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„Ist das nicht der Wahnsinn?“

Das fragte mich heute ein medienkundiger Freund. Er meinte damit die Irrungen und Wirrungen rund um Deutschlands Wirtschaftszeitungen. Was sich dort seit anderthalb Wochen abspielt überfordert selbst „Dallas“- und „Dynasty“-gestählte Seifenopernfreunde: Da schießt das „Manager Magazin“ gegen Gruner+Jahr-Chef Bernd Buchholz, dessen Ablösung scheint mit einem Mal beschlossene Sache woraufhin er von seinem Bertelsmann-Posten zurücktritt; Bertelsmann will den Hamburger Verlag komplett übernehmen, die Wirtschaftsmedien sind als Kürzungsobjekt ausgemacht und versuchen mit einer Verdünnung der „Financial Times Deutschland“ vorauseilenden Gehorsam zu demonstrieren. Daraufhin verkündet „Handelsblatt“-Chefredakteur Gabor Steingart, er schenke jedem, der ihn unter steingart@handelsblatt.com anmailt, drei Monate lang seine Zeitung für 0 Euro – ohne automatische Verlängerung.

Verglichen mit der Stille um die beiden deutschen Wirtschaftszeitungen wirken die vergangenen zwei Wochen wie „Lindenstraße“ auf Speed. Über Jahre war das Verhältnis der beiden geprägt von Fair Play – nun sind wir im Rosenkriegsmodus. Und dabei ist eine Ebene des Spiels bisher gar nicht recht wahrgenommen worden. Denn gestern erschien das geschätzte Fachmagazin „Wirtschaftsjournalist“ mit einem Interview, dessen Sprengkraft erheblich ist und das als Reitgertenhieb der Muttergesellschaft gen Gabor Steingart gewertet werden kann.

Die Peitsche schwingt Michael Grabner, seit langen Jahren der wichtigste Ratgeber Dieter von Holtzbrincks. Das mit dem Zuschlagen ist er gewöhnt, sein Managementstil ist in der Branche verschrieen als „by Firing“: Wer eine andere Meinung als die seine auch nur höflich andeutet, muss um seinen Posten bangen. So aufbrausend Grabner auch ist – wenn er ein Interview gibt, tut er das nicht ohne Kalkül. Wenn er nun verrät, was derzeit bisher nur Gerücht war, hat das Bedeutung: Das „Handelsblatt“ sei defizitär und werde nur von den Nebengeschäften sowie „Wirtschaftswoche“ und Fachverlag getragen. Prompt landete diese Meldung auf der Titelseite der „Financial Times Deutschland“. Die verschwieg dann, dass er einer Übernahme durch das „Handelsblatt“ (eine in Hamburg wie Düsseldorf immer wieder umher geisternde Option) eine Absage erteilte.

Dies platzt in eine Zeit, da Gabor Steingart der medialen Glorifzierung nahe schien, schließlich klettert die Auflage seit einigen Monaten wieder. Das aber reicht wohl nicht für Gewinne, denn die Anzeigenlage ist nur unwesentlich besser als die der „FTD“. Auch das dritte Quartal, ist aus dem Verlag zu vernehmen, gebe Anlass zu Düsternis.

Grabners Interview darf in diesem Zusammenhang als Warnsalve verstanden werden: Steingart soll weniger reden und mehr tun. Schließlich gibt es so einiges, was seinen wolkigen Ankündigungen nicht recht entspricht. So kündigte er einst eine Online-Redaktion von 50 bis 100 Leuten an, wie der „Kontakter“ sich erinnert – Stand heute finden sich im Impressum nur 21. Stattdessen wurde ein angeblich 15köpfiges Team für eine iPad-App aufgebaut, die im vierten Quartal kommen soll. Womit es jetzt drei „Handelsblatt“-Redaktionen gibt: Print, Online, App. Die erste iPad-App „First“ darf als gewaltiger Fehlschlag gewertet werden. Zwischenzeitlich war sie sogar Wochen nicht funktionabel, das jüngste Update in dieser Woche lässt sich laut iTunes-Kritiken ständig abstürzen. Auch die Brot-und-Butter-Nachrichten-App erhält seit einem Update ähnliche Besprechungen.  Zwei weitere kostenpflichtige Apps sollten kommen, erschienen ist davon nur „Handelsblatt Insider“. Das 3,99 Euro teure Programm liefert Nachrichten aus dem Insider-Handel – und erntet miese Nutzerstimmen.

