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„Ich weiß nicht, wie ich unsere Leute zurück ins Büro kriegen soll“, klagte vor einiger Zeit eine Führungskraft, mit der ich befreundet bin, als wir auf einer Festivität über Home Office und New Work und all dieses Zeug sprachen. Diese Person arbeitet in einem Feld, bei dem das gemeinsame Arbeiten an einem Projekt aus ihrer Sicht für Qualitäts- und Kreativitätsgewinne sorgt, genauso für mehr Effizienz.

Doch das Unternehmen, in dem diese Person beschäftigt ist, war nie ein wirklich guter Arbeitgeber, befindet sich ein einer Branchenkrise und führte erst mit der Pandemie weiträumigere Möglichkeiten ein, hybrid zu arbeiten.

Und nun: Kommt halt keiner mehr.

Er ist nicht allein. Auf vielen Branchentreffs sprechen Chefinnen und Chefs derzeit über die leeren Büros, die verwaisten Schreibtische und den steigenden Koordinationsaufwand.

Nun bleibt hybride Arbeit uns allen erhalten und das ist gut so. Die Frage ist, wie hoch der Anteil der Zeit ist, die Mitarbeiter daheim verbringen. Nehmen wir an, drei Kollegen haben je 2 Tage Home Office in der Woche, also 40% ihrer Arbeitszeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass A und B am gleichen Tag im Büro sind liegt dann bei 60% von 60% = 36%. Dass alle 3 am gleichen Tag am Hot Desk sind, beträgt nur noch 22%.

Und diese Gemengelage hat für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer negative Folgen.

Ich glaube, dass ich eine Lösung habe, um den Anteil der Präsenz im Büro signifikant zu steigern. Der Haken: Diese Lösung wird den Arbeitgebern nicht gefallen.

Home Office: Länger arbeiten, weniger Ergebnis

Mit diesem Cliffhanger zunächst ein Rückblick. Zweimal schrieb ich hier im Blog über Home Office und New Work. Im August 2020, rund ein halbes Jahr in der Pandemie, stellte ich Thesen über die Folgen der Heimarbeit auf. Der Artikel sammelte über 400 Kommentare ein und ist der meistgelesene in 18-jährigen Existenz von Indiskretion Ehrensache. Rund ein Jahr später zeigten erste Studien, das ich nicht so ganz falsch lag. 

Inzwischen wird das Bild noch klarer. Was da so passiert, beschrieb der „Economist“ in diesem Sommer: 

„Ein guter Ausgangspunkt ist ein Arbeitspapier, das viel Aufmerksamkeit erregte, als es 2020 von Natalia Emanuel und Emma Harrington, damals beide Doktoranden an der Harvard University, veröffentlicht wurde. Sie stellten eine 8%ige Steigerung der pro Stunde bearbeiteter Anrufe von Mitarbeitern eines Online-Händlers fest, der von Büros auf Heimarbeit umgestellt hatte. Weit weniger beachtet wurde eine überarbeitete Version ihres Papiers, die im Mai von der Federal Reserve Bank of New York veröffentlicht wurde. Der Effizienzgewinn hatte sich stattdessen in einen Rückgang um 4% verwandelt.

David Atkin und Antoinette Schoar, beide vom Massachusetts Institute of Technology, und Sumit Shinde von der University of California Los Angeles, beauftragten zufällig ausgewählte Datentypisten in Indien entweder von daheim oder aus dem Büro zu arbeiten. Diejenigen, die zu Hause arbeiteten, waren 18% weniger produktiv als ihre Kollegen im Büro. Michael Gibbs von der University of Chicago und Friederike Mengel sowie Christoph Siemroth, beide von der University of Essex, stellten einen Produktivitätsrückgang im Vergleich zur vorherigen Leistung im Büro von bis zu 19% bei den Tele-Arbeitern eines großen asiatischen IT-Unternehmens fest. Eine weitere Studie ergab, dass selbst Schachprofis in Online-Partien schlechter spielen als in persönlichen Duellen. Eine weitere Studie zeigte in einem Laborexperiment, dass Videokonferenzen kreatives Denken hemmen.“

Aber es geht ja noch weiter. Denn diese Ineffizienz wird auch mit quantitativ mehr Arbeitszeit erkauft, behauptet Julian Kirchherr, Partner bei McKinsey, im Interview mit dem „Focus“:

„Wenn man die reine Stundenzahl betrachtet, ist es tendenziell so, dass im Homeoffice mehr gearbeitet wird. Der Grund dafür ist aus meiner Sicht die geringere Trennung zwischen Arbeit und Freizeit: Menschen machen mal etwas länger Mittagspause oder gehen mit dem Hund eine Runde um den Block. Dadurch wird am Ende des Tages etwas mehr gearbeitet. Allerdings sind Menschen dadurch nicht unbedingt auch produktiver.“

Dies alles widerspricht der Selbstwahrnehmung der Menschen. Doch die gefühlte Effizienz steht eben nicht immer im Einklang mit der tatsächlichen. Ein Beispiel: Während die mentalen Gesundheitsprobleme aufgrund von Arbeitsbelastung zunehmen, ergeben Befragungen, dass fast niemand glaubt, Probleme dieser Art zu haben. Erst wenn die Krankheit durchbricht, scheint sich die Sichtweise zu ändern.

In den Debatten hier im Blog war auch zu beobachten, dass einige Gruppen besonders vehement Home Office einforderten: Jene, die keine Aufstiegschancen sahen und/oder jene, die nichts mit ihren KollegInnen zu tun haben wollten.

Home Office: ein Problem für Frauen

Auch beim Thema Zusammenarbeit sagen die Studien laut „Economist“ wenig Schönes über Home Office aus:

„In einer im April veröffentlichten Studie über Programmierer stellten Dr. Emanuel und Dr. Harrington, zusammen mit Amanda Pallais, ebenfalls aus Harvard, fest, dass der Feedbackaustausch zwischen Kollegen nach dem Wechsel zur Tele-Arbeit stark zurückgegangen ist. Dr. Atkin, Dr. Schoar und Dr. Shinde dokumentierten einen relativen Rückgang des Lernens bei den zu Hause arbeitenden Mitarbeitern. Diejenigen in Büros erwarben Fähigkeiten schneller.“

Zu Beginn der Pandemie beschäftigten sich viele auch mit der Frage, wie sich Home Office auf das Thema Gleichstellung auswirken würde. Die „New York Times“ analysierte im Oktober das Thema und listete ambivalente Ergebnisse auf:

„Während einige berufstätige Frauen, insbesondere Mütter, durch Remote-Arbeit Vorteile haben können, erleben Frauen größere Nachteile, wenn sie dies nutzen. In einer Studie mit Ingenieuren eines Fortune-500-Unternehmens hatte Home Office negative Auswirkungen auf das Ausmaß des Feedbacks, das Junior-Mitarbeiter zu ihrer Arbeit erhielten – mit ausgeprägteren Folgen für Frauen.

