Seit einiger Zeit treibt mich um, wie sehr wir als Gesellschaft uns für einfach erscheinende, lineare Lösungen begeistern oder sie fordern.
Wir machen es uns sehr einfach und glauben, dass wir zufriedener sind, wenn wir weniger arbeiten oder dass Werbeverbote für Naschzeugs die Verfettung der Jugend stoppt, die noch dazu so gar nicht nachweisbar ist. (Mehr dazu auch hier.)
Meine These: Lineare Lösungen führen in einer vernetzten Welt eher nicht zum Erfolg.
Ein schönes Beispiel dafür begegnete mir jüngst in Hamburg auf St. Pauli. Der FC St. Pauli ist der erste Proficlub des deutschen Fußballs, der eine Bio-Bratwurst, eine vegane Variante und eine mit Geflügel anbietet.
Klingt eigentlich ganz simpel, oder? Dann kauft man halt beim Großhandel andere Würste und gut ist.
Solch ein lineares Handel hätte wohl zum Aufstand geführt. Denn bei aller Nachhaltigkeit, die dadurch entstanden wäre, ist der Großteil der Besucher selbst bei einem so progressiv gestimmten Verein wie Pauli vor allem daran interessiert, dass die Wurst subjektiv schmeckt. Und: Dass sie immer gleich schmeckt.
Für jene, die Fußball nicht so mögen, sei gesagt: Die Stadionwurst hat mythischen Charakter, sie gehört zum Stadionbesuch, zu Auswärtsspielen reisende Fans tauschen sich mit hymnischen wie verdammenden Worten über empfehlenswerte und verachtenswerte Würste aus.
Mein persönlicher Favorit ist diese hier: Sie wird bei der SG Wattenscheid 09 serviert.
Je größer das Stadion, desto größer die Herausforderung, wenn sich etwas ändern soll. Denn Stadionwürste werden in einem relativ engen Zeitfenster vor dem Anpfiff und während der Halbzeit verzehrt. Somit müssen sie einerseits flott gar sein und andererseits lange auf dem Rost aushalten, ohne sich in karzinogene Unansehnlichkeiten zu verwandeln. Außerdem sind es echt viele: Bei einem Heimspiel auf Pauli verzehren 30.000 Besucher 10.000 Würste.
Wenn es dann noch Bioqualität sein soll, es eine vegane Variante und eine mit Huhn geben darf – dann wird die Stadionwurst zum Projekt.
Wie man das angeht, erfuhren meine Mit-Podcasterin Lee Greene und ich direkt am Millerntor. Der FC St. Pauli beschaffte uns alle Beteiligten am Projekt „Bio-Stadionwurst“ und entstanden ist eine Ausgabe von Völlerei & Leberschmerz, in der es darum geht, wie etwas scheinbar Simples sehr komplex wird.
Aber es geht eben auch darum, wie Nachhaltigkeit, die in einem Anfall von Linearität manchmal mit stoischer Unerbittlichkeit eingefordert wird, im gesellschaftlichen Alltag nur mit viel Einsatz umzusetzen ist. Dazu besonders empfehlenswert ist unser Gespräch mit Björn Hansen, der mit seiner Firma Stereolicious der neue Stadioncaterer geworden ist.
Ich glaube, diese Ausgabe ist auch für Fußballverächter und Nicht-Foodies sehr interessant, weil sie uns daran erinnert, wie komplex unsere Welt manchmal sein kann.
Hören können Sie Völlerei & Leberschmerz überall, wo Sie Podcasts hören, auf unserer Homepage, oder hier:
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von www.voellereiundleberschmerz.de zu laden.
Kommentare
bea 18. Oktober 2023 um 11:01
Vielleicht liegt’s an meiner begrenzten Stadionerfahrung, aber ich verstehe leider nicht, ob die Würste auf St. Pauli jetzt ein Beispiel für lineares oder nicht-lineares Handeln sein sollen.
Im Text heißt es:
"Der FC St. Pauli ist der erste Proficlub des deutschen Fußballs, der eine Bio-Bratwurst, eine vegane Variante und eine mit Geflügel anbietet. Klingt eigentlich ganz simpel, oder? Dann kauft man halt beim Großhandel andere Würste und gut ist. Solch ein lineares Handel (sic!) hätte wohl zum Aufstand geführt."
Ich gehe mal davon aus, dass auch der Stadion-Caterer beim Großhandel andere Würste als vorher bestellt hat. Das scheint aber nicht "zum Aufstand" geführt zu haben. Weil alle Würste trotzdem gleich schmecken? I’m confused!
Thomas Knüwer 18. Oktober 2023 um 14:15
@Bea: Die Konfusion löst sich, wenn Sie unseren Podcast gehört haben. Einfach mal klicken oder in einer Podcast-App abonnieren.
Wolf 18. Oktober 2023 um 19:09
Grüße aus Wattenscheid!
Adler 24. Januar 2024 um 12:19
Ist die in Wattenscheid wieder gut? Was war das für ein Horror, als die vor vielen Jahren auch auf die Fettwannen umgestellt hatten. Beim Gastspiel unserer Preußen gab es da die "gute" Wattenscheider Wurst außen schwarz, innen kalt und so fetttriefend, dass man damit jedes Stück Pappe durchsichtig bekam.
Danach war ich (leider) nicht mehr in Wattsche, wäre also schön, wenn das damals wirklich nur eine Verirrung war, die behoben wurde.