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Diese Woche ist eine historische für digitale und mobile Technologie in der Welt. In einigen Jahren wird man von der Zeit vor und nach dem 6. Juli 2016 sprechen, geht es um digitale Geschäftsmodelle, Augmented Reality oder Mobile-Anwendungen.

Warum? Wegen Pokémon Go.

Der Dienst verbreitet sich derzeit so schnell wie kein anderer in der Geschichte der Menschheit und wer mit offenen Augen durch deutsche Großinnenstädte spaziert, der bemerkt die Veränderung. Überall stehen oder sitzen Menschen und schauen in ihre Handys, drehen sich, wischen auf dem Display. Zum Beispiel hier am Dienstag auf der Düsseldorfer Kö:

All diese Mensch spielen Pokémon Go. Wer die vergangenen Tage in einem Marriott-Hotel verbrachte und weder Mobilnetz hatte, noch die absurden Wlan-Preise bezahlen wollte: Aus dem Uralt-Videospiel Pokémon ist ein Mobile-Spiel geworden, mit dem man per Augmented Reality Pokémon-Tierchen überall in der Welt fangen kann und mit ihnen Kämpfe simulieren kann. Weitere Details gibt es bei Wikipedia. 

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Und dabei muss man wissen, dass Pokémon Go erst acht Tage alt is. Es ging am 6. Juli in den USA und Australien online, erst am 13. folgte unter anderem Deutschland – doch schon ab dem 11. konnte man in Düsseldorf überall in der Innenstadt Spieler sehen.

Doch was macht dieses Pokémon Go so besonders? Und was verändert es? Hier einfach mal ein paar Gedanken mit der Bitte um Diskussion.

1. Ein Spiel sorgt für Bewegung

Die handelsübliche Distopie, zum Beispiel die Romanserie Perry Rhodan, zeichnet gern das Bild von überzüchteten Gesellschaften, in denen die Menschen (oder andere Rassen) spielend vor Bildschirmen verfetten. Pokémon Go dreht dieses Prinzip um: Die Menschen spielen – und müssen dafür rausgehen. Nicht nur, um Tierchen zu finden, Kämpfe auszutragen oder Gegenstände einzusammeln, sondern auch um Eier auszübrüten. Die bekommt man immer mal wieder und das Ausbrüten ist mit bestimmten Kilometerleisten verbunden, die mit dem Schrittzähler vermessen werden – und das kann bis zu 10 Kilometern gehen. „Die Jugend geht wieder raus – aber anders als man sich das gedacht hat“, sagte mir gestern Tincon-Mitgründer Johnny Haeusler.

2. Popkulturelle Nostalgie fördert das Marketing

Es gibt einen Vorläufer von Pokémon Go namens Ingress. Schon der war spannend und sorgte für Interesse – doch nicht mal ansatzweise war die Entwicklung vergleichbar mit dem, was wir nun sehen. Ein bedeutender Faktor dabei ist die Marke Pokémon. Eine ganze Generation ist mit den Tierchen groß geworden und selbst anderen, zum Beispiel älteren Säcken wie mir, ist zumindest die Optik bekannt – egal ob aus dem Web oder der Losbude auf der Kirmes, wo es Pokémon-Figuren zu gewinnen gab.

Das zeigt, welche Bedeutung die Popkultur heute hat. Ikonen einer gewissen Zeit verschwinden nicht mehr, sondern bleiben in den Köpfen erhalten und können deshalb jederzeit wieder aktiviert werden. Auch, weil wir nun eine Elterngeneration haben, die selbst mit solchen Ikonen groß wurde: Jim Knopf, Captain Future oder Knight Rider, um nur einige zu nennen.

Wenn Unternehmen sich mit diesen Ikonen verbinden, verschaffen sie sich einen Vorsprung. Denn die Generation, die mit ihnen groß wurde, fühlt sich durch eine erneute Verwendung verstanden und mitgenommen. Deshalb könnte ein Marketing, das mit der Popkultur-Nostalgie arbeitet viel erfolgreicher und effizienter sein als der Einsatz zeitgenössischer Promi-Testimonials.

3. Augmented Reality geht auch zum Spaß

Bei den Unterschieden zwischen Virtual Reality (also dem Abtauchen in eine eigene Welt) und Augmented Reality (der Ergänzung der Kohlenstoff-Welt mit Daten) war bisher eine Aufteilung dominant: VR ist stark verknüpft mit dem Thema Spielen, AR hingegen mit beruflichen Anwendungen wie der Maschinenwartung.

Nun beobachte ich eine steigende Zahl kritischer Stimmen im Bereich Virtual Reality. Das kann natürlich daran liegen, dass ich selbst auch eher skeptisch bin, ob diese Technologie dauerhaft Erfolg versprechend ist, die Gründe können Sie hier nachlesen. Die interessantesten VR-Anwendungen habe ich bisher noch im beruflichen Umfeld gesehen, zum Beispiel das Betrachten einer noch nicht gebauten Wohnung.

Und nun sehen wir eine AR-Anwendung im Spielebereich, die eine echte Erschütterung auslöst. Könnte es sein, dass es sich mit diesen Reality-Technologien anderherum verhält, als man größtenteils angenommen hat?

4. Der Durchbruch für Location Based Services?

Seit Jahren versuchen ortsbasierte Dienste den Massenmarkt zu erreichen. Geklappt hat es bisher nicht wirklich, abgesehen von Kartenservices wie Google Maps. Seit Jahren auch rumort in Menschen, die viel mit dem Netz zu tun haben, das Gefühl, dass sich dies ändern wird.

Wie so oft, wenn es um Daten geht, und es geht hier um Daten, wollen die Menschen einen gefühlten Nutzen von der Preisgabe ihrer Informationen erhalten. Und anscheinend ist die Teilnahme an einem gut gemachten Spiel ein solcher Nutzen.

