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Heute hat Fortuna Düsseldorf in einem Livestream etwas verkündet, das eine Revolution im Fußball darstellt.

Und etwas, das aus meiner Sicht von gehobener Naivität zeugt.

Was kündigte die Fortuna an?

„Fortuna für alle“ hat mittelfristig das Ziel, kostenlosen Eintritt bei allen Ligaheimspielen anzubieten. Finanziert wird dies durch neue Sponsoren. Dabei soll der Start mit drei Heimspielen in der kommenden Saison erfolgen, Stück für Stück sollen es dann in jedem Jahr mehr werden.

„Freispiele“ nennt der Verein das, was schon fast zynisch klingt, bedenkt man, dass die Arena, in der er spielt, vom Glücksspielanbieter Merkur genamenssponsort wird.

Außerdem will der Verein seine Einnahmenverteilung transparent veröffentlichen und klare Quoten für die Investitionen in Jugendarbeit, aber auch soziale Projekte festlegen.

Flankierend soll das Stadion „zum Zuhause“ der Fans werden. Die sollen außerdem an der Entwicklung der Fortuna teilnehmen und etwas zu sagen haben, ja es war sogar die Rede davon, dass Teilhabe „eingefordert“ werde.

Wer den Livestream nachgucken möchte:

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Nun bin ich auch Fußballfan und Dauerkartenbesitzer beim großartigsten Verein der Republik, dem Drittligaaufsteiger 2023 (YES, BABY!) SC Preußen Münster. Seit meiner Zeit beim „Handelsblatt“ beschäftige ich mich auch mit den wirtschaftlichen Zusammenhängen des Sports.

Dabei bin ich einerseits der festen Überzeugung, dass der Fußball eine Rolle in der Gesellschaft einnimmt, die unersetzbar ist. Man kann Fusi noch so blöd finden und sich über die gewalttätige Seite erhitzen. Aber trotzdem bleibt: Es gibt keinen anderen Ort, keine andere Institution, in der Menschen aus allen Schichten zusammenkommen und sich so implizit über Normen und Werte austauschen.

Aus dieser Position heraus stellt sich für mich nach dem, was die Fortuna heute präsentiert hat und was auf der Microsite zu lesen ist eine Frage:

Haben die Verantwortlichen jemals ihre Logen verlassen?

Dazu noch eine Vorbemerkung: Ich finde dieses Experiment hoch spannend. Und vielleicht kommt am Ende etwas Grandioses heraus und ich stehe als Dummkopf da.

Doch gibt es viele fragwürdige Punkte im Konzept und die sollte man einfach mal thematisieren. Denn ich befürchte: Die Medien werden dies nicht. Die Fragen am Ende der Pressekonferenz – ebenfalls im Stream zu sehen – waren nicht geprägt von Kundigkeit über die Ökonomie des Profisports und die Realität der Fußballanhänger.

Ich versuche meine Gedanken mal aufzubröseln:

Ist die Idee neu?

Jein.

Dies hier war eine der großartigsten Tage meine Fußballfanlebens. Preußen war in die 2. Liga aufgestiegen, der große FC Schalke ab. Parkstadion, 42000 Zuschauer, wir waren über weite Strecken das bessere Team – und siegten 0:1.

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Im TV-Bericht heißt es in einem Nebensatz, das Spiel sei von einer Molkerei gekauft worden. Westmilch war das und dies senkte den Kartenpreis um 50%. Zu jener Zeit war dies ein normales Mittel des Sponsorings, das nach wenigen Jahren wieder verschwand. Wohl auch, weil es damals wenig Möglichkeiten gab, sich als Sponsor zu präsentieren. Letztlich bekam kaum jemand mit, welche Botschaften die Spieltagssponsoren überbringen wollten.

Die Idee der Fortuna vergleichbar: Weniger, im aktuellen Fall sogar gar kein Eintritt für die Fans.

Ist das nötig?

Mehrfach betonten die Verantwortlichen, dass die Finanzierung von Profifußball schwerer werde, weil die TV-Geldern sinken würden. Schon an dieser These zweifele ich ein wenig. Denn in den kommenden Jahren wird es ja neue Anbieter geben, die um Sportrechte mitbieten – zum Beispiel Apple. Bei mehr Nachfragern sollen die Preise sinken? Und das in einer Zeit, in der Livesport eines der wenigen verbliebenen Lagerfeuer-Momente darstellt und somit für Sender und Streamingdienste eine hohe Begehrlichkeit besitzt.

