Im vergangenen November wohnte ich einem ernüchterndem Schauspiel bei: dem Deutschen Marketing-Tag in Leipzig. Seit meiner Selbständigkeit bin ich Mitglied des Marketing-Clubs Düsseldorf und jener Marketing-Tag ist sozusagen das übergeordnete, jährliche Branchentreffen.
Ernüchternd waren vor allem die digitalen Themen. Wenn sich die selbst erklärte Elite des deutschen Marketings trifft, erwarte ich ein entsprechendes Niveau. Leider aber spiegelte sich auch in Leipzig wider, dass sehr viele deutsche Marketing-Verantwortliche nicht einmal daran interessiert sind, digitale Themen in die Tiefe zu diskutieren.
Zum Beispiel eben Content Marketing. Das ist – irgendwie alles. Man mag sich nicht stören lassen, bei der Bejubelung dieses Begriffs, alle machen natürlich Content Marketing und natürlich schon immer, nein, IMMER. Denn Werbespots sind Content Marketing, Homepages und Pressemitteilungen. Die Marketing-Chefin Deutschland des Strumpfhersteller Triumph erklärte mal flux, auch das Gespräch der Kaufhausverkäuferin mit der Kundin sein auch Content Marketing.
Nun gab es ein Online-Tool, mit dem die Zuhörenden Fragen stellen konnten. Ich fragte also schlichte alle Redner, welche Definition sie denn für Content Marketing hätten. Antwort, beispielsweise von Accenture: Irgendwie sei ja alles Content Marketing, da brauche man doch keine Definition.
Das meine Meinung da anders ist, habe ich hier vor Jahren schon geschrieben. Zur Sicherheit nochmal unsere Definition von Content Marketing bei kpunktnull:
„Content Marketing ist die Erzeugung, Kuratierung und Distribution relevanter Inhalte einer klar definierten Interessenszielgruppe um sie als Kunden zu binden oder zu gewinnen. Im Idealfall handelt es sich um ein Inhaltefeld, das gar nicht oder aus Sicht der Zielgruppe nur unzureichend durch andere Anbieter abgedeckt wird. Der direkte Vertriebsaspekt tritt dabei oft in den Hintergrund.”
Nun klagen derzeit ja auch noch viele Agenturen, dass sie im Preis gedrückt, dass Kunden die Qualität ihrer Leistung nicht anerkennen würden. Aber kann das verwundern? Wer beispielsweise einfach alles zu Content Marketing erklärt, über den wird dann schnell gemunkelt, er verkaufe alten Wein in neuen Schläuchen – und das macht ihn nicht seriöser.
So erklärt sich aus dieser Gemengelage vielleicht auch, dass derzeit deutschen Content Marketing-Projekten die immer gleichen Fehler auftauchen. Hier die aus meiner Sicht 5 beliebtesten Fehler.
1. Fehler: Content Marketing wird nicht definiert
Wer einfach alles zu Content Marketing erklärt, schafft sich ein Problem vom Hals: Wenn der Vorgesetzte fragt, ob man schon bei diesem heißen Scheiß dabei ist, kann man begeistert ausrufen: „Ja, klar!“. Gleichzeitig aber beginnen in Großunternehmen die Grabenkämpfe. Wenn ein TV-Spot Content Marketing ist, will die Digitalabteilung mitreden. Und überhaupt: Wie wird dann der Erfolg gemessen und wer darf ihn für sich verbuchen?
Vor allem aber gibt es ja Gründe, warum die Marketing-Welt über dieses Content Marketing redet. Es ist die logische Folge aus der Erkenntnis, dass viele Marken nicht wissen, über was sie mit Kunden außerhalb ihrer Produktwelt kommunizieren sollen. Gleichzeitig verlangen das Social Web und Google nach Inhalten. Schließlich sind die Menschen bereit, einen Teil ihrer Medienkonsum-Zeit für Unternehmensinhalte zu verwenden – wenn diese ihnen einen Mehrwert liefern. Und diese Vorstellung ist natürlich verlockend.