Derweil sieht der RSS-Feed von Handelsblatt.com an einem Donnerstag Morgen gegen halb 10 so aus:

Mit harten Wirtschaftsnachrichten hat das wenig zu tun. Ebensowenig wie die bemerkenswert schlecht gemachte Interview-Reihe „Drateln zum Diktat„. Auch der journalistische Anspruch erscheint… ausbaufähig. Vor einiger Zeit veröffentlichte Handelsblatt.com die „größten Versicherungsmissverständnisse“. Heute steht unter diesen Artikeln, es handele sich um Artikel, die von der Gothaer Versicherung veröffentlicht worden seien. Einst stand da „Kooperation“.

Laut Florian Kolf von Handelsblatt.com wurden dies PR-Texte aus der Presseabteilung der Gothaer von einem Fachredakteur gegengelesen. Viel zu bemäkeln hatte dieser wohl nicht – die auf Handelsblatt.com zu findenden Texte unterscheiden sich kaum vom „Themendienst Versicherungsmissverständnisse„. Kolf bezeichnete das Wort „Kooperation“ als unglücklich und schrieb mir: „Wir haben keine inhaltlichen Kooperationen mit Unternehmen und übernehmen auch keine Texte, die von Unternehmen beauftragt wurden, da dies selbstverständlich unserem Qualitätsanspruch nicht genügen würde.“

Da liegt also einiges im Argen – und es scheint, die Muttergesellschaft DVH Medienholding will ihrem Chefredakteur mitteilen, dass seine PR-Wirbeleien an das Titanic-Orchester erinnern. Die Gesellschafter, übrigens, treffen sich in diesen Tagen im Ruhrgebiet. Da dürfte der gestrige Kreativitätsausbruch Gabor Steingarts mit unterkühlter Begeisterung quittiert worden sein. Steingart versprach in seinem täglichen Newsletter „Morning Briefing“ jedem neuen Leser als Gegenentwurf zu dünner werdenden „FTD“ drei Monate lang kostenlos das „Handelsblatt.

Wie aus der Kasernenstraße zu vernehmen ist, hat er damit nicht nur die Leser überrascht – sondern auch den eigenen Vertrieb. Der darf die Aktion nun ausbaden, denn natürlich existiert kein geordneter Bestelldienst: Interessenten sollen einfache eine Mail schicken, nun müssen all die Adressen von Hand eingegeben werden. Laut Newsletter von heute waren das schon 1.000. Bei vielen müssen noch einmal Details erfragt werden, auch ist die Frage der digitalen Dienste, die mit diesem Probeabo versehen sind, nicht geklärt. Nehmen wir nur einmal an, für jeden dieser neuen Abonnenten benötigt der Eintipper drei Minuten. Dann beträgt der Arbeitsaufwand 50 Stunden, also 6,25 Manntage. Und das alles muss  noch einigermaßen flott erfolgen – schließlich sollen die Abos ja schon bald starten. Ach ja, in der IVW tauchen die Exemplare natürlich als „Sonstige Verkäufe“ auf – und die sind bei Werbekunden ja nicht unbedingt gern gesehen. Wenn überhaupt: Gestern berichtete jemand, solche komplett verschenkten Exemplare seien überhaupt nicht IVW-fähig.

