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Vor 17 Jahren meinten ein paar Blogger in Berlin, dass man die anderen Blogger mal treffen könnte. Wenn ich das richtig erinnere, wurden 200 bis 300 Teilnehmer erwartet, es kamen doppelt so viele.

Heute zählt die re:publica 25.000 Besucherinnen und Besucher sowie 1177 RednerInnen. Sie ist Deutschlands, vielleicht Europas, wichtigste Digitalkonferenz geworden, die Politprominenz liefert sich Kindergarten-Käbbeleien darum, wer wann dort sprechen darf. Diesmal mit dabei: Habeck, Lindner, Wissing, Esken und Wegner.

Robert Habeck auf der re:publica 2023. Foto: re:publica (CC BY-SA 2.0)

Sie ist aber auch eine unbesungene UnternehmerInnengeschichte. Und ein Musterbeispiel für gelungene Markenführung. Ich glaube jeder, der im Marketing tätig ist, kann von der Konferenz lernen. Zum Beispiel:

In die Zielgruppe reindübeln

Die re:publica war kein ausgeklügeltes Geschäftskonzept, sondern das Gefühl, dass da ein Bedarf ist. Dieses Gefühl entsprang der Nähe zu jenen, die Tickets kaufen sollten. So war Mitgründer Johnny Haeusler mit seiner Frau Tanja Autor des Blogs Spreeblick, Markus Beckedahl schrieb Netzpolitik.org und war mit Andreas Gebhard über ihre Firma newthinking tief verwurzelt in der Open Source-Szene. Das Büro des Unternehmens war so etwas wie der erste Co-Working-Space in Berlin.

Das Wissen über den Bedarf einer solchen Konferenz entsprang also nicht Marktforschungsstudien oder Businessplan-Zwängen, sondern einem Grundlagenwissen, das nur entwickeln kann, wer sich intensiv mit den betreffenden Stakeholdern beschäftigt.

Die re:publica-Gründer: Andreas Gebhard, Markus Beckedahl, Tanja & Johnny Haeusler. Foto: re:publica (CC BY-SA 2.0)

Kunden gehen vor

Wer die re:publica zum ersten Mal besucht, wird eines definitiv feststellen: Sie ist im Gegensatz zu den allermeisten anderen Konferenzen schön. Quer über das Gelände verteilt liegen Orte von hoher Ästhetik, die re:publica war instagrammable, bevor Instagram gegründet wurde.

Die Optik ist nur Beispiel für das Ansinnen des Organisationsteams, den Besucherinnen und Besuchern ein schönes Erlebnis zu bereiten. Sie sollen sich so wohlfühlen, wie dies eine bunte Konferenz mit einer fünfstelligen Zahl von Besuchern erlaubt.

Das Mit-Denken des Teams ist bemerkenswert, egal ob es um unterhaltende Elemente geht (Synchronschwimmen im Badeschiff als Abend-Entertainment), gesponsorte Velo-Taxis von den beiden wichtigsten S-Bahn-Höfen oder das Kopfhörer-System: Die Kanäle der einzelnen Bühnen reichten so weit durch die riesige Haupthalle, dass beispielsweise junge Eltern mit unruhigem Nachwuchs den Kinderwagen schaukelnd umherwandeln konnten, trotzdem aber die Sessions mithören konnten.

Foto: re:publica (CC BY-SA 2.0)

Business und Sponsoren wird nicht die Oberhand gelassen. So müssen sie sich in weiten Teilen auch bei der Konzeption ihrer Stände dem unterordnen, was die re:publica vorgibt – auch wenn das vielleicht geringere Einnahmen bedeutet.

Auch in Sachen Kommunikation ist die re:publica vorbildlich unterwegs. Sie versucht, in Echtzeit Fragen zu beantworten und auf Bedürfnisse zu reagieren.

Das betrifft auch die Inhalte: Beim Call for Participation kann eben jeder einreichen, ein Team aus Fachleuten (Disclaimer: Ich gehöre für den Bereich Wirtschaft dazu) wertet diese Vorschläge dann aus.