„Die Nähe hat einen größeren Einfluss darauf, ob Frauen sich trauen, Nachfragen zu stellen“, sagte Emma Harrington, eine Ökonomin an der University of Virginia, die sowohl die Studie über die Auswirkungen von Home Office auf Feedback als auch die Studie zur Erwerbsbeteiligung von Müttern durchführte.

Männer schienen sich wohler zu fühlen, klärende Fragen zu stellen, auch wenn sie nicht physisch in der Nähe von Kollegen waren.

Frauen erleben auch mehr ungerechtfertigte Fragen über ihre Produktivität, egal wo sie arbeiten. In einer Reihe von Studien mit mehr als 2000 Teilnehmern fanden Forscher in Wisconsin und Kanada heraus, dass sowohl Männer als auch Frauen eher Frauen als Männer verdächtigten, die Arbeit zu vernachlässigen. Einige dieser Mitarbeiter arbeiteten von zu Hause, andere nicht.

Wenn Studienteilnehmer durch Videoaufnahmen sahen, dass eine weibliche Person nicht an ihrem Schreibtisch war, wurde dies 47 Prozent der Zeit etwas Nichtarbeitsbezogenem zugeschrieben; bei Männern wurde dies nur 34 Prozent der Zeit auf nicht-arbeitsbezogene Aktivitäten zurückgeführt.“

Home Office schadet der physischen wie der mentalen Gesundheit

Überhaupt: Nachteile. Als ich prognostizierte, dass Arbeit von Daheim der Karriere schade, gab es viel Gegenwind. Nun sehen das auch andere so, auch wenn ich aktuell noch keine Studie dazu finden kann. McKinsey-Partner Kirchherr meint:

„Wenn ich von zu Hause arbeite, kann ich nicht so gut eine Bindung aufbauen zu Vorgesetzten oder Kolleginnen und Kollegen. Ich bin schlichtweg nicht so präsent. Deswegen kann es mit der Beförderung ein wenig länger dauern.“.

Auch der Gesundheit schadet Home Office. So hat sich die University of Europe for Applied Sciences Studien zum Thema angeschaut und kommt zum Ergebnis:

„Die körperliche Inaktivität, sowie das häufige Sitzen und Stehen während der Arbeit, resultieren bei über einem Drittel der Personen in Rückenschmerzen, Angstzuständen und einem erhöhten Level an Stress.“

Die Society for Human Resource Management schreibt:

„Vollständige Remote- (40 Prozent) und Hybridarbeit (38 Prozent) sind im Vergleich zu Präsenzarbeit (35 Prozent) mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Angst- und Depressionssymptome verbunden, so eine Analyse des Integrated Benefits Institute (IBI), einer gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Sitz in Oakland, Kalifornien. Für ihren Bericht analysierte das IBI Daten aus der Household Pulse Survey, einer Online-Ressource des US Census Bureau, um zu ermitteln, wie Haushalte von der Pandemie betroffen waren. Das IBI arbeitete mit Elevance Health (früher Anthem) zusammen, um Daten zu psychischen Gesundheitsansprüchen zu analysieren.

Obwohl es keinen massiven Unterschied in der Wahrscheinlichkeit von Depressionen und Angstzuständen zwischen Präsenz- und Remote-Arbeitern gibt, ist es ein wichtiger Unterschied, auf den Arbeitgeber achten sollten, so die Forscher.

„Die Unterschiede in der Prävalenz von Angst- und Depressionssymptomen zwischen hybrider, remote und vor Ort basierter Arbeit sind statistisch signifikant. Unsere Forschung zeigt, dass Remote-Arbeit nicht für jeden Mitarbeiter die ideale Lösung sein könnte“, sagte Candace Nelson, Forschungsdirektorin bei IBI, und fügte hinzu, dass weitere Untersuchungen zu diesem Thema nötig sind.

Die Analyse des IBI ist nicht die einzige Forschung, die mehr psychische Gesundheitsprobleme in Verbindung mit Remote- und Hybridarbeit gefunden hat: Eine Mehrheit der Führungskräfte (64 Prozent) sagte, dass Remote-Arbeit die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter im Jahr 2022 negativ beeinflusste, gegenüber 55 Prozent im Vorjahr, laut einer Umfrage im Oktober von RSM US, einem Dienstleistungsunternehmen, und der US-Handelskammer. Dreiundsiebzig Prozent der Führungskräfte sagten, dass sich die Mitarbeiter isoliert fühlten, ein Anstieg von 68 Prozent im Jahr 2021.“

Die Lösung: Zurück in die Vergangenheit

Und was könnte man nun tun? Die Antwort erscheint mir simpel, wenn man sich eine weitere Frage stellt: Wie viele Menschen haben in der Geschichte der Wirtschaft bei der Ankündigung, dass ihr Arbeitgeber Großraumbüros einführt gejubelt, die Faust wie Boris B. geballt und ein „YES!“ hinausgezischt?

Diese Zahl liegt sehr exakt bei:

Null.

Nottig.

Nada.

Nicht eine Sau.

Großraumbüros wurden unter dem Vorwand eingeführt, dass sie die Kooperation förderten. Tatsächlich aber dienten sie vor allem dem Ziel, die Immobilienkosten zu senken – weniger Wände, mehr Platz für Schreibtische.

Kaum eine Stellenbezeichnung aber erfordert so viel Zusammenarbeit, dass diese Umstellung damit  zu rechtfertigen wäre. Weshalb sich eine ganze Industrie darum entwickelt, Großraumbüros weniger großraumbüroig zu gestalten – Aufstellwände, Schallschluck-Segel, Rückzugsräume. Absurd.

Doch es kam noch schlimmer, denn die nächste Stufe lautete „Hot Desking“. Nachdem Arbeitnehmer ihren Chefs nicht mal mehr eine Wand wert waren, ist jetzt auch ein Schreibtisch zu viel verlangt. Am Abend werden die Arbeitsmaterialien wahlweise in einen Rollcontainer oder ein Schließfach gepackt – am nächsten Tag sitzt man woanders.

Das Hot Desking steht im Widerspruch zu menschlichen Bedürfnissen, wie der „Economist“ jüngst analyiserte. So stecke in uns zum Beispiel das Bedürfnis nach einem eigenen Territorium:

„Personalisiertes Territorium scheint mit einem Zugehörigkeitsgefühl zusammenzuhängen. Eine Studie aus den 1970er Jahren untersuchte die Beständigkeit von Erstsemester-Studierenden, die Wohnheimzimmer teilten. Personen, die das akademische Jahr überstanden, hatten doppelt so viel Platz über ihren Betten mit persönlichen Dekorationen bedeckt als diejenigen, die das Studium abbrachen. Auch im Büro beanspruchen Mitarbeiter Territorium mit allem Möglichen, von Fotografien und Akten bis hin zu Krümeln und zerknüllten Taschentüchern.“

Das kann jeder beobachten, der mit offenen Augen durch ein Unternehmen geht: Überall entstehen kleine Altäre der Marken für die Menschen tätig sind, egal ob in der Marketingabteilung oder im Glaskasten an der Laderampe.

