Skip to main content

Ein wenig lustig ist das schon. Gestern ist im Klartext-Verlag ein Buch erschienen mit dem Titel „2020 – Gedanken zur Zukunft des Internets“. Es ist eine Sammlung von Artikeln, einen davon habe ich beigesteuert. Er handelt von der Art und Weise, wie Unternehmen sich durch Social Media verändern werden.

Das Schmunzelige daran ist: Die Herausgeber des Buchs sind Hubert Burda, Matthias Döpfner, Bodo Hombach und Jürgen Rüttgers. Pardon, Hubert Burda, Mathias Döpfner, Bodo Hombach und Jürgen Rüttgers.

Ja, trotzdem hat man mich auch gefragt, ob ich etwas beisteuern möchte. Nun bin ich bei solchen Anthologien generell etwas skeptisch. Und wenn Burda, Döpfner, Hombach und Rüttgers etwas zur Zukunft der Medien einsammeln nimmt einem das nicht die Sorge.

Nun also ist das Werk da – und es ist besser als ich gedacht hätte.

Sicher: Wer sich ständig mit digitalen Fragen beschäftigt, wer täglich Netzpolitik und Rivva liest, für den wird wenig Neues dabei sein. Vielleicht die trockene aber interessante Ausführung der Mediziner Ulrich Hegerl und Nico Niedermeier zu den Chancen des Internets bei der Arbeit mit psychisch Kranken. Oder die Abhandlung der Linguistin Angelika Stoerrer zur Veränderung der Sprach durch das Web.

Doch Experten zählen vermutlich nicht zur Zielgruppe. Nein, das Buch richtet sich eher an jene, die sich nicht so gut oder so mittelmäßig auskennen.

Die aber werden einiges finden, was lesenswert ist. Zum Beispiel eine sehr gute Erläuterung von Cloud Computing durch Informatik-Professor Odej Kao und eine Analyse zur Maschine-zu-Maschine-Kommunikation von Marketing-Professor Michael Paetsch. Auch Peter Kruse, einer der besten Redner auf der Re-Publica, ist dabei, ebenso Twitter-Expertin Nicole Simon mit einem Text über, klar, Twitter.

Leider leidet „2020“ unter dem Problem aller Anthologien. Ein einheitlicher Stil ist nicht möglich. So wechselt sich journalistischer Stil ab mit schwülstiger Selbstbeweihräucherung, dann ein trockener Wissenschaftstext gefolgt von zusammenhanglosem Text-Wirrwarr. Damit muss man leben, es macht das Lesen ein wenig anstrengend. Manches mal wäre besser gewesen, einen Journalisten zu beauftragen, das Thema von neutraler Warte anzugehen. Denn platt Firmendarstellungen wie die Bejubelung des E-Sports durch EA-Chef Olaf Coenen sind komplett verzichtbar.

Natürlich gibt es auch Tiefpunkte. Die Herausgeber, zum Beispiel, schreiben Beliebigkeiten darnieder. Noch trauriger sind Texte wie der von Familienministerin Kristina Schröder. Ich hatte ja schon gedacht, sie könnte ein digitaler Hoffnungsträger werden – hier aber liefert sie einen Text mit dem Entsetzen auslösenden Fazit: Die Internet-Sperren von Ursula von der Leyen sind nur deshalb so vor die Wand gelaufen, weil sie falsch erklärt wurden. Medienforscher Stephan Russ-Mohl demonstriert ebenfalls ein weiteres Mal, dass er im digitalen Zeitalter noch nicht recht angekommen ist. Den Tiefpunkt aber liefert Zukunftsforscher Horst Opaschowski: ein Staccato an Sätzen, die scheinbar beliebig hintereinander gesetzt wurden.

Einen der Herausgeber muss ich aber doch herausgreifen: Bodo Hombach. Sein Text „Über das Internet und die Entgrenzung kultureller und zeitlicher Lebensräume“ lässt einen Blick in seine Psyche zu. Für ihn sind jene Menschen, die das Netz nutzen recht klar einzuordnen: Er sieht sie als leichtlebige, verantwortungslose, isolierte Naivlinge.

Auszug:

„Wer mit dem Joystick aufgewachsen ist und nur noch per Touchscreen mit virtuellen Geldströmen hantiert, täuscht sich leichter über die dahinterliegenden Schicksale hinweg….

Die jüngere Generation steht dem Problem (der immer schneller sich verbreitenden Information) ehrfurchtslos gegenüber und überlässt sich naiv und angstfrei der chaotischen Vielfalt von Informationen und Meinungen, die per Klick erreichbar sind. Jeder ist ständig auf Sendung und Empfang, und bisher spüren nur die Sensibleren, dass sie für die unbegrenzten Möglichkeiten mit der wachsenden Mühe zahlen, aus dem Chaos das Sinnvolle herauszustanzen.“

Aus den Zeilen trieft: Hombach hält sich für solch einen Sensiblen. Seinen Text schließt er bewusst mit „Kein Fazit“. Er schreibt:

„Das ist ein Aufruf zum großen gesellschaftlichen Dialog über die Frage: Wie können wir die Chancen des Netzes ausbauen und Stärken und die Risiken beherrschen?“

Nun ist das so, mit diesem Buch. Eigentlich sollte es solch einen Dialog geben mit ihm, Döpfner, vielleicht noch anderen Medienvertretern sowie den Verfassern des Internet-Manifestes, zu denen ich auch gehörte. Es war eine spannende Idee – woraus nie etwas wurde. Das lag nicht an unserer Seite. Danach forderte Hombach schon einmal einen Dialog ein – doch auf eine offene E-Mail hat er nie reagiert. Ob er es diesmal ernst meint? Fraglich. Immerhin ist dabei aber eine ordentliche Sammlung von Aufsätzen zu digitalen Themen entstanden – das ist ja auch etwas.