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Viele dieser Maßnahmen sorgen kurzfristig für geringere Einnahmen. Langfristig aber hat die re:publica geschafft, wovon nicht nur Konferenzveranstalter, sondern alle im Marketing träumen: Es entstand eine echte Community, deren Bindung so eng ist, dass schon der erste Tag des Ticketverkaufs im Social Web auffällt – weil so viele Menschen vorfreudig vermelden, dass sie eine Karte erstanden haben.

Ziele durchhalten und die Community dafür begeistern

Seit Jahren hat sich die re:publica das Ziel von mindestens 50% Frauen im Saal wie auf den Bühnen gesetzt und dies so offen kommuniziert, zum Beispiel im Rahmen der Abschlussveranstaltung. Ein Ziel von gehobener Ambition, schließlich ist die Konferenz trotz aller gesellschaftlichen Ansprüche im Grunde noch immer eine Tech-Veranstaltung.

2023 waren 54% der 25.000 BesucherInnen und 59% der 1177 SpeakerInnen weiblich. Dies gelang, weil die re:publica Ziele ernst nimmt, ihre Zwischenstände und die Hürden für deren Erreichung kommuniziert und die Ergebnisse gemeinsam mit der Community feiert.

Das gilt genauso für den Bereich Nachhaltigkeit: Sehr viele Besucherinnen und Besucher haben auf die Bitte der Veranstalter hin ihre eigenen Lanyards mitgebracht und genauso ihre Wasserflaschen. Umweltfreundliche Reisemöglichkeiten wurden nicht nur erwähnt, sondern in Gestalt von Velotaxis und Bahn-Rabatten aktiv eingerichtet.

Partner als solche begreifen

Nach zwei Jahren verlässt die Konferenz die Arena Berlin wieder und kehrt 2024 zur Station zurück. Dies wurde nicht einfach verkündet: Der Geschäftsführer der Arena kam bei der Abschlussveranstaltung auf die Bühne, bedankte sich für die Zusammenarbeit und verabschiedete die re:publicaner. Somit kommen keine Gerüchte über Zwistigkeiten auf und anderen Partnern wird signalisiert, dass die Konferenz ein fairer Geschäftspartner ist.

Team vor Ego

Ich kenne keine Konferenz und keine Zusammenkunft, die so endet wie die re:publica. Mit ordentlich Ironie verliest ein Mitglied des Gründerteams die Zahlen der Konferenz – vom Geschlechterverhältnis bis zur Zahl der Doppelweltmeisterinnen innerhalb von Sessions. Anschließend wird das gesamte Team auf die Bühne geholt, auch wenn das manchmal wirklich lange dauert. Und das Publikum? Sitzt nicht gelangweilt da, sondern beklatscht und bejubelt alle, egal ob Programm-Mitarbeiter oder Technik-Person.

Das Team der re:publica beim „Bohemian Rhapsody“-Finale. Foto: re:publica (CC BY-SA 2.0)

Für die meisten Chefs ist eine Vertaggung auf LinkedIn schon eine hohe Referenz. Hier aber schaffen die Führungskräfte den MitarbeiterInnen eine echte Bühne und einen Moment, der im Kopf derselben haften bleibt – denn für ein paar Minuten sind sie die Stars.

Risiko wagen

Die re:publica hätte ein kleine, feine Konferenz bleiben können. Die Karten wären limitiert, was einen höheren Preis und somit eine höhere Marge erlaubt hätte.

Stattdessen ist sie immer weiter gewachsen, wozu Umzüge nötig waren. Beide Male hat man (ja, auch ich) das Team für ein wenig verrückt erklärt. Der Friedrichstadtpalast schien viel zu groß, die Station ebenfalls. Doch beide Male gelang es eine Atmosphäre zu schaffen, in der die re:publica-BesucherInnen den Ort zu ihrem eigenen machen konnten.

