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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Durch das Projekt Wiredkann es allerdings zu Verzögerungen kommen. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Ein ordentlich Schmunzeln war am Montag Morgen in Köln zu sehen. Da trafen sich viele Startup-Gründer und -Investoren zur Advance-Konferenz (die nebenbei eine sehr gelungene Veranstaltung war – Disclosure: Ich habe sie gegen Honorar moderiert.). Denn über Turi2 verbreitete sich die Meldung, mein ehemaliger Arbeitgeber Handelsblatt plane eine neue App. Diese – halten Sie den Atem an – sei atmend und werde mehrmals täglich (!) aktualisiert. Nun ist der Journalist, der die eigentliche Meldung ausgrub, auf die Turi2 verlinkte, keiner, der in der Begrifflichkeit digitaler Medien als firm gilt. Weshalb es sich womöglich einfach um eine Web-App handeln könnte, hinter der eine HTML5-Seite steckt, ähnlich wie dies bei der App des Spiegel der Fall ist.

Dieses Schmunzeln aber zeigt, was sich in den vergangenen zehn Jahren verändert hat. Denn die Netzwert-Kolumne „E-Mail aus Düsseldorf“ handelte am 3.9.2001 von hochfliegenden Plänen in Sachen Online-Nachrichten-Aktualität. Über Bild-Online-Chef Udo Röbel schrieben wir:

„Von rasenden Reportern träumte der ehemalige Chefredakteur der gedruckten Bild, von Alleskönnern, die mit Web-Kamera Filme drehen, Texte schreiben und Netz-Seiten bauen. Nach fast einem Jahr scheinen Röbels Träume zerplatzt: Nicht einmal das Redaktionssystem läuft bisher, soll aber 20 Millionen Mark verschlungen haben. Derzeit könne Bild.de nur einmal täglich aktualisiert werden, berichtet der Medien-Informationsdienst Kress.“

Einmal am Tag. Da soll noch einer sagen, die Zeitung sei eine Oase der Ruhe, ein Instrument der Entschleunigung.

Doch diese Zeiten sind vorbei. Genauso wie die des hemmungslosen Newsletter-Versands. OK, im Jahr 2011 sind die Hemmungen immer noch gering – aber es gibt welche. Vor zehn Jahren war das noch ganz anders. Da schickte der Suchmaschinenbetreiber Acoon tausende von E-Mails an Web-Seiten-Betreiber mit einem Glückwunsch: Sie seien nun im Accon-Suchindex. Der Ärger war so heftig, dass auf der Homepage des Marler Unternehmens eine Entschuldigung fällig wurde – damals ein ungewöhnliches Mittel. Acoon gibt es übrigens immer noch: Der Twitter-Account zählt 12 Follower.

Die meisten Menschen waren damals von Newslettern, vor allem unverlangt zugesandten, genervt. Erschreckend, dass die Ratschläge von Experten, wie dies zu ändern wäre, bis heute nicht beherzigt werden. So sagte Martin Aschoff vom E-Marketing-Spezialisten Agnitas: „Wichtig ist, dass Newsletter keine Werbeblättchen sind, sondern echten Nutzwert bieten.“

Zu jener Zeit hatten sich viele Städte auf die Fahnen geschrieben, ein Hort der Digitalität zu sein. Hamburg, zum Beispiel.

Dort hatte SPD-Wirtschaftssenator Thomas Mirow die Startup-Szene massiv unterstützt – nun schien das im Vorfeld der Senatswahl auf ihn zurückzuschlagen. Denn die Geförderten machten reihenweise Pleite: World of Internet, Curry.de, Kontor Visions. Clickfish, Netzpiloten und Popnet bauten satte Mengen Mitarbeiter ab. Und beim Vorzeigeunternehmen Kabel New Media putzten die Angestellten selbst und kümmerten sich um den Klopapiereinkauf um das Aus zu verhindern. Mit einer siebenstelligen Ausfallbürgschaft rettete die Stadt gerade noch den 3D-Animationsexperten Schade und Lohr. Das scheint das Unternehmen einige Jahre gerettet zu haben, doch heute scheint es nicht mehr zu existieren. Netzwert schrieb damals:

„Hamburg ist anfälliger für die weltweite Abwärtsentwicklung als andere Standorte – als Folge einer Monokultur. Im Gegensatz zu Städten wie München, wo Chiphersteller und Software-Häuser das Bild bestimmen, haben sich in der Hansestadt im Schatten der Verlage und Werber vor allem Multimedia-Dienstleister angesiedelt, die Internet-Auftritte für andere Unternehmen erstellen.“

1043 der 2225 Firmen im Verzeichnis des Hamburger Förderkreises stützten sich auf dieses Geschäft. Doch für bunte Bilder mag in der Krise eben kaum jemand Geld ausgeben. Für diese Standortpolitik war Hamburg lange gelobt worden: Denn die florierende Szene bedeutete ausreichend Personal, das bei Bedarf den Arbeitgeber wechseln konnte. Diese Zeit aber war nun vorbei.

Genauso wie die Zeit des höflichen Umgangs miteinander. Der Ton zwischen Angestellten und Chefs wurde nicht rauer, er wurde brutal. Auch in den Verlagen. Nicht, dass Mitarbeiter abgebaut wurde war ein Thema – sondern wie. Geradezu dilettantisch agierte mancher Medienmanager wenn es darum ging, schlechte Nachrichten zu überbringen. Auch beim Handelsblatt machten die Redakteure solche Erfahrungen.

Auch eine Art Wink mit dem Flutlichtmast war deshalb eine Geschichte über die Abbaumethoden der Netz-Branche. Zum ersten Mal mussten Entlassene ihren Arbeitsplatz sofort räumen, wurden teils per Sicherheitsdienst hinausbegleitet. Zum ersten Mal gab es auch „sofortige Freistellungen“. Im einen Moment war man noch eine bis spät in die Nacht schuftende Ameise der digitalen Wirtschaft – im nächsten Moment kam die Beschäftigungslosigkeit. Die Chefs trieb dabei die Angst vor dem Hardware- und Datendiebstahl um. Zum ersten Mal in einer Wirtschaftskrise verfügten Mitarbeiter über Laptops, teilweise sogar mit der Möglichkeit, mobil auf Daten zuzugreifen.

In Startups dagegen existierte gar kein Gefühl dafür, wie Personalabbau einigermaßen gesittet vor sich gehen könnte. Personalabteilungen waren selten existent und wenn hatten sie eher bürokratische Funktionen. Betriebsräte, klar, existierten erst recht nicht.

Einen besonderen Tiefpunkt lieferte dabei laut Netzwert Arne Timm:

„Der Chef des preisgekrönten und einst so hoffnungsvollen Software-Startups Curry aus Hamburg schickte im Juli seinen 52 Angestellten eine E-Mail. Inhalt: Er werde von seiner Geschäftsreise aus den USA nicht mehr zurückkehren – Timm ließ seine insolvente Firma allein.“


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