Skip to main content

Es gab eine Zeit, da glaubte Nordrhein-Westfalen an den Umbruch. Den erfolgreichen Umbruch. Weg von Kohle und Stahl, gezwungenermaßen, denn deren Produktion war in der westlichen Welt zu teuer geworden. Und hin zu Technologie, IT, Medien.

Tatsächlich passierte einiges. Da entstanden Gründerzentren und Fernsehsender und die Musikindustrie machte sich Köln zur Hauptstadt.

Das alles ist vorbei. Der Medienstandort NRW ist ein einem traurigen Zustand. „Uns bleibt immer noch Dortmund“, werden sie vielleicht „Casablanca“-like irgendwann seufzen, die NRW-Politiker. Dortmund ist weiterhin ein vorzeigbarer Standort für die IT-Branche.

Aber IT ist eben auch nicht richtig Medien. Und „Medienstandort“, das lockt jeden Politiker und jede Region, es klingt nach Morgen und nach Macht.

So wäre NRW auch gern ein bedeutender Medienstandort. Wäre. Doch geben seine Politiker in diesen Tagen, da in Köln das Medienforum NRW läuft, ein trübes Bild rückwärtsgewandter Verstaubtheit ab.

Da ist Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident. 12 Zeitungen lese er täglich, tönte er heute. Bemerkenswert, wieviel Zeit so ein Präsi heutzutage hat. Der gemeine Mensch, jedenfalls, schafft oft nicht mal eine einzige zu goutieren, weshalb ja auch die Auflagen bröckeln. Rüttgers aber hat 12. Wahrscheinlicher ist: Er hat einen Pressespiegel, indem ihm die Welt zurechtgeschnippselt wird.

Ein neues Mediengesetz gibt es auch. Gerüchten zufolge soll Musikindustrie-Lobbyist Dieter Gorny, ohnehin mit reichlich Einfluss auf die Politik im Land gesegnet, maßgeblich an dessen Entwicklung mitgewirkt haben. Als wichtigster Punkt wird verkauft, Zeitungen könnten ihren Anteil an TV-Sendern erhöhen. Sensationelle Idee. Da tun sich zwei zusammen, denen es nicht gut geht – so etwas geht selten gut.

Es ist bemerkenswert, wie Rüttgers – klar, es ist Wahlkampfjahr – die dummen Plattitüden der Verlegerverbände nachplappert:
„Wir müssen uns gegen die Enteignung geistigen Eigentums wehren. Da müssen neue Spielregeln ausgehandelt werden.“

Da passt es ins Bild, wenn der Ministerpräsident sich als Bruder im Geiste von Ursula von der Leyen entpuppt. Oder besser: Als ihr Jäger. Denn ihm reichen nicht nur Kinderporno-Sperren – er will sie auf Killerspiele ausweiten.

Das ist ja so eine Sache mit den Killerspielen. In Deutschland gibt es für Politiker nur diese. Es gibt keine Videospiele, Sportspiele, Actionspiele oder Simulation – es gibt nur Killerspiele. Das Dumme ist nur: Für die existiert ja schon ein Jugendschutz, eine Alterseinstufung nämlich.

Das reicht Rüttgers & Co. aber nicht. Es muss mehr sein. Weg mit den Killerspielen. Was bedeutet: Sie gefährden die Jugend mehr als Alkohol oder Zigaretten. Vielleicht darf man diesen Vergleich aber nicht wählen, denn letztere Drogen bringen einerseits Steuergelder und werden andererseits von Politikern gern über das Maß hinaus konsumiert.

Das Dumme ist nur: Diese Videospielbranche, die macht Umsätze. Weshalb sich die Messe Köln ein Bein ausgerissen hat, um die Videospielmesse von Leipzig an den Rhein zu holen. Die Produzenten hingegen sind veritable Unternehmen geworden. So liegt der Börsenwert von Activision Blizzard bei 16 Mrd. Dollar. Der von Thyssen Krupp übrigens bei 8,3 Mrd. Euro.

Wo aber werden sich die neuen, jungen Spielhersteller ansiedeln? Kaum unter dem Bannstrahl eines Jürgen Rüttgers und einer Ursula von der Leyen.

Vielleicht bräuchte NRW einen Antreiber. Einen, der die Digitalität in die Regierung bringt. Einen Medienminis… Ach, es gibt ja einen.