Während der Pandemie geriet das Unternehmen in Schieflage, denn die Digitalversionen brachten bei weitem nicht genug ein, um den kleinen Mittelständler re:publica am Leben zu halten. Die logische Entscheidung wäre die Suche nach einem Investor gewesen. Diesen Weg ging zum Beispiel die SXSW in Austin: Sie verkaufte Anteile an den Penske-Verlag.

Die re:publica wagte wieder das Risiko, ich zitiere dazu Mitgründer Johnny Haeusler: „Wir haben uns scheiße hoch verschuldet.“

Verrücktheit zulassen & Traditionen pflegen

Weil Twitter-Mitgründer Biz Stone ein Skype-Interview verschlief sang Haeusler bei einer frühen Ausgabe der Konferenz spontan Queens „Bohemian Rhapsody“ mit den Besuchern. Heute ist es ein hochemotionaler Moment: Der Kongress tanzt nicht, er singt (oft mit Tränen in den Augen) – irgendwas so um die 2.000 bis 3.000 Menschen singen gemeinsam „Mama, just killed a man…“ Und in den Stunden vorher ist die gängigste Frage: „Bleibst Du zum Singen?“

Foto: re:publica (CC BY-SA 2.0)

Wer solche Traditionen zulässt, wie verrückt sie auch sein mögen, schafft eine emotionale Bindung. Die Stärke solcher Rituale wird im Marketing, das so fokussiert ist auf Neues, oft unterschätzt. Im Interesse der Menschen aber ist es vielmehr, sich über die Wiederholung eines Momentes gemeinsam an die Emotionen vergangener Zeiten zu erinnern.

Die re:publica – ein unbesungenes Musterunternehmen

Es gibt so viele UnternehmerInnengeschichten, die immer und immer wieder in Medien erzählt werden. Leider gehört die re:publica nicht dazu. Dabei macht ihr Team so vieles richtig, was andere ignorieren. Für mich gehören Tanja & Johnny Haeusler, Markus Beckedahl und Andreas Gebhard deshalb zu den Vorzeigeunternehmern in Deutschland. Oder wie Johnny auf der Bühne auch sagte: „Wir machen das jetzt 17 Jahre und der Scheißladen ist immer noch inhaberInnengeführt.“


Kommentare


tux0r 15. Juni 2023 um 18:04

Angenommen, es gehe den re:publica-Selbstgutfindern "nicht ums Ego": wo dort kommen dann kleine Blogger vor? Die Gründer waren schon zur Gründung mit ihren Blogs und Nebenprojekten vor allem unternehmerisch tätig, die einschlägigen "Speaker" (Lautsprecher – passt) dort sind es bis heute. Menschen, die einfach ohne große Monetarisierung lose Gedanken rausblasen, kommen in dem ganzen Tammtamm doch bestenfalls als Statisten vor, die brav applaudieren (und singen) dürfen, wenn vorn die (oft: Partei-)Prominenz spricht.

Keine Ahnung, was das noch mit einer "Bloggerkonferenz" zu tun haben soll. Von gegenseitigem Schulterklopfen der seit anscheinend Jahrzehnten gleichen Alphabloggeria (die auch bestenfalls einander verlinkt) fühle <em>ich</em> mich jedenfalls nicht gewürdigt. Gut, <em>mein</em> Blog im Speziellen ist auch zwar schon "etabliert" (2005!), aber halt scheiße, aber es geht mir eher um die Größenordnung.

Antworten

Thomas Knüwer 16. Juni 2023 um 10:53

Vielleicht findet sich der Grund für Ihren Ärger ja in Ihrer Antwort. Zunächst ist die re:publica natürlich keine Bloggerkonferenz mehr, sie hat sich erweitert und erheblich vergrößert. Die Behauptung, dass dort immer nur die gleichen sprächen, lässt sich dann auch nicht mehr mit Fakten belegen – denn wer soll das bitte sein?

