In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Es ist nicht verwerflich, begeht die öffentliche Hand Fehler. Verwerflich ist es jedoch, wenn sie nichts daraus lernt. In diese Rubrik fällt der Umgang deutscher Behörden mit IT-Projekten. In diesem Jahr erregte der Bundestrojaner mit all seinen Absurditäten reichlich Aufmerksamkeit. Doch dieses Phänomen, dass da eine Behörde ein Stück IT-Technik bestellt, das sie nicht versteht und dafür Unsummen zahlt, ist nicht neu. Wenn ich mir die Titelgeschichte der Netzwert-Ausgabe vom 3.12.2001 durchlese fürchte ich eher: Die Inkompetenz deutscher Verwaltungen in Sachen digitale Technologie ist längst Kultur.
Vor 10 Jahren ging zum Beispiel das neue Rasterfahndungssystem Inpol-neu an den Start, 100 Millionen DM hatte der Staat investiert. Es lief – 10 Minuten. Ein Gutachten von KPGM attestierte dem System „erheblichen sanierungsbedürftigen Zustand“, die Performance sei „unzureichend“.
Die Unternehmensberater von Kienbaum schätzten in einer Studie, dass 50% aller IT-Projekte in Verwaltungen scheitern. So auch das Workflow-Management bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, das Genehmigungs- und Zahlungsvorgänge beschleunigen sollte: 1997 war die Software geliefert worden – bis 2001 fehlte die Abnahme. Kein Wunder, meint Kienbaum: „Die Verantwortungsfrage bei IT-Projekten in der öffentlichen Verwaltung bleibt oftmals ungeklärt.“ Genauso fehle es an Koordinierungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeitsrechnungen, häufig gebe es auch überhaupt keine Übersicht über den IT-Bestand der jeweiligen Institution.
Verworren wie manche IT-Struktur war im Jahr 2001 auch die Vergabe der neuen .info-, .biz- und .name-Domains. Als „riesige Spielwiese für Marken-Piraterie“ bezeichnete sie Porsches Online-Marketing-Chef Henrik Dreier. Vor allem um .info gab es Ärger. Diese Endung wurde exklusiv von Afilias vergeben, einem Zusammenschluss 18 Domain-Registraren.
Per standardisierter Online-Anmeldung konnten Markeninhaber einen Monat lang, Sunrise-Phase genannt, ihre Rechte geltend machen. Nur: Dieses Verfahren auszutricksen war kein Problem. Wer „No Trademark“ oder wirre US-Markenanmeldungsnummer eintippte, wurde ebenfalls angenommen. Afilias unterschätzte dabei die Masse der Domain-Grabber. Doch es kam noch schlimmer:
„Ein Domain-Grabber in Japan reservierte sich die Adresse www.sap.info. Das gleiche tat SAP in Deutschland. Bei Verhandlungen während der Sunrise-Phase kamen die Registrare im virtuellen Kreis zusammen und per Zufallsauswahl durfte nacheinander jeder eine Adresse anmelden – egal welche. Ist der japanische Registrar vor dem deutschen an der Reihe und gehört SAP.info zu seinen früh angemeldeten Adressen, belegt er sie – der Softwarehersteller ist erstmal außen vor.“
Letzte Hoffnung vor einem vielleicht Jahre dauernden Gerichtsprozess war dann die Schlichtungsphase, bei der Markeninhaber ein Veto einlegen konnten. Dass es so weit kam war Afilias aber vielleicht ganz recht: Der Verlierer einer Schlichtung zahlte 25$ Gebühren, der Sieger 75$.
Ein Begriff der seit dem Jahr 2001 in Vergessenheit geraten ist taucht in jener Netzwert-Ausgabe in der „E-Mail aus San Francisco“ von Korrespondentin Sigrun Schubert auf: X-Internet. Damit beschrieb Forrester die Vision eines geräteübergreifenden Web:
„Ein Internet, in dem nicht nur Menschen, sondern auch Maschinen, Telefone, ja selbst Kühlschränke und Supermärkte miteinander kommunizieren. Das X-Internet ist also nichts weiter als eine Vision, die jedem, der sich für Technologie interessiert, in den vergangenen Jahren schon hundertmal vorgegaukelt aber nie Realität wurde.“
Doch einer zählte zu den Adepten dieser Vision: Amazon-Chef Jeff Bezos. Und was Schubert da beschreibt, und von Netzwert wie von vielen anderen total unterschätzt wurde, ist der Umbau von Amazon – weg vom Buchhandel hin zum Dienstleister:
„So legte er (Bezos) die Abteilungen für Software-Entwicklung mit der für die Zusammenarbeit mit dritten Parteien zusammen, um die Chance zu erhöhen, dass die Anwendungen von Amazon auch im Internet der Zukunft Verbreitung finden. Die Amazon-Software soll praktisch zur Handelsplattform werden…
Das Honorar-System, das Partner künftig auch Amazons Bezahlsystem nutzen lässt, weist ebenfalls in Richtung des erweiterten Internet, im dem verschiedene Händler eine Technologie gemeinsam nutzen. Die Propheten des X-Internet sagen nämlich voraus, dass die Grenzen zwischen einzelnen Anbietern zunehmend verwischen. Dass dabei auch die Nutzer-Infos und -Profile geteilt werden ist bei einer solch geballten Marktmacht nur noch ein Nachgedanke – denn auch daran werden sich die Nutzer im X-Internet gewöhnen müssen.“
Und so sehr wir alle gerne mal auf Forrester & Co schimpfen: Hier haben die Marktforscher tatsächlich einen gewichtigen Teil der heutigen Debatte über Datenschutz in den Zeiten des Social Web vorweg genommen.
Kommentare
Das Digitale Quartett #45: Connected Objects, Smarter Wear und Uhren mit Internet-Anschluss 9. September 2013 um 16:45
[…] Einst nannten die Marktforscher von Forrester es “X-Internet”. Im Jahr 2001 berichtete “Handelsblatt”-Korrespondentin Sigrun Schubert: […]