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Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten bei einem Fernsehsender. Und sie haben die Idee für eine wunderbare neue Sendung. Aber die dürfen Sie nicht einfach so zeigen: Erst muss die EU diese genehmigen.

Oder Sie möchten ein Buch schreiben, brisantes Thema, hoch aktuell. Nur erscheinen kann es erst, nach Prüfung durch die EU – Sie könnten schließlich Ungesetzliches dort niederschreiben.

Irrwitzig? Big Brother? Undemokratische Triebe? Völlig undenkbar? Dann kennen Sie die EU nicht gut genug. Noch ist die Situation etwas verworren. Doch gerade deshalb ist es unglaublich, was die EU plant. Sie will, so ich das richtig verstehe, darüber urteilen, welche Inhalte und Anwendungen im Internet rechtmäßig sind – und welche nicht.

Es ist ein komplexes Thema. Bei komplexen Themen im Bereich der digitalen Technik aber sind Politiker meist überfordert und lassen sich lenken von Lobbyisten – diesmal wohl aus den Reihen der Musikindustrie und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Doch die generelle Idee passt ja ins Bild. Schließlich will die EU ja auch für Weblogs Qualitätssiegel verleihen. Und sie will eben entscheiden, was im Web erlaubt ist und was nicht. Nur: Das würde sie in keinem anderen Bereich der freien und schnellen Inhalte- und Anwendungsproduktion so tun. Niemand würde alle Bücher vor der Veröffentlichung kontrollieren – und wenn, müsste jeder demokratisch gestimmte Mensch auf die Straße gehen. Stichwort: Überwachungsstaat.

Nun gibt es aber durchaus Gründe, sich zu überlegen, wie es weitergeht mit Rechteschutz in Zeiten des Web. Und auch eine rechtliche Regelung, die Beschränkungen des Internet verbietet, wäre eine gute Idee. Aber dies ist eine komplizierte Diskussion.

Die EU aber will das Thema schnell noch eben durchs Sommerloch peitschen, auf dass niemand es merke. Es ist zu hoffen, dass die nun angestoßene Kampagne aus Reihen der Netzaktivisten fruchtet. Viel Hoffnung aber habe ich nicht.


Kommentare


Hanno Zulla 2. Juli 2008 um 17:38

Es wird wie üblich verlaufen: Das schlechte Gesetz wird erst einmal verabschiedet und wir alle müssen einige Jahre darunter leiden.

Irgendwann werden ein paar Teenager-Kinder von Politikern die Härte des Gesetzes bemerken und dann werden die Gesetze wieder gelockert… 🙂

Und bis dahin gilt: durchhalten.

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sicherheitsblog.info 2. Juli 2008 um 19:47

\“Anwendungen\“ ist ein herrlicher Gummi-Begriff – und solche sind ja in Brüssel sehr beliebt. Wird die seit Jahren übliche Taktik deutscher und europäischer Gesetzgeber fortgeführt, so bleibt es anschließend den (ohnehin überforderten) Gerichten überlassen, zu entscheiden, was \“Anwendungen\“ sind.

So sehr ich es begrüßen würde, wenn Inhalts- und Dienstanbieter im Internet endlich einmal wieder vorab feststellen könnten, ob ihr Angebot rechtskonform ist (siehe die Widersprüche in den Bereichen Forenhaftung, Linkhaftung, Impressumsrecht, AGB, Hackerparagraph, Zugriffsprotokollierung, Aufbewahrungspflichten und noch einigem mehr). Europäische Regulierung scheint aber kaum der richtige Weg zu sein.

Wann begreift es auch die Mehrzahl der gewählten Volksvertreter? Der Grund, das Zensur (weitgehend) verboten ist, liegt in der nahezu unlösbaren Schwierigkeit, \“gerechte\“ Normen zu definieren. Und so müssen wir wohl mit so manchem Schreihals und dem einen oder anderen Abmahn-Verliebten leben. Das erscheint mir im Sinne von Demokratie und Freiheit sinnvoller, als den Maulkorb gleich fest im System einzubauen.

