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Der folgende Artikel stammt wirklich vom 20. September 2023. Und das ist traurig. Denn er demonstriert, dass Digitalmarketing von wichtigen Institutionen Deutschlands noch immer als Chichi interpretiert und somit wegignoriert wird – und sich somit seine Bedeutung bei diesen Entscheidern seit 15 Jahren nicht verändert hat.

In diesem Fall sitzen die Entscheider bei der CDU. Zugegeben: Natürlich ist die CDU die analogfetischistischste aller Großparteien und verantwortlich für die digitale Drittweltlichkeit Deutschlands. Doch, naiv wie man als Bürger so ist, denkt man sich dann ja doch: „2025 ist Bundestagswahl, da werden selbst die inzwischen jemand haben, der sich die basalsten Grundlagen der Marketingdisziplin in einem IHK-Grundlagenseminar draufgeschafft hat.“

Nein, das ist zu viel Optimismus.

Herausgekommen ist eine Posse von gehobenem Ausmaß, von der Unternehmen und andere Institutionen etwas Lernen können…

Lehre 1: Ein Relaunch braucht den Big Bang

Gestern präsentierte die Partei ihr neues Corporate Design, aussehen soll es so:

Nun ist so ein neues Design ja nichts, was man nebenbei machen sollte. Ein Design, ein Logo strahlen aus, sie sind der wichtigste Bezugspunkt einer Marke, eines Unternehmens, einer Partei, eines Ministeriums, einer NGO hin zu den Menschen.

Deshalb sollte man dieses Design so weit es eben geht vorplanen um dann zu einem bestimmten Tag den Schalter umzulegen und dies auch medial zu vermelden. Denn sobald sich Farben oder Optik ändern, sind Menschen zunächst verwirrt. Erhalten sie zum Beispiel eine Mail fragen sie sich: Ist das wirklich von jenem Unternehmen oder ist es ein Betrugsversuch?

Die CDU hat das nicht geschafft. Kein einziger Landesverband scheint die neue Optik übernommen zu haben. Hier als Beispiel Hamburg:

Und hier NRW:

Natürlich ist das nicht ganz einfach, aber andererseits eilt die Veröffentlichung auch nicht. Und auch ohne Relaunch ist es irritierend, wie unterschiedlich schon die Farbwahl der Auftritte daherkommt – professionelle Kommunikation sieht anders aus.

Lehre 2: You get what you pay

Parteien haben nicht viel Geld. Deshalb sind sie oft angewiesen auf Überzeugungstäter als Helfer. Die Agentur, die für dieses Desaster anscheinend verantwortlich ist, hat einen ehemaligen CDU-Landesvorsitzenden als Partner. Wir dürfen annehmen, dass das Einschalten eines besseren Dienstleisters mehr Geld gekostet hätte.

Leider hat solch ein Klüngel später Auswirkungen. Die Agentur legt bei Partei-Aufträgen drauf, wird dann aber bei Aufträgen einer Regierung bevorzugt – und zockt diese ab. Immer wieder fällt man dann hintenüber, was Ministerien oder Landesregierungen für Podcasts oder Videos zahlen.

Lehre 3: Check, re-check and then check again

Die CDU beging ihre teilweise optische Wandlung mit einem Imagevideo. Dieses Video bewegt sich qualitativ auf Augenhöhe mit dem, was mittelständische Maschinenbauer Anfang der Nuller Jahre veröffentlichten, als die Produktion generischer Videos mit beliebiger Musik zum ersten Mal kostengünstiger wurde und man deshalb einen Imagefilm „haben musste“.

In diesem tauchte auch eine Kuppel auf, die der flüchtige Betrachter für die Kuppel des Reichtstagsgebäudes halten könnte. Tatsächlich aber handelt es sich um den Präsidentenpalast in Tiflis.

Selbst im niedrigstschwelligen Fall haben dieses Video drei Personen gesehen:

  • Videoersteller
  • Abnehmende Stelle der Agentur
  • Zuständiger bei der CDU

Wahrscheinlicher ist, dass es noch mehr waren. Zum Beispiel nicht nur ein Videocutter, sondern ein Kundenbetreuer auf Agenturseite. Und nicht nur eine Person in der CDU, sondern ein ganzer Kreis. Angesichts der Wichtigkeit eines optischen Relaunches hätte Parteichef Friedrich Merz das Filmchen auch abnehmen müssen, zumindest wäre das in der Wirtschaft so passiert.

Bemerkenswert ist, dass von diesen 3 + X Personen keine das sofortige Störgefühl entwickelten, dass sich bei nicht völlig oberflächlichem Betrachten des Videos einstellt. Denn dass der eine oder andere einfach überwältigt von Bild und Ton ist und sich emotional darin suhlt, die monatelange Arbeit nun in Bewegtbildform gegossen zu sehen, ist menschlich. Aber alle?

