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In den USA ist im Oktober etwas bemerkenswertes passiert: Das Onlineangebot der „Washington Post“ hat eine höhere Zahl Unique Visitors erreicht als das der „New York Times“. Und dies ist vor allem dem Wachstum im Bereich der mobilen Nutzung geschuldet.

Nun ist diese Messgröße der Besucher nicht mehr zukunftstauglich, doch auch in der künftig wichtigeren Verweildauer ist die WaPo an die NYT herangerückt, wie Politico berichtet. Allerdings: Das dürfte auch an der Masse der Veröffentlichungen liegen. Denn mit rund der Hälfte der Redakteure veröffentlicht die „Post“ online doppelt so viele Artikeln wie die „Times“.

Sinkt also die Qualität? Ich kann das nicht feststellen. Vielmehr tauchen in meinem Nachrichtenstrom mehr Geschichten der Hauptstädter auf als noch vor zwei, drei Jahren.

Und auch Masse muss man erstmal können. Nur mal zum Vergleich die Startseiten (auch wenn Startseiten immer unwichtiger werden) von Washingtonpost.com und Spiegel Online zum exakt gleichen Moment und abgenommen aus einem Browser, der rund 85% meines iMac-Bildschirms abdeckte. Die weiße Fläche bei Spon ist übrigens tatsächlich so zu sehen. Bei welchem Angebot bleiben Leser wohl eher hängen?

Nachrichten_-_SPIEGEL_ONLINEWashington Post HomepageIm vergangenen Jahr moderierte ich auf der SXSW, der größten Digitalkonferenz der Welt, ein Panel im Deutschen Haus, auf dem auch Cory Haik saß, die Innovationschefin der „Washington Post“. Sie berichtete, dass allein die Redaktion 12 Programmierer zur Verfügung haben. Es gibt renommierte deutsche Verlage von denen ich weiß, dass sie nicht mal die Hälfte an Codern insgesamt aufbringen können.

Nicht nur in diesem Punkt zeichnet den Verlag eine hohe Digital-Affinität aus. Der ehemalige Besitzer Donald Graham wurde zum Management-Mentor von Mark Zuckerberg, seit die beiden sich 2005 zum ersten Mal trafen (mehr dazu im lesenswerten Buch „The Facebook Effect“ von David Kirkpartrick) – und genauso diskutierten die beiden die Digitalisierung der Medienbranche. Graham verkaufte dann die Zeitung 2013 – an Amazon-Gründer Jeff Bezos. Dies rückte die Bedeutung des Digitalen noch weiter nach vorn.

Anfang des Jahres versuchte ich abzuleiten, was Verlage aus Walter Isaacsons Buch „The Innovators“ lernen können. Unter anderem schrieb ich damals:

„“Intuition ist nichts, als das Ergebnis früherer intellektueller Erfahrungen”, zitiert Isaacson Albert Einstein. Und Twitter-Mitgründer Ev Williams sagt: “Menschen erfinden nichts im Internet. Wie erweitern eine Idee, die schon existiert.” Oder wie Isaacson schreibt: “Die besten Innovatoren waren die, die die Flugbahn technologischer Veränderungen verstanden und den Staffelstab von Innovatoren vor ihnen übernahmen.”

Wer also Innovationen im digitalen Zeitalter erzeugen soll oder will, muss einerseits mehr als nur auf der Höhe der Zeit sein: Er muss am schneidenden Rand der Entwicklung sein, dem “Cutting Edge”. Wer ist das in Verlagen? Ich zumindest kenne nur sehr wenige. Denn um dranzubleiben, muss man Freiheiten und Mittel haben. Zum Beispiel Mittel, um zu Konferenzen oder Messen zu reisen. Oder ganz simpel die Zeit, um zu lesen oder mit Menschen zu diskutieren. Gerade in Redaktionen werden diese beiden knappen Ressourcen oft nicht gewährt.“

Es ist eine Binse, dass Fische vom Kopf her stinken. Doch in Unternehmen läuft es eben so: Wenn der Chef etwas tut, wird sehr genau hingesehen. Erst recht in unsicheren Zeiten, wenn der eigenen Job durch Abbaurunden bedroht ist. Für mich ist der kontinuierliche Aufstieg der „Washington Post“ die Bestätigung, dass Medienkonzerne nur dann überleben können, wenn im Top-Managment und der Redaktionsleitung Menschen frei agieren können, die eine hohe Digitalkompetenz mitbringen – und in Deutschland ist genau das nicht der Fall.