Nun bin ich in diesem Bereich nicht mehr auf dem Laufenden. Aber rein rational gesehen, finde ich die Deutlichkeit, mit der dies heute behauptet wurde, sagen wir, interessant. Gleichzeitig zeigen die Debatten um Investoren für die TV-Ligarechte und für die Clubs selbst, dass die Sorgen branchenweit vorhanden sind.

Sozial gesehen finde ich es absolut unterstützenswert, dass die Stadt Düsseldorf und die Fortuna ein Zeichen setzen für die Bedeutung des Sports in unserer Gesellschaft. Allerdings…

Mehr Kommerzialisierung, statt weniger

Sportsponsoring war über die Jahrzehnte hinweg in ganz vielen, wenn man alle Ligen einbezieht, sogar in den allermeisten Fällen, Mäzenatentum, das sich rational nicht rechtfertigen ließ.

Das Social Web und Display-Technologie haben das geändert. Heute können Sponsoren ihre Botschaften wesentlich eleganter, emotionaler und die Interessen der Fans stärker einbeziehend rüberbringen.

Gleichzeitig gibt es unter den Anhängern eine aggressive Ablehnung der steigenden Kommerzialisierung des Fußballs.

Die Fortuna verkauft ihr Projekt, so empfinde ich dies zumindest, als dekommerzialisierend. Ich glaube: Es ist das ganze Gegenteil.

Denn wie wollen den Sponsoren ihr Engagement rechtfertigen? Hewlett Packard, Provinzial, und die Targo Bank geben 45 Millionen Euro über einen Zeitraum von 5 Jahren. Hinzu kommt die Initiative Common Goal, die aber vermutlich nicht in diesen Topf einzahlen wird.

Für dieses Geld bekommen sie… Ja, was?

Trikotwerbung? Bandenwerbung? Die gäbe es auch günstiger. Und diese Sponsoren sind keine Familienbetriebe. Sprich: Sie müssen sich auch intern für das Engagement rechtfertigen, teilweise gibt es auch juristische Vorgaben.

Die logische Folge wäre: Diese Sponsoren werden, höflich gesprochen, noch erheblich präsenter werden. Was aussieht, wie weniger Kommerz wird auf Dauer erheblich mehr werden. Denn einer muss den Bumms halt zahlen und dafür muss er was zurückbekommen.

Nachtrag vom 27.4.: Eine Option wären sicher Kartenkontingente. Dann würden die Fans zur Ware, oder besser: ihre Daten. Denn Gewinnspiele dienen nun mal dem Datensammeln. Und, auch das wissen wir von Gewinnspielen mit Sportkarten, es würden viele ins Stadion kommen, die wenig Interesse am Spiel haben. Folge: Sie werden sich kaum emotional erhitzen. 

Nicht Fortuna für alle – sondern für weniger

Während beim Thema Sponsoren die Naivität eher auf Seiten der Betrachter liegt, mache ich sie bei der Vergabe der Eintrittskarten – zum aktuellen Stand – bei den Verantwortlichen aus.

Künftig soll es so aussehen:

  • Auch weiterhin soll es Dauerkarten geben. Deren Besitzer haben immer Eintritt und feste Plätze.
  • Alle anderen müssen sich auf einer digitalen Plattform „bewerben“. Eine merkwürdige Formulierung, die nicht präzisiert wurde. Denn ein reines Losverfahren wäre ja keine Bewerbung.
  • Vereinsmitglieder können sich zuerst „bewerben“, danach alle anderen. Gruppen würden berücksichtigt.

Das klingt auf mehreren Ebenen komplex.

Fangen wir mit den Dauerkarten an. Schon in der kommenden Saison stellt sich die Frage, ob der Dauerkartenpreis sinkt. Tut er das nicht, würde er sich relativ gesehen erhöhen, denn theoretisch bekäme der Fan ja 3 Spiele umsonst. Und die Vereinsmitglieder: Von denen gibt es jetzt schon 27.000.

Trotzdem wird die Fortuna mehr Dauerkarten verkaufen und auch erheblich mehr Vereinsmitglieder bekommen. Denn derzeit gibt es viele, die viele Spiele sehen wollen, aber nicht immer können. Die werden nun investieren müssen. Tun sie das nicht, müssen sie auf das Los hoffen.

