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Am Wochenende erlebte ich einen Moment, den ich schon sehr lange nicht mehr hatte in Bezug auf das digitale Leben.

Freitags erhielt ich eine Einladung zu Clubhouse, einer audiobasierten App, bei der ich seit dem Frühjahr, als sie bereits in der US-Techszene für Wirbel sorgte, auf der Warteliste stand. Nun öffnete sich Clubhouse auch für deutsche Nutzer (oder es entstand der wilde Schneeballeffekt, den OMR nachzeichnet).

An jenem Tag schaute ich schnell drauf, hatte aber arbeitsbedingt keine Zeit. Samstag ein weiterer flüchtiger Blick, aber erst aktiver Sport, dann spielte der SC Preußen Münster.

Sonntag aber lag ich gegen Mittag noch im Bett und hörte einer sehr interessanten Diskussion über digitale Kommunikation der Politik zu. Hörbar irritiert sagte der Moderator: „Und jetzt holen wir mal… Christian dazu. Also… Ist das jetzt der echte Christian Lindner?“

Ja, war er.

Ein paar Minuten kam später kam Dunja Hayali („Ich bin jetzt anderthalb Minuten angemeldet, ich weiß noch nicht, wie das hier so funktioniert.“) hinzu.

Ich sage immer, man kann die Folgen einer Social Web-Technologie erst beurteilen, wenn man am eigenen Leib erlebt, was sie mit einem macht – dies war so ein Moment.

Den Sonntag über explodierte Clubhouse in verschiedenen Filterblasen. Digital-Marketeers, klar, waren vorne mit dabei. Aber eben auch Menschen aus der Politik inklusive Digital-Staatssekretärin Doro Bär. Oder die Weinszene, darunter etliche Winzer und der bestens verdrahtete Weinhändler Nils Lackner von Concept Riesling aus Düsseldorf.

Der Begriff der Explosion ist dabei keine Übertreibung. Während ansonsten entsprechende Dienste innerhalb von zwei Wochen den inneren Zirkel der Digital-Irren, zu denen ich mich auch zähle, durchdringen, schaffte Clubhouse es innerhalb von 3 Tagen schon den zweiten Kreis der Late Adopter (wenn wir sie so nennen wollen) zu erreichen.

Ich glaube nicht, dass es etwas Vergleichbares in Deutschland zuvor gegeben hat.

Was ist Clubhouse?

Clubhouse ist die Idee eines Konferenzraumes, in dem variable Möglichkeiten geboten werden, ausschließlich über Audio miteinander in Kontakt zu kommen. Es ist möglich, Räume vollkommen privat zu öffnen, sie auf die eigenen Social-Media-Kontakte zu beschränken oder sie öffentlich zu machen. Innerhalb der Räume gibt es einen oder mehrere ModeratorInnen, die TeilnehmerInnen sozusagen das Mikro reichen, während andere nur zuhören können.

Das klingt nach Telefonkonferenz, ist aber tatsächlich sehr viel flexibler. Man kann sich eher eine physische Konferenz vorstellen, bei der FragenstellerInnen auch auf das Podium kommen dürfen.

Weshalb ist Clubhouse spannend?

Clubhouse passt in die Zeit

Die Pandemie hilft der Idee von Clubhouse. Um es brutal zu sagen: Wir alle haben uns jetzt auch alles gesagt. Auf der Plattform ist es immens einfach mit anderen und über andere Themen zu sprechen oder auch Menschen wiederzuentdecken, mit denen man länger keinen Kontakt hatte.

Clubhouse ist nicht überladen

Je älter eine Plattform, desto mehr Funktionen bekommt sie. Das ist verständlich, aber nicht immer im Sinne der Nutzer. Auch Twitter begeisterte einst, weil es so simpel war. Clubhouse ist weitestgehend selbst erklären und erfordert keine Ausrüstung über die, die man ohnehin parat hat.

Clubhouse ist NICHT Video

Noch immer ist es für mich ein Wunder, dass ich jederzeit mit wenigen Klicks eine Art Fernsehsendung in die Welt strahlen kann. Jüngere Generationen werden das nicht verstehen, aber ich war in meinem Teenagertagen bei ein paar TV-Sendungen dabei – und was war das für ein Aufwand…

Gleichzeitig limitiert Video. Wenn eine Kamera vor mir eingeschaltet ist, gibt es den Impuls, in ihre Richtung zu sehen. Und das das ist einfach anstrengend. Psychologen sagen, die grassierende Zoom-Fatigue sei auch damit zu begründen, dass wir ständig den Augenkontakt mit der Kamera suchen, obwohl das, was wir sehen sollen, auf dem Bildschirm stattfindet.

