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Ups, ist ja schon 2007, dachte ich, als ich gerade Angela Merkel zuhörte. Denn was sie so sagte, hätte sie auch 1995 schon vortragen können. Vielleicht gibt es im Kanzleramt einen Ordner. Ein grauer Leitz-Ordner mit der Aufschrift: „Reden, die man immer mal so halten kann“. Und immer wenn Themen anstehen, bei denen man sich nicht die Finger verbrennen will und/oder auch nicht so richtig kompetent ist, dann geht ein Referent ans Regal und zieht diesen Ordner, der von Regierungschef zu Regierungschef weitervererbt wird, heraus.

Dort könnte jene Rede abgeheftet worden sein, die Angela Merkel gerade auf dem Medienforum NRW gehalten hat.

Natürlich nicht ganz. So ein aktueller Lagebericht über den Stand des Vorsichhinregierens muss natürlich sein. Demenzkranke in die Pflegeversicherung, Lohn-Dumping – der zynische Teil der Zuhörer hielt dies für zielgruppenorientierte Themenelemente.

„Die Weichen für die Medienlandschaft werden ganz maßgeblich mit in Köln gestellt“ – das übliche Gastgeber-Stadt-Lob halt, und jemand murmelt mit kölschem Akzent „MTV weg, Viva weg, Emi weg…“

Und dann folgen lange Abhandlungen über das Medium, das Merkel Kanzlerinnenauge in Kameraauge Tag für Tag begegnet: Fernsehen. Product Placement („Hier könnten die öffentlich-rechtlichen Anstalten mit gutem Beispiel vorangehen, wenn sie gerade nicht von den erlaubten Ausnahmen Gebrauch machen.“), Frequenzhandel, Fernsehzugang für Behinderte und Sehgeschädigte, Zugang von ländlichen Gebieten zu „neuen audiovisuellen Medien“.

Ein entlarvender Satz zeigt, wie sich deutsche Politiker die Zukunft vorstellen:
„Wir wollen ein Angebot sichern, so wie wir es gewohnt sind.“

Und deshalb kommen auch Jugendschutzmaßnahmen zum Zug, die wie aus jener Zeit scheinen, als ich noch die Gymnasiumsbank besaß: Schulfilmwochen, praxisgeeigente Materialien über aktuelle Filme – so sieht die Kanzlerin die Aufgaben des Staates.

Natürlich, wenn wir schon so über die geschützte Jugend sprechen, muss auch das böse, böse Wort fallen. Nein, nicht Internet, dazu kommen wir später – Killerspiele. „Die Hersteller solcher Spiele sollten sich zu einem runden Tisch der Verantwortung zusammenfinden.
Wir wissen, dass die Spiele zum Teil unheimlich brutal sind. Die Auswirkungen auf Kinder sind hinlänglich bekannt“ – so klangen Volksvertreter und Bachblüten-Pädagogen auch, als ich an der Datasette meines Commodore 64 saß. Man sieht ja, was dabei rausgekommen ist.

Immerhin, Merkel hat die Worte Chancen und Internet in unmittelbaren Zusammenhang gebracht – das tun nur wenige deutsche Politiker. Sie lobt eine Initiative namens „Ein Netz für Kinder“, das kinderschöne Angebote auflistet und so „Räume schafft, in denen Kinder sicher surfen können“. Dass die Abgrenzung von Raumschaffung das Gegenteil von Internet ist, diese Erkenntnis zu erwarten wäre wohl zu viel erwartet.

„Medien sind so etwas wie das Lebenselixier einer Demokratie“, sagt Merkel. Schade, dass unsere Kanzlerin sich intellektuell so wenig damit beschäftigt.


Kommentare


Christian 19. Juni 2007 um 14:25

Ich persönlich habe das Gefühl, dass das Benennen von \“entlarvenden Aussagen\“, wie es u.a. hier manchmal betrieben wird, in Wirklichkeit Wortklauberei ist. Wenn Herr Gloß \“das Internet bedient\“ oder Frau Merkel beim Internet \“Räume schafft\“, finde ich das nicht weiter tragisch. Wir alle wissen, was die beiden meinen. Herr Gloß meint Internet-Applikationen, die bedient werden. Und Frau Merkel meint eine begrenzte Zahl von Webseiten, die für Kinder zugänglich sein sollten.

Ich komme wie Sie aus dem Münsterland und habe eine Reihe von Freunden mit handwerklicher Ausbildung. Die fanden es lustig, das nicht jeder weiß, was \“Kanten brechen\“ heißt. Aber wozu sollte ich mir dieses Wort aneignen. Mir ist es nur wichtig, dass eine Holzplatte keine scharfen Kanten hat.

Mir kommen bei derartigen Spitzfindigkeiten immer die Menschen in Erinnerung, die jedem der \“besser wie\“ sagt, ein \“besser als\“ entgegnet und den eigentlichen Inhalt des Satzes damit völlig entwertet haben.

Eine Sprache ist das, was die Menschen sprechen – und nicht das, was irgendwer definiert. Ich rege mich ja auch nicht darüber auf, dass der Schraubenzieher Schraubenzieher heißt, obwohl man damit keine Schrauben zieht. Und der Maulwurf wirft nichts mit dem Maul – und dennoch benutze ich das Wort. Und genauso gestehe ich es jedem zu, das Internet zu bedienen (wenn er damit Internet-Applikationen meint) oder im Internet Räume zu schaffen (obwohl er in Wirklichkeit einen eingeschränkten Zugang ermöglicht).

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rzj 19. Juni 2007 um 15:23

Ich wünschte, es würden bei solchen Reden einfach die Leute den Saal verlassen, die das nicht mehr hören wollen. So mitten in der Rede, mißbilligendes Gemurmel eingeschlossen.

Wenn die Zuhörerzahl zum Ende regelmäßig nur noch 50% des Anfangswertes erreicht, sollte das schon Eindruck machen.

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