Es braut sich etwas zusammen über Facebook – und dass dem so ist, daran ist das Social Network nicht ganz unschuldig.
Denn in den vergangenen vier Wochen häuften sich die Forderungen nach einem stärkeren Community Management, oder besser: der schnellen Löschung hasserfüllter Postings und Kommentare. Diese Forderungen finden einen verstärkten Hallraum jedes Mal, wenn ein solcher Löschungsantrag abgelehnt wird. „Wieviel Hass ist erlaubt?„, fragte zum Beispiel Tobias Gillen auf Basic Thinking. Finaler Satz: „So wie es aktuell ist, kann und darf es nicht bleiben.“
Thomas Lückerath von DWDL liefert in einem Artikel reichlich Beispiele für Postings, die trotz Meldung stehen blieben, von der Forderung, für Flüchtlinge „wieder Lager“zu errichten bis zur Bitte an LKW-Fahrer beim Anblick von Ausländern „draufzuhalten“. Für Lückerath ist Facebook ein das Netzwerk mit dem „Herz für Hass“.
Traurig, Facebook. Sehr traurig. Liebe Marianne Dölz, Country Director DACH bei Facebook, wie schläft es sich so,…
Posted by Thomas Lückerath on Montag, 27. Juli 2015
Die Debatte gewinn noch einmal an Schärfe, kommt der Sex ins Spiel. Denn entblößte Frauenbrüste werden genauso schnell gelöscht wie andere, erotische Darstellungen. Ausländerhass scheint also vollkommen in Ordnung, Anregungen zur Fortpflanzung nicht. Und wenn man dies so simpel nimmt, dass ist Facebooks Vorgehen unerträglich.
Allein: Die Sache ist halt komplizierter…
Wer durch Asien reist, sollte sich nicht in der Öffentlichkeit schnäuzen. Im Gegenzug sollte er akzeptieren, dass lautes Schlürfen von Suppe in vielen Ländern dort zum Alltag gehört. In vielen Ländern dürfen andererseits die nackten Fußsohlen nicht gezeigt werden, in den USA gilt es als unhöflich, einen bis dahin unbekannten Gesprächspartner nach seinem Einkommen zu fragen.
Natürlich sind diese Beispiele weit entfernt von der Androhung körperlicher Gewalt oder auch nur Beschimpfungen. Und doch zeigt sich, dass unsere Welt trotz aller Globalisierung nicht so einförmig ist, wie wir manchmal glauben wollen. Dass dem so ist, wird gern einmal vergessen, schließlich sind die Innenstädte mit McDonald’s-Filialen gefüllt und in unseren Taschen stecken die gleichen iPhones und Galaxys wie in Korea oder Kanada.
Selbst Beschimpfungen und Gewaltandrohungen werden kulturell nicht uniform betrachtet. Es gibt Schichten und Szenen, in denen „Willste einen auf die Fresse?“ eine hartkumpelige Version von „Welch eine amüsante Anekdote“ ist. Als früher eine Fankurve sang, dass sie wisse, wo der in Zuffenhausen gefertigte Sportwagen des Schiedsrichters geparkt war und dieser als Grillanzünder sehr gut zu verwenden gewesen sei, war dies genauso eine nicht ernstzunehmende Äußerung wie die einer Teenagerin, die für das weitere Vorgehen gegenüber einer etwas weniger gemochten Person ankündigt „Isch bring die um!“
Das soll nicht heißen, dass irgendetwas davon toll oder unterstützenswert ist. Im Gegenteil: Es ist nie gut, wenn Menschen sich beleidigen oder Aggressionen welcher Form auch immer austauschen. Doch gehörte solch ein Verhalten schon immer zu Menschen und zwar in jedem Moment unserer Historie.
Hört eine ältere Generation solche Sprüche jedoch, geht jemand zum ersten Mal zum Fußball, dann ist verständlich, dass Abneigung entsteht, Angst oder Schock gar. Erst recht in einer Zeit, in der Helikoptereltern das Gefühl haben, ihren Nachwuchs von jeder Unbill abschirmen zu müssen – und zu können.
Deshalb auch hat Facebook in Sachen Community Management einen Job, der niemals richtig gemacht werden kann. Wenn schon im normalen Alltag die Grenzen von Anstand und Beleidigung so schwer zu ziehen sind, steht Facebook vor einer praktisch unlösbaren Aufgabe. Während das Zeigen von Hakenkreuzen in Deutschland justitiabel ist, gibt es in den meisten anderen Ländern überhaupt keine Probleme damit; während in arabischen Ländern Witze über den Propheten nicht erlaubt sind, halten wir die Freiheit, sie zu machen, für einen Grundstein der westlichen Zivilisation. Hinzu kommt das Umfeld einer Äußerung: So ist im europäischen Sport die Beleidigungsdichte höher als in der Popmusik – auch dies muss beachtet werden.
