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Es war ein großes Händereiben in deutschen Redaktionen. Endlich! Facebook stirbt! Die Mitgliederzahlen sinken! Blutrünstig zerfurchten billige Kantinenmesser die in alten Rollcontainern verwahrten Mark-Zuckerberg-Voodoo-Puppen.

Viele, viele meldeten es (warum ich nicht auf Verlagsinhalte verlinke):

Handelsblatt: „Facebook verliert in seinem Kernland USA Mitglieder.“

Bild.de: „Zerbröselt Zuckerbergs Milliarden-Traum?“

Manager Magazin: „Erst Euphorie, jetzt nagen bohrende Zweifel“

w&v: „Nutzer zunehmend unzufrieden: Facebook verliert Mitglieder in den USA“

Und die schöne Meldung hält sich weiter. Noch in dieser Woche bezog sich Zeit.de auf jene Zahl, dass Facebook im ersten Halbjahr 2012 1,1 Prozent seiner Mitglieder in den USA verloren habe.

Jene, die Ende Juli, die frische Meldung aufgriffen, wissen nicht, ob das so ist. Sie glauben es ohne jede Prüfung – sie haben einfach der Nachrichtenagentur Bloomberg vertraut. Die berichtete Ende Juli nämlich über die Studie eines bis dahin wenig bis gar nicht bekannten Analysten der Investmentbank Capstone. Jener Analyst stellte die Behauptung der sinkenden Mitgliederzahl auf der Basis einer selbst geschriebenen Software auf. Nach welchen Regeln diese Software arbeitet, welche Daten sie verarbeitet – das haben weder „Handelsblatt“ noch „Manager Magazin“ hinterfragt.

Woher ich das weiß? Weil Bloomberg einen Fehler machte: Die Agentur schrieb den Namen des Analysten falsch. Statt „Rory Maher“ schrieb Bloomberg „Rory Mather“. Und nun können wir nachverfolgen, welche Medien jene Studie blind übernommen haben. Ja, sie haben sich diese Studie nicht einmal kommen lassen. Wir können auch davon ausgehen, dass sie den unter jeder Bloomberg-Meldung stehenden, zuständigen Redakteur nicht kontaktiert haben.

Leider ist dies nicht nur in Sachen Facebook gängige Praxis. Und um das klarzustellen: Hier geht es nicht um Facebook-Jubel. Es geht darum, dass über Unternehmen wie Facebook nicht neutral und journalistisch korrekt berichtet wird. Es braucht nur eine Studie – und alle sind glücklich. Selbst die Nachrichtenagenturen, denen all diese Medienhäuser blind vertrauen, fragen häufig nicht nach oder durchleuchten die Mechanik von Untersuchungen.

Dies wäre ja noch irgendwie hinnehmbar, sprächen wir von altbekannten Studienerstellern. Wenn er die Arbeit von Instituten über Jahre hinweg beobachtet, weiß ein Journalist normalerweise, wem er vertrauen kann.

Das aber ist hier nicht der Fall. Rory Maher arbeitet für ein Investmenthauses namens Capstone. Wenn wir uns die Homepage von Capstone anschauen, fällt uns auf: So richtig dolle sieht die nicht aus. Auch finden sich nur homöopathische Spuren von Investementstudien wie der Facebook-Analyse. Kurz: Capstone ist mehr oder weniger unbekannt.

Und so laufen die Medienlemminge aller hinter einem Unbekannten her, weil er ihnen mit einer nicht nachvollziehbaren Studie die These liefert, die sie gerne hätten.

Gäbe es eine Alternative? Ja. Denn einen Hinweis auf die Mitgliederzahl liefert ja der Facebook Ad Planner. Allfacebook – ein Blog, das seit längerem durchdachte und gute Analysen zu Facebook-Themen schreibt – hat eine Software aufgesetzt, die diese Zahlen ständig abfragt. Überrascht stellen wir fest: Nach diesen Zahlen ist unter den Top70-Facebook-Ländern nur eines, das in den vergangen sechs Monaten Nutzer verloren hat – Indonesien.

Vor drei Tagen, übrigens, war wieder einmal von Rory Maher zu hören. Er hat die Facebook-Aktie nämlich hochgestuft auf „Buy“. Er spricht von „industry leading growth rates“. Und weil die Aktie so runtergeprügelt wurde, sieht er sie jetzt als kaufenswert.

Darüber mochte in Deutschland niemand schreiben – passte halt nicht zur These.


Kommentare


youdaz 24. August 2012 um 8:56

Laut der Medlung verlor Facebook um 1,1 Prozent, nicht 1,1 Millionen Nutzer. Oder sehe ich etwas falsch. Dennoch ist die Quelle natürlich fraglich.

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Thomas Knüwer 24. August 2012 um 9:04

Danke für den Hinweis – ist korrigiert.

