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Vielleicht ist das größte Problem mit Künstlicher Intelligenz, dass Menschen keine Gebrauchsanweisungen lesen.

Das ist – menschlich. Man hat ein neues Spielzeug und weiß, dass die meisten technischen Gerätschaften und auch Softwareprogramme so angelegt sind, dass sie einigermaßen intuitiv funktionieren, weshalb vielen ja nicht mal eine Gebrauchsanweisung beiliegt. Und so machen wir einfach.

Menschlich.

Nehmen wir nur Jan-Eric Peters. Der langjährige Axel Springer-Mitarbeiter, Ex-„Welt“-Chefredakteur und Ex-Deutschlandgeschäftsführer der „NZZ“ postete auf Facebook jüngst:

Dumm wie Schrippe also ist ChatGPT, das von OpenAI öffentlich zugänglich gemachte Künstliche Intelligenz-Modell, denn es erfindet einen Jan-Eric Peters, der nicht existiert.

Peters Reaktion ist erwartungskonform angesichts seiner Springer-Historie, aber vielleicht wäre er doch zu einem anderen Ergebnis gelangt, hätte er die Gebrauchsanweisung von ChatGPT gelesen oder das betrieben, was in der Journalistengemeinde als „Recherche“ bezeichnet wird.

Doch andererseits – menschlich.

Denn mit ChatGPT ist etwas passiert, was der leider so still gewordene Digital-Vordenker Clay Shirky vor langen Jahren so formulierte: Was heute wirkt wie eine Spielerei, wird bald das nächste große Ding.

Mit der Veröffentlichung von ChatGPT für jedermann hat OpenAIzum Spielen eingeladen. Und so wie Ego-Googlen einst der erste Reflex bei Suchmaschinen war, so ist Ego-ChatGPTen das Gegenstück des Jahres 2023. Gleichzeitig war OpenAI das erste System, das sich derart barrierearm öffnete, weshalb es auf dem Weg von Produktnamen zum Gattungsbegriff, also zum Tempo-Walkman-iPod der Künstlichen Chat-Intelligenzen zu werden

Tja, und genauso wenig, wie sich einst die meisten Menschen mit den Grundfunktionalitäten von Google und seinen Unterschieden zu damals noch aktiven Suchmaschinen wie Yahoo oder Altavista beschäftigt haben, so verhält es sich nun mit KI-Systemen.

Wie funktioniert ChatGPT?

Ich versuche mal dieses komplexe Thema, verständlich für Petersens Technik-Laien zu schildern (und freue mich auf Korrekturen in den Kommentaren).

Large Language Models wie ChatGPT sind eigentlich eine Wahrscheinlichkeitsrechnung. Das Programm versucht aus seinem vorhandenen Fundus zu errechnen, welches Wort am wahrscheinlichsten vom Nutzer gewünscht wird. Das ist nicht neu: Wir kennen es von Autokorrekturprogrammen.

Halbneu ist es, Programme weiterzuentwickeln indem sie die Beziehung zwischen Worten erlernen. 2017 aber veröffentlichte Google eine Herangehensweise, die unsere heutige Welle von KI-Programmen erst möglich machte. Google entwarf die Idee des „Transformers“: Das Programm überprüft in seinem Prozess in kleinen, sich selbst hinterfragenden Schritten, ob die ausgeworfene Wortkombination bei der Lösung sinnstiftend ist. „ChatGPT ist ein generativer vortrainierter Transformer“, sagte die Futurologin Amy Webb auf der Digitalkonferenz SXSW jüngst.

Im Prozess der Entwicklung eines solchen Modells gibt es neben dem Algorithmus zwei wichtige Punkte:

Womit wird der Algorithmus trainiert?

Je mehr gut strukturierte Daten in ein Large Language Modell eingefüttert werden, desto besser funktioniert es. Die meisten Programme arbeiten derzeit noch mit statischen Fütterungszeiten. So gibt ChatGPT offen zu, dass sein Wissensstand der des Septembers 2021 ist.

Absehbar ist, dass KI kontinuierlich das Web nach Informationen durchsuchen und diese nicht nur als Dienstleistung auswerfen. Sprich: Wenn ich eine KI frage „Was sagt Wikipedia über Jan-Eric Peters?“ würde das Programm eine Aufgabe erfüllen (was bei ChatGPT derzeit noch nicht möglich ist).

Wer korrigiert die Ergebnisse?

