Vor einigen Wochen saß ich bei einer Veranstaltung ein paar Minuten mit einem Vertreter des Zeitungsverlegerverbandes, pardon, der undemokratischen Trieben nachgebenden Lobbyorganisation, BDZV zusammen. Es ergab sich eine Diskussion über die Lage und die Zukunft der Zeitungen. Sie wurde hitzig. Der Herr ging.
Stein des Anstoßes war meine Meinung, dass Tageszeitungen sterben. Sie tun das nicht irgendwann, in mehreren Dekaden, sondern schon heute und in absehbarer Zeit. Das Aus für die „Mendener Zeitung“ ist nur ein Vorbote dessen, was da kommt. Der Herr vom BDZV sah das anders. Nun hätte ich verstehen können, wenn er als Mitarbeiter des Lobbyvereins öffentlich keine andere Haltung vertreten kann. Doch er wirkte so… überzeugt. Als ob er das tatsächlich glaube.
(Foto: Shutterstock)
Vielleicht wird ihm eine Meldung von Paid Content (gefunden bei Turi2) zu denken geben. Das Blog sprach mit Madi Solomon, der Director of Global Content Standards bei Pearson, dem Mutterhaus der „Financial Times“. Und was die über ihre Kollegen bei der „FT“ rausließ, ist Dynamit:
„They’re investing a lot in their online presence. Yes, they do see the end of print. That pink broadsheet has such fond memories for so many people that I don’t think they’ll completely stop printing, but they will certainly pull back – in fact, they’re already pulling back..
They’re not saying that, by five years, they’ll completely stop it, but they do see that the sunset is going to be in about five years for them.”
Fünf Jahre noch, dann hat Print es nicht völlig hinter sich – aber wird marginalisiert sein. Und das sagt nicht irgendein Verlag. Es sagt ein Haus, dessen Produkt sich an eine Zielgruppe mit vergleichsweise hohen liquiden Mitteln richtet und das Informationen anbietet, die nicht an jeder Ecke zu haben sind.
Jeder in der Print-Branche sollte das einfach mal in seinem Kopf bewegen. Vor allem jene, die glauben, das Internet sei eine Sache, die man so nebenher mitlaufen lassen könnte. Nein, das Netz ist das, wovon Mitarbeiter in der nahen Zukunft bezahlt werden müssen. Egal ob Verlagsmanager oder Journalist: Wer sich nicht mit dem Netz beschäftigt, wer sich dort nicht auskennt, wer glaubt, die alten Arbeitsweisen einfach so durchdrücken zu können – der wird schon sehr bald keine Planstelle mehr haben.
Oder wie es schon 2008 bei den Simpsons hieß:
Nachtrag: Einige Kommentare haben mich verleitet, das Thema noch einmal anders aufzubröseln.
Kommentare
Hootly 26. Mai 2010 um 17:03
Scheint ja ein fürchtelicher Affront für sie zu sein, dass es noch Menschen gibt, die eine andere, eigene Meinung vertreten und davon auch noch überzeugt sind.
Thomas Knüwer 26. Mai 2010 um 17:05
Nö, überhaupt nicht. Jeder darf eine andere Meinung haben. Wenn er aber deshalb falsche strategische Weichenstellungen vornimmt, die andere Menschen um ihren Arbeitsplatz bringen – dann kotzt mich das an, offen gesprochen.
Philipp 26. Mai 2010 um 17:55
Bei den falschen strategischen Weichenstellungen gebe ich Ihnen recht. Allerdings sollte man gerade auch von Journalisten erwarten, dass sie dies auch erkennen und sich selber den Gegebenheiten anpassen – wenn die großen Häuser in denen sie sitzen es nicht mehr wollen oder können.
Armin 26. Mai 2010 um 19:05
Bei der FT erscheint das ja auch durchaus logisch die Printausgabe in ein paar Jahren einzustellen. Der typische Leser der FT liest das Ding im Buero oder auf der Fahrt von/zum Buero auf seinem Computer/Smartphone/iPad.
Allerdings glaube ich noch nicht dass der typische Bauarbeiter oder Fliessbandarbeiter in fuenf Jahren seine Bild/Sun/USA Today auf der Baustelle oder im Pausenraum auf seinem iPad lesen wird.