Clubhouse ist durch seine Audio-Fokussierung einfacher nebenbei zu verwenden. In dieser Woche werde ich jeden Mittag um 12 spazieren gehen (wir allen bewegen uns zu wenig in diesen Tagen) und dabei limitiert auf 30 Minuten zum Gespräch laden. Bei der ersten Ausgabe waren über 230 Menschen mit dabei und es entstand eine sehr angenehme Konversation.

Clubhouse nivelliert Hierarchien

Auf den meisten Social Media-Plattformen existieren Hierarchien. Auf Facebook, zum Beispiel, zwischen Profilen für Einzelpersonen und Pages für Institutionen; auf LinkedIn kann eine Person entscheiden, ob man sich mit ihr vernetzen oder ihr nur folgen kann; auf Twitter lässt sich einstellen, wer auf einen Tweet antworten darf.

All dies dient vor allem dem Schutz jener Nutzer, die mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als andere: Prominente, Würdenträger, Influencer, wie immer wir sie nennen wollen.

Auf Clubhouse ist im aktuellen Zustand eine moderierte Diskussion auf Augenhöhe möglich. Und das ist eine sehr spannende Option, auf für Unternehmen (siehe weiter unten). Schon jetzt sind mir auch Caro Daur, Mats und Cathy Hummels oder André Schürrle begegnet.

Clubhouse ist Social Social Media

Social Media war die erste Technologie, die als Ökosystem die historische Grenze zwischen Sendungsmedien (wie Zeitung oder Fernsehen) und Kommunikationsmedien wie dem Telefon übersprang. Es war egal, was man tun wollte – die Dienste passten sich an.

Clubhouse bietet für mich eine weitere Graduierung dieses Prinzips. Denn bisher musste sich der Nutzer vorher entscheiden, wieviel Sendung und wieviel Kommunikation er nutzen, beziehungsweise bieten wollte. Auf Clubhouse kann er dies aber im Flug entscheiden und zum Beispiel als rein sendender Redner starten und mit einer vollkommen geöffneten Diskussion enden.

Clubhouse und der Hass

Sehr viele frühe Nutzer in Deutschland sind begeistert ob des zivilisierten Tonfalls auf Clubhouse. Sie ziehen den – aus meiner Sicht falschen – Schluss, dass auf Clubhouse kein Hass aufkommen könne. Denn der Moderator erteilt ja Rederecht und kann dieses auch wieder entziehen.

Einerseits ist diese Hoffnung durch die menschliche Psyche berechtigt. Je weniger anonym wir unterwegs sind, desto weniger ausfallend werden wir. Wir fühlen uns auch anders, wenn wir schriftlich beleidigen, als wenn wir es aussprechen müssen.

Auch die Sicherheitsmaßnahmen von Clubhouse sind interessant: Fragwürdige Nutzer können gemeldet werden, nach etlichen Meldungen fliegen sie von der Plattform. Und: Wer über eine Einladung in der App landete, dessen Einladender wird ebenfalls gesperrt.

Doch ist aus den USA trotzdem von Missbrauch zu hören. So kann ein Nutzer schnell in einen Raum huschen, sich das Mikro schnappen, etwas brüllen und wieder dem Raum entschwinden. Allerdings: Selbst dann könnte er natürlich gemeldet werden. Und natürlich kann man ganz Durchgeknallte nirgends vollständig verhindern.

Wir sollten aber nicht den Fehler machen zu glauben, eine Kommunikation finde nicht statt, weil wir sie nicht sehen. Auf Clubhouse wäre es auch möglich, eine geschlossene, nicht-öffentliche Gruppe von Extremisten zu starten. Doch es wäre nicht einfacher, deren Botschaften über den eigenen Kreis hinaus zu streuen.

Doch droht dem Dienst eine viel schwierigere Diskussion. Anhand von Clubhouse werden wir eine neue Ebene der Debatte um Political Correctness und Cancel Culture führen. Denn inzwischen gibt es so viele Begrifflichkeiten, die gewisse Personen als anstößig empfinden und andere nicht, dass mit einer Welle von Meldungen aufgrund solcher Begriffe zu rechnen ist, obwohl die gemeldete Person jene Tonalität nicht verletzend verwenden wollte.