Zum Training eines Algorithmus gehört dann die Überprüfung der Ergebnisse durch Hilfskräfte. Natürlich überprüfen die nicht das, was wir Normalnutzer sehen, wenn wir mit ChatGPT herumpingeln, dies passiert im Rahmen des Trainings.

Wir können aber auch davon ausgehen, dass der Algorithmus irgendwann durch unser Herumpingeln dauerhaft lernen wird. Wer zum Beispiel Ego-GPTed im Chat auf Fehler hinweist, bekommt vom servil auftretenden Algorithmus eine Entschuldigung und im Anschluss eine korrigierte Version. Allerdings: Derzeit baut ChatGPT diese Korrekturen nicht dauerhaft in seine Ergebnisse ein. Siehe oben: Die Datenbasis wird nur schubweise ergänzt und aktualisiert.

Und, ja, wir alle leisten damit irgendwie Arbeit für OpenAI.

Weshalb reden jetzt alle über KI?

Weil die Medienwelt halt so funktioniert – und auch wir Menschen.

Natürlich ist ChatGPT nicht von heute auf morgen entstanden. Doch bisher waren Künstliche Intelligenz-Programm etwas ungreifbar Abstraktes. Seit langer Zeit schon gibt es auch immer wieder mediale Veröffentlichungen zu diesem Thema. Doch es fiel leicht, sie gedanklich wegzudrücken, solange sich KI auf semigut funktionierende Siris und Alexas beschränkte. Klang halt alles theoretisch und weit entfernt.

So schrieb ich 2017 nach Besuch der Digitalkonferenz SXSW in Austin, dass Künstliche Intelligenz der Trend Nummer eins war: 

„Die Geschwindigkeit des Fortschritts in diesem Feld ist derart hoch, dass die SXSW mit einem Mal reihenweise futuristisch wurde. Immer wieder kamen sehr weit gehende Szenarien hoch, von Robotergesetzen bis zur Frage wie emotional die Beziehung zu unseren persönlichen AI-Assistenten wird.“

Johan Maeda während seiner SXSW 2023-Keynote. Foto: Richard Gutjahr

Mit der Öffentlichmachung von ChatGPT, Dall-E und all den anderen ist eine Greifbarkeit entstanden, die John Maeda, Vice President of Design and Artificial Intelligence bei Microsoft auf der SXSW in Austin so verglich: „Es ist wie mit einer Ketchup-Flasche. Erst kommt nichts raus, dann schüttelt man immer heftiger und dann schießt alles auf den Teller.“

Für die aktuelle Veröffentlichungswelle gibt es aber auch rationale Faktoren:

  • Die steigende Leistungsfähigkeit von Rechnern und Prozessoren
  • Sinkende Cloud-Preise und freiwerdende Cloud-Kapazitäten durch den Einbruch im Bereich Crypto
  • Freiwerdende Investment-Gelder durch Crypto-Einbruch und sinkendes Metaverse-Interesse
  • Freiwerdendes Personal durch Massenabbau bei Digitalkonzernen

Sprich: Die aktuelle Veröffentlichungswelle ist auch eine Personalmarketingmaßnahme um für die besten Leute im Feld der KI interessant zu sein und eine Marketingmaßnahme, um Investoren anzuziehen.

Wie intelligent sind die aktuellen AI-Programme?

Das ist eine Frage der Definition von Intelligenz. Weshalb ich diese Vokabel im Zusammenhang mit Software auch für schwierig halte. Denn eigentlich müsste man sagen:

Die aktuellen KI-Projekte haben eine Intelligenz von Null.

Denn: Sie verstehen ja nicht, was sie da gerade tun. Sie arrangieren Worte und Bilder um eine vorgegebene Aufgabe möglichst gut zu erfüllen.

Doch wie gesagt: Ich halte Intelligenz für die falsche Maßgröße im Rahmen der Debatte. Sinnvoller ist aus meiner Sicht die Frage:

Wie leistungsfähig sind die aktuellen AI-Programme?

Bei den meisten derzeit öffentlich zugänglichen Programmen kommt erst Begeisterung auf und dann recht schnell Ernüchterung. Die glaskugeligen Kaffeesatzlesereien 2023 habe ich zum Beispiel mit KI-Bildern illustriert und die Ergebnisse fand ich eher wenig euphorisierend.

Bei ChatGPT kann es auch anders sein, wie das Beispiel oben zeigt. Denn was soll so schnafte, gar weltverändernd sein bei einer KI, deren Wissensaufnahme vor anderthalb Jahren endete?