Allein: Der Andrang auf diese Plätze wird größer sein als bisher. Zum einen, weil Menschen nun mal gern Dinge umsonst bekommen. Es wird also mehr Bewerber für die Tickets geben.

Folge: Fußball für weniger. Denn es wird eben schwerer werden, ein Ticket zu bekommen – es sei denn man kauft eine Dauerkarte oder eine Vereinsmitgliedschaft.

Nachtrag vom 27.4.: Denkt man das Thema Dauerkarte zu Ende, wird einem schwindelig. Denn wie sollen Dauerkarten in Zeiten von 100% Gratisspielen denn aussehen? Wenn ich recht habe mit der steigenden Zahl von Dauerkarten und Vereinsmitgliedern wird die Zahl der Karten, die sich weniger Wohlhabende leisten können extrem beschnitten. 

Und wie soll eine Dauerkarte in Zeiten von 100% Gratisspielen aussehen? Gratis wird sie kaum sein. Gleichzeitig gibt es keinen Anreiz, die Karte in den regulierten Zweitmarkt, den die meisten Clubs heute haben, einzustellen. Stattdessen werden die Tickets wo landen?

Genau: 

Der große Gewinner: Schwarzhändler

Diese Situation wird sich exponentiell verschlimmern durch den Schwarzhandel. Diese Szene wird heute einen Schampus aufmachen, denn die Einstandskosten sinken auf Null, auf nottig auf gar nüscht.

Glauben die Verantwortlichen wirklich, sie könnten Schwarzhändler ausschalten? Das gelingt nicht mal in Großbritannien, wo Ticketweiterverkauf eine Straftat darstellt.

Schwarzhändler haben neben der Preisüberhöhung noch so eine unangenehme Eigenschaft: gute Computer und schnelle Datenleitungen. Sprich: Gerade bei Topspielen werden sie den Verein mit Ticketanfragen überschwemmen.

Verlierer I: das Sozialgefüge im Stadion

Als ich mit dem Drittligaaufstieg 2011 eine Sitzplatz-Dauerkarte bei Preußen Münster erwarb, erlebte ich das, was den Fußball so einzigartig macht: Denn meine Leidenschaft für Schwarz-Weiß-Grün wurde in meinem Umfeld nur unzureichend geteilt. Sprich: Ich war allein.

Beim ersten Heimspiel kam ein freundlicher Mensch auf mich zu und es entspann sich dieser Dialog:

Er: „Tach. Dauerkarte?“

Ich: „Tach. Ja.“

Er: „Ich bin XXX. Lass gleich mal Nummern austauschen, falls einer mal nicht kann.“

Und so adoptieren er und seine Freunde, alle aus den verschiedensten Schichten und Umfeldern, aber oft seit der Jugend befreundet mich. Und wenn einer mal nicht kann, dann wird die Karte via Whatsapp angeboten, über Geld wird dabei nie gesprochen.

Außerhalb der Dauerkartenbesitzer gibt es aber in lockererer Form ähnliche Strukturen. Fans, die sich eine Dauerkarte nicht leisten können oder bei immer noch einer ordentlichen Menge, aber eben nicht jedem Spiel dabei sein können, finden sich immer in der gleichen Gegend des Stadions ein und auch hier entsteht ein loses Sozialgefüge.

Dieses wird durch „Fortuna für alle“ erheblich gefährdet. Denn wir werden denn die einzelnen Plätze, oder im Stehplatzbereich der Block, vergeben?

Losverfahren? Dann bleibt kein Stein mehr auf dem anderen.

Oder das Verfahren, das bei den Olympischen Spielen in Paris angewendet wird: Erst erfolgt ein Losverfahren, danach gibt es ein Zeitfenster, während dessen man buchen kann.

Letzteres funktionierte in der ersten Ticketrunde sehr gut. Nur muss man eben Zeit haben in dem Moment, da man buchen darf. Und man muss in diesem Moment Zugang zu einem Smartphone oder Computer haben.

Wer ist nicht so flexibel, um diese Voraussetzung zu schaffen? Jene, die weniger verdienen und/oder einen Bildschirmarbeitsplatz haben.

