Gestern Abend habe ich einigermaßen erfolgreich gegen den Schlaf gekämpft. Denn der wollte immer wieder über mich kommen beim Betrachten der so heiß ersehnten ersten Ausgabe von „Anne Will“. Und es muss die Frage erlaubt sein: Glaubt sie selbst, dass dieses Format das Richtige für sie ist? Ganz bewusst habe ich heute morgen die Medienseiten und -blogs gemieden. Derzeit also weiß ich nicht, was die anderen über „Anne Will“ geschrieben haben. Es würde mich aber wundern, gäbe es Gutes zu berichten.
Immerhin: „Anne Will“ ist kein neues „Sabine Christiansen“. Keine Schreierei mit hilfloser Beisitzerin, kein Aufmarsch der Selbstdarstellungs-Gockel. Das ist es aber auch schon, was mir an Gutem einfällt.
Nicht, dass es fürchterlich schlecht gewesen wäre. Es war ein Grundrauschen in warm-brauner Umgebung, ein Hin- und Herlavieren über ein Thema, das viel zu breit gesteckt war und von dem anscheinend jede Facette, jedes Facettechen gar, abgedeckt werden sollte.
Es ging um den „Wert der Arbeit“. Jener werde nicht mehr geschätzt, so die Grundthese. Fragte man heute danach, wer gestern in der Runde saß, würden die meisten Zuschauer wohl sagen: Kurt Beck und der Herr Rüttgers. Und? Schweigen. Ach ja, da saß noch eine Bischöfin und der Telekom-Chef Obermann. Und noch eine arme Frau aus dem Call Center und ein Psychologe.
Doch immer wenn letztere zu Wort kamen, wurde es merkwürdig still, gar langweilig. Anne Will stellte Fragen – und der Gefragte antwortete. Diese Fragen las sie ständig von Kärtchen ab. Doch der abliest, der hört nicht zu. Nachhaken? Diskussionsrunde? Fehlanzeige. Es waren Interviews. Und mehr konnte zu keinem Zeitpunkt daraus werden, denn die Fragen, die Will stellte, waren für das Format einer Talk-Runde nicht geeignet. Es waren perfekte Formulierungen für 1:30-„Tagesthemen“-Interviews, bei denen in kurzer Zeit knackiges aus dem Gesprächspartner gelockt werden muss. Noch dazu sprang Will munter von Unterthema zu Unterthema, nur extrem Reaktionsschnelle wären da dazwischen gekommen.
Nur zwei Mal schlugen die Wellen hoch, beide Male bekriegten sich die Alpha-Tierchen Beck und Rüttgers, beide Male ging es um das Verhältnis der Großen Koalition und Einzelheiten aus Papieren, beide Male konnte kein Zuschauer den Gespräche folgen, beide Male ließ Will die Kampfhähne gewähren. Vielleicht war die froh, dass endlich ein wenig Tempo in die Gruppe kam. Vielleicht war sie auch froh, dass mal Gäste miteinander redeten und nicht nur mit der Moderatorin.
Das Studio sorgte vielleicht auch dafür, dass alle so aseptisch wirkte. Sicher, die Farbwahl ist schön warm. Aber die Zuhörer scheinen weit entfernt von den Gästen, die beiden Experten sitzen in Lederkombinationen, in denen eine einzelne Person verloren wirkt. Dazu quälen sich die Hauptfiguren mit optisch sehr schön gelungenen, schmal gehaltenen Sesseln, die jeden über 1,80 wirken lassen, als plage er sich mit schweren Haltungsschäden. Das Vorlehnen, wie es bei einer emotionalen Diskussion eine normale Bewegung ist, scheint nicht möglich – der Stuhl könnte kippen.
Und dann war es auf einmal vorbei. Will sagte noch einmal, worüber diskutiert wurde, aber nicht was dabei herauskam. Wäre auch nicht gegangen, denn es kam bei der Breite des Themas auch nichts heraus, es blieb nichts hängen.
Sicher, es war die erste Sendung. Die erste übertragene Sendung, muss ergänzt werden, denn natürlich gab es Proberunden. Und irgendwann hätte da auffallen müssen, dass Will entweder ihren Stil grundlegend umstellen müsste – oder das Format nicht zu ihr passt. So wie sie agiert, wäre etwas wie Sandra Maischberger es auf N-TV machte vorteilhafter.