Dieser Wunsch nach Beständigkeit und Territorium ist so stark, dass Menschen trickreich werden, um das System zu ihren Gunsten zu manipulieren. So berichtete mir im Umfeld meiner vorhergehenden Blog-Artikel zum Thema die Mitarbeiterin eines Großkonzerns dieses: In ihrer Firma könne man per App immer um Mitternacht Büroplätze für den Tag buchen – denn es sind nicht genug für alle da. Man könne aber mehrere Personen in dieser App anmelden, weshalb ein Team-Mitglied immer die Aufgabe hat, in der Nacht die anderen anzumelden, damit sie beisammen sitzen.

Da bin ich auch nicht verwundert, dass Unternehmen über eine sinkende Loyalität klagen: Wenn mein Arbeitgeber für mich nicht mal einen Schreibtisch kauft, dann helfen auch die besten „Employee Appreciation Days“ nichts.

So entfernen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Unternehmen einerseits und von ihren Kolleginnen und Kollegen andererseits. Denn je höher der Anteil von Home Office-Tagen, desto unwahrscheinlicher ist es, eine bestimmte Person zu treffen.

Was die Situation verändern könnte?

Die Rückkehr zu Einzel- oder Doppelbüros.

Sie vereinen den Wunsch, ruhig und ohne orthopädisch fragwürdige Sitzmöbel arbeiten zu können mit der Option, unkompliziert mit Kolleginnen und Kollegen zu kommunizieren und zu kooperieren. Sie schaffen ein persönliches Territorium und sind doch Teil des großen Ganzen.

Aus Arbeitgebersicht ermöglichen sie eine unkomplizierte Zusammenarbeit und machen es Vorgesetzten möglich, sich einen Eindruck davon zu schaffen, wie ihre Leute ticken.

Allein: Zumindest kurzfristig ist dieser Weg zurück für einen großen Teil der Unternehmen nicht möglich. Denn längst haben sie umgebaut, Flächen entmietet, ja, sogar Bauprojekte gestoppt. Mittelfristig könnten die sinkenden Mieten für Gewerbeimmobilien jene bevorzugen, die schnell handeln.

Deshalb glaube ich, dass wir beginnend mit dem Jahr 2024 in eine Art Kampf um die Arbeit der Zukunft laufen werden. Das Unverständnis der Vorgesetzten wird steigen, die Unzufriedenheit der Mitarbeitenden wird ebenfalls und internationale Konzerne werden sich jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen, die anders denken – und ich vermute, die werden oft genug eher aus Osteuropa oder Asien kommen, wo eine andere Arbeitskultur gepflegt wird.

Hinweis: Die verwendeten englischen Quellen wurden mit ChatGPT übersetzt und von mir nachkorrigiert. Die Bilder wurden mit Midjourney erzeugt. 


Kommentare


Naber C. 4. Dezember 2023 um 12:37

Stimme in weiten Teilen zu. Das Problem der fehlenden Überdeckung gleichzeitiger Anwesenheit im Büro ist ein wichtiger Punkt. Bei uns gibt es seit dem Zeitpunkt nach der akuten Pandemie die Regelung, dass Home Office für zwei Tage in der Woche erlaubt ist, allerdings ohne einen Rechtsanspruch darauf. In meinem unmittelbaren Arbeitsbereich von ca. 30 Mitarbeitenden sind neben der Bereichsleitung und dem Sekretariat auch einige weitere Mitarbeitende an sämtlichen Tagen im Büro anzutreffen. Hier gilt, soweit ich das überblicken kann, wer den längsten Weg hat, kommt am seltensten ins Büro. Das finde ich unter jeder denkbaren Möglichkeit auch sehr sinnvoll.

Ob die Arbeit effizienter ist oder nicht spielt meiner Meinung nach keine große Rolle. +8% oder -4%, im ersten Fall schafft man das, was in 40 h Wochenarbeitszeit erledigt werden muss in 37 h und im zweiten Fall in knapp 42 h. Wenn man in einer Situation arbeitet, in der Dinge durch Anwesenheitserfordernis geleistet werden müssen, ist es mit dem Arbeitsplatz zuhause sowieso Pumpe. Wenn es darum geht, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmte Dinge erledigt sein müssen, sieht das schon ganz anders aus. Muss z. B. ein Journalist einen Artikel zu einem bestimmten Zeitpunkt abliefern, dann spielt es keine Rolle, ober er oder sie von 08:00 – 17:00 arbeitet, oder von 08:00 Uhr bis 22:00 Uhr mit einer längeren Pause für einen Spaziergang (solange die Deadline eingehalten wird).

Wenn Julian Kirchherr sagt, dass Menschen nicht unbedingt auch produktiver sind, wenn sie im Homeoffice länger arbeiten, dann ist das sicher richtig, ist aber eben auch nur eine Meinung. Und natürlich kann es sein, dass Menschen, die keine Aufstiegschancen haben lieber zuhause arbeiten als andere, ebenso wie Menschen, die nichts mit ihren Kollegen zu tun haben wollen. Nach meiner Erfahrung sind das aber nicht die wichtigsten Entscheidungsgründe für eine möglichst häufige Tätigkeit vom Homeoffice aus.

Wenn jemand jeden Tag zwei h unterwegs ist (morgens 1 h und abends 1 h) um zur und von der Arbeit zu gelangen, dann kann er, ganz ohne Verzicht auf Freizeit, privates Leben oder was auch immer schon 50 h in der Woche arbeiten, ohne etwas zu verlieren.

Das bedeutet, dass er oder sie 20 % weniger produktiv sein können, ohne dass einer der beiden Vertragspartner etwas vermisst.

Ich stimme zu, dass Arbeit von zuhause aus der Karriere wenig förderlich sein kann. Man ist weniger präsent, kann sich weniger einmischen und hat natürlich auch weniger Kontakt zu Kollegen und Vorgesetzten. Doch das gilt eben nur für die vollständige Abwesenheit vom Büro. Bei zwei Tagen in der Woche sollte das kein Problem sein. Es ist eben eine Entscheidung eines jeden Menschen für sich selbst. Karriere ist nach meiner mehr als 30 Jahre währenden Berufstätigkeit als Ing. auch nur ein Euphemismus für Selbstausbeutung bei erhöhter Bezahlung.