Wenn ein Dienstleister solche Werbe-Assets präsentiert gilt immer: Der Kunde muss alles mehr als oberflächlich prüfen, denn Fehler sind nun einmal menschlich.

Lehre 4: Krisen entstehen im Social Web

Heute springen Krisen eher vom Social Web in die klassischen Medien, als umgekehrt. Das ist eine schlicht quantitative Sache: Im Social Web sind mehr Menschen unterwegs, die sich mit mehr Sachen auskennen und für mehr Sachen interessieren, als jede Redaktion der Welt.

Trotzdem existiert in zu vielen Unternehmen und Institutionen noch immer kein Social Media Monitoring oder ein Vertrag mit einem Dienstleister, der das übernimmt.

Und dabei gilt nun seit Anbeginn des Web 2.0: Die heftigste Krise beginnt immer am Freitag um 18 Uhr – wenn niemand mehr arbeitet. Die zweitheftigste irgendwann nach dem „heute journal“, wenn die Entscheider langsam Richtung Bett wanken.

So auch bei der CDU: Am Abend gab es die ersten, die den Tiflis-Palast ausmachten, gegen 21.30 veröffentlichte eine rechtsradikale Seite einen ätzenden Artikel, als ich am Morgen um 7 das erste Mal Twitter aufmachte, liefen die Posts schon warm bis heiß.

Spätestens um 9 Uhr hätten die Entscheider bei der CDU wissen müssen, was los ist. Stattdessen wirkte es so, als sei die CDU zwar nicht ausgeschlafen, schlafe aber aus.

Lehre 5: Kommunikation braucht Zugang

Das Video verschwand erst am Mittag von den Social Media-Accounts – 12 Stunden zu spät. Das deutet auf organisatorische Defizite hin.

Einerseits anscheinend hat der zuständige Entscheider nicht mitbekommen, was sich da zusammenbraut. Der Verdacht liegt nahe:

  • Er selbst ist nicht im Social Web aktiv.
  • Er war nicht erreichbar.

Kommunikation aber braucht Zugang – und zwar 24/7. Dabei ist es egal, ob ein Dienstleister die Person erreichen kann, die ein solches Video löschen darf, oder der zuständige Kommunikator seinen Chef. Derjenige, der entscheiden darf, dass dieses Video offline geht, muss erreichbar sein – es ist ein mieser Job, aber einer muss ihn machen. Und wenn das dann dem Marketingchef zeitlich zu viel ist, dann muss er MitarbeiterInnen die Kompetenzen einräumen, direkt zu reagieren.

Machmmal aber braucht es auch einen Digitalkompetenten mit Hintern in der Hose, der selbst entscheidet: Ich nehme das runter. Es ist dann eine Frage der Unternehmenskultur, was danach passiert.  Eigentlich müsste diese Person befördert werden.

Lehre 6: Krisenkommunikation ist kein Witz

Fehler passieren. Jedem. Und bei allem. Die Frage ist: Wie geht man damit um?

Das wichtigste Instrument der Politik ist die Kommunikation (auch wenn sie das in Deutschland quer über alle Parteien noch nicht begriffen hat).

Deshalb ist eine solche Krise, die aus Kommunikation geboren wurde, auch eine ernstzunehmende Krise. Die CDU dagegen behandelt sie so, wie sie seit Jahrzehnten Digitalthemen behandelt: als Witz.

Aber es ist eben nicht witzig. Hier wurde Geld verschwendet von einer Partei. Diese Partei finanziert sich aus öffentlichen Geldern und den Beiträgen ihrer Mitglieder, sowie (wer wüsste das besser als die CDU?) Spenden.

Und auch Politik ist kein Witz. Klar, alle Jubeljahre wird mal ein Clown gewählt wie Beppe Grillo in Italien – aber das als Protest gegen das, was die CDU eigentlich sein will.

In der Krisenkommunikation gibt es drei Schritte, um eine Krise abzudämpfen:

Own: Man gesteht ein, was wirklich passiert ist. Wenn man einen Fehler gemacht hat, gesteht man ihn. Wenn man ihn nicht gemacht hat, sagt man das mit allem Selbstbewusstsein. Und man bittet um Entschuldigung, auch wenn es weh tut.

Explain: Man erklärt detailliert, wie der Fehler zustande kam.

Promise: Man verspricht Besserung und erläutert, welche Schritte eingeleitet wurden, um eine Wiederholung zu verhindern. „Deutschland kann es besser“ lautet der Claim der Partei. Es wäre so einfach gewesen zu schreiben: „Wir können das auch besser und werden es beweisen.“

Die CDU hat nichts davon getan, sondern ein Posting veröffentlicht in der Tonalität von Mario Barth.

Lehre 7: Logoentwicklung ist auch kein Witz

Seit rund 25 Jahren beobachte ich Startups. Und seit 25 Jahren unterschätzt der größere Teil deutscher Startups die Bedeutung von Branding und Logos. Da wird irgendwas billig bestellt, Markenrechte werden nicht geprüft und auch nicht, was solch ein Logo bei Menschen bewirkt.

