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Darf ich Sie etwas fragen? Wie lang waren Sie gestern im Internet? 

Interessant. Woher wissen Sie das so genau?

Ach so, Sie haben das grob geschätzt. Danke. 

Noch eine Frage: Nehmen Sie an Telefonbefragungen teil?

Nein??? Wieso nicht?

Ach so. Ja, gut, Danke. 

Wie würde dieses Gespräch mit Ihnen verlaufen, liebe LeserIn? Ich tippe: ähnlich. Denn die meisten, die hier in der Indiskretion lesen, dürften ein überdurchschnittliches Interesse an Medien- und Digitalthemen mitbringen. Und dies deutet darauf hin, dass die Frage, wie lang man sich im Internet tummelt skurril wirkt, angesichts der offensichtlichen Antwort „ständig“, Telefonbefragungen dagegen eher aus Nervigkeitsgründen abgelehnt würden.

Doch auf diesem Weg entsteht die jährlich durch alle Medien und Timelines geisternde ARD/ZDF-Onlinestudie. Die medieninteressierte Öffentlichkeit hat sich angewöhnt, diese Untersuchung als gradgenauen Maßstab für die Digitalität Deutschlands einfach so hinzunehmen.

Beispiel „FAZ“: „Im Schnitt ist jeder Deutschen der Umfrage zufolge täglich mehr als drei Stunden online mittlerweile (196 Minuten), im vergangenen Jahr verbrachten die Nutzer noch 47 Minuten weniger im Netz. Davon entfallen 82 Minuten auf den Medienkonsum – 37 Minuten mehr als noch im Vorjahr.“

196 Minuten!

47 Minuten!

82 Minuten!

Wo sind eigentlich die Sekundenangeben?

Die Studie verleitet dazu, eine hitparadenartige Exaktverteilung anzunehmen. Die lässt sich dann schön in Grafiken verwandeln, so man nicht einfach schon die von der Presseabteilung mitgelieferte Version verwendet:

Und natürlich kann man allein basierend auf der Studie B2B-Clickbaiting betreiben. „ARD/ZDF-Onlinestudie: Welche Inhalte im Internet besonders gut funktionieren“, kündigt „Horizont“ an. Nur geht es in der Studie ja gar nicht um Inhalte, sondern um Kanäle. Aber hey, Hauptsache es wird geklickt.

Die Hörigkeit gegenüber der ARD/ZDF-Onlinestudie ist für mich befremdlich. Natürlich ist diese Studie, die der Media-Vermarktung von ARD und ZDF dienen soll, ein interessanter Gradmesser und Bezugspunkt für die Analyse der Mediennutzung in Deutschland. Aber ihre Methodik sollte zum Hinterfragen einladen.

So behauptet sie, repräsentativ für die Deutschen ab 14 zu sein. Doch wie viele Teenager machen bei einer Telefonumfrage mit? Dürfen die das überhaupt? 25 Minuten, so lang soll die durchschnittliche Befragung gedauert haben, mit einem Fremden reden – erscheint nur mir das recht ungewöhnlich?

Hinzu kommt die Menge der Befragten. 2000 waren es, doch die Zusammensetzung dieser Stichprobe soll repräsentativ gewesen sein. Laut Statistischem Bundesamt bilden 14- bis 19-Jährige 5% der deutschen Bevölkerung. Somit haben 100 Jugendlich jenes Gespräch geführt und stehen minutengenau für den Onlinekonsum der Generation Z.

Die Studie selbst scheint ihre Schwächen zu kennen und buzzwortet ihr Fallhöhe nach oben. In der Pressemitteilung heißt es:

„Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 wurde im Rahmen der „Studienreihe Medien und ihr Publikum (MiP)“ und im Auftrag der ARD/ZDF-Forschungskommission durchgeführt. Die Ergebnisse beruhen auf dem fusionierten Datensatz mit den Kerndaten der Massenkommunikation Trends 2019. Im Jahr 2019 wurden in einer repräsentativen Dual-Frame-Stichprobe insgesamt 2000 deutschsprachige Personen ab 14 Jahren befragt. Die Feldarbeit wurde erstmals vom Institut Kantar durchgeführt und dauerte von Ende Januar bis Mitte April 2019.“

Wohlgemerkt: Diese Pressemitteilung ist die für Publikumsmedien. Entweder also ist sie wirklich schlecht geschrieben oder man versucht mit Begriffen wie „Dual Frame“ (was nichts anderes heißt, als dass auch Menschen befragt wurden, die nicht über einen Festnetzanschluss, aber ein Handy verfügen interviewt wurden) eine Komplexität zu behaupten, die nicht vorhanden ist.

Nebulös auch der Hinweis auf die „fusionierten Datensätze“ mit der Studie „Massenkommunikation Trends“ (welcher Deutsch auf Klotschen Schreibende hat sich den Namen eigentlich erdacht?). Diese Studie, erstellt für den ARD-Vermarkter ASS macht nämlich grob gesprochen nichts anderes, als die Onlinestudie: Es geht um eine Telefonbefragung von 2.000 Menschen.

Also mal Butter bei die Fischer: Die Ersteller der Studie wissen selbst, dass ihre Arbeit nicht so herausragend ist, wie sie tun. Aber, hey, es funktioniert ja bestens: Denn nichts lässt sich entspannter teilen als eine scheinbar genaue Zahl.


Kommentare


Franziska 11. Oktober 2019 um 16:30

Natürlich gibt diese Studie wie all die anderen nur ein grobes Bild darüber, wie Medien genutzt werden. Aber lieber ein grobes als gar keins. Oder? Und am Ende muss ich eh schauen, wie meine Zielgruppe unterwegs ist.