Und so bleibt das Fazit eines Nicht-Fazits: Deutschland hat eine Talkshow mehr. Und es gibt keinen Grund, sie zu sehen, außer man ist Fan von Talkshows.
Nachtrag: Meinen Chef hat die Sendung eher erregt, scheint es.
Nachtrag II: Ist eigentlich jemand aufgefallen, dass es ein „Anne Will“-Blog gibt? Gefüllt wird es von einem anscheinend sehr dünnhäutigen Redaktionsmitglied:
„Es ist raus. „Rendite statt Respekt: Wenn Arbeit ihren Wert verliert“ heißt das Thema der Premierensendung von ANNE WILL. Aufmerksame Zeitungsleser wussten das schon, als sie heute Morgen ihr Schokocroissant aus der Financial Times Deutschland wickelten…
Keine Überraschung also, dass jemand am Vormittag auf unserer Internetseite eben jenes Thema „Rendite statt Respekt“ lesen konnte. Dass es dann doch wieder von dort verschwand, hatte einen ganz profanen technischen Hintergrund. Eine Seite wollte nicht so wie sie sollte und deshalb musste noch eine Weile herumgeschraubt werden…
Sollten eigentlich auch die Onliner eines großen Hamburger Nachrichtenmagazins wissen, die sogleich über die „Minipanne vor Premiere“ zu berichten wussten und Parallelen zur vorzeitigen Bekanntgabe der Grimme-Online-Awards zogen. Die Nachrichtenlage muss wirklich schon sehr flau gewesen sein, wenn es kein aufregenderes Thema für Spiegel Online gab.“
Kommentare aber gibt es reichlich. Und da der Autor Helge Zobel selbst noch kein Fazit der Premiere ziehen mag, toben sich die Zuschauer beim Vor-Sendungs-Eintrag aus: 271 Kommentare – beeindruckend. Vielleicht waren es sogar noch mehr, doch die Kommentare werden – streng öffentlich-rechtlich – vor der Veröffentlichung durch die Redaktion geprüft. Und ich bin doch mal gespannt, ob Links dabei zugelassen werden. Oh, wird zugelassen – Kompliment!
Nachtrag III: Was ich noch vergaß… In der jüngsten Ausgabe des „Zeit“-Magazins zeigte Christoph Amend wieder einmal, dass er der vielleicht beste Portrait-Schreiber der Republik ist (Ulrike Posche wäre vielleicht die Gegenkandidatin). Natürlich nahm er sich diesmal Anne Wills an. Und er umschiffte die vielleicht problematischste Klippe, die es bei der Beschreibung deutscher Medienschaffender gibt, recht elegant: Wills Privatleben. Auszug:
„Nur selten lässt sie Einblicke zu. Park Avenue berichtete im vergangenen Jahr darüber, dass Anne Will einmal mit ihrer Freundin Miriam Meckel auf einem Presseball getanzt hatte. Will bestätigt das, mehr aber auch nicht. „Ich werde mein Privatleben weiterhin privat halten“. Dem Tagesspiegel erzählte sie 1996, dass ihr damaliger Freund, ein Sportreporter beim SFB, schon Scherze mache, wenn sie auf der Straße erkannt werde. Er nenne dies den „Anne-Effekt“. Irgendwann im Laufe der Jahre danach muss sie sich entschlossen haben, nichts mehr über ihr Privatleben öffentlich zu machen. Sie erwähnt nur, dass sie das meiste über die Liebe gelernt habe, als sie einmal verlassen wurde.“
Kommentare
Phrasenschubser 17. September 2007 um 11:01
…und diesen Flachsinn (, um das andere Wort aus Höflichkeit zu vermeiden,) zu bezahlen, werden wir alle auch noch von unseren Politikern gezwungen…
Rainersacht 17. September 2007 um 11:13
Ich fand auch, dass die Studiodekoration (dass die vom derzeitigen Star-Designer Wieder stammt, war auf Anhieb zu erkennen…) inkl. des Sitzzeuchs einen großen Anteil an der lahmarschigen Veranstaltung hatte – die Farben sedieren offensichtlich Zuschauer und Beteiligte.
Ansonsten: Beck kämpft und weiß nicht wogegen. Rüttgers ist wohl weise. Die kalten Augen des R.O. Miss(is) Zahnfleisch. Und datt kölsche Ännschen dabei.