Und dann schreiben Sie einen Satz, der hinterfragenswert ist: "Menschen, die einfach ohne große Monetarisierung lose Gedanken rausblasen, kommen in dem ganzen Tammtamm doch bestenfalls als Statisten vor". Das ist richtig und das ist gut so. Denn wer möchte das hören? Es wäre das Gegenstück zur Speakers Corner und die ist zwar immer noch eine kleine Touristenattraktion, die dort auf Kisten Stehenden sind aber eine Skurrilität und nicht mehr.

Ich bin seit einigen Jahren Teil der Trackteams und helfe bei der Auswahl der Speaker. Deshalb kann ich versichern: Zunächst einmal hat jeder eine Chance einen Slot bei der re:publica zu bekommen. Aber: Es gibt viele Einreichungen, die genauso wirken, als ob da jemand "lose Gedanken rausblasen" möchte. Und bei aller Liebe: Das ist zwar irgendwie sympathischer Anarchismus, aber dann auch nicht mehr, als eine Skurrilität. Und ob angesichts multipler Krisen der begrenzte Bühnenplatz nicht weniger losen Gedankenken gewährt werden sollte, das dürfen Sie dann für sich beantworten.

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tux0r 15. Juni 2023 um 18:04

Achguck. HTML geht nicht. Bitte editieren… 🙂

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Friedemann Brenneis 19. Juni 2023 um 11:47

Es stimmt alles, was Sie schreiben. Die Republica ist eine instagrammable Wohlfühl-Veranstaltung deluxe. Schöne Bilder, happy people. Das wollen und brauchen viele Leute auch und kommen genau deswegen und genießen es auch. Fair enough. Es sei allen Beteiligten gegönnt. Was jedoch bei all der Nachhaltigkeit und Emotionalität und dem Fototaugliche-Momente-Kreieren vollkommen auf der Strecke blieb, war der Inhalt. Man wolle über Cash reden, hieß es groß in der Ankündigung. Das aber fand nicht statt, bzw. in einer absolut konflikt- und kontroversfreien Art und Weise. Es gab (nach meiner Wahrnehmung) beim Thema Geld überhaupt keine Reibungspunkte oder Debatten, bei denen sich am Ende vielleicht auch nicht alle einig sind. Streit, Kontroverse, Diskurs – das alles wurde beim Thema "Cash" so gut es geht vermieden. Und es ist auch ziemlich offensichtlich gewesen, warum. Gerhard Schick hat in seinem Vortrag auf der rp23 wunderbar gezeigt, wie die Finanzlobby ihre Geld-Mittel dazu nutzt, sich ein für sie genehmes Umfeld zu kaufen. Gesetze verhindern, Multiplikatoren und öffentliche Meinung beeinflussen etc. Er hätte die Republica 23 dafür als Musterbeispiel heranziehen können. Denn wenn man sich einige der Aussteller anschaut (Bundesfinanzministerium, Bundesdruckerei, Bundesministerium des Inneren, Bundesbank, Geschäftsbanken), dann verwundert es nicht, dass die Republica unterm Strich dieses Jahr einen äußerst unkritischen Lobgesang auf CBDC bzw. den Digitalen Euro abgefeiert hat (Es lief ein Euro-Maskottchen herum. WTF?). Auch, weil man das Thema "Cash" zu einem Großteil in Paid Talks hat stattfinden lassen, statt es selbst auf der großen Bühne zu kuratieren. Selbst Wissenschaftler, die sich kritisch-konstruktiv mit den demokratischen Herausforderungen des digitalen Euros beschäftigen, wurden nicht auf irgendeine Stage gelassen, sondern konnten sich nur in einen Lightning Talk einkaufen. Da hätte ich erwartet, dass die Republica deutlich mehr Mut und Kante zeigt. Wer kann das denn, wenn nicht sie? Gerade, wenn man so eine starke Bindung zur Community hat, kann man sie auch herausfordern. Wo war zum Beispiel das Panel, in dem die Macher darüber sprechen, dass es schwierig ist offen über "Cash" zu reden, wenn man gleichzeitig enorm davon abhängig ist? Das wäre das Mindeste gewesen und das hätte auf Stage 1 stattfinden müssen. Stattdessen hat man sich möglichst um das Thema gedrückt und versucht eine schöne, heile und fototaugliche Welt zu schaffen. Aus Sicht eines Wirtschaftsunternehmens (oder auch aus Sicht von Marken und Marketing) absolut nachvollziehbar. Für eine Gesellschaftskonferenz war das aber viel zu wenig. Wenn die Republica inhaltlich relevant bleiben will, darf sie sich nicht davor drücken, thematisch auch dahin zu gehen, wo es weh tut.
PS: Ich war dieses Jahr selbst Sprecher auf der Republica, aber im Programm eigentlich nur ein nützlicher Idiot

