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Stellen Sie sich folgendes vor, liebe Leserinnen und Leser:

Sie besuchen am kommenden Wochenende die Rheinkirmes auf den Düsseldorfer Rheinwiesen, den größten Jahrmarkt der Region (der morgen eröffnet wird). Entsprungen ist er der Schützenfest-Tradition, weshalb es Partyzelte der Brauereien gibt, manchmal mit Live-Musik, manchmal mit DJ.

Sie betreten solch ein Zelt am Abend, es läuft ein pumpender Rhythmus und die spürbar alkoholisierte Menge singt dieses:

„Neulich im Basar stand da ein Mann
Er schaute mich sehr glücklich an
„Hey, komm mal her“, sagte er zu mir
„Das ist mein Laden, mein Revier“
„Mein Junge, ich hab‘ ein Geheimnis für dich“
Was er von mir wollte, wusste ich nicht
Ich sah nur das Grinsen in seinem Gesicht
„Was ich dir sage, glaubst du mir nicht“
Ich hab‘ ’nen Sklaven und der baut mein Stadion
Er ist kräftiger, jünger, ärmer
Ali-Ali-Ali!“

Geschmacklos? Rassistisch? Unerträglich?

Yup.

Doch zeigt Ihre Reaktion auch das Problem mit dem Song „Layla“, der aktuellen Nummer 1 der deutschen Charts. Über ihn wird viel diskutiert, was gut und richtig wäre – wenn es nicht wieder, wie so oft in Deutschland, die falsche Debatte wäre.

Wer das Glück hat, dieses den Körper wie den Geist schmerzhaft attackierende Stück Musik {starkes Wort in diesem Zusammenhang) eines gewissen „DJ Robin“ nicht kennt, hier der Anfang:

Neulich in der Stadt stand da ein Mann
Er schaute mich sehr glücklich an
„Hey, komm mal her“, sagte er zu mir
„Das ist mein Laden, mein Revier“
„Mein Junge, ich hab‘ ein Geheimnis für dich“
Was er von mir wollte, wusste ich nicht
Ich sah nur das Grinsen in seinem Gesicht
„Was ich dir sage, glaubst du mir nicht“
Ich hab‘ ’nen Puff und meine Puffmama heißt Layla
Sie ist schöner, jünger, geiler
La-la-la-la-la-la-la-Layla
La-la-la-la

Sie merken schon: Ich habe mich beim Text oben aus diesem Machwerk bedient.

Bei beiden Texten werden die allermeisten von Ihnen verstanden haben, worum es geht. Der Begriff „Puff“ ist bekannt, „Puffmutter“ ist popkulturell stark verankert, so ermitteln (zumindest subjektiv gefühlt) „Tatort“-KommissarInnen gerne in fiktiven Bordellen, die von Frauen operativ geführt werden.

Der umgeschriebene Text zu Beginn lenkt das innere Augen durch den Begriff Basar in die arabische Welt, paaren wir das mit Sklave und Stadion dürfte klar sein: Es geht um den Einsatz von Sklavenarbeiter beim Bau der Stadien für die Fußball-WM in Katar.

Warum diese Assoziation aufpoppt? Weil über dieses Thema schon lang und breit in den Medien und in der Öffentlichkeit diskutiert wurde.

Womit wir bei „Layla“ wären.

Anlässlich dieses Liedes diskutiert das Land nun, ob es verboten werden soll oder nicht.

Für den „Tagesspiegel“ ist der Song „sexistischer Unfug„, der „Münchener Merkur“ nennt es „anzüglich“ und  „musikalische Billigware“ mit „saublödem“ Text, die Stadt Würzburg, die das Lied nicht hören mag, werde von „Moralaposteln“ geführt : „Aus Angst vor dem mächtigen Sexismus-Vorwurf wird moralisch Verdächtiges beim leisesten Anflug von Kritik getilgt.“

Justizminister Marco Buschmann (FDP) gibt sich extrovertiert liberal:

„Man muss Schlagertexte nicht mögen. Man kann sie sogar doof oder geschmacklos finden. Sie aber behördlich zu verbieten, finde ich, ist eins zu viel.“

Sprich: Das angebliche Land der Dichter und Denker führt eine Diskussion über die Kunstfreiheit. Und um das festzuhalten: ich bin gegen ein Verbot des Liedes.

Aber.

Keine Politikerin, kein Politiker zweifelt an dem romantisierten Bild, dass dieses Lied vermittelt: das vom Bordell das von einer gern matronigen, aber herzlichen Dame geführt wird, die ihre Mädels vor dem Schlimmsten bewahrt. Und ich finde nur eine Redaktion, die dies thematisiert – den Bayerischen Rundfunk.

Es ist bequem, dieses Bild im Kopf zu haben. Hier ist Prostitution etwas, na ja, vielleicht nicht schönes, aber etwas, das nun mal da ist und einen Wert für die Gesellschaft liefert.

Kürzlich wohnte ich einer Diskussion des Frauennetzwerks Soroptimist International Düsseldorf über die Realität der Prostitution bei – und das ist das Thema, das wenigstens mal eine Redaktion thematisieren könnte.

