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„Wir können davon ausgehen, dass von uns unterstützte Unternehmen mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% scheitern. Aber dieses Förderprogramm ist die Zukunft unserer Wirtschaft.“

Würde ein Politiker mit dieser Aussage an ein Podium treten – er würde vom Sturm der Entrüstung hinweggefegt. Man muss es halt anders nennen, dann kuscheln sogar Chefredakteure wie Michael Bröcker, der Lenker der „Rheinischen Post“.

Der interviewte den neuen NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (aus Gründen des Leistungsschutzrechtes leider nicht verlinkbar) und ließ sich vorschwärmen von Exzellenz-Initiativen für Startups und einem „Rhein-Valley“. Kritische Nachfragen – keine.

Nun ist Pinkwart nur das aktuellste Beispiel für die Fehlwahrnehmung der deutschen Politik in Sachen Gründerförderung. Ex-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wollte zusammen mit Frankreich (warum?) einen Fonds über 1 Mrd. Euro für Startup-Investments bereitstellen, Düsseldorfs Bürgermeister Thomas Geisel will seine Stadt zur Startup-Metropole machen und so weiter, und so weiter.

Halten wir also mal kurz fest: All diese Volksvertreter setzen sich dafür ein, dass öffentliche Gelder für Unternehmen ausgegeben werden, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 90 Prozent vor die Wand fahren. Bei Venture Capital-Fonds gilt die Daumenregel: Wenn eines von 10 Investments fliegt, dann machst du ein gutes Geschäft.

Die Definition von Startup laut Wikipedia lässt schon zweifeln, ob diese wirklich ein gutes Objekt für direkte staatliche Förderung sind: „Oft haben die Startups es dabei mit einem jungen oder noch nicht existierenden Markt zu tun und müssen erst ein funktionierendes, skalierbares Geschäftsmodell finden – haben sie dieses gefunden und etabliert, gelten sie allgemein nicht mehr als Startup.“

Öffentliche Gelder für ein Unternehmen ohne funktionierendes Geschäftsmodell – was würde einem Politiker eine solche Idee um die Ohren gehauen, spräch er sie aus.

Denn so ist das eben mit Startups. Das ist auch nichts Schlimmes. Wir sprechen hier von Unternehmen, die oft derart neue Ideen entwickeln, dass sich nicht sagen lässt, was passieren wird. Sie treten zum Beispiel an, um traditionsreiche Branchen auf den Kopf zu stellen. Oder wollen Märkte ganz neu erschaffen. Das ist mit immensen Risiken und Unwägbarkeiten behaftet, doch nur so kann echte Innovation entstehen.

Natürlich ist es nicht ein Fun, sondern ein Sad Fact, dass gerade die Politik mit zahlreichen Maßnahmen diese Scheiter-Quote erhöht. Wer beispielsweise an der Festigung der Taximarktstruktur arbeitet, bremst Startups in diesem Feld aus. Wer in Gestalt von Stephan Holthof-Pförtner einen Verleger zum Medienminister macht (wie in NRW geschehen), der braucht mit Gründertum in diesem Bereich gar nicht erst anfangen. Wer Stammzellenforschung erschwert, muss sich nicht wundern, wenn in anderen Ländern junge Unternehmen in diesem Feld entstehen. Und natürlich ist jede Verschärfung des Datenschutz ebenfalls ein Innovationsbremse.

Das heißt nicht, dass jede dieser Startup-Bremsklötze falsch ist. Es ist auch legitim zu sagen: Wir in Deutschland wollen scharfen Datenschutz und aus christlicher Haltung will ich als CDUler keine Stammzellenforschung. Nur: einerseits Startups fördern, sie aber am am anderen Ende beschneiden – das ist Geldverschwendung.

Hinzu kommt ein Altes-Wirtschafts-Denken auf Seiten der Politik. Die Idee, eine Branche oder einzelne Unternehmen durch Fördergelder oder Kredite nach vorne zu bringen oder zu erhalten, entstammt dem analogen Zeitalter. Es war jene Zeit, in der sich Industrien nur langsam wandelten, es mal auf und ab ging, nie aber im Sturzflug. Und es war eine Zeit, in der Gründer kreditfinanziert starteten und Begriffe wie Seedfinanzierung oder Venture Capital nicht bekannt waren.