Er heißt Andreas Krautscheid und lieferte vor einem Jahr einen putzigen, kleinen Auftritt. Die Gewinner der Grimme Online Awards waren wieder einmal durch einen Fehler öffentlich geworden, die Medien- und Internet-Szene giftete in höchsten Tönen. Krautscheid hält bei der Verleihung eine Begrüßungsrede und erklärt gespannt zu sein, wer denn gewinne. Nun muss er nicht den ganzen Tag das Web beobachten. Doch hat er anscheinend niemand im Team am Puls der Branchen-Zeit und er ist nicht ausreichend verdrahtet, als dass ihn jemand, während er durchaus einige Zeit vor der Halle stand, auf die Situation aufmerksam macht.

Der „Frankfurter Rundschau“ gab er nun ein Interview. Und es klingt, als sitze Krautscheid in einer Zeitmaschine, die ihn in das Jahr 1997 katapultiert hat. Denn aus jener Zeit stammen Sätze wie:
„Ich halte es für richtig, wenn Zeitungshäuser sich zu umfassenden Medienhäusern weiterentwickeln wollen: etwa mit Präsenz im Internet und im lokalen TV.“

Ohne jeden Anflug von Nachdenken behauptet er dann auch flott, im Internet gelten keine Gesetze:
„Das Internet darf bei allen wunderbaren Möglichkeiten kein rechtsfreier Raum bleiben.“

Da möchte man doch einen „Kölner Stadtanzeiger“ nehmen und ihn Krautscheid so oft über den Kopf ziehen, bis er endlich Lust hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Nur nochmal festgehalten: Das Internet war nie ein rechtsfreier Raum, ist kein rechtsfreier Raum und wird nie ein rechtsfreier Raum sein. Die vorhandenen Gesetze erlauben es, Copyright-Verstöße zu verfolgen, gerade Verlage tun das auch, dafür haben sie eigene Abteilungen. Und diese Abteilungen sind damit auch durchaus erfolgreich.

Der Wirtschaftsstandort NRW hätte alle Chancen, tatsächlich zu einem interessanten Ort für neue Medien zu werden. Hier gibt es viel Bürofläche, viel Infrastruktur und viele, gute Universitäten. Er aber wird scheitern – an Politikern wie Rüttgers oder Krautscheid. Die nicht vermitteln zwischen klassischen Medien und den neuen, nicht dafür sorgen, dass sich ein Biotop bildet, in dem sich beide befruchten.

„Jede Infrastruktur braucht ihre Straßenschilder“, hat Rüttgers heute in Bezug auf die Internetsperren im Scheinkampf gegen Kinderpornographie gesagt. Stimmt. Geht es um die Medienwirtschaftsinfrastruktur in NRW stehen sie schon. Sie sehen so aus:


Kommentare


Herr_M 22. Juni 2009 um 19:59

Danke. Ich hatte fast schon wieder vergessen, warum ich NRW verlassen habe.

Antworten

Muriel 22. Juni 2009 um 20:33

Wieso? Wär doch wirklich cool, wenn Zeitungen auch eine Präsenz in diesem Inter-Dings haben könnten…

Antworten

ralf schwartz 22. Juni 2009 um 20:51

Warum soll Minister Rüttgers nicht 12 TZ in seinem iPhone über seinen Feed-Reader lesen?
Immer wieder enttäuschend, wie wenig unseren Politikern zugetraut wird.
Ich jedenfalls traue ihnen alles zu.

Antworten

Christopher K. 22. Juni 2009 um 21:51

@Ralf Schwartz:

und dieses Alles ist es, was mir Angst macht.

Antworten

Gerd L. aus S. 22. Juni 2009 um 22:44

In der heutigen Zeit der Verflachung der Medien (teilweise leider auch der Online-Medien) und des Newsroom-Direct-Feed-Fastfoods ist dieser Blog eine echte Alternative.

Und zu der Internet(in)kompetenz unserer Politiker ist wohl schon alles gesagt worden. (\“Was war nochmal ein Browser?\“) Wieder einmal schafft es Deutschland, sich mit 100%iger Sicherheit selber ins Knie zu schiessen und seine Zukunft zu verspielen. Nur damit in x Jahren unsere Politiker wieder loszuheulen und das böse Ausland für schuldig erklären, uns sowohl in der Technologie, als auch im Ideenreichtum der neuen Medien abgehängt zu haben.

