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Im digitalen Raum laufen sehr viele Figuren herum die versuchen, aus der digitalen Rückständigkeit Umsätze herauszuholen. Viele von ihnen sind One Man-Shows und mit donnernden Begriffen auf LinkedIn unterwegs.

Mit einem dieser Exemplare bin ich heute kollidiert.

Im Mitteilungsbereich von LinkedIn sah ich, dass mich eine mir nicht bekannte Person – nennen wir sie Kevin – in einem Posting gegtaggt hatte. In diesem Posting hatte sie die Ergebnisse des ZDnet-Reports in Stichpunkten zusammengefasst.

Das Posting enthält eine Grafik von überschaubarer Schönheit – aber im Branding von Kevin. Der Artikel, auf dem seine Ausführungen beruhen, wird im Posting selbst nicht verlinkt, sondern in einem Kommentar von Kevin erwähnt.

Am Ende des Postings folgt dann die Einbeziehung von 14 Personen, darunter ich mit dem liebevollen Hinweis „CC“.

Hinweis: Mein Name ist nicht blau hinterlegt, weil ich die Markierung schon entfernt hatte, als ich den Screenshot anfertigte. 

Warum macht Kevin das so?

Die Disziplinen, die er seiner Agentur zuschreibt sind „Social Selling & Attention Hacking“, was er selbst in seinem Profil in Anführungszeichen setzt. Diese Vokabeln sind gerade sehr en vogue und werden gerne missbraucht. Deshalb ein Definitionsversuch, damit wir alle über das Gleiche reden:

Social Selling: Die Verwendung von Social Media, um eine KundInnenbeziehung aufzubauen, die dann in Umsatz münden soll. 

Attention Hacking: Growth Hacking dient dazu, sehr kosteneffizient Bekanntheit oder Kundenbasis zu erweitern, indem digitale Technologien ein Stück weit ausgetrickst werden. Attention Hacking hat als kleine Schwester des Growth Hacking das Ziel, mit einem vergleichbaren Instrumentarium Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Nun bin ich kein Freund der Weisheit, dass nichts ist, was nichts kostet. Im Bereich von Social Selling und Attention Hacking entbehrt diese Behauptung jedoch nicht völlig der Wahrheit. Die Kompetenz derjenigen, die diese „Leistung“ offerieren liegt darin, die Mechaniken digitaler Plattformen zu manipulieren.

Hier passiert dies auf mehreren Wegen. LinkedIn fördert originäre Inhalte, die NutzerInnen auf der Seite halten. Deshalb arbeitet Kevin mit dem Folgenden:

  • LinkedIn bevorzugt Postings, in denen Personen oder Unternehmensseiten markiert werden.
  • Der Algorithmus mag dagegen Link-Postings weniger gern – deshalb wandert der Link in die Kommentare.
  • Bild-Postings dagegen werden wieder mit Reichweite belohnt.
  • Hashtags gibt es auch jede Menge – hier allerdings rät LinkedIn eigentlich davon ab, sie in so hoher Zahl
  • Was er anscheinend nicht weiß: Kommentiert der Autor eines Postings zuerst (also zum Beispiel mit jenem Link), wird die Reichweite vom Algorithmus gesenkt.

Bei keinem dieser Punkte steht das Interesse des Publikums im Zentrum.

Denn wenn Kevin dies in Erwägung zöge, würde er es einfach machen, den dahinter liegenden Artikel zu finden. Ihn in den Kommentar zu packen hat ja die Folge, dass er sehr schnell nicht mehr als erster Kommentar angezeigt wird, da LinkedIn die Reaktionen in der Grundeinstellung nach „Relevanz“ lstet. i

Und natürlich würde Kevin nur jene Personen markieren, von denen er annimmt, dass sie absolut sicher Interesse an dem Thema haben – wobei es die Höflichkeit eher gebieten würde, diese Personen persönlich anzuschreiben und Ihnen den Artikel nahezulegen.

In der Blase der Social Seller und Growt Hacker aber kursiert der Glaube, dass dieses intellektuell… nun ja… platte und definitiv unhöfliche Gebaren keine Folgen habe. Deshalb kontaktieren sie haufenweise Menschen auf LinkedIn mit hirnentleerten Formulierungen wie „Ich habe gesehen, dass wir ähnliche Interessen haben“ oder „Wir haben gemeinsame Kontakte“.

