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Die ehemalige Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel hat einen Artikel für die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben und sich mit der Twitter-Übernahme durch Elon Musk befasst.

Es ist ein langer Text, zwei Drittel eine Zeitungsseite nimmt er ein. Das weiß ich nicht, weil ich Abonnent der „SZ“ wäre, sondern weil Jäkel ein Bild der Zeitungsseite auf ihrem Linkedin-Account veröffentlicht hat.

In der normalen Welt ist dies ein klarer Copyright-Verstoß, aber wie wir ja auch von Axel Springer gelernt haben: Das Urheberrecht gilt für deutsche VerlagsentscheiderInnen nicht – das steht auch so im Gesetzestext und zwar ganz unten im Anhang mit Yps-Zaubertinte in Spiegelschrift geschrieben.

Jäkels Text macht mich kopfschütteln. Denn er enthält etliche Passagen die zeigen, in welcher Welt AltmedienmanagerInnen in Deutschland so leben.

So schreibt sie zu Twitter:

„Gemeinhin gehören die Dorfplätze (auch im Sauerland) der Gemeinschaft und nicht einem Multi-Milliardär, der sich niemals von uns hat wählen lassen.“

Dieser Satz ist auf mehreren Ebenen… nun ja… unterhaltsam.

Denn zunächst ist Jäkel nicht auf dem Dorfplatz, aka Twitter, unterwegs, zumindest nicht unter ihrem Namen. Spinnen wir dieses Wortbild also weiter, so sitzt sie in ihrer Gated Community und imaginiert, was das Dorf wohl gerade so redet.

Dieser Platz also steht für Jäkel stellvertretend für gesellschaftlich wichtige Kommunikationsinstrumente. Dabei gebe ich ihr vollkommen recht, dass Twitter ein solch wichtiges Instrument ist.

Wenn aber gesellschaftlich wichtige Kommunikationsinstrumente nicht in der Hand einer nicht-gewählten, reichen Person liegen sollen – was wird Jäkel wohl schreiben, wenn sie sich erstmal mit Verlagen befasst?

Die öffnen ja nicht nur jedem ihre Tore, so wie das bei Twitter eventuell passieren könnte. Nein, Verlage nehmen aktiv und gerne versteckt Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung – und zwar zu ihren Gunsten. Als Beispiel sei das Lügen für’s Leistungsschutzrecht durch Axel Springer-Chef Mathias Döpfner angeführt. Oder die Stiftung von Jäkels Ex-Arbeitgeber Bertelsmann. Natürlich geht es auch kleiner: In Münster warfen sich die „Westfälischen Nachrichten“ für den teuren Bau einer Musikhalle ins Zeug, weil die Verlegerfamilie der klassischen Muse nahesteht – am Ende musste ein Bürgerentscheid das Projekt bremsen.

Oder nehmen wir jüngst die Abwahl des Frankfurter Oberbürgermeisters: Hier offerierten die drei lokale Zeitungen den Gegnern des OB 90 Prozent Anzeigenrabatt – der Gegenseite jedoch nicht. Nachzuhören ist der Medienskandal im Übermedien-Podcast:

Es wird Jäkel überraschen: Verleger wurden nicht gewählt.

„Der Zustand von Gesellschaft hängt… davon ab, wie einzelne wenige definieren, wie unsere globale Kommunikationsinfrastruktur funktionieren soll“, schreibt sie und angesichts des Lobbyismus der Verlage bei Themen wie Leistungsschutzrecht (wegen dem ich leider nicht auf den „SZ“-Artikel und den im folgenden Absatz erwähnten aus der „Zeit“ verlinke) ist das entweder Selbstgeißelung oder Ignoranz gegenüber der Industrie, in der Jäkel jüngst noch tätig war.

Wenn sie aber nicht möchte, dass solche gesellschaftlich wichtigen Kommunikationsinstrumenten einem Nicht-Gewählten gehören, spricht sie sich für eine Vergesellschaftung aus. Das ist insofern schon interessant, weil sie jüngst in einem Doppelinterview mit Tom Buhrow für „Die Zeit“ eine Verkleinerung des öffentlich-rechtlichen Systems forderte.

Wenn aber solche Instrumente vergesellschaftet werden sollen – dann muss das doch wohl auch für Verlage, Radiostationen und TV-Sender gelten, schließlich wollen wir doch konsequent sein, gelle?