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Fritz 24. August 2012 um 9:19

Danke, sauber auseinandergenommen. Für mich ist allerdings nicht klar, welche Mechanismen dahinterstehen. Was ist dem Schnellschreibdruck auf die Redakteure geschuldet? Was auf das Bedürfnis, mit kleinen „aufregenden“ Nachrichten die Spalten zu füllen? So oder so aber ein schönes Beispiel dafür, was vom Journalismus übrig bleibt, wenn der Artikelverkauf selbst nichts mehr einbringt. Man kann dann eben auch alles von irgendwoher abschreiben – Texte sind wie Commodity und werden im gesamten prozess als solche behandelt.
Maher scheint im übrigen kein Blöder zu sein. Abgesehen davon, dass er tatsächlich Spezialist für Internet-Werte zu sein scheint: „Mr. Maher was a #1 ranked Starmine analyst in 2011 for earnings estmate accuracy.“ So eine Auszeichnung ist nicht so leicht zu bekommen, kann man sich nur redlich verdienen …

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Maximilian H. Nierhoff 24. August 2012 um 9:53

Vielen Dank für diesen Artikel.

Allerdings habe ich zwei Anmerkungen:
1) Es liegt auf der Hand, warum gerade Indonesien einen Nutzerrückgang zu vermelden hat. In diesem Land befinden sich nach Aussagen von Facebook selbst, dies deckt sich auch mit meinen Erfahrungen, weltweit die meisten Fake Accounts. Diese werden ja peu á peu gelöscht, daher der Nutzerverlust.

2) Die Statistiken von AllFacebook stammen von AllFacebook Stats. Erkennbar auch durch das powered by. Diese Länderstatistiken gibt es dann auch noch mal hier: http://www.allfacebookstats.com/de/country-statistics

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micha 24. August 2012 um 10:12

/Wenn wir uns die Homepage von Capstone anschauen, fällt uns auf: So richtig dolle sieht die nicht aus. Auch finden sich nur homöopathische Spuren von Investementstudien wie der Facebook-Analyse. Kurz: Capstone ist mehr oder weniger unbekannt./

dem umkehrschluss vermag ich so auch nicht ohne bauchschmerzen zu folgen.

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Moki 24. August 2012 um 10:43

Abseits des eigentlichen Themas: Hat schonmal jemand von Ihnen ernsthaft versucht, sich von Facebook abzumelden? Da werden einem so viele Steine in den Weg gelegt, dass viele ihren Account einfach ruhen lassen (sprich: ihn einfach nicht mehr nutzen), statt sich tatsächlich umständlich abzumelden. Von daher sind alle Statistiken zu den Nutzerzahlen von Facebook ohnehin von zweifelhaftem Nutzen – egal ob man sich nun über Wachstum oder vermeintliches Schrumpfen der Datenkrake freut…

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Kleine Presseschau vom 24. August 2012 | Die Börsenblogger 24. August 2012 um 13:39

[…] Ehrensache: Der rätselhafte Mr. Mather und die Facebook-Schrumpfung Ähnliche Artikel:Kleine Presseschau vom 23. August 2012Kleine Presseschau vom 22. August […]

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ben_ 24. August 2012 um 15:08

Inhaltlich bestätigt das natürlich meine Grundeinstellung, der Tagespress wo irgendmöglich aus dem Weg zu gehen.

Gleichzeitig trifft es aber natürlich auch bei mir auf den Wunsch, Facebook endlich da zu sehen, wo heute MySpace und AOL liegen: Als verrottende Kadaver von einstigen Webleviathanen auf dem Grund des Onlineozeans, einen lustigen Ökosystem von Aasefresser einen Fixpunkt im ewigen Dunkel der Tiefsee gebend.

Und wenn mich nicht alles täuscht, was ich über Journalismus (zugegebenermaßen nur aus der Anschauung und nicht aus der Ausbildung) gelernt habe, dann schreiben die Redaktionen vor allem in dieser Weise darüber, weil es ihnen geht wir mir. Die Presse scheint mir eben nur ein Spiegel der Gesellschaft, nicht ihre Avantgarde.

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Gigi 24. August 2012 um 16:34

Was mir Angst macht:
Mit dieser Masche hat eventuell der Analyst extrem viel Geld verdient. Eventuell hat er mit Optionen, Leerverkäufen oder was auch immer auf ein Fallen der Aktie gewettet, dann die Studie herausgebracht in dem Wissen, dass sehr viele Medien ungeprüft drucken werden. Dies führte mit Sicherheit zu einem Spürbaren Nachgeben des Kurses. Die „ehrlichen“ Aktionäre, welche den Medien glaubten, waren die Doofen.

Selbst, wenn es gar nicht so war – dass man die Journalisten so vor den eigenen Karren spannen kann, um die Leser der Journalisten um bares Geld zu betrügen, ist schon wirklich krass.

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Karsten Werner 24. August 2012 um 19:17

Yep, auch gesehen. Habe mich vor 4 Wo schon gewundert, warum da so ein Alarm gemacht wurde: Dass lediglich das Wachstum betrachtet wurde, erschließt sich auf den ersten Blick.
Aber nicht nur die Interpretation lässt manchmal zu wünschen übrig. Bei Umfragen zu technischen Themen sind manchmal auch die Fragekataloge selbst das Problem: http://t3n.de/news/traue-keiner-statistik-bedeutet-399512/

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zoom » Umleitung: Vom Ursprung der Sprache bis zur Heimatkunde. Dazwischen Facebook, Medienmoral, Neonazis, Höhler und mehr. « 27. August 2012 um 20:50

[…] Objektivität und Facebook-Berichterstattung: Der rätselhafte Mr. Mather und die Facebook-Schrumpfung … indiskretion […]

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