Denn jenes romantische Bild des samtenen Bordells mit seinen ehrenhaften Huren ist mit dem Jahr 2022 nicht mehr in Einklang zu bringen. Der größere Teil der Prostitution in Deutschland besteht aus Zwangsprostitution, sprich: Sklaverei und Folter.

Der „Spiegel“, zum Beispiel, könnte das aufgreifen. Seine langjährige Autorin Barbara Schmid hat ein Buch darüber geschrieben, es heißt „Schneewittchen und der böse König“. Und wer einen Auszug hören möchte, starte das hier eingebettete Video.

Warnung: Wer von irgendwas, irgendwie getriggert wird, sollte das besser nicht tun.

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Und Bordelle? Sind heute eben keine netten Etablissments mehr. Das Geschäft ist härter geworden, so wie alle Kriminalität härter geworden ist. Ach ja, die „Puff-Mama“? Ist heute männlich und der Grundidee der Gewalt sehr offen gegenüber stehend. Wie sich britische Reisegruppen eines All-inclusive-Sex-Trips nach Germany (ja, das gab es zumindest mal vor dem Brexit) gegenüber Prostituierten wohl verhalten? Ob Mama wohl dazwischen geht?

Die Polizei ist all dem gegenüber nicht machtlos, aber machtarm, auch das zeigte sich bei jener Soroptimist-Diskussion. Die ehemalige Polizeipräsidentin von Duisburg klagte, sie habe nur zwei Leute für das Feld gehabt. Ein aktiver Kommissar aus Krefeld erzählte Interessierten, dass Ermittlungen gegen Zwangsprostitution harte Fußarbeit seien. Die Kriminalpolizei, das sei kein Neun-bis-Fünf-Job, dafür biete er hohe Freiheiten. Die jüngere Generation wolle aber diese Freiheiten nicht und bleibe eher bei der Verkehrspolizei.

Wir sollten also nicht darüber diskutieren, ob „Layla“ unter Kunstfreiheit fällt. Wir sollten, nein: wir müssten, darüber sprechen, wieso es in Deutschland zehntausende Sklavinnen gibt, die genauso gefoltert und ausgebeutet werden wie jene Bauarbeiter, die die WM-Stadien in Katar hochgezogen haben.

Es ist menschlich, wenn sich jemand dieser Umstände nicht bewusst ist. Das gilt vielleicht sogar für „DJ Robin“, der diesen Scheiß verfasst hat.

Allerdings: Dass in Deutschland anscheinend nur eine – in Worten: eine – Redaktion (Hinweise darauf, dass ich hier falsch liege sind gern gesehen) den Erfolg von „Layla“ nutzt, um sich anzuschauen, wie es um die besungenen Puffs steht: das ist journalistisches Versagen. Und mal ehrlich, liebe Ex-KollegInnen: Das Thema bietet sich derart an, dass es eine Beleidigung der Redaktionsintelligenz sein sollte, es nicht aufzugreifen.

Und dass ein Bundesjustizminister diese organisierte Gewaltkriminalität nicht thematisiert, ist nicht entschuldbar. Er muss wenigstens so viel politisches Gespür mitbringen, dies zu erkennen, wenn er schon nicht das Fachwissen hat (was angesichts seiner bisherigen Tätigkeit mit Verwaltungskram zu einem Teil entschuldbar ist) .

Nein, „Layla“ ist nicht „anzüglich“ einfach „saublöd“ oder „sexistisch“ – es normalisiert eine Branche, in der Frauen Tag für Tag gefoltert und ihrer Menschenrechte beraubt werden. Es einer besoffenen Herde zum Mitgröhlen vorzusetzen ist so gesellschaftlich akzeptabel wie Feierlieder über Zwangsarbeiter in Katar, Menschenrechtsverletzungen im Ukraine-Krieg oder die Massenmorde der mexikanischen Drogenkartelle.

Photo by Artem Labunsky on Unsplash


Kommentare


Frankfurt 16. Juli 2022 um 12:34

Wir diskutieren, ob „Layla“ unter Kunstfreiheit fällt, weil eben diese in diesem Fall massiv angegriffen wird., und es ist gut, richtig und wichtig diese zu verteidigen.

Und es ist nicht ‚die Stadt Würzburg‘ die solche Songs nicht hören will, sondern Teile der dortigen Verwaltung.

Niemand weiss, was für eine Art von Bordell da besungen wird, und welche Vorstellungen die Künstler damit verbinden.
Das die Künstler damit Zwangsprostitution normalisieren würden, finde ich hergeholt.

Etwas witzig oder nicht witzig zu finden ist eine höchst individuelle Wertung. Kann man machen wie man will, aber nicht verallgemeinern.

Natürlich ist eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den schlimmen Umständen in der Zwangsprostitution sehr wichtig und Abhilfe dringend geboten, aber mit dem Song hat es nichts zu tun.