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Thomas Knüwer 12. Oktober 2019 um 9:07

@franziska: Da gebe ich Dir recht. Nur läuft die Berichterstattung ja nicht in groben Tendenzen ab. Sie tut so, als sei minutengenau die Onlinenutzung ermittelbar. Der Fehler liegt hier weniger bei den Studienerstellern (die aber in der Pressemitteilung versuchen eine himmelnahe Fallhöhe vorzutäuschen), sondern in der Berichterstattung.

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Sabine Haas 11. Oktober 2019 um 19:42

Lieber Thomas,
ich bin ja oft und gerne mit Dir einer Meinung. Aber hier muss ich vehement widersprechen! Die ARD/ZDF-Onlinestudie ist tatsächlich so gut, „wie sie tut“. Und sie gehört zu den besten Mediennutzungsumfragen, die ich kenne. Auch wird nicht – wie Du schilderst – gefragt, „wie lange sind sie im Internet“. Stattdessen wird in den Media-Trends ein Tagesablauf erhoben, bei dem auf Viertelstunden-Basis die Aktivitäten des Vortages abgefragt werden (Was haben Sie gestern zwischen 6 und 6.15 Uhr gemacht? etc). Diese detaillierte Mediennutzungs-Abfrage wird mit den Daten einer eher inhaltlich orientierten Studie kombiniert (fusioniert), um so ein umfassendes Bild zu erhalten. Die Telefonumfrage ist die beste Möglichkeit, repräsentative Ergebnisse zu erhalten, auch wenn es – wie Du zu Recht anmerkst – immer schwieriger wird. Der Begriff „Dual Frame“ ist ein feststehender methodischer Begriff, der für die Kombination von Festnetz- und Mobilnummern steht, was methodisch auch nicht ganz einfach machbar ist. Die Studie ist ein sehr durchdachtes "Machwerk" und ich bin sehr froh, dass wir so valide Daten bei schwindenden Marktforschungs-Budget noch von irgendwelchen Stellen bekommen. Sie ist außerdem als Langzeitstudie angelegt und erlaubt daher Jahresvergleiche, was sehr spannend ist. Sicher macht sie Messfehler, wie jede Forschung. Aber sie ist so genau, wie es möglich ist und macht jedes Jahr „dieselben Fehler“, so dass die Trends stimmen. Ich empfehle die Lektüre der ausführlichen Ergebnisse in der Fachzeitschrift Media Perspektiven. Dein Artikel tut der Studie leider sehr unrecht.
Liebe Grüße

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Thomas Knüwer 12. Oktober 2019 um 9:06

@Sabine Haas: Was hast Du gestern zwischen 15.30 und 15.45 gemacht? Kannst Du das sagen? Ich nicht. Deine Argumente bestärken mich eher, denn je genauer die Fragen werden, desto unpräziser die Antworten. Wer kann dies denn im Nachhinein so genau sagen?

Die Behauptung, eine Telefonumfrage sei die beste Methode ist natürlich falsch. Die beste Methode wäre natürlich eine Beobachtung, sprich eine Begleitung eines Studienobjektes. Dies ist natürlich finanziell nicht leistbar. Deshalb sollte man sich auch nicht einreden, dass eine Telefonumfrage im Jahr 2019 ohne Einschränkungen ein sinnvolles Bild ergibt. Der beruflich wie digital aktivere Teil der Bevölkerung verweigert sich nämlich solch einer Befragung erheblich stärker als andere Bevölkerungsgruppen – dies sollte man im Auge haben und auch dazu stehen.

Auch das Thema Langzeitstudie ist eine leichte verspagttisierung der Realität. Es werden ja nicht immer die gleichen Menschen befragt, oder? Insofern ist das Thema Langzeit mit großer Vorsicht zu genießen.

Ich schreibe ja auch, dass die Studie wichtig ist. Das Herunterrechnen auf Minutenbeträge ist aber nicht seriös. Die Studie kann bestenfalls eine grobe Tendenz liefern, mehr nicht.

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Sabine Haas 16. Oktober 2019 um 9:55

Da können wir jetzt noch fleißig hin- und herstreiten. Ich wüsste, was ich gestern gemacht habe. Vor allem, wenn mich jemand von 6.00 Uhr morgens gedanklich in Viertelstunden durch den gestrigen Tag führt. Natürlich macht man dabei Fehler, aber seriös und valide ist eine solche Tagesablauf-Befragung allemal. Außerdem ist es die Währung, die wir seit Erfindung der Medienforschung haben und sie gefällt mir deutlich besser, als z.B. Auflagenzahlen zur Reichweite oder Leserschaft zu erheben. Beobachtung als Methode ist nun wirklich keine ernsthafte Option bei 2.000 Befragten.

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Tim 14. Oktober 2019 um 9:20

@ Sabine Haas

<blockquote>Und sie gehört zu den besten Mediennutzungsumfragen, die ich kenne.</blockquote>

Das ist natürlich vollkommen richtig. 🙂 Allerdings ergeben Nutzungsumfragen mit Internetbezug heutzutage grundsätzlich keinen Sinn mehr, weil man nun mal – wie Thomas Knüwer schreibt – "ständig" im Netz ist. Eine Nutzungsangabe in Minuten ist hanebüchen. Man könnte die Nutzung allenfalls technisch erfassen, aber dann würde eben genau dasselbe herauskommen: Jedes Gerät erzeugt laufend Traffic, man ist ständig online. Selbst in einem Offline-RSS-Reader oder in einer Game-App.

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