Einst gab es in pauschaltouristischen Hotels den Abreisetag. Dann flogen weite Teile der beherbergten Gäste ab, da sie alle auf dem gleichen Charterflugzeug waren. Und diese Maschinen flogen eben nur ein oder zwei mal in der Woche.
Der fünfte Tag der SXSW ist auch so ein Abreisetag. Der Interaktiv-Part ist vorüber, der Musikteil startet langsam. Das Publikum wandelt sich. Die Kleidung wird bunter und hipper, die ersten Lederslipper tauchen auf, Punk-Haarschnitte, Gothic-Gewänder, die Tattoo-Dichte streigt dramatisch. Und überall schleppen Menschen Instrumentenkoffer.
Auch die Konversationen klingen anders. Drei Herren in schwarzen T-Shirts sitzen am Nebentisch, Anbieter von Piercing- und Tätowierungsdienstleistungen dürften gut an ihnen verdient haben. „Dude“, sagt der eine, „ich weiß wie wir unsere Show voranbringen: Während Du Drums spielst sitzt Du auf einem Standfahrrad und trampelst.“ Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Scherz war – der Drummer ist zu cool um eine Miene zu verziehen. Am anderen Tisch geht es philosophischer zu: „Woher weißt Du, dass Du einen Song schreibst, wenn Du noch nicht weißt, wie er klingen wird?“
Ab dem Nachmittag beginnt die Stadt zu vibrieren. Die 6th Street, die Party-Straße, ist abgesperrt. Rechts und links gibt es nur Bars und Clubs, in praktisch jedem ist bis spät in den Nacht Live-Musik zu hören. Rock, Metal, Crossover, Hiphop, Country, Folk, Britpop – dazu immer wieder Straßenmusiker. Ich gestehe: So etwas habe ich noch nicht erlebt. Es ist großartig – und friedlich, obwohl Austin insgesamt definitiv ein Drogenproblem hat.
Der Interaktiv-Teil ist eigentlich beendet. Eigentlich. Denn tatsächlich gibt es noch den Technology Summit. Er ist traurig schlecht besucht – und das ist verdammt schade. Denn er entpuppt sich als echte Hirn-Bereicherung.
Denn abgesehen von ein paar von Firmen gesponsorten (und deshalb wie auf jeder Konferenz zu meidenden) Einzelrednern gibt es Länder-Sessions. Eine Stunde lang präsentiert sich dann eine Nation und das nach einem Grundschema: Erst die technischen Daten, dann eine Einführung die Gesellschaftsstruktur und schließlich spannende Beispiele, was Unternehmen in Sachen Digital zu bieten haben.
Die jüngsten Zahlen aus Indien belegen, was auch der Medienmanger Shintamani Rao mir im Interview berichtete: Der Glaube, in den Schwellenländern sei vorerst SMS das wichtigste Mobile-Feld ist falsch. So kommen beim Gesundheitsportas mDhil schon ein Drittel der Zugriffe über Handy-Surfer.
550 Millionen Inder haben heute schon ein Handy, jeden Monat kommen 19 Millionen hinzu. Für Google ist das Land der drittgrößte Markt, Facebook zählt 22 Millionen Mitglieder. Besonders spannend: Für dem Handy-Anzeigen-Vermarkter Admob ist Indien der zweitgrößte Markt.
Mit den Problemen des Landes gehen Unternehmen kreativ um. So berichtete John Blagsveldt von seinem Projekt Babajob. Dieses vermittelt einfach Stellen, die bisher nirgendwo öffentlich ausgeschrieben wurden. Nutzer können sie über ein Callcenter, SMS, mobiles Surfen oder das Web erreichen. Somit können sich Menschen nun tatsächlich ein kleines Stückchen nach oben arbeiten. Andererseits helfen sie sich nun gegenseitig in Internet-Cafés um eine Arbeit über Babajob zu finden.
Ebenfalls interessant: E-Commerce ist schwierig, da die allermeisten Inder keine Kreditkarten haben. Ein E-Händler hat deshalb ein Netz billiger Geldeinsammler gegründet: Sie kommen zum Kunden und nehmen die Bezahlung entgegen – erst dann wird versendet.
