Deutsche Verlagsmanager und Journalisten erinnern mich oft an Kinder, die demonstrativ die flachen Hände an die Ohrmuscheln drücken, damit sie Mamas Worte nicht hören. Somit bekommen sie nicht mit, dass neben ihnen längst ein Revolver klickt, dessen Lauf auf ihren Kopf zeigt. Das macht das Sterben zwar überraschender, schneller und somit angenehmer – es verhindert aber, dass man sich wegduckt und sein Leben rettet. Heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit hörte ich die vorletzte Ausgabe des sehr empfehlenswerten Podcasts „Twit – This Week In Tech“. Einer der Gäste der Talkrunde war Dwight Silverman, Redakteur und Blogger des „Houston Chronicle“.
Er brachte einen Blog-Eintrag von Jessica DaSilva ins Spiel, Bloggerin und Praktikantin (!) der „Tampa Tribune“. Sie beschrieb sehr genau, was am Tag passierte, an dem eine neue Stellenabbaurunde verkündete wurde.
Nun ist die „Tampa Tribune“ in einer anderen Lage als die meisten deutschen Zeitungen: Sie schreibt rote Zahlen. Gern führen deutsche Zeitungsverleger auch genau das an: US-Zeitungen geht es wirtschaftlich schlechter. Aber heißt das, wir in Deutschland können uns entspannen? Nein. Denn in den vergangenen Jahren ist die Gesamtauflage aller Zeitungen in den USA um nicht einmal zehn Prozent zurückgegangen – in Deutschland jedoch um fast 20 Prozent.
Bei ihrer Rede ließ die „Tribune“-Chefredakteurin Janet Coats zwei Sätze zum Verhältnis von Zeitung und Web-Seite fallen, die von einer so klaren Auffassung des Wandels der Medienwelt zeugen, wie ich sie hier in Deutschland bei Verlagsmanagern wie Journalisten oft vermisse:
„People need to stop looking at TBO.com as an add on to The Tampa Tribune. The truth is that The Tampa Tribune is an add on to TBO.“
Dass die Chefredakteurin einer Zeitung diesen Satz ausspricht, kommt einer Revolution gleich. Denn bisher gilt es bei den meisten dies- wie jenseits des Atlantik -, zu betonen, dass die Zeitung das wichtigste Produkt des Hauses sei. Allein: Es stimmt schon längst nicht mehr. Online sind Zeitungen schon heute schneller, haben mehr Platz und somit mehr Inhalte. Der Internet-Auftritt ist in der derzeitigen Konstellation das Produkt, das weit mehr bietet als die Zeitung. Deshalb auch muss die Zeitung sich ändern: Sie muss sich abwenden vom manischen Denken, jede Nachricht irgendwie dokumentieren zu müssen. Und sie muss hin zu einer Ergänzung und Ordnung des täglichen Nachrichtenrauschens für ihre Leser. Das klingt leicht – ist aber so anstrengend und schwer, dass eine ungedopte Tour de France wie ein Kegelclubausflug wirkt.
Doch dieser Kampf, diese Wende, dieses Umlernen ist nötig. Und das Blut, der Schweiß und die Tränen, die während dieses Prozesses vergossen werden, sind es wert. Auch das sagt die „Tribune“-Chefin wunderbar eindeutig:
„It’s worth fighting for.“
Kommentare
Lukas 10. Juli 2008 um 14:54
Also Thomas, im ersten Absatz sind Dir die Metaphern aber etwas verunglückt: Kinder erschießen, tsis …
Weltenweiser 10. Juli 2008 um 15:43
Blut wird vergossen? Ich empfehle, den Kaffeekonsum zu reduzieren.
ich 10. Juli 2008 um 17:09
ist schon tragisch, dass es noch immer Journalisten gibt, die Lösungswege immer nur in den USA suchen. Die Deutschen gehen mit Zeitungen völlig anders um als die Amerikaner – das sieht jeder, der sich mal länger als nur 10 Tage zum Sightseeing dort aufhält. Aber das ist wohl zu viel verlangt.
In Deutschland ist das Internet immer noch ein Beiwerk der Verlage und solange im Internet kein Geld mit Nachrichten zu verdienen ist, wird das auch so bleiben. Warum sonst bestehen Online-Redaktionen nur aus Praktikanten, Stundenten, Berufsanfängern und vielleicht dem ein oder anderen, der sich mal mit der Verlagsspitze angelegt hat und nun dort auf die Rente wartet!
Niels 10. Juli 2008 um 20:23
Es ist schon faszinierend, dass selbst junge Redakteure nicht so recht wahrhaben wollen, dass gedruckte Zeitungen und Zeitschriften in der Form nicht mehr lange existieren können. Die Alternativen sind nun auch sehr düster, die meisten Internetausgaben sind intellektuell eine Beleidigung, ein sehr schönes Beispiel die von Rechtschreib- und Grammatikfehlern häufig strotzende Tagesspiegel-Online-Seite, die im Lokalteil Sex and Crime als ihr wichtigstes Betätigungsfeld ansieht…
bart 10. Juli 2008 um 21:14
Hmmm…es gibt in Deutschland mindestens eine Regionalzeitung, deren \“Online-Redaktion\“ ist bis auf eine Person identisch mit der Print-Redaktion. Es gibt eben nicht die oben beschriebene Online-Redaktion als Abstellgleis.
Weil die Print-Leute sich nunmal mit Nachrichten auskennen, produzieren sie auch die Inhalte fürs Netz.
Klappt das? Manchmal.
Können die Print-Leute das? Wenige.
Lernen sie es? Manche.
Es ist mühsam. Die meisten empfinden es als Zumutung – zusätzliche Stellen gab es nämlich kaum. Internet = Mehrarbeit lautet daher oft die Gleichung. Die Chancen sieht kaum einer. Ist halt eine deutsche Redaktion. Und doch ist die Revolution im vollen Gange…
Norbert . Matausch 10. Juli 2008 um 22:41
Gratuliere zu einem wirklich gelungenen Artikel. Ich arbeitete auch jahrelang fuer eine Wochenzeitung, deren Online-Auftritt verheerend war. Als ich nach hartnaeckigem Insistieren die Chance bekam, an der Homepage zu feilen (konzeptionell wie inhaltlich), teilte mir der Verlagsleiter mit, dass ich \“genau null Euro\“ (Zitat) zur Verfuegung haette. Auf meinen Einwand, dass ich damit nicht mal eine geringfuegige Umstrukturierung anschieben koennte, zuckte er nur die Schultern.
Jörg Stratmann 11. Juli 2008 um 12:38
Kurzer Denkanstoß: es gibt (noch) Menschen in diesem Land, die nicht den Großteil ihres Tages vor Rechnern verbringen.
Ich plädiere für gegenseitige Befruchtung.
Mattias 11. Juli 2008 um 17:24
Manueller Trackback:
[…] Wie weit dieser Trend bereits fortgeschritten ist, zeigt ein Blick über den großen Teich: Bei der Tampa Tribune spricht man aus, was für den Spiegel hierzulande längst gilt, nämlich dass die Printausgabe mittlerweile zum Supplement der Online-Ausgabe verkommen ist. Und im Computerbereich werden Hefte ganz eingestellt, so hat das altehrwürdige Linux Magazine seine bislang monatlich erscheinende Printausgabe komplett gestrichen. […]