Verlierer II: Ultras und aktive Fans

Eines vorweg: Ich bin kein Freund der Ultra-Bewegung, so wie sie in Deutschland gelebt wird. Ich bin auch kein Freund von Pyrotechnik. Wer die für Stimmung hält, glaubt auch dass Erwärmen einer Dosensuppe sei Kochen.

Aber: Die Ultras können eine wichtige Rolle und Kontrollfunktion im Fußball übernehmen – wie gut dies passiert, ist Vereinsabhängig. Und dazu noch der Einschub: Ich kann die aktive Fanszene der Fortuna aktuell nicht einschätzen.

Obwohl Ultras sehr viele Spiele besuchen, haben viele von ihnen keine Dauerkarte oder sind Vereinsmitglieder. Das hat manchmal finanzielle Gründe, manchmal rechtliche. Denn eine Dauerkarte ist eben identifizierbar und das Abbrennen von Pyrotechnik ebenso strafbewehrt wie das Verprügeln anderer Personen, selbst wenn diese selbst zum Prügeln an einem Ort abseits des Stadions eingetroffen sind.

Deshalb auch weigern sich manche Ultras Auswärtskarten zu kaufen, wenn dies mit der Abgabe der eigenen Daten verbunden ist.

Hier hat die Fortuna noch keine Lösung angedeutet. Entweder die aktiven Fans werden gegenüber anderen bevorzugt, oder man schädigt diese Szene. Das betrifft natürlich auch Gastfans in Düsseldorf. Denn…

Verlierer III: die anderen Vereine

Die Fortuna will die Tickets an andere Vereine abgeben „wie bisher“.

Und das ist ein Arschloch-Move.

Denn auch diese Tickets sollen kostenlos sein. Wie der Gastverein sie dann vergibt, sei seine Sache. Verlangt er Geld, ist er ein Ausnehmer. Tut er das nicht, wird das natürlich einen Run auf diese Karten auslösen und um einen solchen Ansturm zu bewältigen, braucht man entsprechende Server-Kapazitäten. Entweder der Gastverein schafft sie, oder sein Ticketbereich schmiert halt ab. Arbeitet er mit einem Ticket-Dienstleister zusammen, will dieser Geld haben – der Gastverein macht also Miese.

Anstelle der Fortuna-Verantwortlichen würde ich bei Fußballbranchen-Treffs danach nicht mehr eine Treppe hinuntergehen, wenn ein Ticketverantwortlicher eines anderen Vereins hinter einem geht. Man stolpert ja so schnell…

Und die Stimmung im Stadion?

Stadien sind soziale Gefüge. Was die Fortuna macht, wird dieses Gefüge maßgeblich verändern. Gleichzeitig macht sie ein sehr attraktives Angebot.

Meine Prognose: Die „Freispiele“ (nochmal: Wer ist auf das schmale Brett gekommen, das so zu nennen?) werden ausverkauft ausverlost sein. Aber: Die Stimmung wird problematisch sein.

Wie das klingen kann, hat man in den vergangenen Jahren in der englischen Premier League gesehen. Dort gibt es in den oberen Ligen nur noch Sitzplätze und deren Preise sind in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen. Folge: Es wurde immer stiller. Inzwischen haben die Clubs aber gegengesteuert und die Pandemie hat den Hunger auf gemeinsame Erlebnisse befeuert – die Stimmung ist bei den meisten Clubs zurück. In Düsseldorf wird das schwieriger. Wenn ich neben Wildfremden sitze, ist die Hemmung größer, lautstark zu werden, als wenn Freunde neben einer verkumpelten Person sitzen.

Die aktive Nicht-Beteiligung der Fans

An einem Punkt war ich heute hochgradig verwirrt.

Einerseits forderte die Fortuna zum Mitmachen auf, man werde sogar „Partizipation einfordern“. Was das heißen soll? Gute Frage. Vielleicht Fragebogenausfüllen als Voraussetzung für Tickets?

Andererseits wurden die Fans bei der bisherigen Ausarbeitung von „Fortuna für alle“ nicht einbezogen, weil man um die Geheimhaltung fürchtete.

Empfinde nur ich da eine gewisse… Ambivalenz?