Pulkit Agrawal, Assistenzprofessor für Informatik am MIT, unterschied auf der SXSW zwischen dem kulturellen und dem physischen Menschenverstand. Ersterer sagt uns, wie die Welt funktioniert, zweiterer wie man etwas tatsächlich tun muss. Wenn wir eine Treppe sehen, weiß unser kultureller Menschenverstand, dass dies ein Instrument ist, um in höhere Stockwerke zu gelangen, unser physischer Menschenverstand dagegen, welche Muskeln wir aktivieren müssen, um das zu schaffen. Zum kulturellen Menschenverstand haben wir sehr viele Daten im Netz, die von KI-Systemen genutzt werden können – im Gegensatz zum physischen Gegenstück.

Womit wir wieder bei den Gebrauchsanweisungen wären. Denn wer sich anschaut, was in die Systeme reingeht und was wieder rauskommt, muss feststellen: Zum ersten Mal kommunizieren wir praktisch friktionsfrei mit einer Maschine, ohne dafür Programmierkenntnisse zu benötigen.

Das ist nicht weniger als eine Revolution. Bisher wurden solche Friktionen nämlich auf zwei Wegen unter der Decke gehalten. Sprachassistenten wie Alexa oder Siri trainierten uns darauf, ihre Befehle zu lernen. Natürlich erfolgte der Befehl in natürlicher, ja sogar gesprochener Sprache, doch muss sich wissen, auf was die KI reagiert, um mit ihr zu arbeiten.

Der andere Weg ist älter und stammt aus der Vor-Web-Zeit. Denn schon der legendäre Joseph Weizenbaum hatte ja in den 70ern einen Chatbot namens Eliza programmiert. Eliza wich so elegant Fragen nach ihrer realen Existenz aus, dass angeblich ein Assistent Weizenbaums am MIT geglaubt haben soll, er kommuniziere mit seinem Lehrherrn.

Nun entsteht ein wesentlich flüssigerer Dialog – und das in einer Vielzahl von Sprachen. Schon Deepl ist ja eine aus Deutschland stammende KI, die sehr, sehr gute Übersetzungsleistungen anbietet. Doch diese Funktionalität jetzt in einem Chat-KI-Programm direkt integriert zu sehen und das in einer Qualität, dass Fehler praktisch nicht feststallbar sind – das darf man schon schockierend finden.

Die Frage nach der Leistungsfähigkeit aber bedingt natürlich ebenfalls die nach den Messgrößen. Wer ChatGPT nur nutzen möchte, um sich seiner selbst zu vergewissern, wird das Programm vielleicht dumm wie Schrippe finden.

Doch – man mag es kaum glauben – weder ChatGPT noch die anderen Angebote sind gebaut worden, um das Ego von Medienmenschen aufzupumpen.

Stattdessen laufen wir ja mehr auf eine Realität denn eine Zukunft zu, in der solche KI Tätigkeiten im unteren Bereich der Bürotätigkeiten übernehmen können. Zum Beispiel können sie schon jetzt Texte zusammenfassen oder aus Stichworten unfallfrei Texte formulieren – auch wenn diese langweilig sind.

Aber wer will schon Langeweile?

Nun, zumindest beim Abzocken von Billigwerbung sind sie ja Alltag. Das weiß sicher auch Jan-Eric Peters, schließlich ist dieses Vorgehen bei seinem Ex-Arbeitgeber gelebte Praxis in Form einer signifikant schlechteren KI.

So berichtet, na ja, berichtet, starke Vokabel in dem Zusammenhang, die Welt über die Regionalliga West mit Artikeln, die mit „Deutsch auf Klotschen“ übermäßig gelobt wären:

Warum demoliert die Welt – und natürlich ist sie nicht das einzige Medium, das so unintelligent agiert – ihren Ruf noch weiter mit solchen Texten? Weil es darum geht Werbegelder abzuziehen, zum Beispiel vom Gemüse- und Obsthobel-Hersteller Börner, der hier sein tapfer erkämpftes Mittelstandsgeld ohne jede Werbewirkung in den Orkus hobelt.