Glauben Sie nicht? Dann habe ich eine kleine Aufstellung für Sie…

Denn wir haben uns bei kpunktnull einfach mal angesehen, welche Geschäftsführer/Herausgeber/Chefredakteure ausgewählter Medien das Basischste des Digitalen pflegen, also facbooken, twittern, oder bloggen. Die Liste ist, wage ich zu sagen, erschreckend:

Chefredakteure Geschäftsführer SocialMedia3

Sollte uns Fehler unterlaufen sein, bitten wir um Hinweise. Eine Anmerkung von uns: Bei Twitter haben wir Accounts, auf denen die Person nur gelegentlich andere retweetet, selbst aber nichts schreibt auch unter Haken mit Klammer eingeordnet.

Tatsächlich stach ja bisher ein Chefredakteur heraus: Kai Diekmann. Er probiert jeden Dienst aus, und sei es um seine vor ihm flüchtenden Hühner ins Web zu streamen. Ist es ein Zufall, dass seine Reporter Paul Ronzheimer und Robert King mit ihren Berichten über Flüchtlinge bemerkenswerte Multimedia-Reportagen produzierten?

Es geht ja nicht einmal darum, dass alle Aufgelisteten alles machen. Aber so wenig? Und wenn jetzt jemand kommentiert (was fast immer bei solchen Themen der Fall ist), diese Hochrangigen hätten ja Besseres zu tun als zu twittern, so muss doch entgegnet werden, dass einerseits sich der Sinn vieler Dienste erst erschließt, wenn man sie genutzt hat, egal ob es um die Wirkung der Vernetzung bei Facebook ist, das Magenumdrehen beim Nutzen von Oculus Rift oder die Beschleunigung eines Tesla. Und andererseits es recht unwahrscheinlich ist, dass jemand im Gegenzug Wissen über Datenbanken oder Programmiersprachen mitbringt.

Und natürlich ist auch nur wenig Hoffnung in Sicht. Denn im Redaktionellen werden ja Leute „hochgezogen“ aus den eigenen Reihen. Doch auch dort sieht es düster aus, wie die heute veröffentlichte Studie der Bundeswehr-Uni München belegt:

„Zwar nutzen 45 Prozent der befragten Journalisten Soziale Medien weniger als einmal wöchentlich oder nie. 24 Prozent der Befragten jedoch nutzen sie mehrmals täglich und zusätzliche 14 Prozent mindestens einmal täglich.“

Stattdessen verlassen Digitalkompetente auch noch Deutschlands Verlage, in jüngster Zeit Wolfgang Büchner beim „Spiegel“, Anita Zielina beim „Stern“ oder David Nienhaus bei der Funke-Gruppe, in diesen Tagen wechselt Katharina Borchert von Spiegel Online zu Mozilla ins Silicon Valley. Ein Hoffnungsschimmer ist es immerhin, dass Franziska Bluhm bei der Verlagsgruppe Handelsblatt künftig strategischer arbeiten kann und sich nicht mehr um das Tagesgeschäft von Wiwo.de kümmern muss.

Doch sie scheint eher die Ausnahme von der Regel zu sein. So lange die Klassik-Verlage sich nicht Digital-Experten suchen, sie hochrangig in die Unternehmensstruktur integrieren und ihnen Freiheiten und Budget geben, gibt es wenig Hoffnung, dass sie den digitalen Wandel überleben werden.