Ein Beispiel für den Versuch, Content Marketing ohne Definition zu machen ist das Onlinemagazin Footprints des Sockenherstellers Falke. 6 programmiererisch schlecht gelöste Ausgaben mit dem Thema Stadtreisen gibt es. Doch wer sich für Stadtreisen interessiert, der erfährt wenig Neues. Und ohnehin sind die Interessen und Vorlieben derjenigen, die nach New York oder Amsterdam reisen, derart divergent, dass ein solches Magazin all diese Bedürfnisse gar nicht abdecken kann. Mal abgesehen davon, dass die gezwungen platzierten Strumpfthemen völlig deplatziert wirken.
Falke hätte sehr viel spitzer spezifische Interessenszielgruppen definieren müssen und für diese spezielle Inhalte schaffen. Ob allerdings das ohnehin schon breit besetzte Thema Stadtreisen überhaupt die Chance bietet Gehör zu finden, bezweifele ich.
2. Fehler: Content Marketing ohne Content-Qualität
Wer sich für ein Thema interessiert, baut Stück für Stück Wissen auf. Bekommt er dann Inhalte geliefert, die deutlich unterhalb seines Wissensniveaus liegen, ist er raus. Beispiel: Fußballfans würden sich bedanken, bekämen sie in jedem Spielbericht Abseits, Viererkette oder Pressing erklärt.
Will eine Marke Inhalte für eine Interessenszielgruppe liefern, muss sie deren Interessen und ihren Wissensstand kennen und entsprechend kompetente Texte, Töne und Bilder liefern.
Ein Beispiel, wie das nicht funktioniert lieferte im Herbst die Sportlernahrung Science in Sport (SIS). Sie zielte Facebook-Werbung auf Läufer mit einem generösen Angebot: Wer seine E-Mail-Adresse überlieferte (im Gegenzug für die Aufnahme in den Newsletter), der bekam ein Dutzend Lauf-Gels frei Haus – immerhin ein Gegenwert von 20 bis 30 Euro.
Der Haken: der Newsletter. Denn wer solche Gels schluckt (und lecker ist das bei praktisch keinem Anbieter), der meint es ernster mit dem Laufen und muss sich deshalb mit dem Thema Ernährung beschäftigen. Der Newsletter war jedoch verfasst wie für jemand, der all dies noch nie gehört hat, hier ein Auszug:
Wenn eine Marke in ihrem unmittelbaren Kompetenzgebiet Intensivanwendern keinen Mehrwert liefern kann, versandet nicht nur das Content Marketing – es könnte sogar die Wahrnehmung der Marke schädigen.
Und gleichzeitig sind wir beim nächsten, typischen Fehler im Content Marketing.
3. Fehler: Aggressiver Vertrieb schadet dem Content Marketing
Wir stellen uns vor: eine Party. Wir unterhalten uns im kleinen Kreis, ein Fremder Mit-Gast stellt sich hinzu. Und dann bringt er sich ein mit den Worten „Ich bin übrigens Versicherungsvertreter. Wenn sie also mal eine Versicherung brauchen – ich bin Ihr Mann“, woraufhin er eine Visitenkarte in die Runde reicht.
Finden wir das sympathisch?
Nö.
Es ist genau dieses Verhalten, das wir nicht in unseren Reihen wünschen. Doch SIS benimmt sich exakt so, wenn es die scheinbar neutrale Information gleich mit einem aggressiven Verkaufstip paart. Aus diesem Grund enthalten auch die Texte auf Schwarzkopf.de, das wir 2011 umsetzten, keine Hinweise auf passende Produkte – diese finden Nutzer abgesetzt unterhalb der Artikel.