Ute 17. September 2007 um 11:46
Hi Thomas,
es ist sicherlich noch einiges verbesserungswürdig, aber insgesamt weitaus besser als Christiansen. Weniger bissig und schon \“näher dran\“, was sicherlich auch an Anne Will liegt, die allerdings ein bisschen spröde wirkte und sich viel zu viel zurückgenommen hat (und teilweise auch etwas schlecht vorbereitet wirkte – schade!), aber mal ehrlich, der Anspannung und Erwartungshaltung möchte ich nicht ausgesetzt sein.
Das Studio finde ich ganz hübsch und abwechslungsreich, die \“Entfernungen\“ stimmen nicht, so wirkt alles bisschen \“stückelig\“: Hier die Runde, da die zwei Sofas, dahinter das Publikum – alles sehr auf Distanz.
Auch die Sendung wirkte etwas zerstückelt: Auf dem einen Sofa die Betroffene, die alle bedauern, auf dem anderen Sofa der Psychologe (mit einem etwas unzusammenhängenden Einspieler), dann die zwei sich gegenseitig behackenden Politiker-Gockel (von dem der eine irgendwie nicht kapiert hat, dass er nicht mehr bei Christiansen sitzt und sich selbst absolut lächerlich gemacht hat), dann der Telekom-Chef (den ich persönlich sehr angenehm und glaubwürdig fand), und die Bischöfin, die sehr gute und ruhige Beiträge lieferte.
Ach, ich denke, das wird schon noch werden. Bisschen Zeit müssen wir der Guten lassen, sich in das Format einzufinden, klar ist das was anderes als ein Tagesthemen-Interview, aber im Radio hat sie ja auch schon einiges moderiert. Ich persönlich fand den bissgen Kommentar zu Rüttgers klasse und besonders schön – ich weiß gar nicht, ob das jemandem aufgefallen ist – die Szene: Irgendwann lümmelte sich Anne Will mit ausgestreckten Beinen auf ihrem Stuhl herum, ich habe wirklich herzhaft lachen müssen. Es wirkte ein wenig wie, \“so ich entspann\‘ mich jetzt mal\“ und Anne Will dabei wie ein kleines Mädchen, das mit den Beinen baumelt
Alles jedenfalls irgendwie sehr menschlich – auch Herr Beck, nein, nein, nein, peinliche Vorstellung. Dagegen wirkte Nuschel-Jürgen ja direkt sympathisch.
Wie gesagt, ich fand\’s insgesamt ganz okay und denke, dass die Stoßrichtung auf jeden Fall stimmt!
PS Dass so Leute wie Herr Hanfeld im Publikum sitzen finde ich einigermaßen seltsam ehrlich gesagt, vermutlich noch auf Einladung oder was?
Ute 17. September 2007 um 11:51
Zusammenfassend: Es kam kein wirklicher, konstruktiver und informativer Dialog zwischen den Beteiligten zustande, das ist der Sendung wirklich anzukreiden und äußerst schade. Alle Statements standen etwas unzusammenhängend im Raum. Wenn Anne Will das nicht in den Griff kriegt, wird es schwierig.
cdv! 17. September 2007 um 11:54
Warum dürfen eigentlich \“Betroffene\“ (welch ein Wort…) nicht neben Beck, Rüttgers und Konsorten sitzen, und denen das ins Gesicht sagen, was sie von ihnen halten? War ein schaurig, schönes Bild von \“die da oben\“ und \“die da unten\“. Und sonst: Seichtes Deutschland!
Augenweide 17. September 2007 um 11:59
Für alle die, die nicht dabei waren, habe ich hier noch ne nette Zusammenfassung aus ksta.de gefunden…
http://www.ksta.de/html/artikel/1190008320156.shtml
Malte Wagner 17. September 2007 um 12:18
Stimme Ute vollkommen zu, was den Auftritt der Politiker-Gockel angeht. Rene Obermann fand ich dagegen sehr schwach. Ging es um \“Wirtschaftliches\“ spulte er seine gut zurechgelegten Argumente ab. Sollte er an anderer Stelle etwas sagen verlor er sich in unlogischen Endlossätzen.
G 17. September 2007 um 12:35
Ich habe mich, ehrlich gesagt, auf die Sendung gefreut. Aber vielleicht lag es auch am Thema, dass ich mich nach den ersten 10 Minuten dann anderen Dingen zugewendet hab.
Fragen kostet ja nix 17. September 2007 um 13:15
Das Praktische an Wills Studio: Es ermöglicht eine zustätzliche Einnahmequelle. Unter de Woche öffnet man es einfach als Cocktail-Lounge. Oder man vermietet es an Geissen für seine Chartshow.