Es ist unmöglich all dem gerecht zu werden. Früher, in Vor-Internet-Zeiten, beschränkten sich Medien und Kommunikation auf einen Kulturkreis, notfalls durch Anpassung wie eine das Eintüten des „Playboy“ in eine teilgeschwärzte Versandfolie. Schon das WWW öffnete den Blick in fremde Kulturen und genau das ist ja die explosive Wirkung dieser Technik in restriktiven Systemen: So wie einst weite Teile der DDR fermsehen konnten, was im Westen konsumiert und gelebt wurde, so öffnet das Netz den Blick in jedes freie Land der Welt.
Nur repräsentierten die jeweiligen Angebote eben immer die kulturellen Gepflogenheiten ihrer Heimatregion. Erst Facebook bringt die ganze Welt in einem Angebot zusammen. Und das in einer Masse, die praktisch nicht handhabbar ist. So können mit einem Mal tausende Tunesier die FB-Präsenz von Angela Merkel fluten – so etwas war in alten Medien nicht einmal theoretisch möglich.
Gleichzeitig sind jene Kommentarmassen kaum handhabbar. Die Folge: Es bilden sich Strukturen, wie wir sich auch schon in anderen Feldern des Kundenservice nicht so richtig doll finden – Call Center-Strukturen. Im vergangenen Dezember berichtete die „Wired“ über die Ameisen des globalen Community Managements. Die erste Stufe stellen dabei vor allem in Asien beheimatete Dienstleister, die klar sichtbare Fehlmeldungen aussortieren sollen und klar definierte Verfehlungen löschen. Erst in der zweiten Stufe des Community Managements erreichen strittige Beschwerden den jeweiligen Kulturraum. Ob Facebook ebenfalls so vorgeht, ist nicht bekannt – keines der großen Social Web-Unternehmen wollte Stellung beziehen, ob man sich solcher Dienstleister bedient.
Schön ist das nicht. Aber vielleicht die einzige Möglichkeit der Kommunikation im Rahmen jener Technologie einigermaßen Herr zu werden, die sich so schnell verbreitet hat, wie keine zuvor in der Geschichte der Menschheit.
Also nix zu machen? Ist halt so?
Diese Haltung nimmt Facebook gern mal an. Ganz im PR-Stil amerikanischer Großkonzerne weist das Unternehmen jede Schuld von sich – auch über seine deutschen Kommunikatoren. Fast schon patzig kommt da mal ein „Schon mal dran gedacht, dass auch Fehler passieren können?“ – wobei eine Entschuldigung für einen solchen, angeblichen Fehler nie erfolgt.
Ein Beispiel ist diese Seite, die von Facebook als problemlos erachtet wird:
Und die Frage, ob die nicht löschenswert wäre, ist ja noch einfacher zu beantworten als die, ob gehirnverbrannte Verschwörungstheorien, wie jene, die von einer angeblichen Anonymous-Seite verbreitet werden:
Facebook, übrigens, findet auch diese Inhalte nicht anstößig.
Allein: Gerade der Marktführer sollte hier anders agieren, er sollte Verantwortung übernehmen. Schließlich betont Mark Zuckerberg gern die friedenstiftende Wirkung menschlicher Kommunikation: „I think a lot of conflicts are caused by misunderstandings… The internet as a whole and social media will bring reconciliation and peace“, sagte er im Januar zum Start der Internet.org-Initiative. Und damit hat er ja Recht: Wenn Menschen mehr Kontakt miteinander haben, führen sie seltener Kriege – auf diesem simplen Gedanken beruhen auch Schüleraustauschprogramme und Städtefreundschaften.
Gerade wegen dieses Anspruchs wird es für Facebook Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht muss ein Kanon klarerer Regeln her, diese müssten deutlich kommuniziert werden. Der Prozess zur Meldung fragwürdiger Inhalte sollte weniger standardisiert verlaufen. Sprich: Die Begründung, ein gemeldeter Post verstoße nicht gegen die Regeln reicht nicht – es braucht den Zusatz, warum das so ist. Und schließlich könnte auch ein Ombudsteam her, das strittige Fälle klärt und mit der Öffentlichkeit kommuniziert – und zwar in jedem Land.
Facebook sollte solch einen Prozess besser schnell selbst einläuten. Denn seine Fehler-passieren-Kommunikation lockt profilierungswütige – und eher selten digitalkompetente – Politiker auf die Bühne. Und dann entsteht Unfug wie jenes spanische „Bürgerschutzgesetz“. Es ist nur eine Frage der Zeit – und der Sommerlochtiefe nach Abarbeitung der Netzpolitik-Affaire –, bis der erste Bundestagsabgeordnete in Deutschland ein strafrechtliches Vorgehen gegen Facebook-Kommentare fordert.