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John Dean 2. Juli 2008 um 21:07

Ich tippe auf einen anderen Verlauf: Schritt für Schritt wird das EU-rechtliche Framework geschaffen, mit dem sich Ansprüche von Industrielobbyisten und Verwertungsgesellschaften leichter durchsetzen lassen. Überdies haben Verlegerverbände einen großen Einfluss. Ein wichtiger Bestandteil dieser Strategie ist die \“Ent-Anonymisierung\“ des Internets.

Es werden auf EU-Ebene die Rechte der Urheberrechtsinhaber und Verwerter von \“geistigem Eigentum\“ (nicht gemeint: Musiker, Autoren) vereinheitlicht und gestärkt, anschließend wird das hier maßgeblich von Lobbyisten konstituierte EU-Recht national umgesetzt. Dazu könnte auch rechnen, dass die EU den Nationalstaaten eine Registrierungspflicht für Blogs empfiehlt.

Eventuell.

Und in vielleicht 20 Jahren sind wir soweit, dass dann jegliche Form von Anonymität im Internet unter Generalverdacht gestellt ist und kontrolliert wird, unter Verdacht gestellt werden auch viele Formen von konzern-fernen Inhalten wie freie Software, freie Musik, Creative Commons.

\“Bitte weisen Sie nach, dass Ihr xxx nicht gegen fremde Urheberechte verstößt.\“

Es ist nur ein Szenario. Es wird darum gerungen werden. Einen Teil dieses Prozesses kann man hier nachvollziehen:

http://eur-lex.europa.eu/Result.do?RechType=RECH_eurovocTerm&term=Internet&idRoot=2&Submit=Suche

Beispielsweise empfiehlt die EU-Kommission den Nationalstaaten aktuell, dass diese vermehrt Anstrengungen zur Vermittlung von \“Medienkompetenz\“ unternehmen sollen. Ein wichtiger Punkt ist hierbei das Copyright – die Bürger sollen es bitteschön achten.

Das mag man alles noch gut und schön finden, aber es zeigt (besonders nach eingehenden Studium der Dokumente), wie die EU funktioniert:

\“Interessengruppen\“ beraten die EU und ihre Organe, anschließend werden auf dieser Basis Empfehlungen ausgesprochen – und den Nationalstaaten auferlegt.

Ein aktueller – und ich finde frappanter Fall – ist die Restrukturierung der europäischen Informationssicherheitsbehörde ENISA. Wesentlicher Kritikpunkt war hier: Ein bislang zu geringer Einfluss von Interessengruppen auf die ENISA – und darunter werden bevorzugt \“industrielle Gruppierungen\“ verstanden…

(Quelle: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2007:0285:FIN:DE:HTML)

Zugespitzt formuliert ist das Alltagsgeschehen von EU-Organen eine von und für Industrielobbyisten betriebene Planwirtschaft.

Dennoch: Das ist nur ein Aspekt. Da auch die EU um öffentliche Anerkennung ringt, gibt es dort eine gewisse Empfindlichkeit gegenüber öffentlichen Kampagnen.

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mariana mayer 2. Juli 2008 um 22:42