Die CDU ist kein Startup – handelt aber genauso. Teil ihres Redesigns ist ein optisches Element, das zunächst mal an die Lautstärkeanzeige bei Apps erinnert:

Auch hier stellte sich bei mir sofort ein Störgefühl ein. Vor allem, in jenem Video, bei dem die drei Balken mit Bildern hinterlegt wurden, so dass die Form offensichtlicher wurde:

Viele verglichen dies mit Adidas – klar, drei Balken halt. Doch es ist viel schlimmer. Diese Form liegt sehr, sehr nahe am Logo des Finanzdienstleisters OVB:

Nun sind die drei Balken recht generisch. Aber trotzdem: Es gibt heute so viele technische Hilfen bei der Prüfung solcher Optiken. Sie nicht einzusetzen ist amateurhaft. Gespannt darf man sein, ob diese Gleichheit noch rechtliche Auswirkungen hat. Sollten Sie Markenrechtler sein, freue ich mich auf Einschätzungen in den Kommentaren.

Fazit: Es bleibt was hängen

All dies ist ein Desaster. Natürlich ist es keines, das die nächste Wahl kippen wird. Aber es lässt die CDU eben wirken wie Volldeppen. Und auch wenn sich bewusst eine Wählerin oder ein Wähler im Jahr 2025 nicht mehr an den Palast von Tiflis erinnern wird, so prägen solche Wahrnehmungen halt doch das Bild einer Institution.

Wir kennen das ja: Da erzählt ein Bekannter, dass in einem Restaurant das Essen nicht mehr so schmeckt wie früher. Wir speichern das ab und irgendwann wird es zum Allgemeingut – da isst man halt nicht mehr so gut. Längst können wir nicht mehr sagen, wer uns das erzählt hat und warum, es bleibt haften.

So wie auch das Image der Desorganisation bei der CDU hängen bleiben wird.


Kommentare


Frank 20. September 2023 um 21:52

Streng genommen handelt es sich wohl um den ehemaligen Präsidentenpalast in Tiflis. Das Gebäude steht seit 10 Jahren leer.

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Frank 20. September 2023 um 21:57

Die CDU hat anscheinend sehr wenige Mitglieder, die sich um Websites kümmern.
Unter https://www.cdu-langballig.de/ werden noch immer die Kandidaten zur Kommunalwahl 2018 prominent auf der Startseite vorgestellt. Daran hat auch die Kommunalwahl im Mai 2023 nichts geändert. Anfragen an den Kreis- und Landesverband wurden natürlich konsequent ignoriert.

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Adolf Mecklenburg 21. September 2023 um 9:51

Offenbar ist auch niemandem aufgefallen, dass das Diagramm der Farben die CDU als kleinste, dazwischen die SPD und die FDP als größte darstellt.

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Calvero 21. September 2023 um 14:40

Die CDU sieht wohl schwarz für ihre Zukunft.

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Christine 21. September 2023 um 8:03

Drüben (https://www.t-online.de/digital/kolumne-nicole-diekmann/id_100246544/cdu-generalsekretaer-unterlaeuft-peinliche-panne-bei-werbespot-zu-neuem-logo.html) hat Nicole Diekmann in den Raum geworfen, dass das volle Absicht gewesen sein, damit das Video viral ginge. Finde ich nicht so abwegig.

Die Passgenauigkeit mit dem geschwungenen Pfeil der A*D finde ich viel gruseliger als die Erinnerung an Adidas.

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Thomas Knüwer 21. September 2023 um 8:21

Eine beliebte Ausrede in solchen Fällen – und natürlich verzweifelter Bullshit. Denn dann hätte es eine intelligente und schnelle Reaktion gegeben.

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Gerrit Eicker 21. September 2023 um 10:58

Schonmal das "neue" Corporate Design der ÖVP angeschaut? Fast (99,9+%) die identische Farbe. Kam übrigens kurz vor der gemeinsamen Regierung der ÖVP mit der Af…, ach ’ne, FPÖ.

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Tim 21. September 2023 um 19:29

"Und seit 25 Jahren unterschätzt der größere Teil deutscher Startups die Bedeutung von Branding und Logos."

Gleichzeitig wird aber nichts im Marketing so überschätzt wie die Bedeutung von Logos. Wenn man bei Werbewirkungsstudien die wichtigeren Faktoren rausrechnet, sinkt die spezifische Logo-Wirkung meist auf einen Wert nahe 0 ab. Der Grund ist ja auch klar: Niemand da draußen interessiert sich für Logos so sehr wie Marketingtreibende und Marketingdienstleister.

Kostenloser Tipp für Startups: Interessiert euch für euer Logos erst, wenn ihre alle wichtigen Fragen geklärt habt.

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