Antworten

Max Krapp 23. Juni 2009 um 0:01

Den Gag mit den Straßenschildern werden noch meine Enkel hören müssen 😉
Ansonsten ist dazu eigentlich alles gesagt, und ich bin echt glücklich, nicht in NRW zu leben. Obwohl, eigentlich war ich das auch schon vorher…

Antworten

BrainDrain 23. Juni 2009 um 8:04

Mittlerweile bin ich wirklich froh, Köln und damit NRW verlassen zu haben. Und anscheinend bin ich nicht der einzige. Vielleicht sollten die Politiker auch darüber mal nachdenken…..

Antworten

mark793 23. Juni 2009 um 9:52

@Ralf Schwartz: Meine Rede. Viele Blogger und andere Netzbürger sehen ja gerne auf Politiker herab, weil die anscheinend \“das Internet nicht verstanden haben.\“

Und ich sage: Was, wenn sie es sehr wohl verstanden haben – und trotzdem (oder grade drum) kaputtregulieren wollen?

Antworten

schildbürger 23. Juni 2009 um 16:36

Straßenschilder? Davon gibt\’s noch mehr: http://www.titanic-magazin.de/uploads/pics/Internetschilder.jpg – wobei das Einbahnstrassenschild dort mit \“Vorsicht, wütende Trolle!\“ beschriftet ist. Aber auf U.v.d.L paßt das in ihrer Profilierungswut…

Antworten

Roland 23. Juni 2009 um 17:20

Das Schlimme ist eigentlich die Tatsache dass die zuständigen Politiker, und die welche am lautesten schreien, keine Ahnung von der Materie haben.

Wenn sie wenigstens wüßten wovon sie reden dann hätte ich ja noch Respekt vor diesen. Auch wenn ich die Meinung nicht teile. Aber so sind es in meinen Augen einfach nur Dummschwätzer.

Antworten

Marc 23. Juni 2009 um 18:16

Danke, gut geschrieben ! Trifft den Nagel auf den vermeidlichen Kopf. Ich hoffe das tritt auch mal bei Herrn Rüttgers ein. Die Regierung zeigt gerade auf allen Fronten anstrengungen zu beweisen wie wenig Sie doch von Multimedialer Zukunft ihres Volkes hält.

Man meint es wäre einige jahrzehte früher.

Antworten

ralf schwartz 23. Juni 2009 um 20:09

@mark793: Zumindest haben sie verstanden, daß sich mit dem Internet alles ändern wird, was sie bisher liebgewonnen haben. Dies ist nicht nur für konservierende Konservative so, sondern auch für a-soziale (wertfrei) Soziale.

Antworten

David Abel 24. Juni 2009 um 2:21

Hinzufügen zu einem ansonsten sicher weitestgehend zutreffenden Artikel muss man ehrenhalber, dass sich Andreas Krautscheid zumindest symbolisch für elektronischen Sport – der durch den Marktführer Turtle Entertainment in Köln angesiedelt ist – einsetzt und damit immerhin ein modernes und in Bezug auf die unsägliche \“Killerspiel\“-Debatte auch nicht unbrisantes Thema bearbeitet.

http://pressemitteilung.ws/node/128974

Antworten

O. aus K. am R. 24. Juni 2009 um 9:57

Gute gebrüllt, Löwe! Ach jaaaaa…..

Antworten

egghat 24. Juni 2009 um 10:31

Lustig ist auch das Einschießen auf Google News. Weil das am Ende der unkritischte Teul von Google ist:

News.google.de stellt auf der Homepage meiner Meinung nach NICHT eine bessere Auswahl zur Verfügung als z.B. die FAZ oder der Spiegel.

News.google.de stellt die Nachrichten NICHT selber zur Verfügung, sondern verlinkt nur. Es nimmt dem Portal genau EINEN Pageview, der Artikel selber kommt immer vom Medium selber.

News.google.de hat einen Anteil von 0,8%(!; Alexa.com) an den gesamten Pageviews von google.de. Damit dürfte News.google.de eines der eher wenig erfolgreichen Angebote von Google sein. Es würde mich
wundern, wenn das Angebot mehr Leute erreicht als Spiegel oder FAZ.

http://www.heise.de/newsticker/Medienforum-NRW-diskutiert-Staatshilfe-fuer-Zeitungen–/meldung/140915

Es zeigt exemplarisch, wie wenig Politiker (a given) und die Presse selber verstanden haben …