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Tanja Haeusler 20. Juni 2023 um 14:40

Lieber Friedemann, zuerst einmal: es interessiert mich/uns wirklich, warum du dich wie ein Idiot gefühlt hast. Das soll nicht sein. Bitte gib sehr gerne Feedback ans Programmteam, woran das gelegen hat, die Mail, in der wir dich eben darum bitten, hast du ja sicher schon bekommen.
Deine Kritik an der Unausgewogenheit des Programms nehme ich ebenfalls ernst, manchmal wird man ja betriebsblind. Ich hab deshalb gerade mal kurz geschaut: allein am Montag gab es 44 Programmpunkte zum Thema Cash, davon 10 Partnertalks, mehr mochte ich jetzt nicht nachzählen. Das erscheint mir aber erstmal ganz okay ausgewogen.
Aber du hast Recht: das Thema ist riesig, wir hätten auch drei Tage mit nichts anderem füllen können!
Wie abhängig wir selbst vom Cash sind, haben wir an mehreren Stellen gesagt und tatsächlich hat uns genau diese Tatsache (dass wir nach Corona zum allerersten Mal in eine echte Finanzschieflage gekommen sind) zu eben diesem Motto geführt. Meinst du echt, das hätte auf Stg 1 gehört? Hätten wir machen können, aber ich find’s komisch, wenn die Veranstalter:innen auf der größten Bühne sitzen, um über sich selbst zu quatschen…
#Instagrammable: nie, nie, nie planen wir eine fototaugliche Welt. Wir planen Bühnenbilder, okay, aber darüber hinaus planen wir einen Ort, an dem es sich drei Tage lang gut aushalten lässt, an dem es Freiräume gibt, die unsere Gäste selbst füllen können, Bereiche, die abwechsungsreiche Erlebnisse möglich machen und die unseren Besucher:innen zeigen, dass sie mitgedacht wurden.
Ich bin wirklich stolz darauf, dass wir uns von Anfang an die Frage gestellt haben, wie man das Konzept Konferenz neu erfinden kann. In diesem Jahr ist uns das ganz besonders gut gelungen, finde ich und ja, wenn man das dann fotografiert, sieht das gut aus. Aber das, was gut aussieht, sind ja die Menschen auf den Bildern, die sichtbar eine gute Zeit haben. Die hingestellte Deko liegt jetzt hier neben mir. Das ist ein Stapel tapezierter Pappen, mehr nicht.

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Friedemann Brenneis 21. Juni 2023 um 14:59

Liebe Tanja, danke für deine Antwort. Es freut mich wirklich, dass du hier antwortest. Ich hatte mein Feedback auch ans Team kurz per Mail rückgemeldet, aber das war so eine standardisierte Abfrage mit wenig Raum für individuelles ausführliches Feedback, was es aber bräuchte, um die Problematik nachvollziehbar zu erklären. Das hat dort einfach nicht in seiner Gesamtheit hingepasst. Wir können gerne mal direkt sprechen oder, wenn du magst, ich schreibe dir eine Mail, in der ich meine Kritik so präzise wie möglich formuliere. Doch die Frage mit dem "nützlichen Idioten" ist gerechtfertigt und dazu möchte ich kurz erklären.

Ich war seit 2014 öfters auf der Republica und habe dort auch 2016 einen Workshop im Programm angeboten. Es ging um Bitcoin-Grundlagen. Der Raum ist damals aus allen Nähten geplatzt und nicht alle konnten teilnehmen, weil das Interesse immens war. Und die Teilnehmer waren sehr dankbar, ihre Fragen loswerden zu können.

