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Die Geschichte klingt so absurd, dass sie eine Satire sein könnte. Vielleicht aus einem Ben-Elton- oder Douglas-Coupland-Roman. Einem Werk, das in ferner Zukunft spielt, in der jeder ein potenziell Krimineller ist und der Grundsatz, Angeklagte sind unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist, nicht mehr gilt.

Doch dem ist nicht so. Es ist die Realität des Jahres 2009 in Großbritannien. Gesetzesentwürfe gibt es viele. Und deshalb beschäftigen sich Medien häufig erst mit ihnen, wenn sie in Gesetzestexte gegossen das Parlament passieren sollen – oder es gerade haben.

Viel zu spät haben zum Beispiel die britischen Medien bemerkt, was es einer Datenbank auf sich hat, die im Kampf gegen Kinderschänder helfen soll. Schon im Jahr 2006 durchlief sie das Parlament, wird aber erst jetzt konkret umgesetzt.

Nein, es geht nicht um eine Datenbank der Täter – es geht um eine der Nicht-Täter. Jeder, der eine Zeit allen mit Gruppen von fremden Kindern verbringt, muss sich anmelden. Das kostet 64 Pfund im Jahr, wenn man für die Hilfsleistung eine Aufwandsentschädigung oder Bezahlung erhält, zum Beispiel als Trainer beim Kinderfußball. Tut er es nicht, betreut sie aber dennoch, drohen ihm Strafen bis zu 5.000 Pfund und eine polizeiliche Ermittlung. Institutionen und Vereine, die Kinder mit Personen allein lassen, die nicht registriert sind, riskieren Strafen bis zu 10.000 Pfund.

11 Millionen Erwachsene betrifft das im Königreich. Sie alle sehen sich einer „1984“-Moral ausgesetzt: Wer nichts zu verbergen hat, der kann sich doch getrost anmelden. Dahinter steckt der Irrglaube, sich gegen alles versichern zu können. Nur, weil eine Lizenz zur Kinderbetreuung nötig ist, wird es keine Übergriffe mehr geben.

Die wird es natürlich geben, aber wenigstens kann man dann jemand verantwortlich machen: Den Verein, der sich die Lizenz nicht hat zeigen lassen oder den Aufpasser, der nicht aufgepasst hat. Das Projekt ist eine kindische Reaktion auf schreckliche Verbrechen. Als ob es ein echter Trost wäre, wenn man hinterher auf jemand mit dem Finger zeigen kann.

Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen eine solche Datenbank auch für Deutschland fordern werden.


Kommentare


Herr Rau 19. September 2009 um 8:34

Darunter leidet übrigens auch der Schüleraustausch mit England: jede Gastfamilie, die (auch nur für eine Woche) einen deutschen Schüler aufnimmt, müsste sich registrieren lassen und die 64 Pfund zahlen. Manche Schulen und Eltern ignorieren das noch, andere nehmen einfach nicht mehr an einem Austauschprogramm teil.

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Paul Pretzel 19. September 2009 um 10:34

Es ist noch viel schlimmer:
Jeder Mann steht unter diesem Generalverdacht.

Die Zukunft wird sein, dass Männer sich nur noch in Gegenwart von Frauen Kindern bis auf drei Schritt Abstand nähern dürfen.

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Sebs 19. September 2009 um 17:23

Ja, ich finde auch das man die Menschen mehr ermutigen sollte sich um Kinder zu kümmern.
Die oberen zehntausend wirds nicht viel kümmern, aber andere Teile des Sozialen Systems einfach zerstören.

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KS 19. September 2009 um 19:07

Das eigentlich Schlimme an der heutigen Mediengesellschaft ist eher das was Sie im dritten Absatz beschreiben – die Medien interessieren sich erst, wenn es für eine öffentlische Debatte viel zu spät ist. Wenn das Kind im Brunnen ist, dann wird auf einmal eine Titelgeschichte oder ein Seite-2-Füller draus. Investigativer Journalismus, oder vorrausschaunde Öffentlichmachung zum Starten einer rechtzeitigen Diskussion war einmal.

