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Vor rund sechs Wochen platzte mir der Kragen. Ich ärgerte mich über Hamburger und Heidelberger Erklärungen und über die Forderung des Deutschen Journalisten Verbandes, eine konzertierte Aktion gegen Google zu planen.

Damals fragte ich, ob man nicht was machen müsste. Und bekam viel Resonanz. Entstanden ist nun ein Manifest, Thesenpapier, oder wie immer man es nennen mag. Manifest heißt es, weil die Adresse www.internet-manifest.de noch frei war. Und dort ist es nun zu lesen und zu kommentieren.

Wir konnten nicht alle einbinden, die sich gemeldet haben. Das ist schade, und ich möchte mich hiermit dafür entschuldigen.

Doch würden wir uns darüber freuen, wenn möglichst viele Menschen, Journalisten, Medienmacher, Internette ähnliche Ansichten haben wie wir und auf diesen Text hinweisen, verlinken oder ihn (er steht unter Creative Commons) auf ihren eigenen Seiten einbinden.

Was die Diskussion betrifft: Um sie nicht zerfasern zu lassen, würde ich vorschlagen sie auf der Manifest-Seite zu führen.

1. Das Internet ist anders.
Es schafft andere Öffentlichkeiten, andere Austauschverhältnisse und andere Kulturtechniken. Die Medien müssen ihre Arbeitsweise der technologischen Realität anpassen, statt sie zu ignorieren oder zu bekämpfen. Sie haben die Pflicht, auf Basis der zur Verfügung stehenden Technik den bestmöglichen Journalismus zu entwickeln – das schließt neue journalistische Produkte und Methoden mit ein.

2. Das Internet ist ein Medienimperium in der Jackentasche.
Das Web ordnet das bestehende Mediensystem neu: Es überwindet dessen bisherige Begrenzungen und Oligopole. Veröffentlichung und Verbreitung medialer Inhalte sind nicht mehr mit hohen Investitionen verbunden. Das Selbstverständnis des Journalismus wird seiner Schlüssellochfunktion beraubt – zum Glück. Es bleibt nur die journalistische Qualität, die Journalismus von bloßer Veröffentlichung unterscheidet.

3. Das Internet ist die Gesellschaft ist das Internet.
Für die Mehrheit der Menschen in der westlichen Welt gehören Angebote wie Social Networks, Wikipedia oder Youtube zum Alltag. Sie sind so selbstverständlich wie Telefon oder Fernsehen. Wenn Medienhäuser weiter existieren wollen, müssen sie die Lebenswelt der Nutzer verstehen und sich ihrer Kommunikationsformen annehmen. Dazu gehören die sozialen Grundfunktionen der Kommunikation: Zuhören und Reagieren, auch bekannt als Dialog.

4. Die Freiheit des Internet ist unantastbar.
Die offene Architektur des Internet bildet das informationstechnische Grundgesetz einer digital kommunizierenden Gesellschaft und damit des Journalismus. Sie darf nicht zum Schutz der wirtschaftlichen oder politischen Einzelinteressen verändert werden, die sich oft hinter vermeintlichen Allgemeininteressen verbergen. Internet-Zugangssperren gleich welcher Form gefährden den freien Austausch von Informationen und beschädigen das grundlegende Recht auf selbstbestimmte Informiertheit.

5. Das Internet ist der Sieg der Information.
Bisher ordneten, erzwungen durch die unzulängliche Technologie, Institutionen wie Medienhäuser, Forschungsstellen oder öffentliche Einrichtungen die Informationen der Welt. Nun richtet sich jeder Bürger seine individuellen Nachrichtenfilter ein, während Suchmaschinen Informationsmengen in nie gekanntem Umfang erschließen. Der einzelne Mensch kann sich so gut informieren wie nie zuvor.

6. Das Internet verändert verbessert den Journalismus.
Durch das Internet kann der Journalismus seine gesellschaftsbildenden Aufgaben auf neue Weise wahrnehmen. Dazu gehört die Darstellung der Information als sich ständig verändernder fortlaufender Prozess; der Verlust der Unveränderlichkeit des Gedruckten ist ein Gewinn. Wer in dieser neuen Informationswelt bestehen will, braucht neuen Idealismus, neue journalistische Ideen und Freude am Ausschöpfen der neuen Möglichkeiten.

7. Das Netz verlangt Vernetzung.
Links sind Verbindungen. Wir kennen uns durch Links. Wer sie nicht nutzt, schließt sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs aus. Das gilt auch für die Online-Auftritte klassischer Medienhäuser.

8. Links lohnen, Zitate zieren.
Suchmaschinen und Aggregatoren fördern den Qualitätsjournalismus: Sie erhöhen langfristig die Auffindbarkeit von herausragenden Inhalten und sind so integraler Teil der neuen, vernetzten Öffentlichkeit. Referenzen durch Verlinkungen und Zitate – auch und gerade ohne Absprache oder gar Entlohnung des Urhebers – ermöglichen überhaupt erst die Kultur des vernetzten Gesellschaftsdiskurses und sind unbedingt schützenswert.

