Eine der Folgen der Netflixisierung meines Bewegtbildkonsums ist die Zunahme von Dokumentationen im Rahmen meines Medienkonsums. Während die meisten Dokus im deutschsprachigen Fernsehen austauschbar gleich konzipiert sind, gibt es via Streaming viel tollere, ungewöhnlichere Ableger dieser Gattung wie den 3D-Druck-Film „Print the legend“.
Gestern Abend sah ich im Rahmen einer kleinen Premiere einen Film, der ebenfalls auf Netflix, eigentlich aber ins Programm von WDR, NDR, ja der ARD oder des ZDF gehört: „Im Derby-Dreieck“ von Milan Skrobanek.
Nun bin ich auch nicht ganz neutral, denn ein Drittel des Films handelt vom Fußballverein meines Herzens, dem SC Preußen Münster. Er befand sich in der vergangenen Saison in einer Konstellation, die es sonst nur in Ostdeutschland gibt: drei erzrivalisierende Clubs in der unmittelbaren Nachbarschaft gemeinsam in einer Liga. Und dieses Derby-Dreieck aus den Preußen, dem VFL Osnabrück und Arminia Bielefeld verfolgte Skrobanek ein Jahr lang intensiv.
Herausgekommen ist ein Fußballfilm, wie es ihn in Deutschland nur selten gibt. Wobei es ja ohnehin nur selten hier zu Lande Fußball-Dokus gibt, die nicht von einem Verein oder Verband in Auftrag gegeben wurden.
Das „Derby-Dreieck“ macht dabei die sportlichen Ergebnisse ein wenig zur Nebensache. Skrobanek verfolgt drei Gruppen, die den Fußball ausmachen.
– die Anhänger in Gestalt des Münsteraner Fan-Radios Mottek Strehle:
– die Clubverwaltung (in Person von Bielefelds Pressesprecher):
– Trainer und Spieler (in diesem Fall vertreten durch den VFL und seinen Trainerstab):
Es entstehen die Portraits unterschiedlichster Menschen, die alle verbunden sind durch diese abstruse und rational nicht zu erklärende Leidenschaft namens Fußball. Natürlich konnte Skrobanek es nicht planen, aber er bekam (fast) das ganze Spektrum der Emotionen einer Saison vor die Linse: Derbysiege und -niederlagen, Zwischenhochs, Dauerenttäuschung und – leider in Gestalt der Preußen – in sich zusammen fallende Euphorie. Am Ende dann für eine der drei Ecken der Höhepunkt: Bielefeld steigt auf. Fehlt nur ein Abstieg, doch auch dies wird Thema, da Bielefeld in der Saison zuvor erst in der letzten Sekunde die Zweite Liga verlassen musste.
Zwei Verdienste zeichnen diesen Film aus. Zum einen zeigt er den Alltag des Fußballs. Also nicht die Champions League, den FC Bayern und die künstlich übersteigerte Dimension der ersten Liga, sondern mittelgroße Stadien in mittelgroßen Städten mit mittelgroßen Zuschauerzahlen in der Dritteln Liga.
Zum anderen liefert „Im Derby-Dreieck“ einige Einblicke, die es so bisher nicht gab. Zum Beispiel die Hektik eines Pressesprechers am Spieltag. Vor allem aber hat Osnabrücks Trainer Maik Walpurgis (inzwischen gefeuert) die Kamera so nach an sich und seine Arbeit herangelassen wie kein Trainer in Deutschland zuvor. Wir hören seine Kommentare im Spiel („Der ist heute da oben echt out of order!“), genauso aber Mannschaftsbesprechungen auf höchsten Taktikniveau an deren Ende es eine Powerpoint-Präsentation für jeden Spieler gibt, und das Heißmachen der Mannschaft – faszinierend.
Fußball-Fans sollten diesen Film genauso sehen wie jene, die nur gelegentlich aufgrund von Lebenspartner über den Sport stolpern und sich darüber aufregen, dass nicht jeder Pass ankommt („DAS SIND DOCH PROFIS!“) oder glauben, Taktik sei, ein Tor mehr zu schießen als der Gegner.
Genau hier aber haben wir das Problem: Wo soll man den Film schauen?
Ab 1. Dezember wird es die DVD geben, am 22.11. läuft er nochmals im Münsteraner Cineplex. Aber sonst?
Bei der Fragerunde nach der Münster-Premiere lieferte Skrobanek (im roten T-Shirt) auch einen kleinen Einblick in die traurige Situation von einem, der solch tolle Filme macht. Der WDR habe er angesprochen, „aber die Fernsehsender tun sich schwer einen Film einzukaufen, bei dem sie selbst redaktionell nicht mitreden konnten“ (was wohl die Uniformität öffentlich-rechtlicher Dokumentationen erklärt). Er selbst verdient mit seinem Film auch kein Geld, hauptberuflich arbeitet er als Cutter. Dass der Film in Münster, Osnabrück und Bielefeld entstand, lag nicht nur daran, dass Skrobanek selbst aus der Gegend kommt. Wichtiger waren seine in Münster lebenden Eltern: So konnte er zumindest an einem Drehort kostenfrei an Drehtagen übernachten.
Ohnehin konnte er all das nur bezahlen, weil er eine Crowdfunding-Aktion via Startnext angestoßen hatte, 27.127 Euro kamen so zusammen. Diese Budgetrestriktionen sind sichtbar: Manches Bild hätte schärfer sein können, für mehr Geld wären sicher bessere Teleobjektive finanzierbar gewesen.
Man mag darüber diskutieren, ob es zu viel Sport im Fernsehen gibt und ob er eine zu große Rolle in unserer Gesellschaft spielt. Doch Filme wie „Im Derby-Dreieck“ sind Bewegtbild von gehobener Qualität und dokumentieren eben diese gesellschaftliche Rolle. Dass beispielsweise die öffentlich-rechtlichen Sender nicht bereit sind, in diese Qualität zu investieren, ist traurig.
Die Folge aber ist auch logisch: Menschen entdecken auf Netflix, wie faszinierend Dokumentationen sein können – und gucken sie dort. Und je mehr Netflix sie gucken, desto weniger Zeit bleibt für klassische TV-Sender; je weniger Zeit für TV-Sender bleibt, desto lauter wird die Diskussion werden, ob man das öffentlich-rechtliche System in dieser Form noch braucht.
Werbung:
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von ws-eu.amazon-adsystem.com zu laden.
Kommentare
sportinsider 17. November 2015 um 20:47
Klingt nach einer guten Empfehlung. Fernab des stromlinienförmigen Fußball-Dokus Angebot, was sonst so angeboten wird. Erinnert sei da nur an die Hoffenheim Doku. Mein Gott. Werde mir die DVD holen, Danke für den Tipp.