Und schon komme ich zum wichtigsten Punkt: solange es Menschen gibt, die die neuen Möglichkeiten des Homeoffices für erstrebenswert halten, wird es die auch geben. Das Rad wird nicht mehr zurückgedreht. Wer kein Homeoffice anbietet, wird es schwerer haben Leute für sein oder ihr Unternehmen zu interessieren. Die guten Zeiten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommt erst noch, haben gerade erst angefangen. Je weniger gut qualifizierte Menschen für die entsprechenden Jobs zur Verfügung stehen, umso mehr werden die Unternehmen sich strecken müssen. Und Homeoffice wird nach meiner Einschätzung dazu gehören. Da können sich die alten, weißen Männer in den Chefetagen noch so schwarz ärgern.

Antworten

Michael 4. Dezember 2023 um 14:04

Nun gibt es allerdings auch diverse Studien, die den von Dir herausgesuchten Studien widersprechen. Schade, dass diese Studien in Deinem Artikel gänzlich unerwähnt bleiben.

Beispiele:

Allgemein zur Beliebtheit des Home Office bei Angestellten:

"Kein Homeoffice möglich? Dann Kündigung""
https://www.spiegel.de/karriere/homeoffice-studie-bessere-leistung-von-zu-hause-a-922abf75-6e2c-4a88-be7a-1220433ae943

Und zu Deiner Aussage "Auch der Gesundheit schadet Home Office" folgende Links:

"Studie zu Homeoffice: Weniger Stress, mehr Produktivität"
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/homeoffice-studie-101.html

Eine weitere Studie zum Thema:

"Die Studie liefert auch Ergebnisse, wie zufrieden die Menschen mit dem hybridem Arbeitsalltag sind. Demnach sind aktuell jene am glücklichsten, die mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen."
https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/neue-arbeitswelt-macht-uns-das-homeoffice-gluecklicher-/28755844.html

Eine weitere Studie, die auf das von Dir angesprochene Thema Gleichstellung eingeht:

"Homeoffice-Rückgang: Warum Mütter unter der Präsenzpflicht in Unternehmen leiden"
https://www.business-punk.com/2023/11/homeoffice-rueckgang-warum-muetter-unter-der-praesenzpflicht-in-unternehmen-leiden/

Die Studienlage ist also alles andere als eindeutig. Ich habe fast den Eindruck, dass Unternehmen, Vorgesetzte und Angestellte letztendlich unterschiedliche Bedürfnisse haben 😉 Unterschiedliche Geschäftsmodelle, unterschiedliche Führungsstile, unterschiedliche Tätigkeiten, unterschiedliche Lebenssituationen, unterschiedliche Wohnverhältnisse.

Möglicherweise wird diese Vielfältigkeit mit pauschalen Aussagen wie "Home Office schadet der Gesundheit" oder "Home Office schadet der Gleichstellung" nicht berücksichtigt – weshalb ich sie an dieser Stelle nicht sonderlich zielführend finde.

Antworten

Thomas Knüwer 4. Dezember 2023 um 18:31

@Michael: Es ist nicht ganz korrekt, was Du schreibst. Denn jene Studien finden durchaus Erwähnung in meinem Artikel – denn es handelt sich vollständig um Selbstbefragungen. Die spreche ich ja auch explizit an und das mit sehr viel Skepsis, denn wir Menschen sind irrwitzig schlecht darin, uns selbst zu beurteilen. Sobald man eine wissenschaftliche Messung ins Spiel bringt, sehen die Ergebnisse dann anders aus.

Antworten

Michael 5. Dezember 2023 um 8:54

Deinen Punkt hinsichtlich der Selbstbefragung kann ich grundsätzlich mit Blick auf die Produktivität nachvollziehen (wenngleich sich Produktivität jenseits von Befragungen schwer messen lässt, zumindest wenn das Arbeitsbild über "Rufe jeden Tag möglichst viele Menschen an" hinausgeht) . Wenn man aber herausfinden will, ob ein Mensch im Homeoffice zufriedener / glücklicher ist, macht es ja durchaus Sinn, eben diesen Menschen zu befragen.

Bezogen auf die psychische Gesundheit wäre es mE sogar ein großer Fehler, die Antworten aus Befragungen abzutun („Die Menschen sagen zwar, sie seien glücklicher, aber das stimmt halt nicht!“.)

Dazu lesenswert:

„Beschäftigte im Homeoffice sind zufriedener und wesentlich produktiver“

„Jeder und jede fünfte ist mit der Arbeit im Büro unzufrieden. Gleichzeitig wirkt sich Work from Home auf die psychosoziale Gesundheit der Beschäftigten aus: Insgesamt gab knapp ein Drittel der Befragten an, unter einem Burnout zu leiden. 18 Prozent leiden unter Boreout. Je mehr Stunden die Befragten jedoch mit Work from Home verbrachten, desto geringer die Ausprägung von Boreout und Burnout.
Bei den Beschäftigten im Büro zeigte sich mit steigender Arbeitszeit der gegenteilige Effekt.“

https://www.tu-darmstadt.de/universitaet/aktuelles_meldungen/einzelansicht_413376.de.jsp

Auch die von Dir zitierte Studie, dass Videokonferenzen grundsätzlich "das kreative Denken hemmen" ist so pauschal nicht richtig. Ich vermute, dass es sich um die oft zitierte Studie "Virtual communication curbs creative idea generation" von Melanie S. Brucks und Jonathan Levav handelt, die Deutschlandfunk gut zusammenfasst ( https://www.deutschlandfunk.de/schlecht-fuer-die-kreativitaet-videokonferenzen-behindern-inspirierenden-gedankenaustausch-100.html ):

"Das Problem ist also nicht, dass wir in Videocalls zu unkonzentriert sind. Sondern, dass wir gewissermaßen zu konzentriert sind. Denn Kreativität braucht möglichst viele unterschiedliche Assoziationen. Und dafür ist es hilfreich, wenn die Gedanken auch mal abschweifen. (…) Vielleicht hilft es also, beim nächsten Online-Brainstorming den Blick absichtlich öfter mal schweifen zu lassen. Melanie Brucks empfiehlt noch eine andere Methode: Wenn es um die Entwicklung von Ideen geht, kann es helfen, die Kamera auszuschalten. Dann könne man sich freier fühlen und seine Gedanken ausweiten. (…) Die im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichte Studie zeigt allerdings nicht, dass die Arbeit per Videokonferenz grundsätzlich schlechter funktioniert. Es kommt vielmehr auf die Aufgabe an."

Weiterhin verlinkst Du eine Studie zur Gesundheit im Homeoffice. Liest man den Artikel, wird aber deutlich, dass nicht grundsätzliches das Homeoffice das Problem darstellt (etwa, weil dort Menschen vereinsamen würden oder dergleichen), sondern die fehlende Ausstattung, wie es der Autor der Studie formuliert:

„Riegers Fazit: Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers greift auch im Homeoffice.“

Ja, das war insbesondere in und kurz nach der Pandemie ein Problem. Mittlerweile höre ich, dass viele Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber vernünftige Stühle, Tische und Bildschirme bekommen haben. Warum auch nicht? Unternehmen haben jahrzehntelang Arbeitnehmern wahnsinnig teure Dienstwagen, Parkplätze und zahlreiche Geschäftsreisen finanziert und jetzt soll es an einem Stuhl scheitern?