Rainersacht 26. Mai 2010 um 19:27
Missionare sind immer soooo überzeugt, aber nicht immer überzeugend.
Arnonym 26. Mai 2010 um 21:13
@Armin: Der typische Bauarbeiter hat schon heute ein Handy mit mehr Rechenleistung als es für einen Flug zum Mond braucht. In fünf Jahren ist es ungewöhnlich, wenn man mit seinem Handy „nur“ statische Texte liest und sich durch Bildergalerien klickt. Auch als Handwerker oder Hausfrau.
Just sayin‘
Selbst wenn es nicht so schnell gehen wird, die „heutige Jugend“ wächst mit Ausnahme der Schulbücher ohne Papier auf. Daran wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Der Markt für Zeitungen auf Papier wird also schon durch den demographischen Wandel immer kleiner werden. Denn auch wenn der Markt an „Seniorenprodukten“ relativ wächst, wird die absolute Zahl derer, die eine Zeitung auf Papier wollen/brauchen immer kleiner werden.
Christian 26. Mai 2010 um 21:46
Interessant, dass Du die Mendener Zeitung als Beispiel nimmst. Ich lebe in Menden und kann im Moment live beobachten, wie die Menschen auf die Schließung der MZ reagieren – sowohl die ehemaligen Redakteure als auch die Leser.
Es gibt eine ziemlich klare Trennung in der Stadt – es gibt die, die die Westfalenpost lesen und die, die MZ lesen. Sorry: Gelesen haben.
Die Reaktionen bei den MZ-Lesern ist pure Fassungslosigkeit; sowohl wirtschaftliche Erwägungen als auch so etwas wie ein Blick auf die gesamte Medienlandschaft ist offensichtlich nur schwer möglich.
Und zumindest zwei der ehemaligen Redakteure versuchen gerade mit recht unterschiedlichen Herangehensweisen, zumindest in Klein so etwas wie eine online-Nachfolge aufzuziehen: www.neue-mz.de und www.mendener-magazin.de (Disclosure: Ich bin als Berater beim Mendener Magazin an Bord)
Jetzt wird es spannend sein, ob die Leser umsteigen, denn die Leser der MZ waren (vermutlich) deutlich weniger Web-affin, als „wir“ es hier alle sind.
Und ich denke, das wird bei aller Kritik am Verhalten der Print-Welt ein interessanter Punkt sein: Wer bleibt da alles auf der Strecke, weil er eben nicht selbstverständlich online „Zeitung liest“? Oder kommen die nicht-Onliner automatisch nach, wenn es keine Print-Angebote mehr gibt / die Qualität endgültig ins Bodenlose abgerauscht ist?
kibonaut 26. Mai 2010 um 22:27
Schön zu hören, dass auch andere auf Fünf Jahre tippen. Damit habe ich mich doch letztens in einer PR-Agentur unbeliebt gemacht …
@ Christian: Ich glaube nicht, dass da jemand auf der Strecke bleibt. Der Freund meiner Mutter ist schon längst in Rente, aber ist von seinem iPhone total begeistert. Es baumelt immer um seinen Hals. Muttern ist jetzt auch angefixt. Die Internet-Nutzung ist also selbst in mobiler Form mittlerweile so userorientiert, dass es alle können. Und sie werden wollen, wen sie merken, dass die Hürden gar nicht so hoch sind.
Christian 27. Mai 2010 um 6:28
@kibonaut: Ich bin mir im Moment nicht sicher, wer die Ausnahme und wer die Regel ist: Die „Silver Surfer“ die Du beschreibst oder die Menschen, die einfach morgens zum Kaffee ihre Blätter Papier vor sich haben wollen. Denn auch das gehört ja zu einer veränderten Mediennutzung – es ändern sich ja nicht nur „Gerät“ und Leseverhalten im Medium – ich muss auch auf vielleicht Jahrzehnte-alte Gewohnheiten verzichten.
hans 27. Mai 2010 um 6:33
kein Wunder in einem Land, in dem ein Magazin im 21. Jahrhundert „Cicero“ heisst. Oh, dieser deutsche Intellektugentismus. Köstlich.