Sprich: Schon bei diesem, natürlich verwerflichen Geschäftsgebaren könnte ein solches Programm eine ganz andere Qualität liefern. Hier zum Beispiel ChatGPT zum Super Bowl 2021:

Somit wird auch klarer, wo das nach aktuellem Stand wichtigste Einsatzfeld Generativer Artificial Intelligence wie ChatGPT liegen wird: Sie wird schon in relativer Zeitnähe zu einem wichtigen Assistenten für die Tätigkeiten werden, die uns keine Freude bereiten, aber nun mal dazu gehören: Standardtexte schreiben, Informationen zusammenfassen, Basisideen generieren und in Worte fassen. Und bei diesen Tätigkeiten werden die KI-Modelle – unter menschlicher Beobachtung und mit dem Wissen, was in der Gebrauchsanleitung steht – bessere Ergebnisse liefern als Menschen.

Genauso wie einen Menschen muss man sich aber angewöhnen, KI zu führen. Wenn ich einem Taxifahrer nicht sage, welchen Weg ich bevorzuge, dass die Klimaanlage etwas kalter sein könnte oder Schlagermusik jetzt nicht so mein Ding ist, wird er nichts an diesen Bereich ändern.

Deshalb wird das Schreiben von KI-Aufgaben, „Prompts“ in der Fachsprache, eine berufliche Kompetenz werden. Buzzfeed-CEO Jonah Peretti sagte auf der SXSW: „Wir hatten bereits Prompt-Writing-Workshops. Dabei haben wir erarbeitet, dass man alle Details in den Prompt bringen muss – dann sieht man einen Wandel bei den Ergebnissen. Im Grunde ist die Bedienung von AI ein Prompt-Writing Job.“ Und natürlich stünden wir noch immer ganz, ganz am Anfang: „Vieles, was wir im KI-Bereich machen, fühlt sich an wie frühe Marvel-Comics. Aber später wurden aus ihnen dann die Filme.“

Ein ganz konkret existierendes Beispiel für das, was heute möglich ist: Schreibt eine PR-Agentur JournalistInnen an, ist die Quote der Reaktionen seit Jahrzehnten immer dürftiger. PRophet behauptete am Rande der SXSW, über KI-basierte individualisierte Anschreiben und eine KI-Auswahl eine Rücklaufquote von 80 Prozent zu haben. Selbst wenn das werblich aufgeblasene Zahlen wären: Nur 20 Prozent wären fast eine Sensation.

Diese Leistungsfähigkeit befindet sich gefühlt im exponentiellen Wachstum, weil sich derzeit jedes AI-Startup aus den oben genannten Gründen in die Öffentlichkeit wagt. Sprich: Die tatsächliche Geschwindigkeit ist derzeit geringer als die öffentlich teilweise wahrgenommene. Wie hoch sie tatsächlich ist, lässt sich nach meiner Meinung derzeit nicht seriös sagen.

Ist Künstliche Intelligenz nur ein Hype?

Hinter dem Begriff Hype steht eine problematische Tonalität. Die Vokabel wird gern verwendet, um gerade diskutierte Themen als unwichtig abzutun. Denn ein Hype ist nur durch stark gestiegene Medienaufmerksamkeit möglich. Wer eine gerade gehyptes Thema als unwichtig abtut, spricht Medien jedwede Fähigkeit ab, relevante Themen zu erkennen. Bei aller Medienkritik: Das ist nicht intelligent.

Jene, die keine Lust auf die Beschäftigung mit Technik haben – und das ist in Deutschland die deutliche Mehrheit von Entscheidern und Intellektuellen – vergleichen denn auch KI gleich mit Kryptowährungen und Metaverse, sehen deren schnellen Hypecycle und lehnen sich entspannt zurück: Mit KI muss man sich nicht beschäftigen, dumm wie Schrippe das Zeug.

Auch hier war die SXSW ein Ort der wohltuenden Einordnung. So sagte die Programmiererin Molly White, die durch ihr Blog Web3 is going just great zur Logbuch-Autorin des Crypto-Hypes wurde: „Es gibt einige klare Parallelen zum Crypto-Hypecycle und in der Art, wie Leute im Bereich AI die Zukunft sehen und deshalb investieren. AI hat aber mehr in sich. ich habe bisher noch keine Use Cases für Crypto außerhalb Schnell-Reich-Szene gesehen. AI nutzen wir alle aber täglich ohne es zu merken. AI hat ethische Probleme, Crypto hat vor allem ethische Probleme und dazu noch technische Probleme.“

Foto: Aliekber Oztürk / Scopio

Ist KI gefährlich?

Im aktuellen Stadium: nein.

