Nachtrag vom 23.4.2010: Meine Meinung zu diesem Thema habe ich inzwischen revidiert.
Oliver Kahn gibt ein Interview – und will dann lieber nicht gedruckt wissen, was er gesagt hat. Einer der bemerkenswertesten Artikel des Oster-Wochenendes war ein „Zeit“-Stück über ein Gespräch, das nicht zitiert werden darf. „Die Geschichte einer persönlichen Tragödie – erzählt anhand eines nie gedruckten Interviews“ untertitelt Henning Sussebach seine Oliver-Kahn-Geschichte in der jüngsten Ausgabe der „Zeit“ (leider nicht online zu finden). Er erzählt von einem Interviewtermin mit Kahn, dessen Ergebnis das Management des Ex-Titanen nicht freigeben mag.
Eigentlich geht es dabei weniger um Kahn als vielmehr um den verzweifelten Versuch, ein Image zu wahren, das nicht der Realität entspricht:
„Es beginnt ein Gespräch über Schwächen und Angst. Eine Stunde lang. Am Ende sitzt das Klischee Kahn nicht mehr mit am Tisch.“
Kahn hat die Deckung anscheinend langsam gesenkt während des Gesprächs, das passiert ihm praktisch nie. Und deshalb will er hinterher nichts mehr davon wissen:
„Denn Kahn sagte, dass er leider kein Wort des Interviews freigeben könne. Ja, doch, es sei so geredet worden, wie es nun aufgeschrieben sei, alles authentisch, nur dürfe das niemand lesen. Nicht vor seinem Karriereende, das müsse man verstehen.“
Nun ist die Abstimmung eines solchen Interviews in Deutschland leider gängige Praxis – und meist eine wahre Pest. Da verändern dann Pressesprecher wunderschöne, eingängige Zitate zu Lehraufsätzen, die in ihrer Schwurbeligkeit aristotelische Qualitäten erringen. Man mag es eigentlich nicht mehr drucken, was da mancher gedruckt sehen will.
Gerne wird die geschmacklos gewordene Soße dann verrührt mit PR-Müll, werden Schachtelsätze eingeschoben als gelte es einen Guinness-Buch-Rekord in Sachen Wort-Babuschkas zu errichten. Und das alles dient nur einem Ziel: Der Interviewte soll besonders toll dastehen. Das Gegenteil aber passiert, der Leser hält den dort zitierten für Fleisch gewordene Professoralität, für einen Klotz Langeweile in Menschenform, einen, den um Gottes Willen niemals der unvorhersehbare Wind einer Tischordnung an den Platz neben einen wehen möge zum Anlass eines Stunden dauernden Gala-Dinners.
Oft genug kollidiert dann eine solche Abstimmung auch mit dem Image, dass die Berufskommunikatoren ihren Schützlingen verleihen wollen. Da entpuppt sich ein Manager als raubeiniger, offen sprechender Angreifer – und wird im Interview zum schmusigen Hausdackel degeneriert.
Das ist ärgerlich, um nicht zu sagen zum kotzen. Für den Journalist, der sich mit einem Interview konfrontiert sieht, dass nicht den Menschen abbildet, den er getroffen hat. Für den Manager, der auf Menschen trifft, die ein falsches Bild von ihm haben. Für den Berufskommunikator, der es sich mit dem Journalisten verdorben hat. Und für den Leser – weil er veralbert wird.
So viel Voraus-Denken aber darf man eben nicht erwarten von den PRlern, die versuchen ihren Job als Wort Guard ihrer Herren zu rechtfertigen, weil sie sonst vielleicht keine Rechtfertigung mehr haben.
Kommentare
Roland 18. April 2006 um 12:25
Das Authorisieren von Interviews ist in der Tat eine Unsitte, die zumeist wenigstens den Betrieb aufhält, selbst wenn nichts verändert wird. Wenn dann ein PR-Werker noch mal Hand anlegt, um so schlimmer. Dann lieber so wie bei Kahn, der sinngemäß sagt: Nach meinem (beruflichen) Ableben könnt ihr damit machen, was ihr wollt.
sascha 18. April 2006 um 13:38
Wie hält es das Handelsblatt? Wirft es den ersten Stein?