Clubhouse und Podcasts

Bei all diesen frühen Diskussionen über Clubhouse und auf Clubhouse kommt die Rede immer auf Podcasts und die Frage, ob diese nun gefährdet seien. Zu einem Teil dürfte es so sein, denn ganz nüchtern ist die Zeit für Mediennutzung solange begrenzt, bis jemand die Regeln der Physik außer Kraft setzt. Somit ist es logisch, dass die Zeit für Podcasts sinkt.

Vor allem in einem, in Deutschland sehr beliebten Feld, dürfte dies zutreffen: Laber-Podcasts. Wir haben hier zu Lande zu viele Podcasts, die zwar technisch exzellent produziert sind, inhaltlich aber einigermaßen langweilig sind. Ich könnte mir vorstellen, dass die Nutzung sich stärker fokussiert auf jene Podcasts, die aufwendiger gemacht sind, mit Geräuschen und O-Tönen arbeiten und Geschichten erzählen, die so auf Clubhouse eben nicht möglich sind.

Clubhouse und der Datenschutz

In dieser frühen Phase ist der Datenschutz das problematischste Thema. Nur, wer sein Adressbuch freigibt, kann andere einladen. Das ist aus der kalten Marketing-Denke heraus exzellent gedacht – aus Sicht des Datenschutzes aber ein Desaster.

Deshalb sprießen auch schon die Verschwörungstheorien. So begegnete mir auf Twitter ein Nutzer der behauptete, alle Konversationen auf Clubhouse würde auf die Ewigkeit in den USA gespeichert. Dafür kann ich derzeit keinen Beleg finden.

Ein damit verbundener Punkt: Laut den AGB dürfen keine Clubhouse-Talks aufgezeichnet werden. Doch verhindern lässt sich dies nicht. Ich bin mir sicher, dass es Fälle geben wird, bei denen vor allem prominente Menschen vergessen, dass sie sich in der Halböffentlichkeit des Social Web bewegen und nicht in einem privaten Gespräch.

Clubhouse und Personal Branding

Für Unternehmen zeichnen sich bereits jetzt interessante Einsatzmöglichkeiten ab. Eine davon: Personal Branding von Führungskräften.

Im aktuellen Zustand können Top-Entscheider mit einer hochattraktiven Kommunikationselite ad-hoc und ohne großen Aufwand in Kontakt kommen. Die Mutigen könnten einen Ask-me-anything auf 60 Minuten aufsetzen, die weniger Gewagten eine Diskussion zu einem Fachthema. Letztlich wäre dies Influencer Relations in Reinform. Wie sehr dies noch möglich sein wird, wenn die Plattform wächst? Da wage ich noch keine Prognose.

Clubhouse und Krisenkommunikation

Auch im Bereich der Krisenkommunikation könnte Clubhouse ein spannendes Hilfsmittel sein. Während ein Wachsen des Dienstes in die allgemeine Nutzerschaft im Bereich Personal Branding problematisch werden könnte, liegt dies bei Krisenkommunikation genau anders.

Nehmen wir mal an, Clubhouse würde sich weiter verbreiten. Dann könnte der Vertreter eines Chemieunternehmens, dessen Werk brennt, in einem Raum sehr schnell und flexibel Stellung beziehen und Fragen beantworten.

Clubhouse und das Marketing

Auch für das Marketing bieten sich jetzt schon Chancen, wobei ich in den Nutzer-Guidelines noch keine Beschränkung für Unternehmen gefunden habe (wenn es sie gibt, bitte ich um Hinweis in den Kommentaren).

Einerseits gibt es eine Clubfunktion, die nach einer gewissen Nutzung freigeschaltet wird. Hier ließen sich  Audio-Markencommunities aufbauen oder Clubs zu markenkonformen Themen starten („Kochen für Anfänger, präsentiert vom Maggi Kochstudio“).

Andererseits könnten Unternehmen ihre Influencer- und Testimonial-Aktivitäten verlängern. Denn die Follower/Anhänger jener Kooperationspartner werden es lieben, wenn sie Zeit mit ihren Idolen verbringen können – und sie sogar sprechen. Nicht umsonst sind Meet & Greet ein beliebter Preis bei Gewinnspielen.

Clubhouse und die Zukunft

Ist Clubhouse also dauerhaft heißer Scheiß? Wer behauptet, das jetzt schon beurteilen zu können, lügt – oder hat ein Selbstbewusstsein von Trump’schem Ausmaß.