Blagsveldt ist optimistisch für Indien: „Im kommenden Jahr werden wir viele super, super spannende Innovationen sehen, die grundlegende Probleme lösen.“
Der sehr hörenswerte „New York Times“-Autor Anand Giridharadas sah aber auch die problematischen Seite: Indische Familien seien Räderwerke, in denen das Ganze mehr zählt als der einzelne. Wenn er bei seier Familie zu Besuch sei, könne er keine Kolumnen schreiben, weil er ständig eingespannt sei. „Wenn sich die Menschen nun in Handys und andere Geräte vertiefen, weiß ich nicht, welche Wirkung das auf die indische Gesellschaft hat.
Weniger dynamisch wirkte die brasilianische Abordnung. „Brasilianer sind extrem sozial – das Internet ist für sie nur eine Erweiterung des alltäglichen Lebens“, sagte Startup-Gründerin Carla Albertuni. Deshalb auch sei Unterhaltung für Web-Angebote ein wichtiges Thema. Noch immer aber surften nur 11 Prozent der Handy-Besitzer und Breitbandzugänge seien eher schmalbandig.Das Land stehe weiter am Anfang. Die Fußball-WM und die Olympischen Spiele aber würden einen Schub bringen. Und: Viele Menschen glaubten, dass der Zugang zum mobilen Internet für sie die beste Möglichkeit sei, der Armut zu entkommen.
Das gelte auch für Südafrika, erklärte Gabrielle Rosario von der Social-Media-Beratung Brandsh/ Native. In ihrem Land gebe es wenig Investoren, aber viel Schwung. Oder wie Gaby Rosario von Motribe (einem Dienst, mit dem man mobile Social Networks erstellen kann): „Alles in allem lieben wir das feiern.“ Dem Geschäftserfolg ist das anscheinend nicht abträglich: Mobitribe hat 750.000 Nutzer, vor allem jedoch aus Namibia und Nigeria. Das Unternehmen war nach zwei Monaten Cash-flow positiv und schrieb nach vier Monaten schwarze Zahlen.
Japan ist da selbstverständlich weiter. Die angereisten Gründer waren sichtlich angeschlagen von dem, was gerade in der Heimat passiert. Zwei Innovationen waren dennoch auffällig. Zum einen ein Tablet-PC aus zwei Hälften, der sowohl auf Fingerberührung reagiert wie auf einen Stift. Entwickelt hat in Ubiquitus Entertainment. Im Laufe des Jahres soll er auf den Markt kommen.
Zum anderen eine fast poetische Iphone-App der Groß-Agentur Dentsu. Über Augemented Reality zeigt sie Schmetterlinge an, die mit einem Wink des Handys eingefangen werden können. Je nach Region unterscheiden sich die Tiere, Unternehmen können Rabatt-Schmetterlinge fliegen lassen, Sonder-Butterflys gab es auf Messen.
Auch andere Mütter haben halt schöne Töchter – und wir alle sollten uns umschauen, was in der Welt so passiert. Eine Deutsche Session gab es übrigens auch, organisiert von der c/o Pop. Ich habe sie nicht besucht – aber generell ist das ein guter Ansatz.
Denn auf der SXSW war durchaus ein wenig Isolation der Deutschen zu beobachten. Während andere Nationen auch spontane Meetups veranstalteten, gab es das so aus Germany nicht. Schade. Aber andererseits etwas, worüber man für die South-by 2012 nachdenken sollte.
Kommentare
Alle Mäuse fliegen hoch – Artikel in Zeitreisen März 2011, Seite 35 | Lifestream 18. März 2011 um 13:20
[…] dem Bat-Watching in die 6th Street, auch empfohlen von Thomas in seinem Artikel Andere Länder, andere Internette beim SXSW Music + Film Interactive GA_googleAddAttr(„AdOpt“, „1“); GA_googleAddAttr(„Origin“, […]