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Noch immer gibt es Menschen, die behaupten dass all diese Sachen, die Menschen ins Internet schreiben, keinen Einfluss auf das Geschehen der Welt hätten. Die derzeit tobende Debatte um jene unfassbare Förderung des Datenhandels durch die Bundesregierung zeigt jedoch, wie die Medienwelt 2012 tatsächlich aussieht.

Denn es waren ja nicht „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine“ oder die Tagesschau, die jenes Thema hochbrachten. Keiner von ihnen achtete auf jene 57 Sekunden dauernde Abstimmung im Bundestag, die parallel zum deutschen EM-Spiel gegen Italien lief. Nein, es brauchte einige Tage bis Blogs darauf stießen (und die brauchten diesmal auch echt lang). Es war Netzpolitik.org, das als erstes reagierte: „Datenauskunft von Meldeämtern: Bundesregierung macht Widerspruch wirkungslos„, war dort am vergangenen Dienstag zu lesen. Und wenn ich das richtig sehe, war dies die erste Berichterstattung über die Änderung des Meldegesetzes. In den folgenden zwei Tagen sprangen mehrere Blogs auf und erste Online-Medien wie Chip.de und Spiegel Online. Doch erst am Wochenende erkannten die meisten klassischen Redaktionen das Gewicht des Themas. Und so ist es nicht von unerheblicher Lustigkeit, wenn „Sueddeutsche“-Großkommentator Heribert Prantl am Samstag schrieb: „Von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt (im Internet freilich tobt der Protest)…“

Und heute? Ist es die Titelschlagzeile in der „Bild“ – 11 Tage nach der Entscheidung des Bundestages, 6 Tage nachdem es in der Öffentlichkeit auftauchte. Das demonstriert: Wer informiert sein will, der braucht das Netz. Von diesem erst springen Themen heute in Zeitungen, Zeitschriften und in das Fernsehen.

Nun läuft sie also, die Recherchemaschine (hoffe ich mal, aber vielleicht ist das Naivität). Denn die nächste Frage ist natürlich: Wenn die Meldeämter bisher schon Daten verkauft haben  – was passierte damit?

Auf Google+ meldete sich auf einen Eintrag von mir Simon Laufer, ein Werber der in der Callcenter-Branche tätig war. Er liefert uns einen Einblick in den Alltag des Adressdatenhandels:

2„Aber, da ich selbst in der Callcenter Branche tätig war und zum Teil noch bin (biete Seminare für Critical Business Situations), hier ein paar Infos und Dinge die ich selbst erlebt habe 
(ich nenne natürlich nicht die Namen meiner Kunden, das versteht sich, außerdem würde ich mich strafbar machen)

1. Name und Adresse sind unwichtig.

>> Telefonnummer und Geburtsdatum/Sterbedatum zählen.

Missbrauch:

>> Mit der Telefonnummer lassen sich Abos generieren und direkt abrechnen (Abofallen).

>> Mit dem Geburtsdatum darf jeder Bestellungen aufgeben. Und Bestellbetrug ist keine Seltenheit.

2. Der durchschnittliche Datensatz bei den Meldebehörden fängt bei 24€ an, ABWÄRTS je nach Menge. Datenabgleiche sind etwas billiger.

>> Und jeder weiß, dass die Komunen notorisch unterfinanziert sind, da wird i.d.R nicht gefragt.

3. Das Callcenter Business ist von einem starken Preiskampf geprägt, einer der Stärksten in Deutschland.

>> Privatkundenhotlines brechen weg und werden in günstigere Regionen verlegt. Callcenter suchen händeringend günstige veritable Aufträge und Listen mit Qualität zum Schnäppchenpreis. Sie können in diesem Preiskrieg nicht anders.

Wenn also jemand eine gute und günstige Liste anbietet, fragt man nicht woher die Daten kommen und schlägt zu!

Ich hatte das Sterbedatum erwähnt, es gibt Listendaten die 10 Jahre und mehr auf dem Buckel haben.

4. Es ist zwar verboten Privatleute anzurufen (bis 200.000€ Strafe) aber das wird damit Umgangen, das Listen mit den Personen von Vereinen gefüllt werden, die dort als Vorstand geführt werden (öffentliche Daten). Dann besorgt man sich nur noch die Telefonnummer und THATS IT.