Tom 27. Mai 2010 um 8:04
Wir haben den Verlagen vor 20 Jahren erzählt: es ist Zeit die Arbeitsweise umzustellen. Damals wollten wir noch „nur“ weg von Word, Fax und Handarbeit – hin zu minimaler Automatisierung. Also die Artikel wenigstens in einer Datenbank vorhalten und in einem einheitlichen XML-Format vorhalten. Was hat das alles an Energie gekostet und einige haben nicht einmal diesen Schritt realisiert!
Den logischen nächsten Schritt zur on-Demand-Produktion und Internet als primären Publikationskanal werden diejenigen, welche damals nicht hören wollten und ihre Prozesse nicht reorganisiert haben, garantiert nicht schaffen. Und selbst von denen die mitgezogen haben wird wohl die Hälfte auf der Strecke bleiben.
Recht so!
DennyRamone 27. Mai 2010 um 9:05
Darüber habe ich auch was geschrieben. http://www.sillylittlewebsite.de/print-ist-doch-schon-tot-zukunftsvisionen/
O-Ton 27. Mai 2010 um 9:57
Es ist doch immer wieder erstaunlich mit welcher Vehemenz hier wieder der Tod der Print-Zeitung propagiert wird. Interessant dabei ist, dass dem Vertreter des BDVZ folgendes vorgeworfen wird:
„Doch er wirkte so… überzeugt. Als ob er das tatsächlich glaube.“
Und dabei ist es vor allem der Autor, auf den dieses zutrifft.
Natürlich ist der Verfasser, der sich für das Internet begeistert, Web 2.0 und seine Möglichkeiten nutzt, von seiner Vorreiterstellung und von seiner eigenen Relevanz so beeindruckt, dass er sich selbst für den typischen Leser/Nutzer hält. Und doch zeigen Studien immer wieder: Es ist (noch?) eine deutliche Minderheit die das Internet regelmäßig und lange nutzt. USA-Verhältnisse, wo Blogs eine deutlich größere Anziehungskraft besitzen, können zudem nicht 1:1 auf Deutschland übertragen werden.
Warum also immer das entweder oder? Warum Online oder Print? Stattdessen ist das „Oder“ ein „Und“. Hat das TV Radio verdrängt? Nein. Schauen die Leute kein Fernsehen mehr, weil es das Internet gibt? Nein. Die Gewichtungen verschieben sich, ja. Aber es bleibt das Nebeneinander statt der permanente Gegensatz.
Dozer 27. Mai 2010 um 10:41
Es geht sicherlich nicht unbedingt um die völlige Verdrängung. Aber die Papierzeitung wird zum Luxusmedium für die Verlage werden, da bin ich mir auch ziemlich sicher. Der Hauptvertriebsweg für Informationen und Werbeeinnahmen wird online sein, und nur wer es sich leisten kann, druckt dann noch zusätzlich für eine zahlungskräftige (oder-willige) Minderheit auf Papier.
kibonaut 27. Mai 2010 um 12:03
@ christian:
Da muss man durch. Es wird immer gedruckte Medien geben (wenn auch vermehrt als Corp Publishing statt rein journalistisch) und es wird ein Luxusgut sein.
Ach ja – und die Gewohnheiten. Wenn die Silver Surfer es schaffen, weiß ich nicht, woran es bei den anderen hapert.
Ich war jahrelang Print-Redakteur und liebe Zeitungen. Die letzte habe ich mir aber vor sechs Wochen gekauft.
Thomas Knüwer 27. Mai 2010 um 13:42
@O-Ton: Danke für Ihren Kommentar – Sie haben mir klargemacht, dass etwas, was ich seit geraumer Zeit sage noch nie aufgeschrieben habe. Deshalb hier: https://www.indiskretionehrensache.de/2010/05/zukunft-der-zeitung/
Gründe für eine Zukunft der Zeitung 27. Mai 2010 um 14:53
[…] Kommentare auf meinen Artikel über die Äußerungen aus der “Financial Times” haben mir eines klar gemacht. Es muss noch einmal ein Satz aufgeschrieben werden (vielleicht hab […]