Im 21. Jahrhundert wirkt jene Idee von direkter staatlicher Förderung wie die Rückkehr der Staatswirtschaft. Wie zu DDR-Zeiten werden da Kredite an Unternehmen gegeben, die diese mutmaßlich nicht zurückzahlen werden. Und wenn es um Fördergelder geht: Gibt es die geschenkt? Oder will der Staat dafür Anteile? Letzteres wäre nicht zu Gunsten der jungen Unternehmer, denn gute Kapitalgeber sind immer auch Berater. Doch wer traut einem Vertreter des Wirtschaftsministeriums Beratungskompetenz zu außerhalb der Frage, wie jenes junge Unternehmen noch mehr staatliche Förderung bekommt?

Die aktuelle Debatte zeigt, dass Politik nicht langfristig lernfähig ist. Genau jenes Tönen vom X-Valley gab es ja auch um die Jahrtausendwende. Damals entstanden im ganzen Land öffentlich finanzierte Inkubatoren mit dem Traum, dass sich dort Gründer ansiedeln und vernetzen. Flott verschwanden sie wieder ohne nachhaltige Wirkung.

In einer vernetzten Welt ist lineare und isolierte Wirtschaftspolitik zum Scheitern verurteilt. Es hapert seit Jahrzehnten an einem kompletten Rahmen für die Förderung junger Technologieunternehmen. Was wir statt Fördergeldern oder Krediten bräuchten wäre eine politische Strategie. Und die ist weitaus komplexer als ein öffentliches Träumen von einem Wasauchimmer-Valley.

1. Deutschland braucht eine Vision für das Digitale Zeitalter

Eine nachhaltige Wirtschaftspolitik ist in einem so schnellen Umfeld nur möglich, wenn ein grober Rahmen entworfen wird. Wieviel Freiheit will man jungen Unternehmen lassen? Wo liegen die Grenzen? Herauskommen kann auch etwas ähnliches, wie es im amerikanischen Digital Millennium Copyright Act verankert ist: Der Staat hält sich mit Gesetzen zurück, bis Gerichte erste Entscheidungen getroffen haben. Auf Basis dieser Entscheidungen wird debattiert, ob neue Gesetze nötig sind. Ich sage nicht, dass genau das die Lösung ist – aber dahinter steckt ein zumindest ein klares Basisdenken.

2. Deutschland braucht ein Technologie-Fundament

Wir werden keine erfolgreichen Gründungen erleben, wenn das Fundament fehlt. Das beginnt mit den Datenleitungen, bei denen Deutschland weit zurückhängt. NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart kündigte in jenem Interview mit der „Rheinischen Post“ an, jede Schule an das „Gigabit-Netz“ anschließen zu wollen. Dieses Netz ist ein wolkiger Wunsch, der bis 2025 vielleicht Realität wird und auf dem 5G-Mobilfunkstandard beruht, der aktuell nicht mal voll definiert ist. Ob er damit durch die Altbauwände des Gymnasiums bei mir um die Ecke dringt, ist völlig offen. Vielleicht muss sich die Schule auch mit der auf 16 Mbit gesenkten „Bandbreite“ begnügen, die von der Deutschen Telekom in der Gegend nur noch zur Verfügung gestellt wird.

Ach ja, Herr Pinkwart: Auf welchen Computern werden die Schüler denn surfen? Aktuell ist der Einsatz selbiger genauso verpönt wie Handys in Schulen. Unterrichtskonzepte mit digitalen Inhalten sind weitgehend die Ausnahme.

Das ist nur das offensichtlichste Defizit. Wenn wir im Bereich E-Mobilität mitspielen wollen, brauchen wir E-Zapfsäulen. In Amsterdam bekommen Bürger, die sich ein Elektroauto kaufen, eine solche (inklusive Parkplatz) von der Stadt hingebaut. Das wäre weit sinnvoller als eine Kauf-Förderung. Wo ist der Masterplan für E-Säulen an Autobahnen?

Gebaut wird derzeit auch sehr viel. Doch gesetzliche Vorgaben über die Integration von Technologie fehlen. Macht sich jemand Gedanken darüber? Und so lange die meisten Neubauten in der Hand von Investmentfonds liegen, sind die Mieten der Büros für Startups viel zu hoch. Fonds gehen mit den Mieten nicht nach unten, lieber lassen sie die Räume leer stehen. Würden sie die Mieten senken, müssten sie Klagen der Investoren befürchten – absurde Realität, an der niemand etwas ändern mag. Denn eine Schwächung von Anlegerinteressen wäre zwar Gründerförderung, würde aber zu medialer Entrüstung führen.

