Ziemlich verrückt, dieses Internet. Denn rund um diese Technologie gibt es Massenbewegungen, die ein genaueres Hinschauen benötigen, um sie zu verstehen. Heute, zum Beispiel, erklärt Christoph Salzig, wie ein Münsteraner Steuerberater auf fast 350.000 Twitter-Follower kam. Ein lustiges Anekdötchen aus den Schützengräben der miesen Social-Media-Marketing-Tricks – denn jener Steuerberater ist völlig unschuldig.
Vor einigen Tagen passierte etwas ganz ähnliches auf der Facebook-Seite von Angela Merkel. Online-Marketing.de behauptete, die Verantwortlichen würden Facebook-Fans für die Kanzlerin kaufen. Die Indizien für diese Anschuldigung waren durchaus valide. Denn immer, wenn eine Seite substanzieller Größe ihre höchste Fan-Konzentration in asiatischen oder nordafrikanischen Großstädten besitzt, kann man von gekauften Fans ausgehen. Dann sitzen dort Dienstleister, deren gefälschte Profile sich für deutschen Joghurt, englisches Shampoo oder österreichische Wellness-Hotels begeistern. Ebensolches Indiz ist ein sprungartiges Fanwachstum und/oder eine Aktivitätssteigerung, ohne dass ein spezieller Grund erkennbar ist. Oder aber jene Firmen haben der Seriösität nicht beleumundete Dienstleister wie Fandealer beauftragt, ihnen Likes zu beschaffen. (Warum der Kauf von Facebook-Fans generell Geldverschwendung ist, hatte ich hier einmal aufgeschrieben.)
Bei Angela Merkel sah diese Statistik so aus:
Insofern ist Online-Marketing.de nur vorzuwerfen, dass sie die CDU als Absender der Seite nicht anfragten. Andererseits ist die Auskunft von Unternehmen auch immer gleich: Sie würden keine Fans kaufen und könnten sich all das nicht erklären. Merkwürdigerweise zahlt dann jemand Geld, um via Fandealer oder -slave Likes einzusammeln. Ist bestimmt die Konkurrenz in einem Anfall von Mitleid.
Einige Stunden später aber lieferte die CDU dann eine Erklärung – und auch sie gehört zu jenen verrückten Internet-Geschichten.
Denn die Begeisterung aus Tunesien ist irgendwie echt. Es handelt sich um einen Facebook-Flashmob von Handball-Fans, nachdem Tunesien bei der Weltmeisterschaft am 13. Januar die deutsche Mannschaft geschlagen hatte. Irgendwo fand sich dann wohl ein Aufruf, die Facebook-Präsenz der international je eher mittelmäßig geliebten Merkel zu stürmen. Da diese jedoch kein freies Posten erlaubt, traf sich der Flashmob unter dem damals jüngsten Artikel, auch wenn er schon eine Woche alt war:
Offensichtlich nutzten dann gleich auch mal ein paar Spammer die Möglichkeit, tunesische Landsleute zu begeistern. Tja, so kann es gehen, machste nix dran.
Oder?
Wir können uns sicher sein, dass die Teams amerikanischer Politiker anders reagiert hätten. Was hätte es schaden können, sich in die Diskussion einzuschalten, vielleicht gar einen eigenen Post zu verfassen, in dem die Kanzlerin den Tunesiern gratuliert, der deutschen Mannschaft aber Mut zuspricht? Und das in deutsch wie französisch, vielleicht gar arabisch?
Nichts. Es hätte aber den digitalen Coolness-Faktor graduell angehoben. Und das könnte man einfach mal versuchen. Leider aber fehlen deutschen Volksvertretern dazu Digitalkompetenz, Mut und der Wille zur Kommunikation.
Kommentare
Jakob 25. Januar 2013 um 11:43
Och. Herr Knüwer. Sie pochen doch immer so auf journalistisch feines Arbeiten. Und dann sagen Sie ernsthaft: „Insofern ist Online-Marketing.de nur vorzuwerfen, dass sie die CDU als Absender der Seite nicht anfragten“?
Online-Marketing.de heißt eigentlich onlinemarketing.de.
Und sie hätten nicht nur die CDU anrufen können, sondern…
– mal nachdenken können, wie es wohl dazu kommen kann, dass viele ausländische Menschen sich bei Angela Merkels Facebook-Präsenz breitmachen;
– ob Angela Merkel, die ihren FB-Account noch nicht mal selbst nutzt, sich ERNSTHAFT die Mühe machen würde, 2.500 jämmerliche Fans zu kaufen, wenn sie bereits über 220.000 Fans hat
– ob nicht ein politischer Konkurrent oder Spaßvogel sich den Spaß machen würde, für lächerliches Taschengeld der Bundeskanzerlin so mal eins reindrücken zu können und die Story dann in der Presse lancieren zu können (man beachte die heutige BILD Titelstory). Sie Schreiben: „Ist bestimmt die Konkurrenz in einem Anfall von Mitleid.“ – Wo doch jeder weiß, das gefakede Fans inzwischen ein Schuss ins Bein sind.
Der Beitrag von Onlinemarketing.de ist einfach mal richtig schlecht. Und der Autor hat sich vollkommen zurecht dafür entschuldigt.
Thomas Knüwer 25. Januar 2013 um 11:58
Das ist eine kleine Kollision mit Markennamen. Denn hier ging es mir um den Namen, bei dem die Seite den zweiten Teil fettet um ihn abzusetzen. Also zwei Worte. Also entweder mit Großbuchstaben in der Mitte (grauenvoll) oder Bindestrich.
Wenn Sie allerdings glauben, es sei außerhalb jener, die sich professionell mit dem Web beschäftigen bekannt, dass gekaufte Fans ein PR-Desaster bedeuten können, sind sie erheblich zu optimistisch. Selbst renommierte Marken kaufen gern gelegentlich mal Fans sein.
Facebook muss Verantwortung übernehmen 10. August 2015 um 17:22
[…] ganze Welt in einem Angebot zusammen. Und das in einer Masse, die praktisch nicht handhabbar ist. So können mit einem Mal tausende Tunesier die FB-Präsenz von Angela Merkel fluten – so etwas war in alten Medien nicht einmal theoretisch […]