Über die Jahre habe ich immer wieder Themen und Workshops eingereicht, aber weder meine noch andere Talks zu dem Thema fanden auf der Republica statt (Vielleicht mit minimalen Ausnahmen). Warum? Darüber kann ich von außen nur spekulieren. Zu schlechte Einreichungen, "Krypto-Hype", den man nicht befeuern will, "Geld" als generell unbequemes Thema. (Das ist ja auch in anderen netz- und techaffinen deutschen Gruppierungen ein Problem, die sagen, dass Bitcoin technisch brilliant und spannend ist, aber es geht halt um Geld und daher will man damit nichts zu tun haben.) Die Republica will mit dem Thema Bitcoin auch nichts oder zumindest immer weniger zu tun haben, war dann eben auch mein und das Fazit vieler anderer. Was in gewisser Weise nachvollziehbar ist. Es ist komplex, kontrovers und Geld als Thema hat in Deutschland etwas Schmuddeliges an sich. Fair enough.

Dieses Jahr nun aber habt ihr aus der Not eine Tugend gemacht und dieses schmuddelige Thema "Cash" in den Mittelpunkt gestellt. Ich fand das mutig und so klasse, dass ich mir sofort ein Ticket gekauft habe, weil ich dachte, jetzt ist es soweit. Endlich geht es um den Elefanten im Raum. Wir alle sind von Geld abhängig, unser Geldsystem ist seit Jahren in der Krise, dazu noch im digitalen Umbruch, viele haben das Gefühl, dass es Veränderungen braucht, also lasst uns endlich vernünftig und offen über Geld reden. Denn es ist wichtig, dass sich die Zivilgesellschaft in diesen Prozess einbringt. Dass sie diskutiert, lernt, sich streitet, damit wir alle diesen Transformationsprozess mitgestalten und kontrollieren und nicht in die nächste digitale Abhängigkeitsfall tappen. Und wer wäre besser dazu in der Lage, diese Debatte anzustoßen und in die Mitte der Gesellschaft zu tragen als die Republica?

Aber das bedeutet eben auch, dass sich mit Bitcoin beschäftigen muss und nein, (weil das oft behauptet wird) Bitcoin und "Krypto" sind nicht das Gleiche! Wer das behauptet, hat sich bisher weder mit dem einen noch dem anderen ernsthaft auseinandergesetzt. Ja, das ist komplex, anstrengend, unbequem und zeitaufwändig. Aber das ist keine Entschuldigung. Vor allem, wenn man sich die Plakatwerbung zur Republica anschaut. Dort war das Bitcoin-B äußerst präsent. Manche sagen, das war die größte Plakatwerbeaktion für Bitcoin in Deutschland jemals und gleichberechtigt dargestellt neben den Plakaten mit Euro- und Dollar-Symbol. Allerdings war das eine Mogelpackung. Von mehr als 600 Veranstaltungen haben sich gerade einmal vier um das Thema Bitcoin gedreht. Und alle vier Sessions waren tendenziell kritisch bis sehr kritisch. Meine beiden vielleicht am ehesten noch kritisch-konstruktiv. (Dass die Sessions mit "Krypto" im Namen auch kritisch waren, versteht sich.) Die vier Sessions fanden zudem alle am Rande des Festivals statt (Letzter Tag, ganz am Anfang, teilweise zeitgleich, auf einer Bühne ohne Videomitschnitt). Ansonsten gab es auf der ganzen Republica Null Informations- oder Berührungspunkte mit dem Thema alternative Geldsysteme, von denen Bitcoin mit einem Track Record von 14 Jahren und schätzungsweise 400-500 Millionen Nutzer*innen auf der ganzen Welt (tendenz steigend) mit Abstand das relevanteste ist.