Schon bei anderen digitalen Funktionen haben wir erlebt, dass die Gewöhnung an eine bestimmte Tätigkeit und die Beobachtung, dass diese Tätigkeit sozial nicht geächtet wird, dazu führt, dass jene Funktion sich verbreitet: Mal waren dies Selfies, mal das Fotografieren von Essen, dann wieder das Schreiben einer Hotelkritik. Deshalb besteht eine gute Chance, dass Pokémon Go ortsbasierte Dienste hoffähig macht und so diesen Markt für die Masse öffnet.

Das hätte dann auch maßgebliche Folgen für das Marketing. Denn schon lang träumen Händler und Gastronomen ja davon, mit solchen Diensten Menschen in ihre Dependancen zu locken. Doch alle Ideen scheiterten bisher vor allem an einer mangelnden, kritischen Masse. Nun könnte man sie wieder aus den Schubladen holen.

5. Deutschlands Medien werden digitalsensibler

Vor zwei Wochen berichtete die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ über den Chat-Dienst Slack und erklärte ihn zum „neuesten“ Ding. Klar, es gibt ihn ja auch erst drei Jahre, das ist für die „FAS“ dann superneu.

Bei Pokémon Go ist es anders. Gefühlt ab dem Dienstag waren Deutschlands Medien voll von Geschichten über das Spiel – von „Handelsblatt“ bis „Bild“. Zwar beschränkten sich diese oft auf eine anekdotische Ebene oder einen Selbsttest der „jungen Kollegen“. Doch das ist ein Fortschritt und macht Hoffnung: Vielleicht dürfen die „jungen Kollegen“ demnächst auch mal mehr und früher über Tech-Themen insgesamt schreiben.

Leider gab es aber auch wieder Autoren, denen bei Pokémon Go nichts anders einfiel als Datenschutz-Warnungen. Selbst das sonst wenig dystopische „t3n“ erklärt das Spiel allen Ernstes zur „Katastrophe“ und malt das Bild regelmäßiger Überfälle von Nutzern (natürlich Kindern) an den Pokestops – so viel Hysterie bleibst sonst erheblich konservativeren Medien vorbehalten. Aber keine Sorge: Die werden schon noch nachziehen. TV-Sender brauchen zum Beispiel einfach länger für ihre Beiträge und müssen sich ja an Sendezeiten halten.

6. Deutschland kann und will sich für Digitaldienste begeistern

Diesen Text tippe ich in der Business Lounge des Leipziger Flughafens. Sobald ein Pokémon hier auftaucht, sollen wir der Dame am Eingang bescheid sagen – sie würde gern mal sehen, wie das aussieht. Nein, die superfreundliche Lufthansa-Mitarbeiterin spielt selbst noch nicht. Doch das kann sich bald ändern.

So geht es vielen in Deutschland, das ist auf den Straßen zu sehen. Nicht nur Teenager wischen und schwenken da ihre mobilen Endgeräte, ebenso Studenten und (optisch) Berufstätige. Und damit unterscheidet sich das Verhalten der Deutschen überhaupt nicht von dem der Menschen in anderen Ländern. Vielleicht ist Pokémon Go also ein Indiz, dass wir unsere massiven Digital-Rückstände gegenüber praktisch allen anderen Industrienationen wenigstens in der Mentalität abbauen.

7. Pokémon Go wird Druck auf Mobilfunk machen

Schlechte Datenleitungen sind schon jetzt ärgerlich, doch haben sehr viele Menschen außerhalb der Digitalirren-Filterblase sich irgendwie damit arrangiert. Pokémon Go aber braucht gute Datenverbindungen. Deshalb wird das Spiel vielen klarmachen, wie schlecht die Mobilfunk-Versorgung (und die Abdeckung mit Wlan-Hotspots) in Deutschland ist – und dass, was Mobilfunk-Konzerne als Flatrate bezeichnen, tatsächlich genau das nicht ist.

Ob das Auswirkungen hat, bleibt abzuwarten. Vermutlich aber werden zumindest die Kundenzufriedenheitsumfragen bei den Telekomikern noch weiter fallen. Denn seien wir ehrlich: Die meisten Menschen, zumindest in meiner persönlichen Umgebung, hassen ihre Telekom-Anbieter. Doch gibt es eben auch keine Alternativen.

Gleichzeitig appliziert Pokémon Go einer andere Branche Dollarzeichen in die Iris: Zusatzakkus für Handys werden sich verkaufen wie nichts gutes.

8. Die Welt ist vernetzt – und lässt sich nicht entnetzen

Obwohl Pokémon Go nicht in Deutschland erhältlich war, streiften schon reichlich Spieler durch die Straßen. Das zeigt wie unsinnig geographische Beschränkungen medialer Inhalte sind: Die Nutzer sind gewohnt, die zu umgehen – und sie wissen, wie das geht.

Und genauso sprechen sich spannende Innovationen in einer nie gekannten Geschwindigkeit herum – und das rund um den Globus. Solche Trends zu verfolgen ist sehr anstrengend – und hoch spannend.

Das mal meine ersten Gedanken zu einer Technologie, die ich für historisch halte. Es kann sein, dass der Wirbel um Pokémon Go in einigen Wochen wieder verebbt. Doch die Vergangenheit hat immer gezeigt, dass etwas bleibt. Beispiel Tamagotchi: Die Mechanismen des Pflegehuhns beeinflussten maßgeblich Farmville, Farmville begründete eine Spielekategorie, die noch heute floriert. Und deshalb ist die spannendste Frage für mich, was von Pokémon Go bleibt, wenn die erste Hitze sich abgekühlt hat.


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