Vielleicht wären die Bedenkpunkte, die ich oben aufgelistet habe, dann ja zur Sprache gekommen. Vielleicht hätte jemand gesagt: „Komm, das muss in die PK. Denn ansonsten werden die Leute unruhig…“

Und wie will man das künftig machen, wenn man so um Geheimhaltung fürchtet? Dürfen die Fans nur bei unwichtigem „partizipieren“?

Überhaupt: Was wäre so schlimm, wäre etwas durchgesickert? Dieses Klammern an Geheimhaltung zeugt von gestrigem Konzerndenken, was meine Zweifel an dem gesamten Projekt nur weiter nährt.

Natürlich ist der SC Preußen ein signifikant kleinerer Club als die Fortuna. Aber in Münster wurde in den vergangenen Jahren unter sehr aktiver Beteiligung der Fans ein Leitbild geschaffen, die zerstrittenen Fangruppen wurden geeint und beim Bau des neuen Stadions haben Vertreter der aktiven Fans Mitspracherecht. Das alles ging nach außen hin mit erheblicher Ruhe vonstatten.

Das Misstrauen gegenüber den Fans ist das ganze Gegenteil von dem, was „Fortuna für alle“ ausstrahlen will. Es zeugt von einer elitistischen Haltung, bei der die Anhänger nur mitmachen dürfen, wenn die Oberen es wollen.

Dazu passt der heutige Livestream: Fragen der Journalisten wurden beantwortet, ein Community Management gab es weder im Chat noch bei den Kommentaren.

Oder diese Passage auf der Microsite:

Denn die selbst gestellte Frage wird ja eigentlich nicht beantwortet. Oder besser: Sie wird zwischen den Zeilen beantwortet. Denn die Sponsoren müssen Geld mitbringen und mitmachen. Einen Ethikkatalog gab es anscheinend nicht. Verbunden mit der ausgeweiteten Präsenz der Marken besteht hier Konfliktpotential, sollte es bei einem der Unternehmen zu einer Kommunikationskrise kommen, auf die die aktive Fanszene sicher reagieren wird.

Experiment auf sumpfigem Fundament

Die Fortuna ist, das muss gesagt werden, kein gut geführter Verein. Eigentlich steht sie für wenig und das schon sehr lang. Das heißt nicht, dass sie keine Fans hätte. Die Stimmung im Stadion ist richtig gut, je nach Erfolg gibt es eine gewisse Präsenz im Stadtbild, wenigstens an Spieltagen. Aber: Dem selbst gesetzten Anspruch dauerhafter Erstligazugehörigkeit läuft der Club schon lang hinterher.

Vor allem aber ist sie weiter ein e.V. Das bedeutet, bei einer wirtschaftlichen Schieflage droht nicht nur das Aus der Profiabteilung, sondern im Extremfalls auch das der Jugendmannschaften und anderen Abteilungen.

Das ist nicht mehr zeitgemäß. Um das zu verhindern, wäre eine Ausgliederung der Profis (die ja nun mal das größte Risiko darstellen) angemessen. Dies geht auch so, dass mögliche Investoren das Mitspracherecht der Vereinsmitglieder nicht ankratzen – auch das ist in Münster gelungen.

Und auf diesem betonarmen Fundament findet nun ein 45 Millionen Euro teures Experiment statt. Das kann man natürlich machen. Ich persönlich wäre aber vorsichtig.

Was wäre die Alternative?

Abgesehen von der Ausgliederung aus Sicherheitsgründen, gäbe es natürlich Möglichkeiten, die soziale Bedeutung der Fortuna zu stärken, den Fans Mitspracherechte einzuräumen und das (übrigens aus meiner Sicht sehr zuschauerfreundliche) Stadion stärker zu Heimat zu machen.

So könnten feste Kartenkontingente an Bedürfte abgegeben werden, vielleicht ja durch ein Fortuna-Stiftung, die diese Karten verwaltet. Die könnte sich dann auch für soziale Zwecke in der Stadt einsetzen.

Mit Fans kann man sich ständig zusammenfinden. Die Ergebnisse dieser Treffen könnten veröffentlicht werden und so nicht nur die Ernsthaftigkeit des Unterfangens unterstreichen, sondern auch andere motivieren, sich am Austausch zu beteiligen.

