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Für gewöhnlich machen alle Äußerungen von Politikern im Bereich der Netzpolitik schnell die Runde, werden diskutiert und getwittert. Netzpolitik.org hat sich mit viel Engagement und Kundigkeit den Rang des meistverlinkten deutschen Blogs erarbeitet . Diese Diskussionsfreude der am Internet Interessierten kennt aber anscheinend eine Grenze: Äußerungen von Seiten der CDU werden kaum beachtet.

Das ist zumindest mein Eindruck, nach den vergangenen Wochen. Da war zunächst Angela Merkel, die sich von einem wie auch immer gearteten Internet-Gesetz distanzierte. Damals schrieb ich es noch dem Interviewpartner „Bild“ zu, dass ihr Interview kaum digitale Resonanz fand.

Am Sonntag nun gab es in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ein Gespräch mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière zu lesen. Und wieder: fast nichts. Allein Mogis, ein Zusammenschluss von Missbrauchsopfern, ging kurz auf de Maizières Plan ein, Ermittlern im Kinderporno-Bereich das Einstellen unerlaubter Dateien und die verdeckte Ermittlung zu erlauben.

Diese Idee muss man nicht gut finden. Aber sie ist debattierenswert. So wie manches im Rahmen des Interviews. Zum Beispiel, dass sich de Maizière als „IT-Minister“ bezeichnet – ganz schön verwegen.

Doch es gibt eben auch Gehaltvolleres als selbshändisch geworbene Heldenmäntel. In Sachen Google Streetview bremst de Maizière zum Beispiel den Schaum der Kritiker:

„Es geht nicht darum, Fassaden und Plätze zu schützen, sondern den Menschen und seine Persönlichkeitsrechte. Eine Fassade ist etwas Öffentliches. Plätze sind touristische Attraktionen für die Welt. Das Urheberrecht kennt die sogenannte Straßenbildfreiheit seit mehr als 100 Jahren, interessanterweise beim technologischen Wechsel vom gemalten Einzelbild zur massenhaften Fotografie.“

Wenn auch mit völlig falschen Worten setzt der Innenminister außerdem auf die Selbstverantwortung der Nutzer:

„Die bisherigen Debatten gingen darum, dass der Bürger vor dem angeblich übermächtigen Staat geschützt werden muss. Jetzt geht es um den Schutz der Privatsphäre vor anderen Privaten. Freiheit hat ihren Preis. Wer sich keine Gardinen kauft, der muss in Kauf nehmen, dass mehr in sein Zimmer geguckt wird als mit Gardinen. Wer mit Twitter seine stündlichen Bewegungen der Öffentlichkeit mitteilt, kann nicht erwarten, dass der Staat ihn vor der Erstellung von privaten Bewegungsprofilen schützt.“

Auch der Auskunftsanspruch von Unternehmen gegenüber Verbrauchern ist eine spannende Sache. Und für weitere Debatten in Sachen Kinderpornographie und Internet-Filter merken wir uns einfach mal dieses Zitat:

„Sämtliche Angebote, die in Deutschland ins Netz gestellt werden, sind binnen Stunden oder Tagen gelöscht. Die schlechte Nachricht: Weit mehr als 90 Prozent der Angebote kommen aus dem Ausland.“

Man muss nicht de Maizières Ansichten teilen. Aber sie sind keineswegs so deppert wie vieles, was beispielsweise in den schlimmsten Zensursula-Tagen Ursula von der Leynes kursiert. Weshalb also geht dies so unter?

Zum einen ist vielleicht die Wortwahl de Maizières ein Problem. Offensichtlich versteht er – wie der größte Teil des Bundestages – noch immer nicht, weshalb Menschen bei Facebook oder Twitter sind und was sie dort tun. Verachtung trieft bei de Maizière durch die Zeilen, wenn er Dinge sagt wie:

„Im Übrigen stellen zu meiner Verwunderung nicht gerade wenige Menschen ihre privatesten Fotos zum Beispiel bei Facebook ins Netz…“

Vielleicht also mag ihn mancher deshalb immer noch nicht ernst nehmen – obwohl das noch viel weniger scharf klingt als früher. Auch, weil de Maizière zwischen den Zeilen Privatsphäre mit Datenschutz gleich setzt.