4. Fehler: Keinem erzählen, dass man Content Marketing macht
Ganz, ganz selten passiert es mal, dass eine Werbung geschaltet wird, die ihren Absender nicht auflöst. Entweder erfolgte diese Auflösung dann später (so wie bei Opels „Umparken im Kopf“) oder sie ist nicht nötig, weil die Bildsprache der Marke so ikonographisch geworden ist, dass die Zielgruppe weiß, worum es geht.
Absolut nicht der Fall ist das jedoch bei Projekten wie Gamez, einer Seite, die sich an Videospieler richtet. Ob die Inhalte eine entsprechende Qualität mitbringen, mag ich selbst nicht zu beurteilen. „Nicht schlecht“ lautete das Urteil eines Gamers, den ich fragte. Und „nicht schlecht“ wäre ein Anfang.
Nur: Wer steckt denn hinter Gamez?
Wer das in Erfahrung bringen will, muss schon ganz nach unten scrollen. Verschämt versteckt sich dort der Absender: Media Markt.
Dieses Vorgehen zeugt von tiefen Selbstzweifeln, von einem Mangel an Vertrauen in die eigenen Markenstärke. Marketingverantwortliche die so vorgehen, halten die eigenen Marke für gehasst und stellen ihrer eigenen Arbeit damit die Note 6 aus.
Content Marketing ist ja nur deshalb überhaupt möglich, weil Verbraucher keine Probleme mit Marken und Unternehmen haben. Wenn sie zumindest gelegentlich die Produkte eines Unternehmens kaufen oder seine Dienste in Anspruch nehmen, dann finden sie dieses Unternehmen nicht total – verzeihen Sie das Wort – scheiße. So masochistisch ist niemand (es sei denn, es handelt sich um einen Monopolisten). Stattdessen gestehen sie dieser Marke oder diesem Unternehmen ein akzeptables Maß an Kompetenz in ihrem/seinem Gebiet zu.
Deshalb wäre es vollkommen unproblematisch, würde Media Markt über Gamez sein Logo fett drüber setzen. Schließlich verkauft die Metro-Tochter ordentlich Spiele, möchte ich annehmen.
Natürlich gibt es noch eine Ausrede der Markenverschwindenlasser: Sie behaupten, auf solchen Seiten ließen sich die Nutzerströme analysieren, um daraus Schlüsse zu ziehen. Das ist nicht falsch. Nur: Dann ist die Maßnahme rausgeworfenes Geld. Solch ein Content Marketing ist teuer (Content Marketing ist ohnehin nicht billig). Mit den Summen, die ein Projekt wie Gamez verschlingen, ließen sich unabhängige Blogs und Seiten genauso zu Kooperationen überreden. Und dann bekäme das Unternehmen reale Nutzerwanderungen und nicht künstlich erzeugte.
5. Content Marketing als Lösung von Unternehmens- und nicht von Kundenproblemen
Ganz frisch im Netz ist Travel.me, ein Angebot des Reiseveranstalters TUI. Hier mischt sich das Problem der fehlenden Definition mit dem Glauben, dass man quasi als Abfallprodukt der eigenen Aktivitäten noch ein wenig Content Marketing machen könnte.
Faktisch ist Travel.me nämlich ein Social Media Newsroom. Die Seite sammelt sich aus all den vorhandenen, unternehmensinternen Inhaltequellen einfach alles ein – vom Instagram-Account von TUI Deutschland über dein Blog von Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten bis zum Youtube-Kanal von Exodus-Travel.
„Horizont“ bezeichnet Travel.me als „weltweites Branded-Content-Portal. Der Hub „Travel.me“ aggregiert die Inhalte von rund 600 Social-Media-Kanälen der TUI-Marken auf einer gemeinsamen Plattform. Das Unternehmen erhofft sich davon neue Synergieeffekte.“
Diese Formulierung zeigt sehr schön den Denkfehler. Das Angebot dient nicht der Befriedigung von Kundenwünschen. Es ist nur der Versuch, möglichst kostengünstig alles zusammenzupappen. Ist es eine bösmeinende Vermutung, dass da eine Führungskraft einen Überblick über die Aktivitäten aller Konzerntöchter haben wollte?
