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Derzeit ist es mit dem Bloggen hier in der Indiskretion ein wenig schwierig. Denn ich bin auf der Re-Publica in Berlin, jenem Kongress, der aus der Weblog-Szene entstanden ist.

Zum dritten Mal findet er statt. Und er ist… normaler geworden. Und groß, verdammt groß. Die Stimmung hat sich verändert, weg vom abstrusen, hin zum normalen. Das ist einerseits schade – andererseits spricht es für ein gestiegenes Selbstbewusstsein. Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Es ist Re-Publica, ich soll moderieren, doch statt auf wackeligen Stühlen in einem stickigen und überfüllten Saal mit dem Charme eines Asta-Versammlungsraums Platz zu nehmen, werde ich erstmal verkabelt. Dann geht es auf die Bühne des Friedrichstadtpalastes. Und die ist – groß. Der Palast auch, heißt schließlich auch so. Palast.

Ganz schön groß geworden, die Re-Publica. 1400 Teilnehmer, doppelt so viele wie bei der Premiere vor zwei Jahren. Gefühlt sind alle da, die ich aus der digitalen Szene in Deutschland kenne. Alle, bis auf die, aus der Geldgeber-Szene – die fehlen. Dies ist keine Konferenz der Gründer, die einem mit ihren aufgeklappten Laptops signalisieren, die nächste Idee zu haben, die zu Weltveränderungen führen soll.

„Nutzerkonferenz“ nennt es jemand. Nicht ganz falsch. Hier sitzen die, die bei anderen Kongressen so oft genannt und herbeigewünscht werden, auf dass sie all diese Web-Dienste verwenden mögen. Es ist ein bunter Haufen und ein fröhlicher.

Die größere Örtlichkeit aber zerreißt die Gruppe, es ist schwerer, sich zu treffen. Andererseits ist diese Größe aber wohl nötig um zu signalisieren, dass es Zeit wird, Normalität zu demonstrieren. Blogs und Twitter und Social Networks sind für viele Menschen Alltag geworden.

Und: Es entstehen immer wieder Projekte, die einen staunen lassen. Mein Stauner des Tages war der Auftritt von Sascha Pallenberg. Seinen Job in Boston gab er wegen des Bloggens auf – damit verdiente er mehr. Deshalb aber verlor er seine Aufenthaltsgenehmigung in den USA, nun zieht er nach Taiwan. Vor allem aber macht er Netbook-News – und schon nach drei Monaten waren seine Einnahmen im fünfstelligen Bereich.

Der negative Stauner war ein Panel über den Medienwandel. Alte Klischees – wersolldasalleslesennurjournalistenliefernqualitätundüberhaupt – wurden wiedergekäut. Als Großkuh Nummer eins präsentierte sich dabei Helmut Lehnert, Gründungs-Chefredakteur von Radio Fritz. Und nach Fritz scheint seiner Meinung nach auch nichts interessantes mehr in der Medienwelt entstanden zu sein. Auch „Freitag“-Chef Jakob Augstein erntete vor allem Augenrollen. Was er sagte, war teilweise nicht falsch. Doch er strahlt eine fast monströse Arroganz aus. Blogwerk-Chef Peter Hogenkamp war der einzige, der versuchte nach vorn zu denken in dieser Runde. Vor zwei Jahren noch hätte es lautes Stöhnen im Saal gegeben und deutliches Murren. Heute dürfen sich die Diskutanten aus dem Publikum weit aus differenziertere Kritik anhören. Es ist die Kritik ihrer Kunden – auch wenn Medienvertreter wie Lehner das wohl nie begreifen werden.

Dann schon lieber Moot, bürgerlich Christopher Poole, der Gründer der digitalen Bilder-Pinnwand 4chan. So mager, dass man ihm ein Snickers zu werfen möchte – aber ausgestattet mit höchst trockenem Humor. Wie im Internet Insider-Witze und Legenden entstehen, schilderte in 30 wunderbaren Momenten, die sich mit Worten nicht wiedergeben lassen – das Video gibt es demnächst auf der Re-Publica-Seite.

So war es ein ordentlicher erster Tag in Berlin. Die Re-Publica wird erwachsen. Sie tollt nicht mehr verrückt und unbeschwert durch die Gegend, dafür ist sie strukturierter, größer, wichtiger. Traurig nur, dass nicht alle Medien das begreifen. Während Tagesschau.de mit Fiete Stegers einen kundigen Berichterstatter schickt, scheint DPA lieber auf Praktikanten zu vertrauen. Zumindest ist die Meldung, die ich – natürlich – auf Sueddeutsche.de – gefunden habe, höchst peinlich für eine Nachrichtenagentur, die gerade in diesen Tagen betont, Qualität liefern zu wollen.

Weitere Eindrücke auch beim Spreeblick.


Kommentare


Anyone 2. April 2009 um 3:34

\“Ich gucke mir gerade das Programm der re:publica an. WTF?! Draußen geht die Welt unter und in Berlin treffen sich die belanglosen Labertaschen zum gemeinsamen Synchron-Twitter-Wichsen mit eigener Flickr-Group? Ich komme aus dem Facepalmen gar nicht mehr raus!\“

http://blog.fefe.de/

So ist es.

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Anne Jin 2. April 2009 um 10:43

\“Re-Publica\“ ? Heißt die Veranstaltung nicht \“re:publica\“ ?

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Thomas Knüwer 2. April 2009 um 14:36

@Anyone:
1. Die Welt geht nicht unter.
2. Sie mögen Themen wie Meinungsfreiheit in der Dritten Welt oder Ethik & Internet für belanglos halten. Man könnte das auch anders sehen.

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schusch 2. April 2009 um 23:40

Wenn ich mir die Bilder so betrachte, die es von dieser Veranstaltung so gibt, da sitzen Leute im Publikum vor ihren Laptops und machen irgendetwas. Jeder von denen. Das ist ja so wie früher in der Schule, wo der Lehrer eben Lehrer waren und wir unter uns Zetteltchen rumgereicht, Schiffe versenken gespielt oder den Rubiks Cube gedreht haben.

Sind diese Leute nicht da, um den Leuten auf dem Podium zuzuhören?

Falls ich jemand auf dem Podium gewesen wären und hätte das gesehen, ich wäre einfach aufgestanden und gegangen, keiner hätte es mitbekommen, da ja alle beim Twittern waren. Vielleicht hinterher; \“Oh, da fehlt einer.\“

Ähm, Sorry. Was soll so was?

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Thomas Knüwer 3. April 2009 um 0:50

Also zunächst gibt es eine Menge von Menschen, die direkt über was auf der Bühne passiert, kommunizieren. Zum anderen gibt es, so die Technik mitspielt eine Twitter-Wall, auf der es direkt Resonanz vom Publikum Richtung Podium gibt.
Vor allem aber: Menschen die in Sitzen sitzen, sind kein interessantes Fotomotiv…

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derSven 3. April 2009 um 11:13

was sind das denn für Kommentare hier. Das passt genauso in die Sparte der twitternden und poken’en Konferenzteilnehmer – es gibt aber auch einige viele die die Podiumsrunden erst interessant und informativer machen.
Mehr davon, weniger einsame Vorträge und viel mehr Friedrichstadtpalast o.ä. (die Kalkscheune finde ich arg unpraktisch und twitter-isk (nur platz für 140 zeichen).

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Rainersacht 3. April 2009 um 12:02

\“Also zunächst gibt es eine Menge von Menschen, die direkt über was auf der Bühne passiert, kommunizieren.\“

Versteh ich das richtig: Die labern schon über das, was sie gehört haben, bevor sie es verstanden haben?

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