Ich fürchte aber, es gibt noch ein Problem: seine Partei. Die CDU hat es sich in Gestalt von Ursula von der Leyen kräftig mit jenen verdorben, die sich für Netzpolitik interessieren. Sie so weit für sich zu interessieren, dass eine Debatte entsteht ist den Christdemokraten bis heute nicht gelungen – auch de Maizières Grundsatzrede jüngst hat das nicht geändert. Und: Die Haltung von Web-Vielnutzern ist generell eher liberal – was mit der CDU anno 2010 und Personen wie Wolfgang Schäuble nicht in Einklang zu bringen ist.

Und doch ist Thomas de Maizière derzeit noch der Bundespolitiker, der die substanziellsten Äußerungen in Sachen Internet tut. Er ist fast der einzige, der sich mit diesem Thema nach vorne traut. Zugegeben: Das ist angesichts des Tiefflieger-Niveaus in diesem Feld auch nicht ganz so schwer. Doch wo bleiben die SPD-Vertreter, die Grünen und Liberalen, die wenigstens auf thematischer Augenhöhe mithalten? Kein anderer hochrangiger Parteivertreter jedweder Färbung setzt hier Zeichen. Traurig.

Und deshalb sollten die Äußerungen des Bundesinnenministers – selbst wenn man ihn nicht mag und/oder anderer Meinung ist – nicht verschwiegen sondern diskutiert werden. Auch wenn es traurig ist, dass dies im Jahr 2010 das Niveau der deutschen Politik ist.


Kommentare


dirkfranke 7. September 2010 um 13:37

Vielleicht ist er einfach ein Opfer der ausbleibenden Spontanreaktion. Der Reflex „CDU = aufregen“ funktioniert im Fall de Maiziere nicht so richtig, andere differenziertere Reaktionen sind mühsam und müssen erst langsam erarbeitet werden. Da de Maiziere jetzt auch nicht ungeteilte Begeisterung auslösen ist, ist er vermutlich einfach zu ambivalent für die Aufregungsmaschine Internet.

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Alphager 7. September 2010 um 13:46

Der Knackpunkt ist wirklich die Partei. Ich kann de Maiziere nicht ernst nehmen und schaffe es nicht, ihm auch nur den Hauch einer Ahnung der Thematik abzukaufen.

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_Flin_ 7. September 2010 um 13:50

Völlig richtig, de Maizière bleibt ein konservativer Politiker. Er wird sicherlich nicht von seinen Grundüberzeugungen abrücken. Aber er versucht wenigstens, fachlich und sachlich zu verstehen, was eigentlich passiert in diesem Internetzdingens, anstatt nur schlagwortgesteuerte Alibipolitik zu betreiben. Und man merkt, dass er Bereiche eigener Unkenntnis nicht nur mit Lobbypositionen überdecken möchte, sondern aktiv versucht, diese Unkenntnis zu beseitigen.
Was gut ist. Und mehr ist, als man von den meisten Politikern (nicht parteispezifisch) sagen kann.

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SvenR 7. September 2010 um 13:57

Ich denke »differenziertere Reaktionen sind mühsam und müssen erst langsam erarbeitet werden« ist der Knackpunkt. Ich finde auch, dass bei seinen Aussagen »viele schönes dabei war«.

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André 7. September 2010 um 14:10

Hast du mal Markus Beckedahl von netzpolitik.org darauf angesprochen? Wäre interessant zu hören, was er dazu sagt — vielleicht hat er ja noch andere Gründe.

Immerhin sind das hier nur Vermutungen 😉

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Usul 7. September 2010 um 14:21

Zum Interview hat auf jeden Fall Twister bei Telepolis noch was geschrieben, und wie man bei Rivva sehen kann, auch ein bisschen Resonanz eingefahren:

http://rivva.de/http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33262/1.html

Nahezu komplett untergegangen ist das Thema meiner Meinung nach nicht, ich glaube, es gibt nur gerade noch ein paar andere akute Baustellen (S21, Herr S. usw.)

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jo 7. September 2010 um 14:39

Diese Diskussionsfreude der am Internet Interessierten kennt aber anscheinend eine Grenze: Äußerungen von Seiten der CDU werden kaum beachtet.

Das stimmt so nicht, Thomas. Im konkreten Fall kamen auch gleich mehrere Dinge zusammen, die ich als Ausrede präsentieren könnte (Die beste findest du unten als PS).