Zur Sendung: Durch die Bank sind sich alle Kritiker einig, dass Will und ihre Sendung solide aber unspektakulär waren. Das ist richtig – aber nicht verwunderlich. Das Publikum erwartet auf diesem Sendeplatz Gäste aus der A-Liga: Minister, Parteichefs, Ministerpräsidenten. Diese sind jedoch inzwischen durch die Bank medial dermaßen gut geschult, dass man ihnen nichts Spektakuläres entlocken kann. Was, bitte, soll denn dort groß passieren? Beck verkündet die Rücknahme des Atomausstiegs? Schäuble verkündet, zum Islam konvertiert zu sein? Wohl kaum. In dieser Sendung wird es immer seichte, leichte Kost geben, unabhängig davon, wessen Namen sie gerade trägt.
Ute 17. September 2007 um 13:32
Cocktail-Lounge!!! *lach* Super!!! Cin dabei! Einen Singapur-Sling bitte, der geht aber für GEZ-Zahler aufs Haus! 🙂
Warten wir mal ab, ich glaube, da ist noch einiges an Potential drin! Die Politiker werden sich definitiv umstellen müssen – das hat man als wichtigstes Ergebnis gestern sehr deutlich sehen können. Mit ihrem verbalen parteipolitischen Herumgekloppe machen sie sich in der Sendung nur lächerlich (siehe Beck). Die Politiker werden, wenn sie clever sind, auch mal auf \“Coucho-Normalo\“ und auf die anderen Studiogäste (und ja, hier bitte bei der Mischung aus Politik und Experten bleiben) eingehen und vor allem miteinander reden müssen und nicht gegeneinander. Der Dialog wird es bringen! Das Nachfragen und das (selbst-) kritische Gespräch. Jenes selbstherrliche Gelaber von Herrn Beck will nur wirklich keiner mehr sehen, das ist definitiv Polit-Talkshow 1.0.
Also, der Anfang ist gemacht 🙂
Juppo 17. September 2007 um 13:37
Na ja, diese erste Sendung hat mich auch nicht aus meinem Sessel gehoben. Ich denke mal für die erste Sendung war dies das falsche Thema und die falschen Gäste. Aber aller Anfang ist schwer und es wird etwas dauern bis Anne Will ihr Format und Einstellung zur Sendung gefunden hat. Drücken wir ihr die Daumen.
Thomas 17. September 2007 um 15:15
Der Vergleich mit der einer Nachrichtensendung und den kurzen Internviews ist treffend. Ich nenne es eine Befrage- statt einer Talkshow.
Manueller Trackback:
http://www.medienblogger.net/index.php/mattscheibe/neuer-name-alte-zeiten-anne-will/
vero 18. September 2007 um 10:41
Hoffe, dass wir Gebührenzahler schnell was Besseres geboten bekommen für unser Geld. Eingemeißeltes Moderatorinnenlächeln und Phrasen anstatt Themen, muss das sein?
martin 18. September 2007 um 17:25
der fehler war, nach berlin zu gehen.
hier wurde ja neulich mal auf diesen schönen artikel zur entfremdung der mächtigen vom volk verlinkt (habe leider vergessen, wo das war). jetzt is anne will also auch in berlin und damit nah an den mächtigen und mitten im geschwurbel der embedded journaille. da kann nix bei rumkommen. schade eigentlich.
es ist der abstand, der kontrast schafft. dann muss man auch nich so popelige themen setzen, die einfach zu voluminös sind, um sie mit ein paar typen im studio mal schnell zu besprechen.
die idee mit den \“einfachen, unbekannten leuten aus dem volk\“ is ja ganz nett, aber haut irgendwie nicht hin, wenn deren schockierende aussagen (nettoverdienst unter 1000 euro) aus der bel etage gegenüber (obermann) quasi unwidersprochen zu einem albert schweitzer zitat werden dürfen, ohne dass sich empörung im studio breitmacht. da muss man noch dran schrauebn.
aber gut, es war die erste sendung. vielleicht geht da doch noch was.
Marie 19. September 2007 um 15:04
da fast alles bereits gesagt wurde, nur noch folgende Anmerkung dazu….die sogenannte einfache Frau aus dem Volke war immerhin eine Akademikerin, und wurde ebenso wie der psychologische Akademiker , separiert. Hat Anne Will Angst vor Akademnikern bzw. substanzielem Diskurs?