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Thomas Knüwer 17. Juli 2022 um 17:59

@Frankfurt: Ihre Argumentation ist nicht schlüssig. Denn natürlich wissen wir, was für ein Bordell besungen wird – ein nettes, eines, in das man gerne geht. Und solche Bordelle machen nun einmal den kleineren Teil der Prostitution aus.

Die Kunstfreiheit zu verteidigen ist gut und richtig. Nur wird diese in Deutschland sofort beschworen und das bei jeder Kleinigkeit, gern gepaart mit dem bullshittigen Kampfbegriff der Cancel Culture.

Und dies Kunstfreiheitsdiskussion lenkt dann eben ab von der Debatte darüber, warum sich eine Stadt entschließt ein Lied nicht hören zu wollen, das mit ihrer Wertevorstellung nicht konform geht.

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Frankfurt 17. Juli 2022 um 20:08

Uiui. Ich finde es nicht nett, in ein bordell zu gehen, aber egal.

Wenn "Die Kunstfreiheit zu verteidigen‘ gut und richtig ist, ist sie das, auch wenn sie jemand beschwört oder paart.

Und eine Stadt beschließt nichts und hat auch keine Wertvorstellungen.

Die Kunstfreiheitsdiskussion lenkt von garnichts ab. Sie wird halt diskutiert.

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Thomas Knüwer 19. Juli 2022 um 9:21

Ich möchte Sie bitten, meine Worte vielleicht nochmal genau zu lesen. SIE finden es vielleicht nicht nett, aber es geht nicht um Sie. Ich schrieb von "man" und somit eine fiktive Menge von Menschen. Und tatsächlich gab es ja Bordelle, die mit einem Augenzwinkern in die Gesellschaft eingebunden waren, zum Beispiel das auf der Rethelstraße in Düsseldorf. Geleitet wurde es von Bert Wollersheim, seine Frau Sophie landete als "Puff-Königin" im Dschungelcamp. Einmal im Jahr öffnete das Haus eine Pforten und jedermann konnte mal schauen, wie das so aussieht.

Was sie mit einer Paarung der Kunstfreiheit meinen, ist mir nicht klar. Aber natürlich ist sie wichtig, weshalb ich auch gegen ein Verbot des Liedes bin. Wie ich aber in einer nicht geringen Länge schrieb, wird in Deutschland allein darüber diskutiert, was Kunstfreiheit ist – und eben nicht, warum ein gewisses Kunstgut deren Grenze überschreitet. Letzteres ist die unbequemere, für die Gesellschaft aber oft erkenntnisreichere Debatte (erst recht, wenn mehrfach im Jahr über Kunstfreiheit diskutiert wird).

Und in diesem letzten Punkt möchte ich vehement widersprechen: Natürlich gibt es ablenkende Diskussionen. Und weil wir uns in der Öffentlichkeit mehr als früher über die Art austauschen, wie Diskurse geführt werden, sind aus genau diesem Grund Vokabeln wie Whataboutism zumindest in gewissen Zirkeln Alltag geworden.

Dass eine Stadt keine Werte hat, halte ich für grundfalsch. Natürlich bildet eine Stadt in Gestalt von Stadtregierung und -verwaltung die Werthaltung ihrer Bürger ab. Deshalb ist die AFD beispielsweise in Münster Partei non grata, während sie in anderen Kommunen geduldet oder gar als Normalität angesehen wird.

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Tim 17. Juli 2022 um 11:07

Ich muss widersprechen: Ein alberner Saufsong "normalisiert" <i>gar</i> nichts.

Übrigens ist auch Mozarts "Die Entführung aus dem Serail" trotz der romantisierenden Darstellung von Sklaverei nicht gesellschaftlich inakzeptal. Selbst das Alte Testament muss eine Gesellschaft aushalten können, auch wenn dort ein Gottwesen zu Vergewaltigungen, Folter und Massenmorden aufruft. Ich erwarte auch keine belehrenden Statements des Bundesjustizministers zu diesen Texten.

Das ganze Geheimnis ist: Kulturelle Inhalte müssen nicht zwangsläufig etwas mit der Realität gemeinsam haben. Und selbst wenn sie es tun, ist ihre Rückwirkung auf die Realität in 99,999 % der Fälle homöopathisch.

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Thomas Knüwer 17. Juli 2022 um 17:56

Das ist nicht ganz so… Denn es kommt immer auf den Kontext an. Mozart ist etwas anderes, weil eine Arie nicht darauf abzielt, von einer angetrunkenen Menge gegrölt zu werden. Natürlich müssen kulturelle Inhalte nicht etwas mit der Realität zu tun haben – aber es gibt sehr viele kulturelle Inhalte, die heute nicht mehr zur Aufführung kommen oder wenn, dann nur in veränderter Form. Warum? Weil wir als Gesellschaft uns weiterentwickelt haben.

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Frankfurt 17. Juli 2022 um 20:32

Ja, aber wir haben uns nicht dadurch weiterentwickelt daß Leute in der Würzburger Stadtverwaltung die Musikauswahl auf Volksfesten vorfilterte.

Und Gegensatzpaare wie "Mozartarie / angetrunkene grölende Menge" ist auch hoffentlich einst Geschichte.

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