Gleichzeitig war jedoch das Thema (Digitaler) Euro/CBDC omnipräsent (zahlreiche Stände, Talks, Sponsoren, Maskottchen), ohne dass hier eine substantiell kritische Auseinandersetzung stattgefunden hätte. Im Gegenteil: Der digitale Euro wurde auf der Republica sehr gefeiert, obwohl das ein durchaus umstrittenes Projekt ist. Nicht nur aus Sicht der Bitcoin-Community, sondern auch in der Wissenschaft, der Fin-Tech-Branche und der Presse. Nur auf der Republica fand diese Debatte so gut wie gar nicht oder wenn dann nur ganz am Rande statt und führte zu dem Eindruck: Wess‘ Brot ich ess, dess‘ Lied ich pfeif.

Als nützlicher Idiot habe ich mich nun gefühlt, weil ich Teil dieses Bitcoin-Feigenblatt-Programms war, dass niemals richtig erwünscht war (wäre das Thema nicht "Cash" gewesen, wären unsere Bitcoin-Talks niemals ins Programm aufgenommen worden), dass man aber brauchte, um mit Bitcoin groß Werbung zu machen und um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, dass man dazu ja gar nichts gemacht hätte. Aber stiefmütterlicher hätte man das Thema auch nicht behandeln können und ich ärgere mich nun tatsächlich auch ein bisschen, dass ich mich dafür habe instrumentalisieren lassen. Mir ging es um Austausch. Der Republica jedoch nie. Ein Beispiel dafür nur: Kurz vor der Republica erschien diese, wie ich finde naiv-blauäugige, Kolumne von Markus Beckedahl, in der er keinen Hehl daraus macht, dass er einfach keine Lust hat, über Bitcoin nachzudenken, zu debattieren oder seine Thesen auch nur zu belegen: https://netzpolitik.org/2023/irgendwas-mit-internet-wir-brauchen-ueberwachungsfreie-bezahlalternativen/

Dazu nur drei Punkte: Auf der Republica zum Thema "Cash" wird über Julian Assange gesprochen, aber dass es Bitcoin war, dass verhinderte, dass die US-Regierung Wikileaks plattmachen konnte, wird ignoriert. Auf der Republica wird auch Snowden und sein Verdienst für die freie Gesellschaft gewürdigt, aber dass Bitcoin das Zahlungsmittel war, mit dem er die Server für seine Veröffentlichung anmieten konnte, ohne sich zu kompromittieren, wird vergessen. Auf der Republica wird über eine engagierte Zivilgesellschaft debattiert, aber dass es viele NGOs gibt, die Bitcoin nutzen, weil sie sagen, wie könnten wir effektiv den Staat kritisieren, wenn wir vollständig von seinem Geld(system) abhängig sind, wird nirgends thematisiert. Das finde ich (und viele andere ehemalige Republica-Besucher übrigens auch) enttäuschend.

Es geht nicht darum Bitcoin zu feiern oder zu hypen. Ich kritisiere auch viel daran und streite mich gerne mit vielen darüber. Doch sich der kritischen und auch konstruktiven Debatte einfach aus Prinzip zu verweigern, ist keine Lösung. Ich würde mir wünschen, dass die Republica hier ihre Komfortzone verlässt, Konflikte und Kontroverse auch zulässt. Sie sollte das aushalten können.

Sorry, nun ist es doch auch hier länger geworden, aber manchmal braucht ein Punkt eben ein bisschen Erklärung und Kontext. Und wer sich über obige Perspektive austauschen oder streiten möchte, immer gerne. Denn am schlimmsten ist, wenn die Leute aufhören, miteinander zu reden.

Antworten

Tanja Haeusler 20. Juli 2023 um 9:18

Lieber Friedemann, Danke für die ausführliche Erklärung, ich kann deine Kritik jetzt viel besser nachvollziehen! Wir werden im Programmteam darüber sprechen.

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Wolfgang Krupp 6. Juli 2023 um 15:10

Sehr informativ. Ich liebe es, deine Artikel zu lesen! Ich träume davon, eines Tages an dieser Veranstaltung teilzunehmen!

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