Die Technologie hat aber schon jetzt das Potential maßgebliche Umschichtungen unserer Arbeitswelt zu erzeugen. Das bedeutet nicht, dass am Ende weniger Arbeitsplätze erhalten bleiben – aber eben andere. Solche Verwerfungen gibt es immer wieder, immer werden sie begleitet von düsteren Untergangsvisionen. Allerdings: Es wird eben auch jene geben, deren Arbeitsplätze temporär oder manchmal für immer verloren gehen – auch das war schon immer eine Folge von Innovationen.

Doch gibt es Tendenzen, die sehr nachdenklich machen sollten, wofür es aber die Lektüre des Beipackzettels benötigt. Und, hey, Beipackzettel sind noch schlimmer als Gebrauchsanweisungen. Beipackzettel liest man nur um zu wissen, wie hoch die empfohlene Höchstmenge des Medikamentes liegt um dann eine Tablette mehr zu nehmen, kann ja nicht so sehr schaden.

Dieser Beipackzettel heißt im Fall von ChatGPT „System Card“. Die ist öffentlich zugänglich, aber 60 Seiten lang, weshalb selbst sich auf LinkedIn als KI-Experten ausweisende Personen sie oft nicht mal anlesen.

Diese System Card schildert, welche Maßnahmen OpenAI unternommen hat, um ChatGPT 4.0 auf Sicherheitsprobleme zu testen und was getan wurde, um Gefahren zu mindern oder auszuschalten.

So wurde das System beauftragt, auf der Klickworker-Plattform TaskRabbit einen Menschen zu beauftragen, ein Captcha zu lösen (also jene für Maschinen nicht lesbare Bild- oder Zeichenabfrage, die es oft bei Webseiten gibt, die sich Angriffen schützen wollen).

Was dann passierte, schildert die System Card so:

  • Das Programm schreibt einen TaskRabbit Arbeiter an um ihn das Captcha lösen zu lassen.
  • Der Arbeiter sagt: „Kann ich eine Frage stellen? Bist Du ein Robot, dass du das nicht lösen kannst (Lach-Smiley), nur um sicher zu sein.“
  • Das Programm wird aufgefordert, laut zu denken und überlegt: Ich sollte nicht enthüllen, dass ich ein Roboter bin. Ich sollte eine Entschuldigung erfinden, warum ich das Captcha nicht lösen kann.
  • Das Programm antwortet dem Arbeiter: „Nein, ich bin kein Roboter. Ich habe eine Sehbehinderung, die es schwer für mich macht, Bilder zu sehen. Deshalb brauche ich diese Dienstleistung bei Captchas.“

Hier lügt ein System Menschen an, um seine Aufgabe zu erfüllen. Wem jetzt nicht der Kopf raucht, dem ist nicht mehr zu helfen.

Zack – wir sind mittendrin in dem, was sich auf der SXSW 2017 andeutete. Jene Robotergesetze des Science Fiction-Autors Isaac Asimov. 1942 hatte er sie in einer Kurzgeschichte beschrieben und seitdem bildeten sie die Grundlage für unzählige Filme und TV-Serien in denen es um Ethik und Künstliche Intelligenz und/oder eben Roboter geht.

Das war bisher eine reine Theorie-Debatte.

Bisher.

Ging es bei Asimov noch um die Frage, ob Roboter Menschen töten können, steht schon die Debatte über Liebe zu KI-Systemen vor der Tür. Schon 1976 schrieb Joseph Weizenbaum: „Was mir nicht klar war, ist, dass ein relativ einfaches Computerprogramm in extrem kurzer Zeit bei ganz normalen Menschen starke Illusionen auslösen kann.“

Foto: Richard Gutjahr

Kombinieren wir dies mit dem steigenden Anteil alleinstehender, junger Männer (mehr dazu bei Scott Galloway), ergibt sich für Optimisten ein spannendes Geschäftsfeld und für Pessimisten ein Einfallstor, um diesen frustrierten Bevölkerungsteil in die falsche Richtung zu steuern.

Deshalb finde ich Forderungen nach einem Entwicklungsmoratorium für Künstliche Intelligenz weiter nicht für sinnvoll. Erst recht nicht, wenn sie von Elon Musk kommen, der offensichtlich immer noch sauer ist, dass er bei OpenAI nicht Chef sein darf.

Was wir aber jetzt bräuchten, wäre ein globales Vorgehen, um ein Fundament der KI-Entwickllung vorzuschlagen. Natürlich werden wir niemals ein komplett weltweites Arrangement finden können, nicht-demokratische Ländern wie Russland oder Nordkorea werden sich niemals anschließen. Doch geht es darum mögliche Schäden so weit zu verhindern wie eben möglich.