3. Förderung von Förderung statt Förderung von Startups

Deutschland fehlt ein Gesetz, das Investitionen in junge Unternehmen fördert. Darüber klagten schon die Gründer der New Economy im Jahr 2000 gegenüber der Noch-Nicht-Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel bei einem Round Table, den wir mit „Handelsblatt Netzwert“ organisiert hatten. Kurz darauf verfasste Merkel einen Artikel für die „FAZ“, in dem sie zahlreiche Forderungen übernahm. Daraus geworden ist in den vergangenen 17 Jahren – nichts.

Stattdessen wurde das Crowdfunding in Deutschland im Rahmen schärferer Gesetze für Investement-Fonds beinah komplett abgewürgt. Verlustvorträge werden beim Anteilsverkauf (so viel ich weiß – bitte korrigieren, wenn ich falsch liege) nicht mitgenommen. Und überhaupt wird eben das Investieren in Unternehmen in Deutschland kaum gefördert.

4. Förderung von Gründern – nicht Förderung von Startups

Startups, Startups, Startups – klingt supercool und der von verdrossenen Wählern geprügelte Politiker möchte sich gern man cool finden. Doch ein Restaurant ist kein Startup. Ein Handwerksbetrieb ist kein Startup. Eine Modeboutique ist kein Startup. Und obwohl uns durch Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Robotics ein Wandel der Wirtschaft bevorsteht, wie es ihn in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat, so (ist zumindest meine These) werden diese uncoolen Sparten der Wirtschaft bessere Überlebenschancen haben als 10 bis 20 Prozent. Trotzdem werden Gründer in solchen Feldern durch rechtliche Regelungen behindert und haben große Probleme, Finanzierungen zu finden.

5. Nicht Vernetzung ist das Problem – sondern Gründergeist

Angeblich soll in der Vernetzung das Heil liegen. Wissenschaftler sollen sich mit Startups vernetzen, Startups mit Konzernen – und am Ende steht der Traum vom Valley.

Früher wurden zur Vernetzung Ausschüsse gegründet, heute treffen sich die Zuvernetzenden an einem netten Ort, lauschen ein paar Vorträgen und verzehren dann Häppchen, deren Qualität zu New Economy-Zeiten definitiv besser war.

Heraus kommt dabei gar nichts. Und das hat zwei Gründe. Zum einen ist mit dem Klammerbeutel gepudert, wer wirlich innovative Ideen mal eben rausplaudert. Würde übrigens im Silicon Valley auch niemand tun. Denn eine offen ausgesprochene Idee ist in einem hoch kompetetiven Umfeld eine kopierte Idee.

Zum anderen wollen zu viele in Deutschland ja gar nicht gründen. Erst recht nicht Wissenschaftler. Natürlich gibt es welche. Doch Gründergeist und das Wissen um die Wirtschaft – das spielt kaum eine Rolle in der Ausbildung.

Hinzu kommt die Haltung vieler Medien gegenüber der Wirtschaft – und das betrifft vor allem den größeren Teil der Wirtschaftsmedien. Die Verachtung, mit der Blätter wie „Manager Magazin“, „Wirtschaftswoche“ oder „Handelsblatt“ über Fehler von Führungskräften oder gar das Scheitern von Unternehmen herziehen, ist eine Schädigung des Wirtschaftsstandortes und er Gründerkultur. Wer so etwas liest, der will sich nicht selbständig machen (außer er hegt masochistische Ambitionen).

Gesehen im Düsseldorfer Hauptbahnhof.

Warum ist „Brand Eins“ in der Nische so erfolgreich? Weil hier die Wirtschaft optimistisch betrachtet wird. Vielleicht gibt es also sogar einen Markt für so eine Berichterstattung.

Die Politik geriert sich ja nicht anders. Klar, Gründergeist wird gern gefordert. Doch wird die Gründung von Unternehmen intellektuell separiert vom Rest der Wirtschaft. Es fehlt die Selbsterkenntnis: Wer pauschal gegen raffgierige Manager wettert, der schadet dem Ansehen der Wirtschaft und damit auch dem Ansehen der Idee des Gründens.

6. Hört auf, ins Silicon Valley zu fahren

Organisierte Touren ins Silicon Valley sind das neue Schwarz. Beseelt kehren Manager, Chefredakteure und Politiker aus dieser eigentlich hässlichen Gegend zurück und glauben, sie hätten es jetzt kapiert.

Viel sinnvoller wäre es dagegen, Bücher zu lesen. Zum Beispiel „The Innovators“ von Walter Isaacson, in dem sich die Verflechtung des Militärs als Investor mit dem Silicon Valley nachlesen lässt. Wie wäre es denn, wenn die Bundeswehr ein kleines Gegenstück zur Darpa bekäme? Ja, ich sehe hier schon den Aufschrei von Netzaktivisten. Doch war jene Militär-Forschungseinheit eben der Grundstein für die Entwicklung des Internets.

