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Geht eine TV-Serie zu Ende oder in die Zwischenstaffel-Pause, stellt sich bei den meisten ihrer Zuschauer Traurigkeit ein. Sicher, auch Spannung, handelt es sich eben nur um eine Pause – aber eben auch Traurigkeit. Denn über Seh-Stunden hinweg bauen sie eine emotionale Bindung zu frei erfundenen Figuren auf, leiden und lieben mit ihnen.

Diese Traurigkeit empfinde ich auch gerade, nachdem ich eine Stunde lang mit Kopfhörern auf der Couch lag. Doch es geht nicht um ein Spiel der Throne, den Lord von Downton Abbey oder einen Drogen kochenden Chemielehrer – sondern um tief recherchierten Journalismus, der sich um einen Anfang-Dreißiger dreht, der seit 16 Jahren in einem Gefängnis sitzt. Grund: Ihm wird der Mord an seiner Freundin vorgeworfen.

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Medieninteressierte unter den Lesern wissen, worum es geht: „Serial“.

Doch wer sich nicht in der Medien-Filterblase bewegt, dem ist diese Podcast-Serie vielleicht allenfalls als Artikel im Feuilleton der einen oder anderen deutschen Zeitung begegnet.

Dabei ist „Serial“ mehr als nur ein Podcast: Für mich ist der riesige Erfolg der Show auch ein Zeichen dafür, wie zeitgemäßer Journalismus sein muss, damit er seine Leser/Zuhörer/Zuschauer nicht nur bindet, sondern auch Zahlungsbereitschaft auslöst. Denn die zweite Staffel von „Serial“ war nach einer Woche durch Spenden gesichert. 

Für alle, die „Serial“ noch nicht begegnet sind, die Kurzfassung dieses Ablegers der Radio- und TV-Show „This American Life„: Radio-Journalistin Sarah Koenig wurde von der Familie des wegen Mordes verurteilten Baltimorers Adna Syed gebeten, sich diesen Fall anzuschauen. Ein Jahr lang recherchierte sie und stieß auf Widersprüche und Ungereimtheiten, die jeden Hörer an der Schuld von Syed zweifeln lassen müssen. Das heißt nicht, dass er unschuldig ist – nur eben, dass es massive Zweifel und Ermittlungsfehler gibt.

Koenig nimmt den Hörer mit auf eine Recherche-Odyssee: Sie telefoniert regelmäßig mit Syed, sie interviewt die Familie des Opfers, spricht mit Freunden und Bekannten, genauso mit einer Expertin für zweifelhafte Fälle, sie schaltet einen Detektiv ein.

„Serial“ wurde zum weltweiten Erfolg. Die Abrufzahlen gingen hoch bis auf 1,5 Millionen pro Folge. Das ist noch immer relativ gering, nimmt man die gesamte angelsächsische Welt als potenzielle Zielgruppe. Doch welche Reichweite und Wirkung Koenig erreicht hat, demonstrierte am Samstag „Saturday Night Live“. Die Comedy-Show parodierte „Serial“ (in Deutschland nur mit VPN zu sehen) – und wer den Podcast noch nie gehört hat, kann die Witze nicht verstehen. „Serial“ ist Popkultur geworden.

Das ist so erstaunlich, weil jeder deutsche Chefredakteur, dem man das Konzept andienen würde,  es wohl in 30 Sekunden ablehnen würde: Denn „Serial“ ist eine Zumutung für den Hörer.

Zwischen 30 und 60 Minuten dauern die Folgen und wer nicht mit der ersten beginnt, hat keine Chance. Ganz bewusst sagt Koenig das auch zu Beginn von Ausgabe 2: Wer die erste nicht gehört hat, möge bitte sofort das Akustigerät seines Vertrauens anhalten und mit der Startfolge beginnen. Hinzu kommt oft eine schlechte Tonqualität, Vernehmungs- und Gerichtsmitschnitte sind schließlich schon 15 Jahre alt.

So bricht „Serial“ mit vielem, was wir im Journalismus des Jahres 2014 erleben. Der Podcast ist nicht kurz; es gibt keine Chartsongs nach maximal anderthalb Minuten; man kann nicht jederzeit einsteigen.

Vor allem aber: Koenig erzählt zwar eine Geschichte, doch sie hat keine These und vertritt keine klare Meinung. Mehrfach betont sie den festen Willen alles auszublenden, was ihr diese Unvoreingenommenheit nehmen könnte. In der finalen Folge fragt Syed am Telefon: „Was? Sie haben kein Ende?“ Nein, hat sie nicht wirklich. Für sich selbst sieht sie so viele Zweifel, dass sie ihn als Juror nicht schuldig sprechen möchte.

Und doch fasziniert „Serial“ weltweit seine Hörer. Denn hier zeigt sich eine Journalistin menschlich. Koenig liefert gerade keine klare Meinung, sie lässt uns teilhaben an ihren Zweifeln und Gedankengängen. Selbst wenn eine Recherche in eine Sackgasse führt, erfahren wir es. Und sie öffnet das Tor zur Selbstrecherche: Auf der Homepage findet sich eine Flut weiteren Materials, was tausende von Hörern zu Detektiven gemacht hat, die sich vor allem auf Reddit austauschen.

Gerade Medienmachern in Deutschland sollte der Erfolg von „Serial“ zu Denken geben. Denn in jener Debatte um die bröckelnde Glaubwürdigkeit von Medien, losgebrochen durch rechtsgerichtete Veranstaltungen wie Pegida oder AFD, geht es häufig um das, was „Serial“ gerade nicht tut: journalistische Verkürzung, Einseitigkeit, mangelnde Transparenz, fehlende Recherchetiefe.

Deshalb glaube ich, dass dieser Podcast uns einen Blick in die Zukunft des Journalismus liefert. Wie die allermeisten Märkte wird er sich zweiteilen. Auf der einen Seite das schnelle, billige in Gestalt von reichweitenstarken Nachrichten-Sites, die versuchen alle möglichen Themen abzudecken. Und andererseits das Modell „Serial“ mit deutlich weniger Nutzern, aber einer wesentlich höheren Bindung. Während Variante eins sich mit Onlinewerbung finanziert, wird Modell zwei durch eine Mischung aus Sponsoren und Nutzer-/Leser-Beiträgen finanziert.

Doch egal, ob Sie sich nun für die Zukunft der Medien interessieren, oder nicht: Hören Sie „Serial“. Unbedingt. Weil es großer, großartiger, faszinierender Journalismus ist.

Hier ist die Folge 1:

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Kommentare


m 22. Dezember 2014 um 11:15

Und das Beste ist: Jeder kann es machen. Es braucht keine Journalisten mehr dazu.

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