Hauptgrund, warum Position der CDU bei netzpolitik.org vielleicht etwas seltener thematisiert werden, ist schlicht und ergreifend, dass von der CDU leider selten Überraschungen und/oder diskussionswürdige Vorschläge für den netzpolitischen Bereich kommen. Das ist ein bisschen, wie mit toten Fischen Fangen zu spielen: Langweilig und vom Geruch her auch nicht so prickelnd.

Abgesehen vom – imo Testballon – Emittlern das Anbieten/Tauschen von Kinderpornographie zu erlauben, imo auch nicht von de Maizière (wohl aber in anderen Medien, s.u.). Da hebst du den „IT-Minister“, der Anfang des Jahres wenig überraschend verkündete, auch nicht anders als sein Vorgänger zu ticken und netzpolitische Kaffeekränzchen mehr so zum Spaß als um des Diskurses Willen zu veranstalten, auf ein Podest, auf das er nicht passt.

Der Hinweis, dass 90% der (kinderpornographischen) Angebote aus dem Ausland kommt, ist ja nun wirklich alles andere als neu. Bemerkenswert ist da allenfalls das stillschweigende Eingeständnis, dass offenbar 10% aus dem Inland kommen. Oder das epische Scheitern von BKA/Inpol in den USA (ca. 80% aller Fälle, für die von der Leyen noch gott- und rechtlose Schurkenstaaten ausserhalb unseres Kulturkreises bemühen musste …).

Interessant ist das ansonsten evtl. noch vor dem Hintergrund, dass die Rechtslage in den Deutschland und den USA unterscheidet. D.h. ein Teil der Anfrage zur Löschung in Deutschland „unzulässige Inhalte“ landen in den USA automatisch in der großen Rundablage. Oder, wie Torsten Kleinz mal schrieb:

Scheitern werden deutsche Beamte unter anderem daran, virtuelle Kinderpornografie von US-Servern löschen zu lassen. Dort ist das legal, hier nicht. In Deutschland ist sogar Jugendanscheinspornografie illegal, im Silicon Valley ein Geschäftsmodell.

Aber das sind Feinheiten, die auch nur für das Lesen von Evaluierungsberichten relevant sind.

Ich sehe auch nicht, dass de Maizière den Schaum der Kritiker bei Streetview bremst. Weil, da müsste man sich zunächst mal fragen, woher der Schaum stammt und nicht pauschal alles auf Rentner und ihre – aus Sicht der vermeintliche Netzelite – irrationale „german angst“ zu reduzieren.

Persönlich finde ich es z.B. durchaus interessant, wie die Befürworter das Problemfeld auf Googlebashing und „Panoramafreiheit“ eingrenzen wollen (vgl. c’t-Editorial letztens, oder aktuell die Uboot-Aktion von Frau Seeliger auf der FSA10). Klar, wenn man keine anderen Sichtweisen zulässt, passt irgendwann auch das Weltbild. Zumindest bei netzpolitik.org haben wir uns durchaus um eine differenzierte Betrachtung bemüht.

Tatsächlich geht es, und da gebe ich de Maizière Recht, nicht um touristische Attraktionen(!) und öffentliche Plätze(!), sondern um Persönlichkeitsrechte. Bzw. „nicht um Kritik an Google, sondern um Praxen, wie wir in Zukunft den privaten vom öffentlichen Raum abgrenzen.“ , wie ich letztens mal schrieb.

Und da ist die Panoramafreiheit (man könnte übrigens diskutieren, ob ein Gesetz, dass Ende des 19. Jhd. für einzelne Postkartenfotografien geschaffen wurde, im Zeitalter von allgemein verfügbarer Digitalfotografie und Megapixelndatenbanken noch zeitgemäß ist) plötzlich ziemlich weit weg.

Wenn wir nämlich über Persönlichkeitsrechte diskutieren wollen, geht es um die Frage, wie weit die 2,90m hohen Google-Kameras in unseren persönlichen Lebensbereich vordringen (und das ist etwas vollkommen anderes, als die „touristische Attraktionen“, den die Postkartenfotografen vor 150 Jahren im Fokus hatten), bzw. wie sich die Speicherung/Verknüpfung in Datenbanken (das ist etwas komplett anderes, als die Veröffentlichung einzelner Postkartenmotive) mit dem Datenschutz-/Persönlichkeitsrechten verträgt.

