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Die jüngste Ausgabe der „Zeit“ hat ihr gesamtes „Leben“-Ressort der Frage gewidmet: „Verstehen oder verachten?“ Oder besser „Darf man Journalisten trauen?“ Ich verkneife mir jetzt den Satz „Natürlich darf man Journalisten trauen – auch unser Berufsstand muss heiraten dürfen.“

Die Antwort muss aber – bezieht man sich allein auf die „Zeit“ – wohl eher „nein“ heißen. Schon deshalb, weil der Titel mehr verspricht, als er hält.

Da ist zum Beispiel ein Text von Bernd Ulrich, der behauptet, in Konkurrenz stehende Blätter seien nicht zu Kampagnen fähig – weil sie ja Rivalen sind – und sich mit der Nennung der Alte-Rechtschreibung-Aktion gleich selbst entkräftet. Und Menschen, die sich nicht in ihrer Heimatsprache ausdrücken können, wird ohnehin nicht getraut.
Auszug:
„Darum hat der reflexhaft hyperkritische Journalismus oft nichts Subversives mehr, er ist affirmativ geworden… Der Kritizismus als Pose passt sich nicht nur den autodestruktiven Stimmungen an, er fungiert auch als Verbrämung eines profanen ökonomischen Interesses, das den Zerfall der Politik gewinnbringend begleiten möchte…“

Auch ein paar alte Vorurteile werden munter durchs Dorf getragen. Zum Beispiel, dass die meisten Journalisten aus der Mittelschicht stammen. Diese Behauptung stammt aus einer Studie, die 1993 (!) durchgeführt wurde. Habe ich schon erwähnt, dass Journalisten ganz, ganz schlecht Abschied nehmen können, von lieb gewonnenem Archivmaterial?

Eine weitere Angewohnheit ist das Aufblasen von Thesen, die im Text dann nicht bestätigt werden. „Meinen die das ernst“, fragt die „Zeit“ auf Seite 63. Unterzeile: „Wie Anne Will und Marietta Slomka die Ironie in den deutschen Fernsehjournalismus eingeführt haben“.

Nun will ich überhaupt nichts gegen diese beiden wirklich guten Moderatorinnen sagen. Aber: Wäre die Ironie-Einführung nicht schon bei Friedrich Nowottny zu datieren? Und: Wo bleiben die Belege für die Ironie-Innovation? Ein wenig Mimik und die Verwendung des Wortes „Schwupp“ reichen dem Autor um Will und Slomka zu feiern.

Den endgültigen Ausschlag für die Antwort „Nein“ auf die Frage, ob man Journalisten trauen darf, liefert jedoch die eigentlich äußerst gelungene Bebilderung. Fotografiert wurden die Schreibtische von Chefredakteuren. Und auch wenn mein Chef Bernd Ziesemer in der Tat meist einen einschüchternd ordentlichen Arbeitsraum vor sich hat, so kann, mag, will ich nicht glauben, dass die 12 abgelichteten Tische immer so apart aussehen, wie hier gezeigt.

Ich mag, kann und will auch nicht glauben, dass Stefan Aust ständig sein eigenes Buch in Griffweite hat und Helmut Markwort einen „Fakten Fakten Fakten“-Werbezettel. Oder dass DPA-Chef Wilm Herlyn seine „Süddeutsche“ nicht liest, sondern sauber gefaltet zu einem Drittel über die Tischkante platziert.

Denn wir Journalisten sind latente Schreibtisch-Schlampen. So ist es nun mal. Bei mir zum Beispiel sieht es am Ende des heutigen Arbeitstages so aus:


Kommentare


Michael 30. Januar 2006 um 18:34

klar – nette fotos waren das.
in einem punkt war ich jedoch leicht überrascht – nämlich über die äußerung des holtzbrinck-managers grabner eine kritik über die übernahmeschlacht bei der berliner zeitung hätte auch in einer holtzbrinck zeitung erscheinen können.

denn als die schlacht tobte, hatte sich ein redakteur einer holtzbrinck lokalzeitung gegenüber mir verärgert darüber geäußert, dass man eben nicht über jene übernahme schreiben durfte – was ich aus aus verlagssicht ja auch durchaus verstehen kann..

komisch also, diese äußerung…

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simoench 30. Januar 2006 um 20:20