Ich will und werde nicht schlecht über die Branche reden
ABER 
ich würde mich über eine stärkere Regulierung freuen, die den Druck aus dem Markt nimmt und auf Dauer das Vertrauen in eine angeschlagene Branche wiederbelebt.“


Kommentare


jensscholz.com 2.0 9. Juli 2012 um 15:10

Datensalat und Meldegeschnetz – welche Daten schützen wir nochmal?…

Vorab: Wir sind uns alle einig darüber, dass diese beiden kleinen Textänderungen im neuen Meldegesetz eine Frechheit sind und dass man das Widerrufsrecht zur Weitergabe von Daten an Dritte damit praktisch auch gleich ganz hätte wegl…

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sven scholz – sagichdoch? » Die große Heuchelei um den Datenverkauf der Meldeämter 9. Juli 2012 um 15:22

[…] seit zig Jahren in 99,787% des Ausmaßes, wie es da jetzt ins neue Meldegesetz gegossen wurde, mit all seinen Konsequenzen. Wenn jetzt Leute, die die bisherige Regelung nicht juckte oder diese gar mit durchgewunken haben […]

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Vampy 9. Juli 2012 um 16:20

Zitat:
11 Tage nach der Entscheidung des Bundestages, 6 Tage nachdem es in der Öffentlichkeit auftauchte …

– –
Also sooooo viel früher ist es hier auch nicht aufgetaucht. 😉

Und daß die „Papiermedien“ länger brauchen liegt doch auf der Hand. Die haben erstmal abgewartet, bis sich die Sache auf diversen Blogs herumgesprochen hat und die kritischen User alle evtl. Fehler gefunden haben. Es ist ja auch deutlich weniger aufwändig und viel billiger, wenn man die Artikel aus diesem Internetz-Dingsda abschreiben kann. 😉

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debadener 9. Juli 2012 um 16:30

Ehre wem Ehre gebührt …
Wenn auch sonst netzpolitik.org sehr rührig ist, hier scheint ausnahmsweise die Zeit online einen ersten Finger in die Wunde gelegt zu haben: http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2012-07/gesetz-meldewesen-weitergabe-daten
So richtig in Fahrt gekommen ist die Diskussion letzten Montag (02.07.2012) noch nicht. Vom Anschieben einer Welle – um im PR-Sprech zu bleiben – war da noch nicht die Rede. Der Kern der Aussage, dass wieder einmal durch „alternative Medien“ und nicht durch die einschlägigen Presseerzeugnisse eine breitere Öffentlichkeit geschaffen wurde, bleibt m.E. trotzdem gültig.

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stilstand» Blogarchiv » Auch Schweinderl haben Namen 9. Juli 2012 um 17:06

[…] Und so kam es prompt zu so was – zum Wohlgefallen von ‘Big Spender’. Ich meine, welcher Abgeordnete liest und versteht schon noch, was er beschließt, vor allem solch knochentrockene Gesetzestexte …? Und wer ist auf das unglaubliche Thema gestoßen? Richtig geraten: Es war mal wieder nicht der deutsche Qualitätsjournalismus … […]

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Gregor 9. Juli 2012 um 17:10

Falsch. Netzpolitik.org ist auch nur auf den fahrenden Zug aufgesprungen.

Schon am 29.6.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Schwarz-Gelb-beschneidet-Opt-in-zur-Datenweitergabe-in-Meldegesetz-1628786.html

Und auch früh am 2.7.
http://www.datenschutzbeauftragter-info.de/neues-meldegesetz-der-staat-als-adresshaendler/

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Hype 9. Juli 2012 um 17:29

Jens Ferner über den Meldedaten-Hype

http://www.ferner-alsdorf.de/2012/07/fakten-datenweitergabe-im-rahmen-des-bundesmeldegesetzes/

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Widerspruch zwecklos | Singold Bote 9. Juli 2012 um 17:39

[…] verkaufen auf sueddeutsche.de Datenschützer rebellieren gegen neues Meldegesetz auf spiegel.de Adressdatenhandel: ein Einblick in den Alltag des Datenmissbrauchs bei Indiskretion […]

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zoom » Umleitung: Ein großer Radius vom Higgs-Boson bis zum Geld des Hochsauerlandkreises. « 9. Juli 2012 um 20:31

[…] Adressdatenhandel: ein Einblick in den Alltag des Datenmissbrauchs … indiskretionehrensache […]

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Sascha 9. Juli 2012 um 21:33

Die ersten, die das Thema erkannten und spielten, war nicht etwa netzpolitik.org, sondern heise.de – wahrlich kein kleines Portal. Bereits am Tag nach der Abstimmung um 11.35 Uhr berichtete heise.de ausführlich über den Fall. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Schwarz-Gelb-beschneidet-Opt-in-zur-Datenweitergabe-in-Meldegesetz-1628786.html

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Datensalat und Meldegeschnetz – welche Daten schützen wir nochmal? — CARTA 11. Juli 2012 um 17:03

[…] Dieser Artikel kommt komplett ohne Links zu klassischen Medien aus. Und es war nicht schwer, ihn so zu […]

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Froschs Blog » Blog Archive » Im Netz aufgefischt #69 15. Juli 2012 um 14:31

[…] Indiskretion Ehrensache: Adressdatenhandel: ein Einblick in den Alltag des Datenmissbrauchs (via +Thomas Knuewer/+Marco […]

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