Kommentare


Uli 27. Juli 2010 um 17:49

LIest sich wie ein Buch, dass man nicht braucht. Hombach läßt sich doch gewiß die Mails ausdrucken und ich vermute mal, dass er Ghostwriter im Verlag für solche Texte hat. Früher war es zumindest so.

Antworten

Dennis Horn 27. Juli 2010 um 17:50

Über den Metagag mit der Namensverlinkung habe ich sehr lachen müssen ;)!

Antworten

Raventhird 27. Juli 2010 um 18:01

Muss mal kurz was anmerken (geht nicht anders): Der Account @nicolesimon folgt aktuell 10.316 Leuten und pflegt vier Listen, in denen ein jeweils ein paar Leute eingeordnet sind zb. die Liste „Podcaster“ oder die Liste „luebeck“ mit 22 Leuten. Es spricht demnach offenbar für das Twitter-„Expertentum“, wenn man eine eigene Timeline hat, deren Tweets man nicht einmal im Ansatz noch nachverfolgen kann (ab etwa 1000 ist es mE nur schwer noch möglich, wenn man nicht multiple und gute Listen pflegt, bei 10000 würde ich unterstellen, dass man nicht einmal mehr weiß, wem man folgt). Weißt Du, wer echte Twitter-Experten sind? @vergraemer @muserine und Co., kurz diejenigen, die es wirklich für etwas nutzen, was über darüber hinaus geht, sich selbst zu bewerben und Geld zu machen. Und die selbst tausende Follower haben, aber nur ein paar hundert Leuten folgen, weil sie etwas Interessantes zu sagen haben. Wer das „Ich folg Du mir, wenn Du mir folgst“-Prinzip anwendet und sich dann selbst zum Experten erklärt, der hat Twitter nicht verstanden. Nur so ein Gedanke.

Was jetzt das Buch natürlich keineswegs schmälern soll. Oder den Text von ihr. Ich kenn den ja nicht. Aber ich werde es mir vermutlich antun, denn das, was Du sonst so daraus berichtest, klingt mindestens interessant, trotz der Herausgeber, die mich sonst direkt abgeschreckt hätten.

Antworten

Mithos 27. Juli 2010 um 18:01

Natürlich hat Hombach nicht auf die E-Mail reagiert: Sie hätten ihm einen Brief schicken müssen.

Antworten

Prospero 27. Juli 2010 um 18:13

Mit adressiertem und an sich selbst adressierten Rückumschlag vermutlich… 😉
Über die Sendungsmöglichkeit des Faxens mache ich nach ausreichenden Bibliothekserfahrungen im Leihverkehr übrigens definitiv keine Witze mehr – manchmal ist das wirklich schneller als Mail.
Ad Astra

Antworten

Nina 27. Juli 2010 um 18:41

Schade, ich dachte schon, dass ich ein passendes Geburtstagsgeschenk für meinen Vater gefunden hätte. Ein Buch mit „frischen“ Texten und durchaus kontroversen Beiträgen wäre toll gewesen. 😉 Tipps?

Antworten

gsohn 28. Juli 2010 um 11:48

@Raventhird Was wäre, wenn jeder Twitterer dieser Qualitätslogik folgen würde. Wertvolle Twitterer sind nur jene, die viele Follower haben, aber nur wenigen anderen folgen. Das würde wohl in der Gesamtheit nicht so ganz aufgehen, oder? Man könnte es auch umdrehen und mit einem Bibelzitat versehen (als Atheist erlaube ich mir das mal). ,,Geben ist seliger denn Nehmen“. (5. Mose 15, 11; Jesaja 58, 7; Johannes 12, 3 – 8; Hebräer 13, 5. 16). Man folgt vielen interessanten Menschen und schert sich erst einmal nicht darum, ob Sie einem zurückfolgen.

Antworten

Nina 28. Juli 2010 um 12:27

Ich bin der Meinung, dass man sowohl viele Follower als auch viele Retweets haben muss, um ein „Qualitätstwitterer“ zu sein. Leider lässt sich nicht ohne Weiteres herausfinden, wer viele Retweets hat.

Antworten

mika 28. Juli 2010 um 12:33

das titelbild „http://www.“ ist aber leider von 1999

Antworten

Fred 28. Juli 2010 um 23:38

Irgendwann werden uns unsere Kinder fragen: Samma, warum haben die Leute damals so wenig gecheckt, was das Netz eigentlich ist und was es bedeutet?
Und wir werden milde lächeln und antworten: Ignoranz, liebe Kinder, ist ja zum Glück heute verboten.
Oder so ähnlich.

Antworten

mark793 29. Juli 2010 um 9:57

Noch einen ganzen Schritt weiter als Bodo Hombach geht der Musiker Prince:

„The internet is completely over.“

Erinnert mich irgendwie an:

„Gott ist tot.“ (Nietzsche)
„Nietzsche ist tot.“ (Gott)

Antworten

Die Kolonialmächte der Datenwolke — CARTA 24. August 2010 um 4:25

[…] Knüwer meint: “Nun also ist das Werk da – und es ist besser als ich gedacht […]

Antworten

Leistungsschutzrecht – nicht nur für gewerbliche Nutzer » Engeln.de 14. November 2010 um 21:27

[…] aus dem Buch „2020 – Gedanken zur Zukunft des Internet“ (Buchbesprechung hier bei Thomas Knüwer). Döpfner analysiert die Gewinnmöglichkeiten der Verlage im Netz und meint: „Dafür gibt es […]

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*