Möglicherweise ist es für Unternehmen günstiger und am Ende sinnvoller, die Mitarbeitenden im Homeoffice vernünftig auszustatten, anstatt wie von Dir vorgeschlagen wieder mehr Fläche anzumieten und erneut die Büros vollständig umzubauen – damit die Menschen anschließend in einem Einzelbüro endlich wieder so ungestört arbeiten können wie Zuhause, Lebenszeit mit dem Pendeln verschwenden (das dann aber immerhin in einem schicken Auto) und Peronaler ihre Entscheidungen endlich wieder am Kaffeeautomaten treffen können.

Ich teile ja Deine Kritik hinsichtlich der absoluten Unsitte des Großraumbüros und des Shared Desk. Aber vielleicht ist gerade deshalb der Weg „ungestörtes Arbeiten Zuhause, Teamarbeit bei Bedarf im Büro“ gar nicht so verkehrt. Zumindest aber scheint mir das Bild längst nicht so eindeutig zu sein, wie von Dir beschrieben.

Du hast in diesem Blog oft kritisiert, dass Redaktionen Studien oberflächlich oder falsch wiedergeben oder sich ausschließlich passende Studienergebnisse herauspicken. Jetzt habe ich ein klein wenig den Eindruck, dass Du beim Thema Homeoffice für Dein Posting möglicherweise ähnlich vorgegangen bist. Eine pauschale Aussage wie "Videokonferenzen hemmen die Kreativität" schreit doch förmlich danach, einmal genauer hinzusehen.

Antworten

Thomas Knüwer 5. Dezember 2023 um 9:57

@Michael: Auch bei der Einschätzung des Glücks halte ich ein Vertrauen in die Selbsteinschätzung für diskutierenswert. Denn eigentlich dürften dann größere mentale Probleme nie entstehen – wir würden sie ja im Ansatz erkennen und unser Verhalten anpassen. Wir alle sind in einem an Satire grenzenden Ausmaß schlecht, uns selbst einzuschätzen. Das für mich unterhaltsamste Beispiel dafür ist die bislang aufwendigste Studie zum Thema Erinnerung, die in den Tagen nach 9/11 begonnen wurde (Dickes Sorry, mein WordPress will plötzlich keine Links mehr akzeptieren – ich kümmere mich): www.phillyvoice.com/memories-sept-11-attacks-inaccuracies-flashbulb-memory-911/

Wozu wir Menschen noch neigen (und auch das ist wissenschaftlich erforscht): Wir nehmen eine wissenschaftliche Erkenntnis als dies an, wenn sie unserer Meinung entspricht. Tut sie das nicht, sehen wir sie auch nur als Meinung. Bitte nicht böse sein, aber genau das ist mit Deinem Zitat des Deutschlandfunks passiert. Die Studie widerspricht Deinem Wunsch, dass Home Office toll ist. Der Deutschlandfunk erarbeitet daraus einen Vorschlag, der funktionieren „könnte“.

Dies sind alles mögliche Optionen, um ein Manko abzustellen. Nur: Das Manko existiert. Und nun werden Wege gesucht, diese Fehler zu beseitigen, die ohne Remote Work gar nicht entstehen würden. Und das zeigt ja nicht nur eine Minderzahl von Studien – sondern eben die Mehrzahl. Zitat aus der jüngsten „Nature“-Ausgabe und aus der Studie von Lin, Frey und Wu unter dem Titel WRemote Collaboration Fuses Fewer Breakthrough Ideas“ (www.nature.com/articles/s41586-023-06767-1): „We conclude that despite striking improvements in digital technology in recent years, remote teams are less likely to integrate the knowledge of their members to produce new, disruptive ideas.“

Kommen wir zur Ausstattung im Home Office – einem großartigen Eliten-Thema. Ja, viele Arbeitgeber verschiffen jetzt die alten Bürostühle in die Wohnungen ihrer ArbeitgeberInnen. Unter mir wohnt eine Familie, bei der das so ist. Ein Partner arbeitet von daheim, das wenig heimelige Neon-Licht erhellt die Straße gleich mit – die Lampe kommt vom Arbeitgeber. Die andere Hälfte der Ehe arbeitet aus dem Büro – wo denn auch sonst? Denn die beiden haben ein Kind und das verwöhnte Blag will tatsächlich ein Zimmer und ein Bett haben. GenZ, ey.

Wieviel Quadratmeter soll eine Durchschnittsfamilie haben, damit beide Partner von daheim arbeiten können? Offensichtlich reichen 130 nicht aus. Aber gehen wir mal in die Single-Situation. Auf 50 Quadratmetern ist kein Platz für ein Arbeitszimmer. Also steht der orthopädisch korrekte, deshalb aber optisch sehr dominante Stuhl im Wohnraum. Mit dem vom Betriebsrat geforderten Deckenfluter und dem Neon-Licht.

Wie übergriffig ist das denn, bitteschön?

Also müssten Arbeitgeber eigentlich das Arbeitszimmer bezahlen. Doch selbst das würde das Problem ja nicht lösen. Denn wir bräuchten größere Immobilien. Wenn ich als Single meine 50 Quadratmeter um 10 Quadratmeter Arbeitszimmer erweitere – und das alle tun – wird Wohnraum noch knapper. Außerdem sind die Immobilien ja nicht auf diese Situation geplant. Berücksichtige ich sie aber bei Neubauten, werden nicht nur die Wohnungen teurer, es werden auch weniger. Was sie wieder teurer macht.

Wir leben eben in einer vernetzten Welt und das schlichte "Dann zahlt der Chef halt den rückenfreundlichen Stuhl" ist eine lineare Lösung. Lineare Lösungen führen in einer vernetzten Welt aber oft zum Gegenteil dessen, was sie erreichen sollen. Mehr dazu hier: www.indiskretionehrensache.de/2023/07/warum-wir-mehr-arbeiten-sollten-und-werbeverbote-nichts-bringen

Du schreibst vom „ungestörtem Arbeiten“ daheim. Darf ich fragen, ob Du Kinder hast? Denn dann ist es im Alter bis zur 14 oder 15 vorbei mit der Ruhe. Selbst Kitas, Kindergärten oder Schulen helfen da nur bedingt, ständig fallen dort nämlich Betreuungszeiten aus. Und was wäre, wenn der Partner auch daheim arbeitet? Siehe Immobilienproblem oben.

Zurückweisen möchte ich aber Deine Behauptung, ich würde mir nur Studien herauspicken. Denn die Links verweisen ja auf Artikel aus seriösen Medien. haben die sich auch alles „herausgepickt“? Schaut man sich die Studienlange an, so machen diese Ergebnisse die Mehrheitsmeinung aus.