Neutrales Modell

Im Prinzip ganz einfach:
Lesen Sie die Gesetze durch, ich habe einige gelesen nicht alle, es kann sein, dass Fallstricke gebaut sind. Dafür muss es Einspruchsmöglichkeiten geben und zwar nicht erst durch EU Gerichtshöfe sondern deutlich früher.
Datenschutz fängt da an: Also Herr Knüwer, sie übernachten sicher in Hotels?
Wollen sie die Szenarien morgen im Internet sehen?
Sicher nein.
Wenn Sie sich allerdings freiwillig hier hin stellen und irgendetwas tuen, wer will Ihnen das Verbieten?
Eben.
Differenzen: In Niederlande darf mensch nackt über die Strasse laufen, in BRD ist das verboten. Moment, in der aktuellen Gesetzelslage kenne ich mich nicht aus. Nochmal: Es muss auf jeden Fall einen Schutz geben. Nur wenn einer mal im Jugendliche nLeichtsinn einen Fehler macht, ist das dann Strafbar? Nur weil jemand auf andere Schimpft ohne weitere Folgen, weil sie ihn verletzt haben, ist das Strafbar?
Im normalen Leben eigentlich nicht, nur im Internet ist es kontrollierbar.
Ein typisches Grundproblem im Leben, die technischen Möglichkeiten erweitern diesen Bereich nachvollziehbar, aber auch die Fälschung ist möglich.
So ich schreibe noch einen Kommentar, s. next.

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mariana mayer 2. Juli 2008 um 22:51

In der Informatik nennt man Syntax und Semantik folgendes: In der Syntax wird das Formale geprüft, z. B. ich darf nicht mehr in der Stellenausschreibung laut Agg schreiben: Ingenieur sondern muss auch Ingenieurin schreiben.

so und dann gibt es auch noch eine begrenzt inhaltliche Prüfung die Semantik.
quelle wiki:
Semantik (gr. σημαίνειν sēmainein „bezeichnen“), auch Bedeutungslehre oder Semasiologie, nennt man allgemein die Theorie oder Wissenschaft von der Bedeutung der (sprachlichen) Zeichen, mitunter auch die Bedeutung eines bestimmten Zeichens oder ein System von Bedeutungen selbst.

Ein Compiler kann dies prüfen.

Automatisiert bedeutet dies trotzdem: ein falscher Programmcode wird immer ein falscher bleiben. Wenn Sie ein falsches gesetz schreiben : z. B.
Sie dürfen einem sterbenden Menschen Organe unbeschränkt entnehmen.
Ist dieser Satz syntaktisch und semantisch richtig.

Das Programm, der Compiler wird dieses durchlassen.

Der Fehler im Programm liegt wo?

Mariana Mayer

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Christian S. 3. Juli 2008 um 1:48

Das Problem ist nicht die EU, das Problem sind die konservativen Kräfte im Europäischen Parlament. Da man das als Redakteuer einer konservativen Zeitung wie dem Handelsblatt natürlich nicht so formulieren kann, haut man lieber pauschal auf die EU und Politiker allgemein drauf.

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Thomas Knüwer 3. Juli 2008 um 11:33

@Christian S.: Das ist Unsinn. Sie dürfen ja hier in der Suchfunktion gern mal den Begriff Schäuble eingeben.

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sascha 3. Juli 2008 um 11:57

@mariana: Ingenieurin oder Ingenieur ist eine semantische Unterscheidung, denn es geht um die Geschlechterbedeutung. Syntaktisch kommt es nur darauf an, dass das Wort an der korrekten Stelle steht. Beispiel: 1+1 = 2 ist syntaktisch und semantisch korrekt. 1 – 3 = 2 ist syntaktisch korrekt aber semantisch falsch.

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Christian S. 3. Juli 2008 um 15:09

Thomas Knüwer: Nun muss also die absolut in den Zeitgeist passende Kritik an Wolfgang Schäuble als Beleg dafür herhalten, dass auch konservative Ansichten kritisiert werden.

Sie schreiben: \“Die EU will\“ und \“Bei komplexen Themen im Bereich der digitalen Technik aber sind Politiker meist überfordert\“; richtiger wäre es wie Heise festzustellen, dass diese Initiative von Konservativen ausgeht und es durchaus (sozialdemokratische) Gegenstimmen gibt.

Aber Kritik an der EU allgemein kam ja schon immer gut an.

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Nic 5. Juli 2008 um 13:23

Zum Glück haben wenigsten die Iren noch ein bisschen Verstan und haben gegen den EU-Reform-Vertag abgelehnt.

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