Und wie das mit dem Stadion geht, konnte ich auf der Digitalkonferenz SXSW hören. Die neue Fußball-Franchise St. Louis City FC erläuterte ihren Werdegang. Und deren Markenchef David Bruce sagte: „Was uns von anderen unterscheidet: Wir sehen das Stadion als Leinwand, die von den Fans bemalt werden darf.“ 

Man habe ständigen Kontakt zur Anhängerschaft und versuche möglichst viel zu berücksichtigen. So wurde dem Wunsch entsprochen ein Denkmal zu errichten, das an die farbige Nachbarschaft erinnert, die in den 20ern niedergebrannt wurde, und auf deren Boden heute das Stadion steht.

Auch das Catering ist anders: Statt eines zentralen Unternehmens – so wie in Düsseldorf Aramak – bestücken örtliche Gastronomen die Ess-Stände. So etwas gab es auch mal in Kaiserslautern (ich weiß nicht, ob das noch immer so ist). Dort aß eine der besten Stadionwürste, die ich kenne, der Stand gehörte einem lokalen Metzger, genauso wie die Pizza von einem Lauterer Italiener stammte.

Fazit: Skepsis

Noch einmal: Ich finde das Experiment der Fortuna hoch spannend – meine Zweifel daran habe ich erläutert. Im aktuellen Stadium grummelt in mir das Gefühl, dass hier eine PR-Nummer gefahren wird mit dem Ziel, neue Sponsoren zu gewinnen.

Aber wie auch gesagt: Es kann sein, dass ich mich brutal irre.


Kommentare


Frank 26. April 2023 um 21:09

Mit Provinzial ist die Provinzial Versicherung mit Sitz in Düsseldorf gemeint. Die Provinzial Rheinland existiert nicht mehr. Es gibt nur noch die Provinzial Rheinland Lebensversicherung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Provinzial_Rheinland_Versicherung

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Thomas Knüwer 27. April 2023 um 8:00

Danke für den Hinweis – nehme ich gleich raus.

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Novesia 26. April 2023 um 22:17

vor allem wird es ein Desaster für alle wenn man nach dem Anfangshype bei Gratisspielen die Arena nicht voll bekommt
Düsseldorf – Elversberg am Freitagabend im November etwa

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Jens 28. April 2023 um 12:18

Es ist nach den Statuten der DFL nicht erlaubt, Gästetickets für vergleichbare Stadionbereiche teurer als die Heimtickets zu verkaufen. Von daher _müssen_ die auch für 0,- EUR abgegeben werden. Der Gastverein schlägt darauf auch höchstens eine Gebühr und ggf. Versandkosten drauf. Es ist also nicht üblich (oder gar erlaubt?), diese zu einem höheren Preis als den aufgedruckten zu verkaufen. Etwas mehr Arbeit wird in den Geschäftsstellen der Gästeteams durch den zu vermutenden Run schon anfallen, klar. Ansonsten halte ich diesen Punkt aber für etwas konstruiert. Ansonsten guter Artikel, gerne gelesen.

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Thomas Knüwer 28. April 2023 um 16:24

Etwas konstruiert? Wenn über Stunden eine Site crasht, bedeutet das handfeste Verluste, zB im Fanshop. Um sich dagegen zu wappnen, muss man Geld ausgeben.

Ich kann keine Überdeckung mit moralisch-ethischen Grundsätzen ausmachen.

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Jens 28. April 2023 um 18:03

Wie gesagt: Es wird etwas Geld kosten, ja. Und ich würde es auch vertretbar halten, sich diese über eine Bearbeitungsgebühr im einstelligen Eurobereich wieder reinzuholen. Gleichzeitig können Vereine wie Regensburg, Wehen-Wiesbaden oder Sandhausen (gegen diese Kategorie von Gegner werden die Spiele wohl am wahrscheinlichsten stattfinden) ihren Fans damit mal ein echtes Highlight bieten und das zB mit gesponserten Busfahrten verbinden. Das bietet also auch Chancen zur Kunden- bzw. Fanbindung. Und ich sehe halt auch noch nicht, dass jetzt auf einmal statt 605 Regensburgern (Saisonschnitt) 5.400 auswärts fahren wollen. Abwarten.

Was meinst du genau mit "moralisch-ethischen Grundsätzen"?

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Thomas Knüwer 29. April 2023 um 8:37

Doch, doch, natürlich werden auch kleinere Clubs einen Run erleben. Genauso wie die Fortuna erleben wird, dass viele ihr Ticket gar nicht nutzen.