Antworten

Michael 5. Dezember 2023 um 10:57

Vielen Dank für Deine ausführliche und interessante Antwort, Thomas.

"Der Deutschlandfunk erarbeitet daraus einen Vorschlag, der funktionieren „könnte“.

Nun ja: Der Vorschlag wurde nicht vom Deutschlandfunk erarbeitet, sondern von der Autorin der Studie, wie im weiteren Verlauf des Artikels zu lesen ist:

"Melanie Brucks empfiehlt noch eine andere Methode: Wenn es um die Entwicklung von Ideen geht, kann es helfen, die Kamera auszuschalten. Dann könne man sich freier fühlen und seine Gedanken ausweiten."

Aber ja, es ist ein Vorschlag, der funktionieren *könnte*. Wenn wir uns nicht immer wieder anschauen, was funktionieren könnte, kommen wir, glaube ich, als Gesellschaft nicht voran.

Interessanterweise haben auch die Autoren der von Dir verlinkten Studie der University of Europe for Applied Sciences einen Lösungsvorschlag für gesundheitliche Probleme im Homeoffice. Und siehe da: Die Autoren schlagen nicht vor, das Homeoffice abzuschaffen, sondern sehen das Problem woanders verordnet:

"Ergonomische Arbeitsplatzgestaltungen, Fitnesstudio-Mitgliedschaften, Lifestyle-Coachings und Workshops sowie Lehrgänge zu Gesundheit und Ernährung sind ein paar Beispiele dafür, wie Unternehmen die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen im Home-Office fördern können. Leider ist aber ein Großteil der gesundheitsfördernden Strategien auf die körperliche und mentale Gesundheit der Arbeitnehmer:innen vor Ort, im Büro, ausgerichtet. Bisher gibt es wenig Studien dazu, wie Unternehmen die Gesundheit ihrer Arbeitnehmer:innen auch nachhaltig im Home-Office fördern können und das, obwohl es ein großes Bedürfnis der Arbeitnehmer:innen ist."

Die pauschale Aussage "Home Office schadet der physischen wie der mentalen Gesundheit" finde ich deshalb sehr schwierig. Nein, nicht das Homeoffice schadet der Gesundheit, sondern die Tatsache, dass viele Unternehmen offenbar die Menschen im Homeoffice noch nicht vernünftig ausgestattet haben.

Ja, auch das ist eine Lösung, die laut den Autoren der von Dir verlinkten Studie funktionieren *könnte*. Hier musst Du aber doch anerkennen, dass Dein Vorschlag, Bürofläche jetzt wieder zu vergrößern und Einzelbüros anzubieten, exakt das gleiche ist: Eine Idee, die möglicherweise funktionieren *könnte*.

Ja, wir haben eine kleine Tochter. Meine Frau arbeitet 70% der Zeit Zuhause und ich 100%. Und ja, wir wohnen in einem Einfamilienhaus. Und ja, nicht jeder wohnt in einem Einfamilienhaus – ich schrieb ja bereits, dass Menschen ganz offensichtlich unterschiedliche Bedürfnisse haben, genau aus diesem Grund finde ich pauschale Aussagen zu dem Thema schwierig. Wer in einer kleinen Wohnung wohnt, wird vielleicht einen Coworking-Space besuchen oder eben im Büro arbeiten.

"Ja, viele Arbeitgeber verschiffen jetzt die alten Bürostühle in die Wohnungen ihrer ArbeitgeberInnen."

Erneut: Wenn Arbeitgeber ihren Schrott an die Angestellten verschiffen, ist das doch kein inhärenter Nachteil des Homeoffice, sondern ganz offensichtlich ein Fehler der Arbeitgeber. Genauso könnte ich argumentieren, dass es sinnlos ist, wenn "viele Arbeitgeber ihre Angestellte zurück in muffige, schlecht ausgestattete Einzelbüros" kommandieren – was aber kein Nachteil der Einzelbüros, sondern ein Fehler der Arbeitgeber wäre. Hier verhält es sich ähnlich wie mit dem Kaffeeautomatenschwatz-Entscheider – ich habe den Eindruck, dass Du hier irgendwie mehrere Ebenen in der Diskussion vermischst.

Ich weiß auch nicht, ob persönliche Anekdoten ("unter mir wohnt eine Familie…") uns in der Diskussion weiterbringen. Meine Frau arbeitet bei einer großen Bank, in deren (neuen!) Büros es viel zu kalt ist (lässt sich leider nicht ändern), die Klimaanlage ist unfassbar laut und die Parkplatzsituation eine Vollkatastrophe: 20 Minuten nur für die Parkplatzsuche sind die Regel. Manchmal parken die Angestellten auf Anwohnerparkplätzen und zahlen ihre Knöllchen: Unterkühlte Büros und Angestellte, die Strafzettel bezahlen müssen: Wie übergriffig ist das denn bitteschön? Wie gesagt: Anekdoten bringen uns hier nicht wirklich weiter, oder?

Zum Immobilienmarkt: Wenn ich das richtig sehe, hat die Arbeitswelt in den vergangenen Jahrzehnten jetzt nicht gerade dazu geführt, dass Wohnfläche in den großen Städten günstiger geworden ist – sondern zu steigenden Mietpreisen, völlig verstopften Straßen, damit einhergehender Lärm, gesundheitliche Belastung und genervten Pendlern. Auch diesen Aspekt – den nachweislich negativen Auswirkungen des Pendeln auf die Gesundheit, blendest Du leider völlig aus:

"Zahlreiche Untersuchungen belegen inzwischen, dass Pendler häufiger unter Rücken- und Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und anderen funktionellen Beschwerden leiden. Zudem gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Herzinfarkt- und Adipositas-Risiko."
https://www.tk.de/techniker/magazin/life-balance/balance-im-job/pendeln-kostet-zeit-und-nerven-2048874

Oder auch:
"Interessant ist: Nicht nur die Lebenszufriedenheit sinkt durch Stress und Belastung bei langen Arbeitswegen. Auch die Arbeitszufriedenheit leidet, wenn die Arbeitnehmer nach 40 Minuten oder längerer Anfahrt schließlich an ihrem Arbeitsplatz ankommen"
https://www.wiwo.de/erfolg/trends/gluecksatlas-zeigt-widersprueche-pendler-koennten-es-besser-haben/23174868.html

"Zurückweisen möchte ich aber Deine Behauptung, ich würde mir nur Studien herauspicken."

Ich schätze Deine Beiträge in diesem Blog sehr, habe mich bei diesem Thema aber über die aus meiner Sicht einseitigen Beiträge gewundert: Studien, ohne das Fazit der Studie (den Lösungsvorschlag) zu erwähnen, die Aspekte der gesundheitlichen Schäden des Pendeln völlig ignoriert, den Ansatz, dass Unternehmen durchaus vernünftige Ausstattung für das Homeoffice bereitstellen können (nochmal: Die Kosten sind ein Witz im Vergleich zum Dienstwagen und Geschäftsreisen) oder die Idee, dass sich der Immobilienmarkt entspannen würde, wenn Unternehmen in großen Städten wieder, wie in den letzten Jahrzehnten, mehr große Bürofläche bauen (was zwangsläufig zu weniger Wohnungen führt).