Das mit den Photos ist mir auch negativ aufgefallen, aber dann dachte ich mir: Wenn zu dir als Chef ein Photograph käme, der gerne mal deinen (explizit unaufgeräumten) Schreibtisch ablichten wollte würdest du dich auch hüten deine Firma wie einen planlosen Haufen aussehen zu lassen. Manche Gegenstände waren natürlich übertrieben.
Die ZEIT wiederum kann aber auch nicht hinterher schreiben, der und die hätten aufgeräumt und geschickt diesen oder jenen Gegenstand platziert, zumal sie es nicht beweisen könnten. Seitenhiebe wie „liest sein eigenes Buch“ sagen da schon genug.
Das Schlimmste an der Bilderserie war für mich übrigens der Porzellanleopard unterm Tisch von Bild am Sonntag. Hurr, so .. bedrohlich..*lach*
Und nun noch zu ihnen: Bitte wie schaffen sie es, immer genügend Platz zum Arbeiten zu haben? Meiner sieht nur unwesentlich schlimmer aus, aber als Journalist wäre ich hoffnungslos verloren.

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Christian 31. Januar 2006 um 7:14

Drei Anmerkungen:

So groß sind die Unterschiede zwischen der kleinen PR-Agentur am Rande und der großen Zeitungsredaktion in der Mitte der Stadt wohl doch nicht, was? Die Idee, den Tisch sauber zu machen, hätte auch aus der Agentur kommen können.

Im Übrigen bin ich mittlerweile der Meinung, dass jeder Journalist ständig an den Klischees über die eigene Branche arbeitet. Ich kennen keinen Journalisten, der den Klischees nicht den entspricht – und das absichtlich: Niemals sind Journalisten pünktlich (klar, alle anderen haben ja unendlich viel Zeit). Ständig stöhnen sie über den vielen Stress (klar, sie sind ja die einzigen, die arbeiten). Ein Mindestmaß an Freundlichkeit wurde nicht gelernt (schließlich sollte es eine Ehre sein, überhaupt mit ihnen zu sprechen). und alle umgeben sich stets mit Chaos (Genauigkeit der Recherche ist ohnehin egal – das nennt man journalistische Freiheit).

Außerdem ist der Artikel nicht schlechter recherchiert als alle anderen Branchenportraits auch. Alle PR-Treibenden, die schon Unternehmensportraits erlebt haben, die sachlich uneingeschränkt korrekt waren, können sich melden. Ich kenne soetwas nicht. Bestes Beispiel: Vor einigen Wochen rief eine Redakteurin einer überregionalen „Qualitätszeitung“ bei mir an und wollte eine Auskunft zu einem Functional Food-Produkt, das sie augenscheinlich durch den Kakao ziehen wollte. Ich habe eingestanden, dass die Meinungen zum Produkt geteilt sind und ihr beide Standpunkte erläutert. Dann habe ich ihr angeboten den Kontakt zu einem Professor herzustellen, der auf dem Gebiet forscht und auf dessen Aussagen die Pressearbeit beruht. Antwort der Journalistin: Einen „Termin brauche ich nicht. Es soll nur ein kurzer Artikel werden.“ Na klar, kurze Artikel müssen natürlich nicht sachlich korrekt sein. War er dann auch nicht. So sind sie halt die Journalisten. Da ist es doch wenigstens fair, dass sie sich auch bei Recherchen in der eigenen Branche als Recherche-Schlampen entpuppen.

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egon.w 2. Februar 2006 um 6:42

Kann man einem Journalisten trauen?
Um Gottes Willen. Nein.
Wen man mit Journalisten spricht ist es das selbe als wenn man mit offenem Microfon spricht. Die Welt hoert zu. Das ist deren Job und man muss sich dessen bewusst sein.
Most journalists will do anything for a scoop and that’s were the „trauen“ ends.,

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tknuewer 2. Februar 2006 um 9:21

Nein, das ist natürlich Blödsinn. Journalisten wägen ab, mit wem sie reden. Und wer unerfahren ist mit der Presse wird nicht einfach zitiert, wenn er sich selbst damit ein Problem bereitet. Auch wird nicht zitiert, wenn dem Gesprächspartner nicht klar ist, dass ihm gegenüber ein Journalist steht.

Wer allerdings ständig in Kontakt mit Journalisten steht und den Gesprächspartner kennt, dem muss klar sein, dass er heikle Dinge unter gewisse Regeln setzen kann.

Dafür gibt es drei klassische Stufen.
Unter 1: Alles darf zitiert werden
Unter 2: Die Inhalte dürfen zitiert, die Quelle aber nicht explizit genannt werden – so entstehen die berühmten „Kreise“ aus denen etwas „verlautet“.
Unter 3: Es darf nicht geschrieben werden.
Unter 23: Wer das schreibt, bekommt Besuch vom Inkassobüro Moskau.

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