Wer so vorgeht, den halte ich für eine Person auf dem geistigen Niveau eines ausgetrockneten Kopfsalatblattes. Ich nehme keine Anfragen solcher Figuren an, gern blockiere ich sie, definitiv sollten sie sich aber nicht mehr in meine Nähe wagen. Denn jeder der rund 4.400 Menschen, die mir auf LinkedIn folgen, nur einmal im Jahr solch ein Tagging oder Messaging versuchen würde, wären das mehr als 10 am Tag – diese Gemüsehirne verschwenden meine Zeit.

Weshalb ich bei Kevin auch einen wenig galanten Kommentar hinterließ (darunter sehen Sie den Link zum Artikel, aus dem Kevins Informationen stammten):

Immerhin zeigte sich: Kevin hat Selbstbewusstsein – denn er schickte mir Mail in der Tonalität billiger Tschacka-Vertriebsschulungen mit dem Betreff „Wow.“ und unter anderem diesem Satz: „Neid und Missgunst geben mir Energie für den nächsten Kunden.“

Ich antwortete ihm gekürzt das, was Sie oben schon gelesen haben, worauf er noch unhöflicher antwortete und sich beschwerte, dass ich nicht mal gefragt hätte, ob das Tagging ein Versehen gewesen wäre. Also, ein Versehen, für das er sich nicht entschuldigt und das er auch nicht zugibt? Das fällt dann schon unter Beleidigung der Adressaten-Intelligenz.

Nun ja, so ist das eben in dieser Branche. Denn ehrlich gesagt ist mir noch niemand begegnet, der seriös arbeitet, wenn er diese Begrifflichkeiten verwendet. Social Selling ist der schmierige Halbbruder von Social Media Marketing, Attention Hacking hat den alten Leitsatz „Egal watte schreibs, schreib meinen Namen richtig“ über dem virtuellen Kamin hängen– wer dieses Geschäft betriebt, gibt Hardcore-Vertrieb hin, so wie einst die Verkäufer von Gemüsereiben in der Fußgängerzone.

Echtes Marketing und nachhaltige Kundenbeziehungen entstehen nicht schnell und sie entstehen nicht billig. Wer Kunden mehr als fünf Minuten bei sich haben möchte, der muss investieren und das kostet Geld und/oder Zeit.

Das Leben ist kein Ponyhof. War es nie und wird es auch niemals sein.


Kommentare


Roman Senger 22. August 2022 um 15:50

Der Erfolg von XXX (Name gelöscht) aka Kevin ist ja dahingehend messbar, dass er fast 30.000 Follower hat aber seine Beiträge kaum mehr als 20 Interaktionen aufzeigen.

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Jürgen Walleneit 23. August 2022 um 8:30

Da könnte man ja fast denken, dass ein Großteil der 30.000 Follower gekauft wurde. Aber wer denkt bei dieser Vertriebsstärke schon an sowas? 🙂

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Alex 23. August 2022 um 10:02

Auch hier ein sehr guter Blogbeitrag zu solchen nervigen Postings, diesmal ein wenig mit mehr Buzzwords geschmückt und auch erklärt. Danke. Hat Spaß gemacht zu lesen.

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Elias 23. August 2022 um 15:15

»Attention Hacking« klingt ein bisschen wie ein moderntümelndes Wort für »Spam«.

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Kay Peters 24. August 2022 um 11:27

Würde ich so bestätigen. Die wachsenden Kontaktaufnahme-Aktivitäten auf LinkedIn empfinde ich tatsächlich mittlerweile als »Spam«!

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Frank70 23. August 2022 um 17:07

Klasse Artikel und ich musste doch recht schmunzeln:

Eine Ihrem Kevin vergleichbare Person wollte einmal meine Aufmerksamkeit dadurch erregen, dass man angeblich wie kein anderer in der Lage sei "generische Semantiken auf Top-Level-Ontologien zu identifizieren". Auf eine entsprechende Antwort meinerseits kam dann die Reaktion: "Neid und Missgunst geben mir Energie für den nächsten Kunden." –> Scheint eine Art Textbaustein zu sein… 🙂

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Frank70 23. August 2022 um 17:16

@Thomas Knüwer: Ich versuche heute Abend auch mal ein Craftbier, versprochen! 😉

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Peter H. Feldmann 24. August 2022 um 21:37

Schön und gut – echt so gemeint. Die Social Seller haben nur ein Ziel:
Buche meinen super Workshop und dein Verkauf geht durch die Decke. (Zitat Ende)
Diese sind „Erfolgreich“ wenn genügen verzweifelte auf den Leim gehen,
Ich habe einen solchen Workshop zu Recherchezwecken für mein Buch mitgemacht und der Inhalt passt auf eine A5 Seite.

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