Michael 5. Dezember 2023 um 13:13

"Auch bei der Einschätzung des Glücks halte ich ein Vertrauen in die Selbsteinschätzung für diskutierenswert. Denn eigentlich dürften dann größere mentale Probleme nie entstehen – wir würden sie ja im Ansatz erkennen und unser Verhalten anpassen."

Das wäre richtig, wenn alle mentalen Probleme auf unser Verhalten zurückzuführen sind und wir dieses Verhalten immer ändern können. Wenn aber z.B. mein Arbeitgeber darauf besteht, dass ich Tag für Tag 2 Stunden Lebenszeit im Bus oder im Auto verschwende, kann ich das erstmal kurzfristig nicht ändern – selbst wenn ich weiß, dass mich das unglücklich macht.

Langfristig könnte daraus dann bei immer mehr Menschen der Wunsch entstehen, mehr im Homeoffice zu arbeiten, so wie es jetzt gerade passiert.

Nochmal: Danke für die tolle Diskussion. Ich habe einige Punkte mitgenommen, über die ich sicher noch länger nachdenken werde.


Philipp 4. Dezember 2023 um 15:15

Egal welche Dokumentation Ich mir über das Thema Homeoffice in den letzten 2 Jahren angersehen habe, egal welchen Text Ich dazu gelesen habe, jedes Mal hab Ich mich gefragt: Spiegelt das, was da vermittelt werden soll, wirklich den Arbeitsalltag so vieler Homeofficeler wieder?

Ich mache seit März 2020 nur noch Homeoffice und war seitdem nicht einen Tag im Büro.

Seit Ich 2015 bei meiner jetzigen Firma angefangen habe, hab Ich keinen einzigen Gedanken je daran verschwendet Karriere zu machen, hab in Gegenteil Angebote dazu sogar dankend abgelehnt.

Wenn Ich dann diese Texte lese in denen es um "Meetings" geht und um "Konferenzen", denke Ich mir immer, was sind das für abgehobene Arbeitswelten in denen man sowas macht? Ich hatte in den letzten acht Jahren nicht ein Meeting oder eine Konferenz (mal von den wöchentlichen Teamcalls abgesehen die man seit der Homeofficezeit hat, in denen man eben das bespricht, was man sonst im Büro so zwischen Tür und Angel besprochen hätte. Meistens gehts darin aber mehrheitlich um Privatkram.).

Auch der immer wieder angesprochene Punkt mit dem länger arbeiten. Mein Arbeitgeber verbietet mir das sogar explizit, weil er das nicht bezahlen will und / oder weil es Tarifvertraglich sogar verboten ist.

Ich arbeite im Homeoffice exakt die gleiche Stunden, ja sogar Minutenzahl wie im Büro. Ich habe da eine genauso strikte Trennung zwischen Arbeit und Privatleben, auch wenn der private und der berufliche Schreibtisch weniger als einen Meter auseinander stehen.

Irgendwie vermisse Ich in dieser ganzen Diskussion, den Blick auf die kleinen Angestellten. Den Callcenter Agenten, den kleinen Mitarbeiter im Kundenservice, den einfachen Vertriebler, usw. der einfach nur seine acht Stunden am Tag in aller Ruhe vor sich hinarbeiten will um dann zu Abend zu essen und sich das Sommerhaus der Stars oder einen ähnlichen Stuss in der Glotze anzusehen.

Man mag es nicht glauben, aber Ich denke die Menschen, die keine Karriere machen wollen sind mehr als man denkt…

Ich hoffe jedenfalls mein Homeoffice nicht mehr verlassen zu müssen.

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Thomas Knüwer 4. Dezember 2023 um 18:36

@Philipp: Ich gebe Dir in Teilen Recht. Du schreibst, dass Dein Arbeitgeber, Mehrarbeit tariflich verhindere. Dies ist im Home Office natürlich nur möglich, wenn Du Dich wie früher ein- und auscheckst. In dem Moment, in dem eine andere Person ins Spiel kommt, zum Beispiel um per Telefon eine Absprache zu treffen (auch dies fällt bei mir in den erweiterten Begriff Meeting), muss er die gleichen Arbeitszeiten haben wie Du. Anderenfalls muss einer von euch zwar nicht quantitativ mehr arbeiten, aber vielleicht ja zu einer eigentlich nicht gewählten Uhrzeit.

Das Nicht-Karriere-Machen trifft übrigens an einem Punkt auf eine erhebliche Hürde: Wenn Personal abgebaut werden muss. Dann kann man auf eine Sozialplan hoffen. Wenn aber der Entscheider die Wahl hat zwischen jemand, den er oder sie vom Kaffeeautomatenschwatz kennt und jemand, der nur in Zoom-Calls abhängt…

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Michael 5. Dezember 2023 um 8:23

"Wenn aber der Entscheider die Wahl hat zwischen jemand, den er oder sie vom Kaffeeautomatenschwatz kennt und jemand, der nur in Zoom-Calls abhängt…"

Ich finde das irgendwie eine merkwürdige Perspektive. Ja, sicherlich gibt es noch Unternehmen mit Personalern, die Karriereentscheidungen basierend auf dem Kaffeeautomatenschwatz treffen (fraglich, ob man für so ein Stromberg-Unternehmen überhaupt noch arbeiten möchte, aber das ist ein anderes Thema). Es gibt aber auch Personaler und Vorgesetzte, die durchaus in der Lage sind, die echte Arbeit von Menschen zu bewerten, zum Beispiel auf im Vorfeld definierten Zielen. Anders formuliert: Es gibt Personaler, die ihren Job machen.

Aber mal angenommen, die Kaffeeautomatenschwatz-Personaler sind in der Mehrheit: Sollten Unternehmen dann nicht eher ihre Personaler schulen (oder kündigen), anstatt die Menschen in das Büro zurückzukommandieren, damit anschließend Personalentscheidungen wieder basierend auf dem Kaffeeautomatenschwatz getroffen werden können? Warum wäre das erstrebenswert? Und wieso würden Unternehmen profitieren, wenn sie primär die Menschen befördern (oder nicht kündigen), die am Kaffeeautomaten herumhängen?

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Thomas Knüwer 5. Dezember 2023 um 9:32

@Michael: Tja, nur dass Personaler ja nicht die Entscheidungen treffen (außer in der Personalabteilung). Sie haben bestenfalls (und oft nicht mal das) eine beratende Funktion. Doch natürlich schreiben sie beispielsweise keine jährliche Beurteilung, das machen die Vorgesetzten. Und da ist es überhaupt nicht zu kritisieren, dass sie Entscheidungen maßgeblich auch darauf beruhend treffen, ob sie das Gefühl haben, einen Menschen einschätzen zu können und ihn im Zusammenspiel mit anderen zu erleben. Nicht umsonst gehört es zu den Vorstellungsritualen in großen Beratungen, mit Kandidaten ab einem gewissen Level essen zu gehen.