9. Das Internet ist der neue Ort für den politischen Diskurs.
Demokratie lebt von Beteiligung und Informationsfreiheit. Die Überführung der politischen Diskussion von den traditionellen Medien ins Internet und die Erweiterung dieser Diskussion um die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit ist eine neue Aufgabe des Journalismus.

10. Die neue Pressefreiheit heißt Meinungsfreiheit.
Artikel 5 des Grundgesetzes konstituiert kein Schutzrecht für Berufsstände oder technisch tradierte Geschäftsmodelle. Das Internet hebt die technologischen Grenzen zwischen Amateur und Profi auf. Deshalb muss das Privileg der Pressefreiheit für jeden gelten, der zur Erfüllung der journalistischen Aufgaben beitragen kann. Qualitativ zu unterscheiden ist nicht zwischen bezahltem und unbezahltem, sondern zwischen gutem und schlechtem Journalismus.

11. Mehr ist mehr – es gibt kein Zuviel an Information.
Es waren einst Institutionen wie die Kirche, die der Macht den Vorrang vor individueller Informiertheit gaben und bei der Erfindung des Buchdrucks vor einer Flut unüberprüfter Information warnten. Auf der anderen Seite standen Pamphletisten, Enzyklopädisten und Journalisten, die bewiesen, dass mehr Informationen zu mehr Freiheit führen – sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

12. Tradition ist kein Geschäftsmodell.
Mit journalistischen Inhalten lässt sich im Internet Geld verdienen. Dafür gibt es bereits heute viele Beispiele. Das wettbewerbsintensive Internet erfordert aber die Anpassung der Geschäftsmodelle an die Strukturen des Netzes. Niemand sollte versuchen, sich dieser notwendigen Anpassung durch eine Politik des Bestandsschutzes zu entziehen. Journalismus braucht einen offenen Wettstreit um die besten Lösungen der Refinanzierung im Netz und den Mut, in ihre vielfältige Umsetzung zu investieren.

13. Im Internet wird das Urheberrecht zur Bürgerpflicht.
Das Urheberrecht ist ein zentraler Eckpfeiler der Informationsordnung im Internet. Das Recht der Urheber, über Art und Umfang der Verbreitung ihrer Inhalte zu entscheiden, gilt auch im Netz. Dabei darf das Urheberrecht aber nicht als Hebel missbraucht werden, überholte Distributionsmechanismen abzusichern und sich neuen Vertriebs- und Lizenzmodellen zu verschließen. Eigentum verpflichtet.

14. Das Internet kennt viele Währungen.
Werbefinanzierte journalistische Online-Angebote tauschen Inhalte gegen Aufmerksamkeit für Werbebotschaften. Die Zeit eines Lesers, Zuschauers oder Zuhörers hat einen Wert. Dieser Zusammenhang gehört seit jeher zu den grundlegenden Finanzierungsprinzipien für Journalismus. Andere journalistisch vertretbare Formen der Refinanzierung wollen entdeckt und erprobt werden.

15. Was im Netz ist, bleibt im Netz.
Das Internet hebt den Journalismus auf eine qualitativ neue Ebene. Online müssen Texte, Töne und Bilder nicht mehr flüchtig sein. Sie bleiben abrufbar und werden so zu einem Archiv der Zeitgeschichte. Journalismus muss die Entwicklungen der Information, ihrer Interpretation und den Irrtum mitberücksichtigen, also Fehler zugeben und transparent korrigieren.

16. Qualität bleibt die wichtigste Qualität.
Das Internet entlarvt gleichförmige Massenware. Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist. Die Ansprüche der Nutzer sind gestiegen. Der Journalismus muss sie erfüllen und seinen oft formulierten Grundsätzen treu bleiben.

17. Alle für alle.
Das Web stellt eine den Massenmedien des 20. Jahrhunderts überlegene Infrastruktur für den gesellschaftlichen Austausch dar: Die “Generation Wikipedia” weiß im Zweifel die Glaubwürdigkeit einer Quelle abzuschätzen, Nachrichten bis zu ihrem Ursprung zu verfolgen und zu recherchieren, zu überprüfen und zu gewichten – für sich oder in der Gruppe. Journalisten mit Standesdünkel und ohne den Willen, diese Fähigkeiten zu respektieren, werden von diesen Nutzern nicht ernst genommen. Zu Recht. Das Internet macht es möglich, direkt mit den Menschen zu kommunizieren, die man einst Leser, Zuhörer oder Zuschauer nannte – und ihr Wissen zu nutzen. Nicht der besserwissende, sondern der kommunizierende und hinterfragende Journalist ist gefragt.

