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Das Schöne am Internet ist: Man lernt nie aus. Das Blöde ist: Es entstehen zu viele Anglizismen. Und deshalb zum Wochenende eine Denksportaufgabe und ein Kreativwettbewerb für alle Leser: Lasst uns ein Wort finden für den englischen Begriff „astroturfing“. Als ich zum ersten Man vom „astroturfing“ hörte, hielt ich es für einen Begriff, den nur eine Hand voll Liebhaber verschwurbelter Fachbegriffe in Übersee anwenden. Anscheinend habe ich mich geirrt. In der Welt der PR scheint Astroturfing zumindest in den USA in weiten Kreisen bekannt zu sein, 375.000 Google-Einträge sind nicht schlecht, Wikipedia verzeichnet es auch schon:

„In American politics and advertising, the term astroturfing describes formal public relations projects which deliberately seek to engineer the impression of spontaneous, grassroots behavior. The goal is the appearance of independent public reaction to a politician, political group, product, service, event, or similar entities by centrally orchestrating the behavior of many diverse and geographically distributed individuals.“

Ein besonders peinliches Beispiel lieferte Steve Rubel diese Woche. Vor allem die Entschuldigung der kleinen PR-Agentur auf der anderen Seite des Meeres ist ein Beispiel, wie man krampfhaft versucht, sich die Schuld nachträglich von den dreckigen Händen zu waschen.

Nun wird dieses Vorgehen auch in Deutschland verstärkt auftreten. In dieser Woche zum Beispiel gab es das Beispiel jenes merkwürdige Rätselspiel, bei dem Blogger Briefe erhielten, um sie ein eine bloggestützte Da-Vinci-Code-für-Arme-Inszenierung zu integrieren. Mutmaßlich stammt das Ganze aus einer PR-Agentur, recherchierte Herr Alphonso.

Doch es gibt noch keinen Begriff, oder täusche ich mich? Und „astroturfing“ ist zumindest in einer Kommunikationsberatung, die ich heute morgen gefragt habe, völlig unbekannt. Wie also nennen wirs? „Da astroturft eine Agentur“? Nö, das klingt echt blöd. Noch dazu weiß ja kaum jemand hier zu Lande, was Astroturf ist – nämlich eine Form Kunstrasen, die in vielen US-Stadien ausliegt.

In Deutschland aber gibt es nur wenig Kunstrasen. Und das Wort Kunstrasen selbst eignet sich auch nicht so richtig, da der Satz „Da hat eine Agentur mal wieder kunstgerast“ eher nach schweren Sprachstörungen klingt.

Wie also sollte man es nennen, wenn eine übereifrige Tanjaanja meint, die öffentliche Meinung durch kundenbeeinflusste Kommentare in die ihrer Meinung nach richtige Richtung zu dirigieren?

Das Wochenende liegt vor uns und vielleicht fällt dem einen oder anderen ja was Hübsches ein. Und: Bitte keine Lösungen wie „Verarschung“. Wer den hübschesten Begriff findet, wird durch eine Handelsblatt-Devotionalie (die ich wg. spontane Idee noch nicht bestimmt habe) belohnt.

In diesem Sinne: Happy Weekend!


Kommentare


niels | zeineku.de 11. August 2006 um 15:31

Ich schlage \“Kommufikation\“ vor. Zugehöriges Verb \“kommufizieren\“.

Sprachlich angelehnt an \“Kommunikation\“, \“Fiktion\“ und \“Infizieren\“.

Aber ich rechne mit weitaus besseren Ideen anderer.

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cut 11. August 2006 um 17:50

Artificial Anus und artificialing(?)

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weltherrscher 11. August 2006 um 18:23

microfesseln
dabrownen
davincen
grüntreten
vorverlegen
treibschmeicheln
grünlästern
farbfrohen
grünfrohen
gernladen
einfrommen
golfen
grüngolfen
sonnengolfen
einrasen
wegrasen
mähtrotteln
rolllocken
wiesengehn
mahden
schnupfmahd
koksdeckeln
dingrasen
vorvertikutieren

eindüngen
kunstlocken

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Roland 11. August 2006 um 21:25

Nette Idee, aber haben wir denn überhaupt schon ein Deutsches Wort für \“Grassroots\“(-Journalism)? Denn daher kommt das ganze Gerede über den Kunstrasen, sprich \“astroturfing\“. Vielleicht sollten wir erstmal den Ursprung eindeutschen, statt das Derivativ davon…

In einem ist English übrigens _immer_ besser als Deutsch: aus einem Substantiv ein Verb zu machen, geht mit fast allem in der englischen Sprache.
Dafür haben wir den schönen Vorteil, dass wir eine Unzahl von Substantiven hintereinander klemmen können. (Siehe DonauDampfSchifffahrtsKapitän…)
Vielleicht lässt sich ja auf die Weise wort-spielen?