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Michael 5. Dezember 2023 um 10:06

"Tja, nur dass Personaler ja nicht die Entscheidungen treffen"

Ersetze Kaffeeautomatenschwatz-Personaler durch Kaffeeautomatenschwatz-Entscheider. In beiden Fällen wird die Entscheidung ja offensichtlich nicht basierend auf der Leistung getroffen, sondern basierend auf der Frage, wer am Kaffeeautomaten (das Beispiel kam von Dir) oder beim Mittagessen die bessere Figur macht und den besseren Smalltalk beherrscht, um Personeler und Entscheider zu beeindrucken.

"Wenn aber der Entscheider die Wahl hat zwischen jemand, den er oder sie vom Kaffeeautomatenschwatz kennt und jemand, der nur in Zoom-Calls abhängt…"

Dann wäre es aus meiner Sicht unbedingt die Aufgabe des Entscheiders (oder der Vorgesetzten des Entscheiders) dafür zu sorgen, dass er 1.) die Arbeit der Person und nicht die Person basierend auf seinen Smalltalk-Skills beurteilt und 2.) regelmäßig mit den Menschen essen geht oder sich anderweitig austauscht. Dagegen spricht ja nichts, die Menschen sind ja schließlich nicht im Homeoffice eingeschlossen.

Wenn der Entscheider das nicht hinkriegt, macht er einen verdammt schlechten Job und lässt sich von Smalltalk-Skills blenden, was sicherlich nicht im Sinne des Unternehmens ist – sicherlich aber, da stimme ich Dir zu, in der Vergangenheit gängige Praxis war, was ja lange Zeit in vielen Unternehmen nicht selten zu einem toxischem Betriebsklima geführt hat: Befördert wurden häufig die Blender, die Selbstdarsteller, die am Kaffeeautomaten-Herumhänger – und nicht diejenigen, die professionell, effizient, zuverlässig aber vielleicht nicht so "laut" ihre Arbeit machten.

Ich sehe nach wie vor nicht, warum das erstrebenswert sein soll.

Siehe dazu auch:

Groß, laut, unfähig
Haben Sie auch das Gefühl, dass nicht immer die kompetentesten Leute an die Spitze kommen? Eine Studie zeigt nun: Sie haben recht.
https://www.manager-magazin.de/harvard/management/gross-laut-unfaehig-a-00000000-0002-0001-0000-000144786033

Psychologe: Darum landen unfähige Männer in Führungspositionen
https://www.merkur.de/leben/karriere/psychologe-ueber-chefs-darum-landen-unfaehige-maenner-fuehrungspositionen-zr-13787235.html

Fachlich in Ordnung, als Chef ungeeignet
https://www.haufe.de/personal/hr-management/studie-deckt-mangelnde-fuehrungsqualitaeten-auf_80_132922.html

Thomas Knüwer 5. Dezember 2023 um 11:47

@Michael: Kommen immer die kompetentesten Leute nach oben? Nö. Das hat eine gute und eine schlechte Seite. Die schlechte ist die, dass auch Leute befördert werden, die dem Chef vielleicht nicht gefährlich werden können. Die Gute aber ist wichtiger: Je weiter ich nach oben komme in einer Hierarchie, desto mehr Personalverantwortung trage ich. Und für Personalverantwortung und -führung brauche ich eben mehr als nur Fachwissen. Mehr noch: Je weiter ich nach oben komme, desto unwichtiger wird das reine Fachwissen und desto wichtiger wird das Thema Führung.
Ein weiterer Aspekt: Natürlich will ein Vorgesetzter, dass ein Team harmoniert. Und das kann ich eben am Bildschirm nicht feststellen, denn dort sehe ich die Personen immer nur in einer kontrollierten Version. Es ist aber ein ganz normaler Teil der Führungsarbeit "aus den Augenwinkeln" zu schauen, wie Menschen miteinander umgehen. Das geht dann eben nur bei Präsenzarbeit.

Was die verlinkten Studien betrifft, kann ich zu der aus dem Manager Magazin nichts sagen wegen Paywall. Der Dunning Kruger Effekt wird derzeit in der Wissenschaft sehr kritisch gesehen. Generell aber braucht eine Führungskraft natürlich immer die Fähigkeit „zu blenden“ und Selbstbewusstsein auszustrahlen – nur so bekommt man ein Team durch harte Zeiten oder Krisen. Die Studie der Metaberatung bestätigt all dies: Sie kritisiert ja die Beförderung aufgrund von Fachkenntnis.


Michael 5. Dezember 2023 um 13:03

"Und das kann ich eben am Bildschirm nicht feststellen, denn dort sehe ich die Personen immer nur in einer kontrollierten Version. Es ist aber ein ganz normaler Teil der Führungsarbeit "aus den Augenwinkeln" zu schauen, wie Menschen miteinander umgehen. Das geht dann eben nur bei Präsenzarbeit."

Ich glaube, dass sich ausnahmslos jede Person in eine "kontrollierte Version" verwandelt, sobald der Vorgesetzte die Tür reinkommt. Ob Dein Vorschlag (Zurück zum Einzelbüro) die Führungsarbeit aus den Augenwinkeln erleichtert oder eher erschwert, wäre zumindest auch diskutabel.

Dennoch vielen Dank für Deine Meinung, ist auf jeden Fall bereichernd!

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Thomas 22. Dezember 2023 um 9:12

Mein Arbeitgeber hätte auch gern, dass wir wieder öfter im Büro sind. Der gleiche Arbeitgeber hat aber das Unternehmen so umstrukturiert, dass Teams willkürlich aus Menschen der verschiedensten Standorte zusammengesetzt sind – über Länder, Kontinente und Zeitzonen hinweg. So soll ich also alleine in ein Büro gehen, mir dort jedesmal einen anderen Schreibtisch neben unbekannten Menschen suchen, mit denen ich weder privat, noch beruflich zu tun habe, und dort den ganzen Tag in Videokonferenzen sitzen – natürlich im Großraum, damit man sich dabei auch maximal gegenseitig stören kann. Die Frage nach dem Sinn im Vergleich zu meinem bestens ausgestatteten Home Office konnte mir bislang noch niemand beantworten. Das ganze Gerede von persönlichem Kontakt und effektiveren Präsenz-Meetings geht zumindest an meiner Arbeitsrealität vollkommen vorbei. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich damit allein bin. Und ich bin jemand, der eigentlich gern öfter persönlichen Kontakt mit den Kolleg:innen im Büro hätte – es ist nur einfach aufgrund von Management-Entscheidungen physisch nicht möglich.

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