„Zumindest bei Einfamilien- oder kleineren Mehrfamilienhäusern oder bei Gehöften“ könnte das Speichern und zum Abruf bereithalten von (nach der Panoramafreiheit legalen) Aussenansichten § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG zum Problem unzulässig sein (PDF).

Lange Rede, kurzer Sinn: „Menno, aber die Panoramafreiheit ermöglicht freie Pixel für freie Bürger!“ greift deutlich zu kurz.

PS: Ein weiterer Punkt, warum die Ideen mancher Politiker nicht im Netz diskutiert werden, dürfte – so absurd das auch klingen mag – sein, dass Sie in weitgehend netzfremden Medien geäussert werden. Sollte man von einem „IT-Minister“ nicht glauben, ist es aber so …

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Markus 7. September 2010 um 16:31

Als kleiner Zusatz zu dem, was jo schon geschrieben hat: Wenn das Interview erstmal hinter einer Paywall liegt, wenn man die Zeit hat, es kommentieren zu können, dann existiert das Interview nicht, weil es nicht zugänglich ist.

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Tantetrudeausbuxtehude 7. September 2010 um 19:40

Unser IT-Minister „Die Miese“ hat einen schlimmeren Schaden, als alle Innenminister zuvor. Will er bald auch den Verkauf von Heroin für das BKA legalisieren, um Junkies zu fangen

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Gonzo 7. September 2010 um 20:07

Ich finde auch, dass der de Maiziere ein Lob verdient hat.

Interessant ist, dass er dafür von der ZEIT angeschossen wurde. Denen ist seine Haltung zu liberal. Es gab einen hässlichen Artikel über De Maiziere dort, einen weiteren zu Google-Streetview, indem De Maiziere ebenfalls kritisiert wurde und der Ulrich von der ZEIT hat sich zweimal in der gleichen Sendung im Presseclub zu de Maiziere geäußert, indem er de Maiziere vorwarf, sich nicht um die Stammwähler der CDU zu kümmern und de Maiziere habe sich außerdem zum Thema Street-View chaotisch geäußert. Ich hatte diesbezüglich den gegenteiligen Eindruck, nämlich dass de Maiziere als einziger in einer hysterichen Diskussion (auch in der ZEIT) den Überblick behalten hat.

Sehr bemerkenswert die Haltung der ZEIT, wenn man bedenkt, dass sie sich für liberal hält und sie ja allgemein als SPD-Organ gilt – Naumann und so, allerdings Hamburger SPD, das muss man wohl dabei sagen.

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hko 7. September 2010 um 20:25

„Offensichtlich versteht er – wie der größte Teil des Bundestages – noch immer nicht, weshalb Menschen bei Facebook oder Twitter sind.“

Es tut immer gut, etwas über den Tellerrand hinaus zu schauen, das gilt eben nicht nur für gewählte Volksvertreter. Denn aus meiner Erfahrung lautet der Satz eben nicht „wie der größte Teil des Bundestages“, sondern eher „wie der größte Teil der (deutschensprachigen) Bevölkerung“.
Bei all der Sympathie untereinander in der Blogospähre ist dennoch zu berücksichtigen, dass ein weit überwiegender Teil der Bevölkerung zwar am Internet teil nimmt, aber sicher nicht bei all seinen Diensten.

Ich kenne niemand aus meinem weiteren Bekannten- und Freundeskreis, der, ähnlich wie der Innenminister, versteht, warum Menschen bei Facebook oder Twitter „sind“.
Und ja, zwar vermutlich konservativ, aber 34 Jahre alt, Programmierer und erstmals Anfang der 90iger mit Datex-J online. Affin bin ich trotzdem nicht.

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mike 8. September 2010 um 0:31

Ermittlern im Kinderporno-Bereich das Einstellen unerlaubter Dateien und die verdeckte Ermittlung zu erlauben

vs:

Weit mehr als 90 Prozent der Angebote kommen aus dem Ausland.”

Die Gesetze in .de müssen schnellstens geändert werden, mit läppischen 10% kann man sich ja nirgends sehen lassen…

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Hackworth 8. September 2010 um 11:24

De Maiziere hat wiederholt gesagt, dass er inhaltlich, wenn auch nicht rhetorisch, auf der Linie Schäuble liegt. Zu Schäuble/vdL ist inhaltlich inzwischen doch alles gesagt, möglicherweise sogar auch von jedem. Warum also die bekannten Positionen weiter widerkäuen?

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