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„Ich bin fassungslos.“ Wer mit Marcel Weskamp spricht, der ahnt: Diese oft benutzte Floskel ist bei ihm ernst gemeint. Und wer seine Geschichte hört, der bekommt das Gefühl, dass Google nicht mehr die Hoheit hat über sein technisches System. Vor allem aber: Jeder Marketingverantwortliche, der nicht erhebliche Investitionen in Youtube tätigt, kann nach Weskamps Erlebnissen nicht ausschließen, dass auch er behandelt wird wie von einem Gutsherren, nein, einem Gutsdiktator.

Die Geschichte beginnt im September. Ohne Vorwarnung verschwindet der Youtube-Kanal des Fußball-Drittligisten  SCPreußen Münster, dessen Medienverantwortlicher Weskamp ist. Ihn erreicht eine Mail des Videoportals mit der Meldung, der Vereinskanal sei wegen Verstößen gegen die Youtube-Richtlinien gesperrt .

„Wir waren sprachlos“, sagt Weskamp. Denn welche Verstöße sollen das gewesen sein? Die Preußen zeigten auf ihrem Kanal selbstgedrehte Interviews, besitzen also selbst die Rechte. Hielt Youtube die professionelle Qualität des clubeigenen NullSechs.tv für einen Hinweis auf die Übernahme von Fernsehinhalten?

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Eine Antwort erhalten die Westfalen nicht. Und auch keine Freischaltung des Kanals. „Das schadet unserem Ansehen“ , sagt Weskamp. Die Preußen sind zwar nicht Bayern München, gelten aber als Vorzeigeverein: Der Club entschuldete sich in den vergangenen Jahren trotz Aufenthalt in den gern als „wirtschaftliche Todesligen“ bezeichneten dritten und vierten Klassen. Gleichzeitig verdreifachte er annähernd seinen Zuschauerschnitt auf rund 9.000 Besucher pro Spiel. Auch im Web waren die Münsteraner vorn dabei: Sie nutzten Twitter, Facebook und eben Web-TV vor vielen Bundesligisten. Und in den seligen Zeiten von StudiVZ war der SCP der erste Profi-Club im damals noch florierenden Studentennetz.

Der Umgang mit dem SCP wirft ein bezeichnendes Licht auf ein latentes Problem für Unternehmen im Umgang mit großen Web-Plattformen wie Google oder Facebook: Obwohl diese längst an der Börse notierte, Milliarden schwere Unternehmen sind, genießt Kundenunterstützung bei ihnen noch immer eine nachrangige Priorität. Privatanwender müssen froh sein, wenn sie überhaupt Hilfe außerhalb von Standardformulierungen erhalten; Marken sind nur besser dran, wenn sie zu den großen Werbekunden gehören oder teure Firmenpakete mit wenig Mehrwert buchen.

Erst sechs Wochen später, nachdem das IntMag sich eingeschaltet hatte, kommt Bewegung in die Angelegenheit. Die Anfrage unseres Magazins wird an den Support weitergeleitet. Der macht einen desorientierten Eindruck und behauptet, die Preußen hätten den Kanal selbst auf privat gestellt und bietet eine standardisierte Vorgehensweise in kryptischem Deutsch an (»Fülle die Form aus«). Diese funktioniert nicht. Kein Wunder: Schließlich hat das Videoportal selbst doch von Verstößen geschrieben – und diese noch immer nicht konkretisiert. Zusätzlich ist durch die Befolgung der Mail-Hinweise ein zweites Profil entstanden, das an das bestehende angeflanscht ist. Weskamp: „Ich wage nicht, das zu löschen. Denn ich weiß ja nicht, ob dann alles weg ist.“

Nach nochmaliger Aufforderung einer Stellungnahme von Seiten des IntMag geschieht das Wunder – der Kanal ist plötzlich wieder da. Ohne Entschuldigung, ohne Erklärung. Schon da fühlt Weskamp sich veralbert. Gerade sollte der Youtube-Kanal in ein neues Digital-Projekt eingebunden werden. Ob das nun so kommen wird, bezweifelt der Preußen-Sprecher: „Ich überlege auf eine Plattform zu gehen, die mir Sicherheit gibt und mit der ich in Ruhe arbeiten kann.“

Da ahnt er noch nicht, dass zwei Wochen später der Kanal schon wieder verschwunden sein wird. Denn während der Zeit der ersten Sperrung verpflichtete Youtube alle Kanalbetreiber, ein Google+-Konto anzulegen. Das Social Network des Suchkonzerns leidet unter Aktivitätsdürre. Zwar hat das Unternehmen die Nutzerzahl künstlich nach oben gedrückt – unter anderem weil jeder Nutzer eines Android-Handys einen Google-Account anlegen muss, um alle Funktionen zu nutzen. Doch das führt weiterhin nicht dazu, dass die Mitglieder dann auch im Netzwerk selbst irgendetwas aktiv tun. Weiter bleibt G+ eine Plattform für Digital-Aktivisten und Tech-Blogger.

Als der Preußen-Kanal dann wieder online ging, legte  er sich automatisch ein Google+-Profil zu. Nur: Der SC Preußen betrieb bereits eines. Dieses demonstriert, wie gering das Interesse der gewöhnlichen Nutzer für G+ ist: Während die Münsteraner auf Facebook über 26.000 Fans zählen sind es bei G+ nicht mal 300 – trotz vergleichbarer Aktivität von Seiten des Vereins.

Und nun wird es absurd. Denn durch das von Youtube aus erzeugte Zwangsprofil gab es mit einem Mal zwei Preußen-Profile auf Google+. Weshalb das Community Management von Google dem Youtube-Kanal vorwarf, seine Identität vorzutäuschen.

„Wir sind gesperrt wegen eines Profils, das wir nie wollten“, sagt Weskamp und ein wenig Verzweiflung ist zu hören. Er hat derweil den Eintrag ins Vereinsregister, seine persönlichen Daten und vieles mehr an Google geschickt um zu beweisen, dass er tatsächlich der offizielle Medienbeauftrage des Sportclub Preußen 06 e.V. Münster ist. Zweieinhalb Wochen ist das her – passiert ist nichts. „Ich bin fassungslos“, sagt Weskamp. Man kann sich vorstellen: So dürfte es jedem gehen, der diese bizarre Geschichte hört.

Nachtrag vom 5.12.: Die Desorientierung bei Youtube scheint nicht aufzuhören. Nach Veröffentlichung dieses Artikels erreicht die Redaktion heute eine neue Mail  – wieder kommt sie vom Customer Support der der Videoplattform. Als Reaktion auf unsere Anfrage an die Presseabteilung antwortet der Kundendienst duzenderweise: „Hallo Vorname des Redakteurs, Um eine rechtzeitige und genaue Antwort unseres Teams gewährleisten zu können, empfehlen wir dir, uns eine Nachricht über die E-Mail-Adresse zu senden, die du in deinem YouTube-Partnerkonto angegeben hast, oder uns den direkten Link zu dem betreffenden Channel zu schicken. Viele Grüße, Das YouTube Team“.

Nachtrag vom 6.12.: Nach nochmaligem Einschalten unseres Magazins ist der Kanal plötzlich wieder da. Ohne Erklärung, ohne Entschuldigung. Doch steckt dahinter eine Geschichte, die wir weiter verfolgen werden – wir bitten hier allerdings um ein wenig Geduld, die Recherche könnte ein wenig länger dauern.


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