Ohnehin dürfte die Hauruck-Aktion ein teurer Spaß werden. Das reguläre Probeabo kostet 99,50 Euro und dazu gibt es eine Kundenprämie. Sehr oft läuft die Kalkulation dabei so: Der Preis deckt die internen Kosten der Zeitung, die Prämie ist die Investition in den Leser. Wenn das „Handelsblatt“ so gerechnet hat, kostet das Steingart-Abo den Verlag über 100.000 Euro. Vielleicht ist es aber sogar noch mehr. Harald Müsse, langjähriges Mitglied der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Handelsblatt, schrieb jüngst für Newsroom:

„Die hohen Prämien, die Abonnenten angeboten werden, müssen abgebaut werden. Der entstandene Wettbewerb im Bereich der Abowerbung ist ruinös… Unique Redaktionskonzepte brauchen keine Werbegeschenke um Abonnenten zu gewinnen. Sie überzeugen durch ihr redaktionelles Angebot.“

Womit wir bei der Ironie des Steingart-Abos wären. Schließlich hatte das „Handelsblatt“ doch 2010 protzig das „Ende der Gratiskultur“ verkündet, verbunden mit der „Rückkehr zur Normalität“ – also dem Bezahlen für Inhalte (was Verlage halt so normal nennen). Und in einem Interview mit dem „Medium Magazin“ verkündete Steingart:

„Guter Journalismus kostet. Und wir brauchen ein neues Geschäftsmodell, damit auch in der digitalen Welt guter Journalismus gut bezahlt werden kann.“

Nun setzt der Chefredakteur selbst auf das Verschenken der Inhalte. Doch nicht im Netz, wo dies günstig zu machen wäre – er fördert eine Print-Gratiskultur. Man darf das nicht unerheblich lustig finden. Und mir scheint: Das ist nicht die letzte Folge in der Seifenoper „Gute Zeilen, Schlechte Zeilen – Verbotene Feindschaft am Kasernenwall“. Ich hol schon mal das Popcorn raus…


Kommentare


egghat 30. August 2012 um 14:13

Popcorn! Und Cola.

Vielleicht sollte die FTD-Wette in eine „einer der beiden wird nicht überleben“-Wette umgebaut werden … Ich weiss nicht, wie die beide von dem zu kleinen Werbekuchen satt werden sollen (Müsse hat ja den grandiosen Vorschlag, angesichts der wenigen Werbeschaltungen die Preise zu erhöhen. Weil die Wirksamkeit besser würde. Mehr Absatz durch höhere Preise …)

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Schlankheitskur gefällt mir nicht: Wirtschaftspresse wird immer dünner 3. September 2012 um 0:30

[…] der Medienbranche unter den Fachleuten diskutiert werden (gut informiert dazu aber Thomas Knüwer in seinem Blog). Eine Ursache dürfte darin liegen, dass die Zahl der Printkäufer zurück geht und dieser […]

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Quo vadis Wirtschaftsmedien? | Die Börsenblogger 3. September 2012 um 12:42

[…] und Financial Times Deutschland weitet sich immer mehr aus (Die jüngsten Auswüche bei Indiskretion Ehrensache). Die Leser bleiben ratlos mit dünner werdenden Zeitungen zurück – oder verabschieden sich […]

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Wo Zeitung draufsteht, ist nicht Zeitung drin 19. Oktober 2012 um 11:19

[…] Dieser Frage möchte ich in den kommenden Wochen nachgehen. Denn schon der erste Steinwurf ins Wasser lieferte ein deutliches Ergebnis: das “Handelsblatt”. Warum mein Ex-Arbeitgeber? Weil mir der vor kurzem online mit der Veröffentlichung von PR-Material ins Auge fiel. […]

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Onlinejournalismus – der Liebling der PR 25. Oktober 2012 um 13:57

[…] klickt. Damit bewegt sich WSJ.de auf dem gleichen Niveau wie Handelsblatt.com, das jüngst munter PR-Texte der Gothaer Versicherung fast unverändert übernahm (und dies sogar als Kooperation […]

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