung verstehe ich etwas in der Art \“Ich bin fuer Kandidat xyz und rate Dir Kandidat xyz auch zu waehlen\“
Unter Endorsement verstehe ich etwas in der Art \“Waehl was Du willst, ich unterstuetze Kandidat xyz und werde ihn waehlen\“
Jörg Friedrich 20. Dezember 2007 um 13:03
Stellungnahme. Er wird zu den Kandidaten Stellung nehmen.
Armin 20. Dezember 2007 um 13:31
Nein. Nur indirekt im Rahmen des Prozesses. Er wird seine Unterstuetzung, sein \“backing\“ eines Kandidaten (bzw je einem pro Partei) aussprechen.
Siehe auch:
http://en.wiktionary.org/wiki/endorse
Prüfer 20. Dezember 2007 um 13:32
Ich hab leider noch nicht verstanden was das besondere daran sein soll. Politiker reden im Wahlkampf mit dem Vorsitzenden jedes Geflügelzüchtervereins, auch ohne dass der ihnen eine Empfehlung ausstellt. (Und wer eine Empfehlung braucht um seine Wahlentscheidung zu treffen, sollte ehrlichwerweise gar nicht erst wählen gehen)
kandelaber 20. Dezember 2007 um 14:06
Meine Güte, bittet doch bei Euren Abgeordneten um einen Termin, geht hin, sprecht mit Ihnen und schreibt drüber.
kandelaber 20. Dezember 2007 um 14:12
ok, was ich sagen wollte ist: Politiker haben durchaus ein Gespür dafür, was gesellschaftlich \’relevant\‘ ist, was Wählerpotential darstellt oder hervorruft, das ist nämlich deren Job. Und solange Blogs in deren Horizont keine Rolle spielen, könnte man einfach mal reflektieren und sagen: wir sind noch nicht relevant (genug). Dann könnte man gewisse Anstrengungen unternehmen, seine Relevanz zu erhöhen.
KingNils 20. Dezember 2007 um 14:50
So nett Robert auch ist – ein Endorsement von basicthinking als bei uns reichweitenstärkstes Blog würde doch keiner ernst nehmen… Hier ist die deutsche Blogosphäre gefragt sich zu entwickeln. Sie mag inzwischen einiges an Meinungskraft und Reichweite haben, doch geht das kaum über Produktempfehlungen oder ein paar Web 2.0-Kritiken hinaus. Ich denke unsere Kanzlerin ist technisch relativ up-to-date, aber solange es sich weder politisch noch inhaltlich lohnt mit Bloggern zu diskutieren, wird sie sich wohl weiter eindimensional durch Podcasts an die Web-Gemeinschaft wenden.
Thomas Knüwer 20. Dezember 2007 um 15:05
@kandelaber: Die Idee gab es schon mal, die Ergebnisse waren ernüchternd. Das Büro von Hildegard Müller, beispielsweise, reagiert auf E-Mails nicht einmal – selbst bei wiederholter Anfrage.
XiongShui 20. Dezember 2007 um 16:00
@ Thomas Knüwer/ kandelaber:
Diese Erfahrung kann ich nur bestätigen, bei den \“wichtigeren\“ Abgeordneten gibt es entweder keine Antwort, oder vorgefertigte Sprechblasen. Die weniger Wichtigen antworten etwas öfter (ausserden gibt es nach meiner erfahrung auch ein Gefälle durch die verschiedenen Parteien).
@ Jörg Friedrich:
Immerhin führt Niggemeier eine Auseinandersetzung, die alle Blogs und im Grunde die Meinungfreiheit als solche betrifft, daher ist es wohl legitim, darüber auch zu berichten.
(Wobei allerdings meine persönliche Meinung zu diesen \“Gewinnspielen\“ eine andere ist, wer so gierig- dämlich ist, sich auf etwas derartiges einzulassen, soll sich nicht beklagen, wenn er sein Geld loswird.)
Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß es nicht hinnehmbar ist, daß Berichte über dubiose Geschäftspraktiken mit Hilfe ebenso dubioser Gerichtsentscheidungen ausgebremst werden sollen.
Allen frohe Feiertage!
Thomas 20. Dezember 2007 um 17:00
Kissinger hat gerade John McCain \“endorsed\“. Bin gespannt, wie die letztendliche Entscheidung von Techcrunsh aussieht, bitte darüber wieder bloggen!
Jörg Friedrich 20. Dezember 2007 um 17:15
@XiongShui: Es ist legitim, über alles mögliche zu bloggen, aber es ist auch legitim darin keinen Grund für Frau Merkel zu sehen, Blogs zu lesen. Das Thema Meinungsfreiheit ist natürlich ein wichtiges Thema, aber es gibt da sicher passendere Fälle als die Beobachtung von mitternächtlichen Anrufsendungen. Allerings, die Zahl der Leute, die da zusehen und anrufen und die Zahl derer, die in Blogs lesen und kommentieren, mag die gleiche Größenordnung haben, insofern passen beide Phänomene derzeit in Deutschland ganz gut zueinander. Leider.
Hanno Zulla 20. Dezember 2007 um 18:26
Ich fand\’s erstaunlich einfach, \“meine\“ Bundespolitiker aus Hamburg zu besuchen.
Auch Termine bei Politprominenz war einfach zu kriegen. Bosbach hat mich bei seiner letzten Hamburg-Visite in meinem Büro besucht, einfach so, zwischen Terminen.
Bei Ministern ist es wohl zwecklos. Zypries hat abgesagt (es gab einen aussagefreien Brief) und Schäuble habe ich (zugegeben) gar nicht erst probiert, da ich ihn bzgl. meines Themas für diskussionsresistent halte.
Ich wiederhole mal wieder: Macht\’s doch einfach. Beim Abgeordnetenbüro anrufen, Termin in der Bürgersprechstunde ausmachen, hingehen, Anliegen vortragen. Mehr ist da wirklich nicht zu tun!
kandelaber 20. Dezember 2007 um 22:03
gabs also schon, hmkay. Aber die Erfahrungen schienen ja durchaus unterschiedlich zu sein. Grundsätzlich sollte man sich an die lokalen Abgeordneten richten. Das sind dann womöglich Hinterbänkler und keine prominenten Politiker, aber nur so geht\’s.
Onyro 21. Dezember 2007 um 1:22
Wenn Techcrunch Ron Paul \“endorsed\“ fange ich an zu schreien. Dessen Cyberspacen-Anhänger gehen mir inzwischen gewaltig auf die Nerven, denn sie spammen alle einschlägigen amerikanischen Newsseiten von Digg bis CNN mit hunderten Meldungen voll wie toll dieser ach so alternative republikanische Kandidat sein und wie böse die etablierten Medien, dass sie diesen (in Wahrheit sehr chancenlosen) Mann so absichtlich ignorieren. Möge er der Internet Präsident der amerikanischen Herzen werden, und der nächste Mann im Weißen Haus wenn man dann in ein paar Jahren auch per Digg den Präsidenten direkt wählen kann.
Onyro 21. Dezember 2007 um 1:24
Sorry, büschen viele Rechtschreibfehler. Ich gehe jetzt ins Bett.