Wer ins Valley reist, der wird nichts verstehen. Er bekommt vorgefertigte Präsentationen, die – wir sprechen von US-Unternehmen – von 23 Instanzen abgesegnet wurden. Lernen wird der Reisende daraus nichts. Sinnvoller wäre ein langer Aufenthalt vor Ort, doch das können sich nur wenige leisten, die sonst nichts zu arbeiten haben.

Deutschlands langer Weg in die Innovation

So viel wäre zu tun. Das ist harte Arbeit, denn Deutschland hängt weit zurück. Klar, wir haben immer noch gute Forscher (also, wenn sie uns nicht von besser zahlenden Universitäten in den USA oder UK abgeworben werden). Doch die Transformation dieser Entwicklungen in die Wirtschaft ist weiter ein Problem. Und alte Instrumente werden uns da nicht helfen.

Das Interview mit Andreas Pinkwart liefert dafür ein fast schon ironisches Beispiel. Als Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft führt er den elektrischen Streetscooter der Deutschen Post an, der zusammen mit Wissenschaftlern in Aachen entwickelt wurde. Es wird den NRW-Wirtschaftsminister überraschen, aber: Die Deutsche Post ist kein Startup.

Pinkwart sagt über sich selbst „Ich bin digital im Kopf“ und das er nicht auf „jeder“ Plattform sei. Faktisch gibt es nicht mal eine Facebook-Page, zu finden ist er nur auf LinkedIn – wo er immer noch Rektor der HHL ist. Womit Pinkwarts Zitat richtiger lauten würde: „Digital bin ich in meinen Träumen“.

Nachtrag vom 18.7.17: Zur Innovationsförderung in Deutschland hat Gunter Dueck etwas sehr kluges geschrieben: „Alle fördern Innovation – wer aber meine?“


Kommentare


Konrad Neuwirth 6. Juli 2017 um 23:16

Der Street Scooter ist aber doch ein Beispiel für ein Startup. Es ist nicht „in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern in Aachen entwickelt worden,“ es ist eine klassische Ausgründung aus der RWTH. Das ist hier in der Stadt eine gar nicht so seltene Angelegenheit — so hat z.B. die Uni selbst auch ein Gründerzentrum, dass seit bald 20 Jahren besteht und das einen enterpreneurial spirit zwar nicht zu etablieren, aber wo es ihn gibt zu stützen sucht. Das Unternehmen Street Scooter hat die Post dann aufgekauft, sobald der Probebetrieb mit den gelben Transportern erfolgreich war. Mir fallen auch noch ein paar andere Ausgründungen von der RWTH ein, sodass mir scheinen mag, dass gerade eine Zusammenarbeit mit einigen Unis als erfolgversprechendes Modell dienen könnte.

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Harald 10. Juli 2017 um 22:41

„Die aktuelle Debatte zeigt, dass Politik nicht langfristig lernfähig ist. Genau jenes Tönen vom X-Valley gab es ja auch um die Jahrtausendwende. Damals entstanden im ganzen Land öffentlich finanzierte Inkubatoren mit dem Traum, dass sich dort Gründer ansiedeln und vernetzen. Flott verschwanden sie wieder ohne nachhaltige Wirkung.“

Soso. Ich wohne in Dortmund. Dort hat man 1985 an der Universität das Technologiezentrum gegründet, um staatlicherseits durch „technologieorientierte Gründungen“ (so hieß das damals und in den nächsten 20 Jahren) einen Beitrag zum Strukturwandel zu leisten. Das Technologiezentrum ist nicht verschwunden, sondern hat sich zum Technologiepark mit über 300 Unternehmen mit mehr als 10.000 Beschäftigten ausgeweitet. In Feldern wie Mikrostrukturtechnik, IT, Biotechnologie. Gar nicht mal schlecht, denke ich.

http://www.wissenschafts-und-technologiecampus.de/de/ueber-uns/standort-fuer-high-tech.htm

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Thomas Knüwer 11. Juli 2017 um 10:10

@Harald: Ja und nein. Ein Campus ist kein Inkubator. Inkubatoren sind wesentlich billiger hinzusetzen und scheiterten in großen Mengen. Beispiele? Speed-u-up in Köln. Zeche Hugo in Gelsenkirchen. Und was ist eigentlich aus dem Electronic Commerce Center in Dortmund geworden?

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