Vielleicht liegt es an ihrer Gated Community-Perspektive, dass die Ausführungen zum Werbemarkt ähnlich unterkomplex daherkommen. Jäkel schreibt:

„Werbetreibende Unternehmen haben Macht… Einen ersten Hallo-Effekt gab es 2020, als im Rahmen der #StopHateForProfit-Kampagne zahlreiche Unternehmen Facebook temporär, aber im großen Stil boykottierten.“

Um es mit einem anderen Hamburger zu sagen, nämlich Dittsche: „Temporär, ne.“

Wie bei Facebook ist nun auch der Twitter-Boykott eine heiße PR-Luftnummer. Denn wer sich ernsthaft jetzt Sorgen macht um Hasskommentare auf Twitter, der hat die vergangenen 10 Jahre unter einem Stein verbracht. Oder in einer Gated Community.

Auf Twitter war die Moderationsqualität schon immer hundsmiserabel. Es ist vollkommen OK, deshalb dort nicht zu werben. Jetzt mit großen Tamtam Etats zurückzuziehen ist nichts als PR. Denn natürlich waren die dort gebuchten Etats noch nie groß und die Wirtschaft befindet sich in der Krise und muss ohnehin sparen.

Sich als Ex-Verlagsentscheiderin als Retterin der Demokratie zu gerieren ist noch dazu höchst wohlfeil.

Auch heute noch werben selbst bekannteste deutsche Marken auf Schwurbler-Seiten und russischen Angeboten. Das tun sie nicht mal böswillig, Das digitale Anzeigensystem ist so komplex geworden, dass es ihnen gar nicht auffällt. Erst jüngst erlebte ich das bei einem bekannten Unternehmen: Als die Entscheider auf eine solche Buchung hingewiesen wurden, fragten sie ihre Mediaagentur – und die konnte sich das auch nicht erklären. Der Grund ist simpel wie komplex: Anzeigenplattformen reichen die Buchung an anderen Plattformen und die an nochmals andere – alles automatisiert. So bleibt es billig bei gleichzeitig gigantischer Reichweite. Und während die erste Plattform noch fragwürdige Seiten ausschließt, ist dieses Blacklisting dann nicht bei der dritten Ebene angekommen.

Auch Julia Jäkel war ja Teil der komplizierten Digitalanzeigenstruktur – und das nicht im Guten. Auch während ihrer Zeit servierten Seiten wie Stern.de oder Brigitte.de ja teils ins Widerliche reichende Billiganzeigen wie die der Plattform Outbrain (übrigens gern auch mal ohne die rechtliche Kennzeichnung „Werbung“):

Fun Fact: Wer auf Sportpirate.de nach dem Foto von Günther Jauchs Tochter sucht, wird natürlich nicht fündig.

Solch einen Scheiß also serviert das qualitätsjournalistische Angebot Stern.de seinen Lesern, die es offensichtlich sehr, sehr hasst. Und natürlich muss sich auch der Hörgerätehersteller Geers fragen lassen, wie wenig Anspruch die eigene Kommunikationsstrategie so hat.

Ganz, ganz viel in Julia Jäkels Text ist geprägt von einer Weltsicht, wie sie in der Filterblase der MedienentscheiderInnen vorherrscht. Man sieht sich als Verfechter der Demokratie, dämonisiert digitale Technik und das, obwohl ein selbstkritischer Blick auf das eigene Tun zur Erkenntnis führen könnte, dass man Teil des Problems ist und nicht Teil der Lösung.

Dies zu diskutieren, darauf haben die handelnden Personen auch keine Lust. In dem Moment, da ich dies schreibe, gibt es unter Jäkels LInkedIn-Posting 237 Kommentare – kein einziger stammt von ihr.


Kommentare


Mehr Musk, Männer am Abgrund und Poldis Traumtor – die Links der Woche vom 4.11. bis 10.11. | Männer unter sich 11. November 2022 um 13:45

[…] durch Elon Musk. Thomas Knüwer hat einen Artikel in der SZ zum Anlass genommen, sich über Elons Musknahmen und die Reaktionen darauf zu äußern, übrigens deutlich differenzierter als ich, was ja auch keine Kunst […]

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