Antworten

Medienversteher 24. Juni 2009 um 14:41

Glückwunsch! Selten einen so subjektiven und einseitig schlecht recherchierten Artikel gelesen. Schade nur, dass viele das 1 zu 1 so glauben – aber das ist halt die Macht der Medien.
Als Medienbranchen-Insider bin ich froh in NRW zu sein! Im Rest der Republik ist dieses Thema nämlich noch gar nicht angekommen. Und um den geneigten Leser aufzuzeigen, dass es nicht gar so schlimm aussieht, möchte ich exemplarisch nur 3 Punkte aufzeigen:
– in NRW gibt es rund 150 verschiedene Studiengänge mit Medienbezug
– seit 3 Tagen gibt es die von Land NRW initiierte und finanzierte \“Mediencluster NRW GmbH\“, die zentrale Anlaufstelle für die Medienwirtschaft die sich um medienübergreifende Zusammenarbeit und Standortstärkung kümmern wird
– in NRW werden innovative Medien-Projekte mit EU-Fördergeldern unterstützt

Alles in allem klingt das doch auf einmal nicht mehr ganz so negativ, wie es uns der Artikel vorgaukelt. Und man mag von den Herren Rüttgers und Krautscheid halten was man will – sie haben aber ihren Teil dazu beigetragen, dass es die drei von mir genannten Punkte überhaupt gibt.

Antworten

Thomas Knüwer 24. Juni 2009 um 15:01

Tja, das klingt erstmal gut. Aber.

– Studiengänge sind schön und gut. Nur: Wo werden die Leute arbeiten. Fakt ist: Die Medienbranche in NRW schrumpft.
– Schön, dass es seit drei Tagen (!) eine zentrale Anlaufstelle für die Medienwirtschaft gibt. Und wer wird dorthin gehen? Die alten Medien.
– In ganz Deutschland werden innovative Medienprojekte mit Fördergeldern unterstützt. Nur: Der Aufwand um diese Gelder zu bekommen ist für junge Firmen viel zu hoch.

Für mich klingt all das noch negativer als zuvor: Weil mit alten Strukturen eine Branche angesprochen wird, die sich in einem tsunamiesken Wandel befindet.

Antworten

Thomas Knüwer 24. Juni 2009 um 15:59

Und nebenbei: Der Irrsinn kennt ja kein Ende. Der nächste Minister fordert gleich mal eine Alterskennzeichnung für Internet-Seiten:
http://www.derwesten.de/nachrichten/2009/6/24/news-123592788/detail.html

Wenn der Medien-Analphabetismus der Landesregierung so weitergeht, werde ich Beiträge schreiben, die nur für FSK 18 geeignet sind…

Antworten

Laecherlich 24. Juni 2009 um 16:41

ralf schwartz kommentiert:
\“Warum soll Minister Rüttgers nicht 12 TZ in seinem iPhone über seinen Feed-Reader lesen?
Immer wieder enttäuschend, wie wenig unseren Politikern zugetraut wird.
Ich jedenfalls traue ihnen alles zu.\“

Weil er dazu vielleicht gar nicht die Zeit hat???????????????????????????????????????! Omg!

Antworten

Laecherlich 24. Juni 2009 um 16:44

mark793 kommentiert:
\“@Ralf Schwartz: Meine Rede. Viele Blogger und andere Netzbürger sehen ja gerne auf Politiker herab, weil die anscheinend \“das Internet nicht verstanden haben.\“

Und ich sage: Was, wenn sie es sehr wohl verstanden haben – und trotzdem (oder grade drum) kaputtregulieren wollen?\“

Da war der Wunsch wohl mal wieder der Vater des Gedankens. Welch Utopiedenken…

Antworten

Laecherlich 24. Juni 2009 um 16:49

T.K. kommentiert:
\“Wenn der Medien-Analphabetismus der Landesregierung so weitergeht, werde ich Beiträge schreiben, die nur für FSK 18 geeignet sind…\“

…dafür würde ich sogar zahlen 😉
Mehr von solchen Beiträgen!

Antworten

LastGunman 25. Juni 2009 um 17:03

Danke für diesen genialen Artikel!

Antworten

2020 – Gedanken zur Zukunft des Internets 27. Juli 2010 um 20:01

[…] Das Schmunzelige daran ist: Die Herausgeber des Buchs sind Hubert Burda, Matthias Döpfner, Bodo Hombach und Jürgen Rüttgers. Pardon, Hubert Burda, Matthias Döpfner, Bodo Hombach und Jürgen Rüttgers. […]

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*