Internet, 07.09.2009

Markus Beckedahl
Mercedes Bunz
Julius Endert
Johnny Haeusler
Thomas Knüwer
Sascha Lobo
Robin Meyer-Lucht
Wolfgang Michal
Stefan Niggemeier
Kathrin Passig
Janko Röttgers
Peter Schink
Mario Sixtus
Peter Stawowy
Fiete Stegers

CC-BY


Kommentare


sebastian 7. September 2009 um 16:48

Da werden die Verleger und Google-Gegner jetzt aber zittern. 17 aufgewärmte Thesen, über die man sich dort auf die Schenkel klopfen dürfte, waren alles, was diese namhafte Mannschaft zu Stande gebracht hat? Zu viel Blabla..zu viel Selbstgefälligkeit.. schade eigentlich..

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LD 7. September 2009 um 17:29

Endlich ein Journalist, der verstanden hat! 🙂 Herzlichen Glückwunsch und meine volle Unterstützung!

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Anonymous 8. September 2009 um 9:52

Alles, was man in diesem Manifest lesen kann, wurde auch vorher schon mal gesagt. Und wie bisher auch, wird man damit nur die Leute erreichen, die diese Dinge ohnehin schon verstanden haben. Die Zeit hätte man besser investieren können, um die \“Medienmogule\“ wirklich zu erreichen.

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Chat Atkins 8. September 2009 um 11:10

Dass du – und all die anderen Autoren – dort nicht auf Kommentare zu antworten geruhen, das zeigt mir, wie es um das geforderte \’Dialogische\‘ und um die neue \’Kommunikation mit den Lesern\‘ in der Praxis bestellt ist. Im Grunde macht ihr selbst gar nicht das, was ihr in eurem Manifest für andere fordert.

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Leser 8. September 2009 um 12:42

\“Dialog\“ sieht anders aus als eure Funkstille dort. Ihr seid eben viel zu beschäftigt und viel zu wichtig, um mit \“dem\“ Internet zu kommunizieren.

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Thomas Knüwer 8. September 2009 um 13:30

Diese Kritik ist gerechtfertigt. Allerdings bitte ich darum, eines zu berücksichtigen: Gestern ist relativ spontan ein Wiki entstanden, außerdem haben wir eine englische Übersetzung organisiert und mussten uns einen Überblick verschaffen.

Ich gebe aber gern zu: Wir müssen da jetzt mal ran. Wobei es so viele direkte Fragen aus meiner Sicht dort gar nicht gibt (Stand heute morgen).

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TL 8. September 2009 um 14:02

Respekt. Ich finde es gut, daß Macher im Internet hier gemeinsam 17 Thesen (komprimiert) formuliert haben. Damit bekommen die Onlinenutzer eine Stimme. Hoffen wir mal daß sich auch die Verantwortlichen in der Politik und bei den klassischen Medien mit diesen 17 Thesen auseinander setzen.

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Karl Keule 8. September 2009 um 16:40

und schon wieder ein Manifest, von Menschen, die das Wort Manifest wohl falsch verstanden haben und für eine breite Schicht sprechen wollen.
Für das Internet braucht es kein Manifest, es reicht die Beachtung des Grundgesetzes insbesondere des Artikels 5GG. Aber über dieses “Manifest” wird wohl leider diskutiert werden, reine Zeitverschwendung, lasst uns über wichtigere Inhalte reden.

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Thomas Knüwer 8. September 2009 um 18:15

Wo haben wir behauptet, \“für eine breite Schicht\“ sprechen zu wollen? Ach ja, nirgends.

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Andreas Kunze 11. September 2009 um 13:02

Immerhin scheint die Kritik an Google bei Google etwas zu bewirken. Nun ist ein Bezahlsystem für journalistische Inhalte im Gespräch, wobei Google den schönen Satz geprägt hat: Offen muss nicht kostenlosen bedeuten, siehe unter anderem
\“Paid Content: Google will Verlagen helfen\“
http://meedia.de/internet/detail/article/paid-content–google-will-verlagen-helfen_100023153.html?tx_ttnews%5BbackPid%5D=911&cHash=c9b607057c

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Johannes 11. September 2009 um 14:40

@Andreas Kunze
Google beabsichtigt mit diesem Vorschlag lediglich endlich seinem Bezahldienst Checkout zum Erfolg zu verhelfen. Und der Herr Winterbauer hat Recht wenn er in seinem Artikel Folgendes zu bedenken gibt: \“Google würde sich damit freilich zum universellen Kassenwart des Internet aufschwingen. Für manche sicher kein allzu beruhigender Gedanke.\“…

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Milena Findeis 24. September 2009 um 18:16

Das Internet reflektiert wie ein Spiegel: von wem und welcher Form es benützt wird. Die Verantwortung liegt beim Einzelnen, nicht bei einer Regierung, bei einer Institution.

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2020 – Gedanken zur Zukunft des Internets 27. Juli 2010 um 17:43

[…] Dialog geben mit ihm, Döpfner, vielleicht noch anderen Medienvertretern  sowie den Verfassern des Internet-Manifestes, zu denen ich auch gehörte. Es war eine spannende Idee – woraus nie etwas wurde. Das lag […]

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