Mit Ethik meine ich: Jemand anders organisatorische Probleme und Kosten (egal wie hoch) aufzubürden, ist unverschämt und unsolidarisch. Und jene zusätzliche Bearbeitingsgebühr, die Du schnafte findest, die würde ich als Gastverein nicht auf die eigenen Fans umlegen, sondern natürlich auf die Fortuna-Anhänger beim Rückspiel.

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Jens 30. April 2023 um 14:12

Ja, es wird sicher eine nicht-unerhebliche No-Show-Rate geben.

Ob Fortuna den drei anderen Vereinen Probleme und Kosten aufbürden wird, wissen wir doch (noch) gar nicht. Vielleicht geht man auch pro-aktiv auf die Clubs zu und bietet sofort an, Server- und Personal-Kosten zu übernehmen. Unfair könnte man eher die Herabwürdigung finden, die mit solchen kostenlosen Tickets einhergeht. "Ichr seid es nicht wert, dass man gegen euch Eintritt verlangt" – könnte mir vorstellen, dass das auch als respektlos empfunden wird.

Wo ich komplett raus bin, ist die Umlegung einer Bearbeitungsgebühr (die ich nicht "schnafte", sondern vertretbar fände) auf Fortuna-Fans bei der Rückpartie. Die können nichts für die Entscheidungen ihrer Vereinsführung, man sollte Fangruppen nicht gegeneinander ausspielen.

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Thomas Knüwer 30. April 2023 um 18:11

Wenn die Fortuna die Kosten, die anderen Vereinen entstehen, übernimmt – all good. Wenn das aber nicht passiert, würde ich es vollkomemn verstehen, dass die anderen Vereine sich dies aben bei den Fortuna-Fans zurückholen.

Dass wir aber über solche Fragen nur spekulieren können, zeigt die ganze Fragwürdigkeit. Sehr viele Menschen haben sehr viele Fragen – und die Fortuna beantwortet sie nicht. Einen Livestream, bei dem die Verantwortlichen das täten, ließe sich in 5 Minuten aufsezten, also, wenn man langsam ist, und hätte Kosten von 0 Euro, so man Wlan hat. Warum passiert das nicht, wenn man gleichzeitig „Partizipation einfordern“ will?

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UmstrittenerNutzer 4. Januar 2024 um 8:42

"Und so adoptieren er und seine Freunde, alle aus den verschiedensten Schichten und Umfeldern, aber oft seit der Jugend befreundet mich. Und wenn einer mal nicht kann, dann wird die Karte via Whatsapp angeboten, über Geld wird dabei nie gesprochen."

Kenne mich im Fußball nicht aus. Wie ist dieser Absatz zu verstehen?
Wenn alle Gruppenmitglieder Dauerkartenbesitzer sind, dann braucht man die Karte nicht tauschen.
Wenn nur ein Anteil der Mitglieder Dauerkartenbesitzer ist, welche Gegenleistung bekommen die Mitglieder bei Weitergabe der Karte?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass man einer fremden Person die eigene Dauerkarte überlässt, nur weil man selbst nicht kann.
Die günstigste Tageskarte bei Fortuna kostet 20€, eine Dauerkarte 196€. Es müssten 18 Spiele im Stadion pro Saison stattfinden. Aber selbst wenn man nur zweimal "nicht kann", spart das fremde Gegenüber 40€.
Ohne Gegenleistung? Kann ich nicht nachvollziehen. Muss ich falsch verstanden habe.

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Thomas Knüwer 4. Januar 2024 um 9:47

@Umstrittener Nutzer: Es gibt immer Momente, da man eine Karte braucht. Zum Beispiel würde sich eine Dauerkarte für den Sohn eines meiner Mitsitzer nicht lohnen – er spielt oft selbst parallel. Aber wenn dem nicht so ist, dann fragt der Vater, ob jemand seine Karte über hat. Dafür gibt es eine Whatsapp-Gruppe. Wenn ich nicht kann, bekommt jeder Vater die Karte. Kann der Sohn nicht, kommt jemand anderes mit. Genauso kann ich nachfragen, ob jemand nicht kommt, wenn jemand aus meinem Umfeld mitkommen nmöchte. Zu keinem Zeitpunkt wird über Geld gesprochen, so will es das ungeschriebene Gesetz.

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