Doch selbst wenn Facebook seine Regeln nacharbeitet, sollte man sich der Folgen im Klaren sein: Denn jene neuen Regeln dürften enger gefasst werden, als bisher. Und das würde die Plattform – und damit unsere digitale Kommunikation – maßgeblich verändern. Denn die Nutzer aus liberalen Gesellschaften wie der deutschen werden es weniger mögen, wenn striktere Grenzen eingezogen werden. Hier sind religiöse Karikaturen ein gutes Beispiel: Es wäre logisch, wenn sie im Rahmen einer solchen Initiative zur Löschung freigegeben würden. Und, nein, so richtig wohl wäre mir dabei auch nicht.
Aber solche Kompromisse werden wohl nötig sein, wenn wir gegen Hass und Gewaltandrohungen auf einer wirklich globalen Plattform vorgehen wollen.
Nachtrag vom 11.8.15: Liebe Leser, Sie sind großartig. Jenen „Wired“-Artikel, den ich suchte, haben Sie mir sofort in die Kommentare gesetzt – herzlichen Dank dafür!
Kommentare
Nanea 10. August 2015 um 18:05
Ich bin gegen Geoblocking und allen lokalen Begrenzungen, die den ursprünglichen Gedanken des Internets einschränken. Einerseits.
Andererseits finde ich es unerträglich, dass Facebook, trotz Niederlassungen in Europa, weitestgehend nach amerikanischem Recht handelt und mit „Free Speech“ argumentiert, dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, wenn hier in vielen Fällen erkennbar nicht einfach eine andere Meinung geäußert, sondern zu strafbaren Handlungen aufgerufen wird. Und diese Art von Äußerungen sind auch in Amiland strafbar.
hillu 10. August 2015 um 18:14
Könnte es dieser Wired-Artikel gewesen sein? http://www.wired.com/2014/10/content-moderation/
teekay 11. August 2015 um 7:29
Ich finde den WIRED-Artikel von 10/2014 immer noch recht interessant, weil man eigentlich nichts ueber die Arbeit ‚hinter den Kulissen‘ liest: „The Laborers Who Keep Dick Pics and Beheadings Out of Your Facebook Feed“ (http://www.wired.com/2014/10/content-moderation/); wie der Titel des Artikels recht plastisch darstellt können Bilder besser, einfacher und preiswerter gefiltert werden. Nippel ist eben Nippel-ueberall auf der Welt. Ich wuerde gerne mal mehr erfahren, wie die muttersprachlichen Redaktionen mit geschriebenen Inhalten umgehen. Kann man das System ‚hacken‘ in dem man am Ende auf Sächsich, Bayerisch oder Schwyzerdeutsch schreibt?! Da kommt jede Software und jeder ‚Muttersprachler‘ schnell an Grenzen. Aber ansonsten stimme ich Dir zu, dass es schwierige Komprisse sind-und das bedeutet, dass die fuer facebook zeitintensiv, teuer und nicht nach Manila verlagerbar sind…
Fritz 11. August 2015 um 7:57
Es gibt zwei Punkte zu beklagen: Der erste ist die völlige Undurchsichtigkeit, wann Facebook eingreift und wann nicht. Der zweite ist die Manipulativität, wenn amerikanische Politik tangiert ist. Das war gerade gestern Morgen wieder zu studieren, als der Hashtag #Ferguson bei Twitter zu einer ganz anderen Perspektive auf die nächtlichen Ereignisse führte als bei Facebook. Bestimmte Suchen führten bei Facebook sogar zu „Dazu finden wir leider nichts“, während bei Twitter die Ergebnisse dazu überquollen. Das Dokument, das zeigte, wie die Polizei einem Angeschossenen nicht half, war Twitter x-fach zu finden, bei Facebook erst nach längerem Scrollen und dann nur mit dem Kommentar versehen, „wer weiß, wer da wirklich geschossen hat … muss ein Demonstrant gewesen sein.“ Das ist ja schon arg aufällig, wie sich Facebook seiner Verantwortung auf einmal bewusst ist, wenn es im amerikanische Innenpolitik geht. Der Strang dahinter ist ganz einfach: Die US-Regierung kann Einfluss auf Facebook nehmen, weil sie andererseits Facebooks Auslandsinteresen unterstützt (z.B. Privacy-Rechtsordnungen) – ausländische Regierungen machen ihr (mögliches) Gewicht nicht geltend. Ws vielleicht auch besser ist, aber das erklärt die ganze „LÖahmarschigkeit“ von Facebook bei der Duldung von Volksverhetzung und Gewaltaufrufen in den Auslandsmärkten.
tknuewer 11. August 2015 um 8:46
@Hillu & @teekay: JA! Genau dieser Artikel war es! Herzlichen Dank für’s Raussuchen und Posten!
Daniel 25. August 2015 um 14:13
Genitalien, nackte Brüste… alles Dinge nach denen man automatisiert scannen kann (Gesichtserkennung funktioniert auch bei sowas – sind halt keine Gesichter).
Textinterpretation ist aber eine Sache, die bislang noch nicht von Algorhythmen beherrscht wird weswegen hier einfach mehr von Facebook verlangt wird, als man dort zu leisten in der Lage ist.