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Karlheinz Mosblech 12. August 2006 um 0:36

Es gab mal einen Wikipedia-Artikel »Kunstrasen (PR)«, der den tatsächlichen Gebrauch eines Verbums _kunstrasen_ behauptete (inzwischen gelöscht und nur noch bei Spam-Mirrors auffindbar). Dort wurde die rheinische Verlaufsform »du bist am kunstrasen« als Verwendungsbeispiel angeführt, allerdings ohne Beleg. Auch wenn da wohl jemand vergeblich versucht hat, einen Neologismus zu etablieren ? ich fand\’s sinnfällig.

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geheim 12. August 2006 um 0:45

>> Nette Idee, aber haben wir denn überhaupt schon ein Deutsches Wort für \“Grassroots\“(-Journalism)?

Wie wär\’s mit \“Journalismus von unten\“? Dann kann man astroturfing auch gleich mit \“das Unterste\“ betiteln und gut ist 😉

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Bürger-Herold 12. August 2006 um 4:05

Statt geturftes Pferdegetrappel wollen wir am Wochenende das Gras wachsen hören – so richtig bei de Wurzel grasen, damit wir wieder was zum Grasrooten haben. Tzse, \“kunstgerast\“, wie \“Indiskretion\“ meint, tönt auch nicht so prima, dann vielleicht \“kunstgegrast\“ oder \“kunstgerastet\“.

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niels | zeineku.de 12. August 2006 um 13:28

Wenn man das Wort weiterhin an Gras und Rasen anlehnen will, bietet sich vielleicht \“Kunstkiff\“ oder \“Gras koksen\“ an.

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Markus Pirchner 12. August 2006 um 14:36

Auch wenn es nicht wirklich direkt aus der deutschen Sprache stammt: Undercover PR.
Oder: Camouflage PR.

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laanda 13. August 2006 um 20:31

wie wäre es mit

schwurbeln (Substantiv Geschwurbel, Schwurbler)
oder
werbunterschieben (=Werbung unterschieben, Substantiv Werbunterschiebung, Werbunterschieber)

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logog 14. August 2006 um 11:30

Kunstrasen ist doch perfekt. Als Verb eingesetzt wäre die Denotation eine Art künstliches Toben und es bliebe die Konnotation zur wurzellosen Grasimitation.

Die \“Graswurzelbewegung\“ sollte übrigens in Deutschland auch kein unbekannter Begriff sein, er ist seit den siebziger Jahren von anachosyndikalistischen Basisgruppen besetzt.

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L. Hoppe 7. Dezember 2006 um 16:19

Gezielt Schleichwerbung in Blogs unterzubringen ist natürlich ein starkes Stück. Als Sportplatzplaner bin ich auch nicht davon begeistert, wenn Kunst(stoff)rasen so einen faden Beigeschmack erhält. Dennoch entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, da dieser in der Regel auf einer sogeannten \“elastischen Tragschicht\“ verlegt wird. Das lässt Raum für Spekulationen…

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Hugo Boss: Wie Unternehmen nicht twittern sollten 2. Juli 2010 um 19:36

[…] Zeit ein Kommentar hier im Blog ein, der im PR-Ton den Twitter-Account lobt. Dies riecht nach Astroturfing, wie wir es auch einst bei Grey erlebt […]

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aNo_nym 5. Juli 2010 um 15:53

Was ist falsch an dem Begriff? Die Agenturen versüchen künstlich, die Massen zur Raserei zu bringen. Also: Kunstraserei!

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Bahn, Telekom und andere Kommentarfälscher: Frau Aigner, übernehmen Sie 11. Oktober 2010 um 12:50

[…] – und flogen dank ihrer IP-Adressen auf. Es folgte einige andere, die ähnlich agierten. Astroturfing ist heute in PR-Kreisen in üblicher Begriff. Weitere Unternehmen flogen bei dieser Praxis auf, […]

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