Nachtrag vom 7.12.: Christian Jakubetz hat sich zum Thema auch ein paar Gedanken gemacht…


Kommentare


Katja 4. Dezember 2015 um 16:36

Details: Tagesschau.de hat eine Redaktionsleiterin, die heißt Christiane Krogmann. Chefredakteur ist Kai Gniffke, der bloggt auch auf http://blog.tagesschau.de/ . Anne Reidt arbeitet beim ZDF.

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Thomas Knüwer 4. Dezember 2015 um 16:56

Danke!n Da ist was völlig quer gelaufen – hab die beiden der Einfachheit halber rausgenommen.

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Wolfgang Zehrt 5. Dezember 2015 um 13:04

Im Prinzip stimmt das ja, aber wo bleibt der digitale Optimismus? Ich hätte Dir noch vor einem Jahr komplett Recht gegeben, aber im Moment sind wir als winzige Startup-Bude mit unseren automatisch generierten Medieninhalten (nein, es gibt keinen „Roboterjournalismus“!) mit so vielen Verlagen in wirklich spannenden und absolut kreativen Brainstorming-Prozessen, dass ich langsam glaube, die in der Tat lange Zeit bis auf Diekmannsche Experimente eher verhalten innovative Verlagslandschaft wird wie der Geist aus der Flasche bald ganz enorm abheben! Im Wege standen bis jetzt nicht immer und immer seltener die Redaktionen, ganz viel wurde blockiert durch die heimlichen Könige aller westlichen Industrien, die Herren IT-Chefs (sorry, habe noch nicht sehr viele Frauen als IT-Chefinnen getroffen, leider): „Können wir nicht“, „Geht nicht“, „Dauert ewig“, „Keine Leute dafür“, „Da geht keine Schnittstelle“, „Da müsste man von Null anfangen“… nichts, was ich nicht gehört habe. Die Innovationsmauer ist ganz oft nicht die Redaktion, sondern die, die eigentlich am offensten für Weiterentwicklungen sein müssten. Genau das wird jetzt auch in den Verlagen immer mehr erkannt und die letzten besitzstandwahrenden IT-Ingenieure durch digitale Querdenker mit fantastischem IT-knowhow und überdurchnittlichen Kommunikationsfähigkeiten ersetzt – denn ohne die geht gar nichts, da können sich Redaktionen und Verlage noch soviele Mega-Apps mit Fullresponse-Interactivity-Community und integrierter personalized shopping function ausdenken.

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Daarin 5. Dezember 2015 um 14:12

@Wolfgang Zehrt: Wieso müssen die Digitalen Querdenker denn überdurchschnittliche Kommunikationsfähigkeit haben? Die muss ich vor allem dann haben wenn ich was verkaufen will was entweder keiner braucht oder so nicht herzustellen ist.
Man braucht meiner Meinung nach gute Entwickler, keine lauten.

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Die Kaste der Verweigerer | JakBlog 7. Dezember 2015 um 7:17

[…] nachgeschaut, der  visualisiert hat, wie aktiv die Führungsriegen der deutschen Verlagshäuser in sozialen Netzwerken sind. Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich verrate, dass das Ergebnis nur so mittelgut war. Die Kaste […]

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Über Digitalkompetenzen und gutes Hundefutter – Netzpiloten.de 7. Dezember 2015 um 13:56

[…] erzeugen will, müsse nicht nur auf der Höhe der Zeit sein, schreibt Knüwer in seinem Blog “Indiskretion Ehrensache”: “Er muss am schneidenden Rand der Entwicklung sein, dem ‘Cutting Edge’.” Am Beispiel der […]

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Der Spiegel-Innovationsreport: hoffnungsarme Erschütterung 31. März 2016 um 14:19

[…] Media und Verlage: “Stinkende Fischköpfe in deutschen Verlagen” (2015); “Verlage auf Facebook: ein merkwürdiges Trauerspiel” […]

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