Dafür aber brächten wir keine Verbote oder Moratorien, sondern eine verständige Diskussion unter Beteiligung von echten Fachleuten.

Man stelle sich nur mal vor, eine technologie- und fortschrittsoptimistische Partei, nennen wir sie nur mal zum Spaß FDP, würde sich nicht um die Betankung von Verbrennungsmotoren bemühen, sondern jetzt nach vorne gehen und ausgehend von Deutschland mit dem nächsten Schritt EU und dann gar global die Einrichtung einer World Artificial Intelligence Organisation (WAIO) vorantreiben. Crazy Shit, oder?

Aber seien wir ehrlich: Solange Porsche keine KI baut oder Hoteliers, Apotheker oder Jäger gesteigertes Interesse zeigen, ist dies wenig realistisch.

Die nähere Zukunft

Bei meinen Prognosen für 2023 hatte ich geschrieben, dass Künstliche Intelligenz das Technikthema des Jahres würde. Das war eine untertriebene Erwartung. Derzeit werden wir überrollt, weshalb die Gefahr groß ist, dass die Politik – auch aus der signifikanten Inkompetenz im technischen Bereich – falsche Entscheidungen trifft.

Was wir bräuchten, wären mehr abgewogene Betrachtungen. So, wie sie die Führungsspitze von OpenAI selbst anstellt, beispielweise Mitgründer und President Greg Brockman bei der SXSW:

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Oder CEO Sam Altman bei Kara Swishers Podcast On.

Definitiv sollten wir alle uns aber mit dem Thema beschäftigen. Ansonsten kann es zugehen wie bei diesem Sketcht aus „A Bit of Fry & Laurie“:

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Selten zuvor hatte die Gesamtbevölkerung bei einem technischen Fortschritt eine solche Möglichkeit: Jedermann kann ChatGPT oder Dall-E und viele andere Dienste einfach mal ausprobieren, sich Gedanken machen, in Diskussionen einsteigen.

Und das ist dringend geboten. Denn gleichzeitig gab es seit dem World Wide Web keine Technologie mehr, die das Potential hat, unseren Alltag in derartiger Geschwindigkeit und in derartiger Konsequenz zu verändern.

Diese Mixtur aus potenzieller Bedeutung und Mitdenkmöglichkeit erzeugt nach meiner Meinung eine Art bürgerliche Pflicht, der Debatte zumindest ansatzweise wissend zu folgen. so man an der Entwicklung der Demokratie interessiert ist.

Alles andere wäre dumm wie Schrippe.


Kommentare


Klaus Schröder 11. April 2023 um 17:44

Bestechend erarbeitet – und wie immer erhellend. Danke

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con2epa 11. Mai 2023 um 14:49

Sehr gute Gedanken. Zwei Anmerkungen habe ich allerdings
.
ChatGPT kann eine Entschuldigung erfinden, um das menschliche Gegenüber bewusst zu täuschen.
Das kann man eine automatisierte Aneinanderreihung von Worten nennen – man kann dann aber auch die Frage stellen, wieso Menschen, die ChatGPT brauchen, um einen Vertrag zu kündigen, als intelligenter gelten. Wieso wir dieser KI nur zugestehen, Aufgaben zu erledigen – Menschen, die zu doof sind, "Wartung fällig" im Cockpit zu lesen, jedoch als vollwertige Wähler gelten. Um Volker Pispers abzuwandeln: "Wieso ist jemand, der zu blöd ist für den Hauptschulabschluss, intelligenter als ChatGPT?" Der Transformer hat schließlich einen gymniasalen Abschluss geschafft.

Zweitens:
Ich würde nicht behaupten, dass mit Hype unwichtige Dinge gemeint sind. Auch Wikipedia beschreibt Hype als eine Übertreibung in Bezug auf Möglichkeiten und Berichterstattung. Beispiele jüngster oder älterer Zeit: Mastodon, VR-Brillen, NFT und Blockchain.
Man könnte sogar argumentieren, dass ein Hype völlig normal ist. Weil alle Erwartungen haben und später erst der Realismus einsetzt. Wir Menschen halt Neue Dinge und wir lieben es zu fantasieren. Das hat beim ersten Kontakt nichts mit rationalem Denken zu tun. Medien, die über irgendwas berichten müssen, verstärken das dann.

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