tknuewer 18. April 2006 um 13:56
Wir halten es in der Regel so, dass eine Abstimmung bekommt, wer explizit eine haben will. Ansonsten gibt es oft genug überhaupt kein Interview. Wenn eine Abstimmung versprochen ist, gibt es die auch. Aber: Ich frage nie offensiv nach, ob eine Abstimmung gewünscht wird. Wenn ein Unternehmenskommunikator nicht nachfragt, hat er Pech gehabt. Ausnahme: Es dreht sich bei dem Gespräch um sehr schwierige Zusammenhänge oder ich entdecke im Nachhinein Aussagen, die so nicht stimmen können. Und auch bei Menschen, die keine Erfahrung mit der Presse haben können, verhalte ich mich anders.
egal 19. April 2006 um 13:49
Die Autorisierung ist keine „Unsitte“ sondern die einzige Möglichkeit, sich vor Journalisten zu schützen, die einem das Wort im Munde umdrehen.
tknuewer 19. April 2006 um 14:46
Das aber sind die wenigsten. Und Sippenhaft war noch nie ein probates Mittel zur Beseitigung eines Problems.
marcc 19. April 2006 um 15:25
Mir sagte neulich ein Auftraggeber, dass es mit ihm keine autorisierten Interviews gibt und ich mich als Interviewer in seinem Auftrag gar nicht darauf einlassen soll und wem das nicht passe, der könne sich gerne bei ihm melden.
marcc 19. April 2006 um 15:26
Nachtrag: Es st nur eine kleine Zeitung, aber egal.
– 19. April 2006 um 15:28
Sehr witzig, „Sippenhaft“ aus Ihrem Munde? Wer vermittelt denn hier den Eindruck, als seien alle PRler totale Vollidioten?
egal 19. April 2006 um 15:30
marcc: ok, wenn das der deal ist, muss halt jeder wissen, ob er sich drauf einlässt, oder nicht. Ich würds nicht tun. Schließlich sagt man in vermeintlich vertrauter Atmosphäre – und ein guter Journalist weiß, wie man eine solche herstellt – schon mal Dinge, die man hinterher bereut. Alles reine Psychologie.
tknuewer 19. April 2006 um 15:43
Ich hoffe, wer mich regelmäßig liest weiß, dass ich nicht alle PR’ler für Idioten halte, sondern mich über die Idiotie mancher PR-Aktion genauso lustig mache wie über die Idiotie manches meiner Berufskollegen.
– 19. April 2006 um 15:54
Ja, allerdings haben die meisten idiotischen PR-Aktionen ihren Ursprung in den Köpfen von Marketing-Verantwortlichen, die oft gegen den Rat ihrer Agentur handeln. Wenn man ihre Geschichten aus der kleinen Agentur am Rande der Stadt so betrachtet, drängt sich der Eindruck auf, als wären Ihnen diese Mechanismen nicht ganz klar.
tknuewer 19. April 2006 um 16:15
Natürlich ist mir das klar. Die kleine PR-Agentur ist eine Satire! Aber: So manche Marketingaktion wird heute auch im PR-Bereich geboren.
christian bartels 20. April 2006 um 16:15
noch zu Peter Turis Idee: Für Menschen, die beruflich schnell und viel tippen, könnten sich solche Blog-Interviews mit dem kleinen Zeitpuffer zwischen Formulieren und Abschicken der Antwort tatsächlich zur guten Alternative entwickeln. Bloß für Fußballer, die nicht so viel (auf Tastaturen) tippen, wohl eher nicht.
Die könnten allenfalls PR-Agenten anheuern, denen sie ihre Antworten diktieren, die diese dann halbspontan in unangreifbare Allerweltsaussagen bzw. „Lehraufsätze, die in ihrer Schwurbeligkeit aristotelische Qualitäten erringen“, umformulieren. Oder so.
Warum die “FAZ” mich zur Rücknahme einer klaren Meinung zwingt 23. April 2010 um 14:45
[…] Einst hatte ich eine klare Meinung zur Abstimmung von Zitaten: Das ist eine Unsitte, eine deutsche Unsitte. […]
Zitatabstimmung – und ein Mittel dagegen 23. Januar 2014 um 12:46
[…] eine klare Meinung hatte: Das geht gar nicht. 2006 schrieb ich Wütendes zu diesem Thema nach einem Erlebnis der “Zeit” mit Oliver Kahn. Inzwischen sehe ich das anders. Nicht nur, weil sie die Erlebnisse von Interviewten häufen, in […]