Dies wird heutzutage immer öfter im Internet von nicht-klassischen Medien und Nicht-Journalisten geleistet. Die Schnarchnasigkeit der klassischen Medien (und ihrer Internetableger) ist oft einfach nur noch ärgerlich. Oder gefährlich, je nach Thema.

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Armin 19. September 2009 um 23:22

Kleine Korrektur: Nicht in ganz Grossbritannien, nur England, Wales und Nordirland. In Schottland gilt dieser Unsinn (noch) nicht.

Dass das ganze erst so spaet in den Medien (und Blogs) auftaucht ist allerdings auch durch die Komplexitaet des Themas bedingt:

Im Prinzip gelten naemlich vergleichsweise aehnliche Gesetze schon seit Jahren, die neuen Gesetze verschaerfen (oder nach Ansicht derer die dafuer sind standardisieren) das ganze nur.

Ich gehe seit ungefaehr zwei Jahren einmal die Woche in eine Grundschule um dort mit Kindern lesen zu ueben. Dafuer habe ich schon vor 2 Jahren einen CRB check gebraucht. Ob das was gekostet hat weiss ich nicht mehr, kann sein dass meine Firma (die sponsort das Programm an sich) das uebernommen hat.

Das Problem liegt vor allem in der Strenge der neuen Regelungen, die sogar Leute mit einschliesst die mehr als einmal im Monat (also zwei Mal) Fahrdienste fuer den Sportverein leisten oder aehnliches.

Zu den Vorkommentatoren noch:

@KS Schoen waer\’s. Die Blogger haben das ganze genauso verpennt wie die \“klassischen\“ Medien. Erst als es zu spaet war haben alle gemeckert. Die einzigen die sich soweit ich weiss schon vor Wochen beschwert haben waren die Buchautoren die zu Lesungen in Schulen gehen (ja, die brauchen jetzt auch so einen Wisch).

@Sebs Auch die \“oberen 10,000\“ wird\’s interessieren, weil auch die sich registrieren muessen wenn sie ihre \“charity work\“ machen, etwas das hier recht verbreitet ist.

@Paul Eben da liegt das Problem. Wenn ich ein weinendes Kind irgendwo auf der Strasse sehe ueberlege ich mir heutzutage zweimal ob ich es anspreche was denn los ist.

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KS 20. September 2009 um 19:13

@Armin: ok, ich hatte jetzt nicht speziell an den Sachverhalt gedacht. Mehr so an Stopschild-Gesetz, Glühbirnenbann, etc…

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mandi 21. September 2009 um 12:29

@Armin \“Wenn ich ein weinendes Kind irgendwo auf der Strasse sehe ueberlege ich mir heutzutage zweimal ob ich es anspreche was denn los ist.\“
Mir geht es genau so. Deswegen find ich es gut, wenn überall im öffentlichen Raum Überwachungskameras installiert werden. Da braucht man dann keine Sorge mehr zu haben, dass einem sein Handeln falsch ausgelegt wird. 😉

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Jac-K 21. September 2009 um 16:33

Vor gut einem Monat ließ sich (im Rahmen der Berichterstattung über einen Kinder missbrauchenden Übungsleiter eines Sportvereins in Rheinland-Pfalz) Peter Muehlbauer auf telepolis http://www.heise.de/tp/blogs/8/143204 zu der Aussage hinreißen: \“Neben Sportvereinen entpuppten sich in der Vergangenheit auch kirchliche Einrichtungen und Familien als wichtige Kindermissbrauchsstätten. Allerdings sind diese Bereiche insofern relativ \’rechtsfreie Räume\‘, als sie in der Politik als Tabubereiche gelten, in denen regulierende Eingriffe potentiell Wählerstimmen kosten.\“

Bleibt also nur eine Frage der Zeit, bis die deutschen Politiker, die britische Regel übernehmen und jeden Ehrenamtlichen in Deutschlands Vereinen unter Generalverdacht stellen.

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POK 22. September 2009 um 15:33

Und hier ein Beispiel aus der Praxis in Deutschland.
Es geht zwar um einen anderen Sachverhalt ist aber, so denke ich, austauschbar.

http://www.alios.org/blog/2009/09/mein-festnahme-bei-der-freiheit-statt-angst-2009/

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