Denn vergessen wir nicht: Die aktuelle Versionsnummer der App lautet 0.1.24, ist nicht für Android verfügbar, derzeit zählt das Unternehmen 9 Mitarbeiter und es gibt nicht mal ein vernünftiges Logo – da wird noch sehr viel mehr kommen. Die Gründer halten regelmäßig Nutzertreffen ab und beantworten Fragen (was natürlich ohnehin vorbildlich ist). Dort sollen auch schon mehr Moderationstools angesprochen worden sein und die Frage, ob per Nutzungsbedingungen auch das Mitschreiben und Veröffentlichen als Verstoß festgehalten wird.

Natürlich wird sich irgendwann die Frage der Finanzierung stellen. Werbeienblendungen wären natürlich einfach zu machen, auch wenn viele dies vielleicht aufdringlich wäre – im Gegenzug könnte aber der Deal „Monatsgebühr oder Werbung“ hier funktionieren, einfach weil Clubhouse zumindest in dieser frühen Frühphase ein hohes Maß an Bindung entwickelt.

Dies also eine erste Bestandsaufnahme eines Dienstes der aktuell so rasant einschlägt wie nichts, was ich jemals gesehen habe.


Kommentare


Sebastian 18. Januar 2021 um 19:08

Und wenn man sich die Marktanteile Android – iOS anguckt, dann denke ich, das normale Menschen da bis auf weiteres auch keinen Zutritt haben, und sich die ganzen Möchtegerns, "Influencer" und Promis gerne die heiße Luft um die Ohren filterblasen können… 😀

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Barbarossa 18. Januar 2021 um 19:35

Auf Android gibt es auch eine App namens Clubhouse, nur dass das ein Projektmanagement Tool für Unternehmen ist.

Ich war schon irritiert, dass der Login so einfach ist trotz angeblichen Einladungsquark.

Da wird also wohl nix weiter draus werden.

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Thomas Knüwer 19. Januar 2021 um 10:56

@Sebastian: Zu behaupten, "normale" Menschen würden kein iPhone nutzen, finde ich mutig. Sowohl meine 79-jährige Schwiegermutter als auch die Teenager-Schwester einer Mitarbeiterin würde ich als "normal" bezeichnen. iPhones haben weltweit einen Marktanteil von 25%.

Genauso mutig finde ich die Behauptung, dass es für Android-Nutzer (von Ihnen mit "normalen" Menschen gleichgesetzt) "bis auf weiteres" keinen "Zutritt" hätten.

Wir reden hier über eine App im Beta-Stadium. Auf der Homepage sagen die Gründer klar, dass sie eine App für alle bauen wollen. Versetzen wir uns mal in deren Lage: Wie gehe ich vor, wenn ich meinen Dienst kontrolliert skalieren möchte, damit er keine Ausfälle erlebt?

– Ich wähle iOS als Ausgangsbasis, weil ich schon mal die kleinere Grundgesamtheit an Nutzern habe.
– Gleichzeitig finden sich dort sehr viele Nutzer mit hoher Social-Reichweite: das iPhone ist eben ein Statussymbol.
– iOS ist außerdem die uniforme Plattform. Ich muss nicht hier und da nachprogrammieren, weil Samsung ein leicht anderes Android verwendet als Sony.
– Wöhrenddessen arbeite ich im Hintergrund an der Android-Version.

Prognose: Mit der Clubhouse-Version 1.0 wird sich der Dienst für Android öffnen.

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dirk 20. Januar 2021 um 3:57

warum sollte es nicht genauso hierarchien im klubhaus geben? sie werden sich durch eloquente rede und rhetorische finesse wohl herausbilden und oder sind durch die art der user-akquise ja schon angelegt, oder? ich meine… wenn „in“ ist, wer „drin“ ist…
was ist daran sozial und unhierarchisch? und welche türsteher bestimmen das? verbaler audiofick im virtuellen clubhouse?

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Thomas Knüwer 20. Januar 2021 um 9:46

Vollkommen klar, das könnte kommen und ich glaube, es wird auch kommen. In diesem Artikel ist ja nur der aktuelle Stand zusammengefasst.

Unhierarchisch ist aber definitiv die Möglichkeit, über Hierarchien zu kommunizieren. Wer das nicht zulässt, dürfte Hörer verlieren.

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