Skip to main content

Gestern schlug eine Meldung in die deutsche Medienmenschen-Filterblase ein, die bei manchen für Überraschung sorgte: Daniel Drepper, Mitgründer des Investigativjournalismus-Angebots Correctiv und als exzellenter Journalist beleumundet, wird neuer Chefredakteur von Buzzfeed.

Buzzfeed?

Ja, Buzzfeed. Einer Seite, die ein diametral entgegengesetztes Image besitzt. Eine Spaßseite, ein Clickbait-Angebot, das Billigste vom Allerbilligen, weit weg von irgendsowas wie Journalismus. Diese Einordnung ist auch nicht falsch, betrachtet man den heutigen Stand von Buzzfeed Deutschland (aktueller Aufmacher: „19 Dinge, die dir bekannt sind, falls deine Periode total schmerzhaft ist“).

Ist das also überraschend, das mit Drepper?

Nein.

Denn genau dieser Schritt Buzzfeeds enstpricht der öffentlich verkündeten Strategie.

Zweimal saß ich bei der SXSW in Vorträgen von Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti. 2013 bloggte ich darüber unter dem Titel „Rennende Bassetts retten die Medien“. Denn Peretti stellte eine Strategie vor, die im direkten Gegensatz zum Vorgehen der Klassikmedien stand und steht:

  1. Reichweitenaufbau mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner: Entertainment
  2. Deshalb Start mit kleiner, günstiger Mannschaft
  3. Steuerung der Reichweite nicht über Klicks, sondern über Shares im Social Web
  4. Vermarktung der Reichweite
  5. Investition der Einnahmen in weiteren Aufbau
  6. Schalter umlegen: Stück für Stück Top-Journalisten einstellen punktuell lange Investigativ-Stories posten
  7. Anteil der Investigativ-Bemühungen erhöhen

Als die klassischen Medienhäuser  einst im Web starteten, passierte dies mit ihrem alten Anspruch: Qualitätsjournalismus. Einerseits das Verlagskonstrukt, andererseits der eigene Anspruch der Vollabdeckung führte dazu, dass dieser Start mit einem großen Personal- und Kostenapparat erfolgte. Allein: Die Qualität des online gebotenen bewegte sich unterhalb jener der klassischen Angebote. Es entstanden frei fliegende Online-Satelliten, die das Markenbild verschrammten: Spiegel Online ist ganz anders positioniert als „Der Spiegel“. Mit der Ankunft des Social Web verschlimmerte sich das Bild: Viele der Präsenzen sind bis heute nicht handwerklich schwach gesteuert.

2015 sprach Peretti wieder auf der SXSW und zeigte, wie sich die Strategie des Unternehmens verändert hatte. Für das SXSW-Whitepaper von kpunktnull schrieb ich damals:

„Zum anderen will Buzzfeed nicht mehr auf Teufel komm raus im Social Web auf seine Site verlinken. „Wir werden zur globalen Medienmarke nicht durch eine einzelne Site, sondern durch die Inhalte, die wir überall verteilen“, sagte Peretti. So würden explizite Inhalte für Facebook oder Vine geschaffen, statt dort nur Homepage-Content zu verlinken. Der nächste Schritt könnte dann wieder die Vermarktung dieser Kanäle für Native Advertising sein. Gleichzeitig demonstrierte der Buzzfeed-Chef eine tiefgehende Analyse der Nutzerströme und –zusammensetzung quer über alle Plattformen. Längst spielt Buzzfeed damit in einer anderen Welt als deutsche Verlage. Den mit uns reisenden Medienjournalisten fiel nicht einmal eine Redaktion ein, die ein Social Media Monitoring-Tool nutzt.

2013 sagte der jüngst verstorbene Medien-Starjournalist David Carr von der „New York Times“ in Austin: „Vielleicht müssen wir damit leben, dass unser Geschäft dauerhaft kleiner ist.“ Zwei Jahre später haben US-Medien das „vielleicht“ gestrichen.““

Sollten Sie Interesse am kpunktnull-Whitepaper zur SXSW 2017 haben, registrieren Sie sich bitte unter diesem Link.

Wie schwer es ist, sich in eine solch fremdartige Strategie einzudenken, zeigen einige Reaktion auf Dreppers Berufung:

„Tagesspiegel“:
„Dass der 31-jährige Wächterpreisträger nun zu „BuzzFeed“ wechselt, überrascht – fällt die deutsche Ausgabe der amerikanischen Online-Plattform bisher doch eher durch reißerische und mitunter etwas seltsame Listicles à la „18 bizarre Sexspielzeuge, die dich echt etwas mitnehmen werden“ oder „61 peinliche Gedanken, die du beim Bikini-Waxing hast“ auf.“

Turi2:
„Kein Aprilscherz“

DWDL:
„Der deutsche „BuzzFeed“-Ableger könnte in naher Zukunft an Relevanz gewinnen.“

Relevanz? Relevanz für wen? Offensichtlich den Journalisten. Denn wie erfolgreich Buzzfeeds deutsche Site ist, lässt sich leider nicht sagen. Aufgrund der Seitenarchitektur lässt sich die Zahl der Seitenabrufe nicht über einen Dienst wie Similarweb ermitteln. Allerdings: Auf Facebook hat das Angebot rund 370.000 Likes gesammelt, der sichtbare Teil des Engagements ist bemerkenswert. Offensichtlich also haben die bisherigen Angebote für eine bemerkenswerte Menge von Menschen Relevanz.

Deshalb ist die Personalie Daniel Drepper nicht nur für die Wasmitmedien-Macher interessant: Hier tritt ein US-Unternehmen an, den oft so starren Medienmarkt in Deutschland ein Stück aufzubrechen – und zwar mit Qualitätsjournalismus.


Keine Kommentare vorhanden


Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*