Solch ein Social Media Newsroom ist komplett uninteressant für die Allgemeinheit. Hier jedoch ist er auch noch Ausdruck des Problems der Reisekonzerne: Deutsche Inhalte, englische Inhalte, biedere Luxus-Kreuzfahrten, Camping auf dem Inka Trail – die vollkommen beliebig zusammengeworfenen Inhalte zielen nicht auf eine bestimmte Interessenszielgruppe, weshalb sie niemand interessieren werden. Das .me am Ende des Namens ist da Hohn: Es geht nicht um den Einzelnen – ganz im Gegenteil. Und genau daran krankt ja die Branche: Individuelle Angebote gibt es kaum noch, nach dem Baukastensystem werden Standardbestandteile zusammengepappt, eine Dienstleistung, die eben auch jeder Reisende selbst erfüllen kann.
Die operative Ausführung Travel.me ist ebenfalls wenig hilfreich: Die externen Inhalte werden mit einem aufpoppenden Fenster erstmal angedroht, das Einführungsvideo ist auf Youtube einerseits nicht gelistet, andererseits ohne Ton.
Auch für diese herausragende Fehlleistung wird TUI eine logisch klingende Erklärung haben, die mutmaßlich interne Gründe hat. Aber genau da ist der Haken: Sobald Begriffe wie Synergien fallen, wird Content Marketing sehr, sehr schwer. Wer bei der Flut von Inhalten im digitalen Raum Erfolg haben will, der muss eben richtig, richtig gut sein. Und die Qualität seiner Arbeit bemisst sich eben nicht an dem, was dem Unternehmen gefällt – sondern allein daran, was die von ihm avisierte Zielgruppe als hochwertig empfindet.
Diese fünf Fehler tauchen bei deutschen Content Marketing-Projekte immer wieder vor. Es wäre schön gewesen, das in Leipzig zu diskutieren. Doch auf so etwas hatte der Deutsche Marketing-Verband keine Lust: Nachdem im Fragen-Tool (und damit auf der Leinwand im Raum) über die Frage diskutiert wurde, ob man eine Definition braucht, wurde das Tool abgeschaltet – in allen Räumen und für den gesamten Rest des Tages.
Kommentare
Kevin Fiedler 30. Januar 2017 um 10:55
Hallo Thomas,
ein toller Artikel. Ich finds vor allem immer dann schlimm, wenn das Thema halbherzig angegangen wird…weil dann kann man es auch direkt lassen. Und das sieht man noch viel zu oft heutzutage.
LG,
Kevin
Heiko – SEOCouch 7. Februar 2017 um 11:09
Hallo Thomas,
die Erfahrung die ich in den letzten Jahren im Zusammenhang mit Content-Marketing (CM) gemacht habe ist die, dass sich die Unternehmen keine (messbaren) Ziele setzen. Zudem ist der Projekterfolg ist immer noch ganz oft mit Hoffen & Bangen verbunden. Außerdem wird bei vielen Verantwortlichen CM nicht als sich zu entwickelnder und optimierender Prozess, sondern als Projekt gesehen. Wirklich traurig, wenn man überlegt wieviel Investitionen teilweise getätigt werden.
Thomas Knüwer 7. Februar 2017 um 16:23
@Heiko: Interessante Erfahrung – das ist bei uns definitiv anders. Unsere Kunden wollen immer klare KPI setzen.
Heiko SEOCouch 8. Februar 2017 um 11:42
@Thomas: Das freut mich. Natürlich bestätigen auch Ausnahmen die Regel ;o)
Wenn wir unseren Kunden oder Interessierten das Thema näher gebracht haben und den Wert von KPIs vermittelt haben, wollen sie es auch. Denn am Ende muss jeder Stakeholder jemanden „etwas“ reporten und was macht sich da besser als „nackte Zahlen“?