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Um die Geisteshaltung der Regierung Angela Merkel zu verstehen, muss man in das Jahr 2007 zurückgehen. In einem Interview mit der „Zeit“ (das leider nicht online steht) wich der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäube kritischen Fragen zur Sicherheitspolitik aus mit einer Literaturempfehlung: „Lesen Sie einmal das Buch ,Selbstbehauptung des Rechtsstaats‘ von Otto Depenheuer und verschaffen Sie sich einen aktuellen Stand zur Diskussion.“

Der Interviewer Gunter Hofmann, Hauptstadt-Doyen der „Zeit“, tat wie ihm geheißen – und war geschockt: 

„In eine geradezu paranoid anmutende, extrem hermetische Gedankenwelt sieht man sich versetzt von dem Autor, einem Juraprofessor aus Köln, Direktor des Seminars für Staatsphilosophie und Rechtspolitik. Highnoon ist nichts dagegen. Jener Zusammenprall der Kulturen, der Samuel Huntington zufolge droht, er findet aus Sicht des Autors längst statt. Mitten im »Zeitalter des Terrorismus« befänden wir uns, seien mit der »Realität eines weltweiten Bürgerkriegs konfrontiert«…

So vollkommen dichotomisch ist dieses Weltbild, dass nur noch Freund oder Feind übrig bleiben: Hier der Westen, dort der islamische Terror…

»Verfassungspatriotisch gestimmte Bürger allein«, die den Staat im Konfliktfall »im Stich lassen«, hülfen nicht weiter, argumentiert Depenheuer. Man muss den Staat auf Krieg umrüsten. Die Feinde kommen nicht mehr von außen, sie kommen von innen. Der harmlose Nachbar von nebenan kann es sein. Alles potenzielle Schläfer, alles Verdächtige.“

Dieses Weltbild findet sich auch im Koalitionsvertrag der Großen Koalition, der heute präsentiert wurde – und anscheinend wird die obskure Angst vor dem inneren Terror von der SPD vollumfänglich geteilt. So sind beide Parteien bereit, den Technologiestandort Deutschland und seine wirtschaftlichen Interessen komplett hinter die Interessen der Sicherheitsorgane zurückzustellen in einem Kampf um die inneren Sicherheit, die angesichts des deutschen Alltags von der Gesamtheit der Wähler nicht als gefährdet angesehen wird.

Schlimmster Ausfluss dieser psychotisch anmutenden Angst ist die Vorratsdatenspeicherung. Ohne Anlass sollen die Verbindungsdaten aller Bürger festgehalten werden – ein Modell, das der Stasi Freude bereitet hätte. Rausgerückt werden sollen sie nur mit Richtervorbehalt und in schwereren Kriminalfällen. Doch wie der Düsseldorfer Anwalt Udo Vetter in seinem Lawblog schreibt: „Gerade dieser vermeintliche Schutz durch den unabhängigen und aufmerksamen Richter steht in vielen Fällen nur noch auf dem Papier. Tatsächlich ist der Richtervorbehalt, etwa bei Hausdurchsuchungen, eher zu einem Abnickritual degeneriert, weil Richter selbst beim besten Willen überhaupt nicht die Ressourcen haben, um alle mundgerecht vorformulierten Anträge der Staatsanwaltschaft kritisch zu prüfen.“

Dabei gilt ja auch weiterhin, dass die Regierung Beweise schuldig bleibt, ob eine solche Massenüberwachung irgendeine Sicherheitswirkung hervorruft. Netzaktivist Markus Beckedahl schrieb in seinem Kommentar für die erste Ausgabe des IntMag: „Dabei sind weder deutsche Sicherheitsbehörden noch die EU-Kommission faktisch in der Lage, Beweise für die Notwendigkeit vorzulegen.“

Gerade heute noch lobt die „Washington Post“ Deutschland, denn Berlin sei ein Zufluchtsort für Whistleblower und Datenaktivisten geworden:

„An international cadre of privacy advocates is settling in Germany’s once-divided capital, saying they feel safer here than they do in the United States or Britain, where authorities have vowed to prosecute leakers of official secrets…

In Berlin, they have settled in a counterculture paradise, home to hackers’ clubs, cheap rent and a fiercely supportive local population…“

Mit diesem Bild eines innovativen, freiheitlich-demokratischen Deutschland dürfte es nun vorbei sein.

Doch die Vorratsdatenspeicherung ist mehr als die Negierung von Bürgerrechten – sie ist ein Schaden für den Wirtschaftsstandort. Denn irgendwer muss die Daten ja speichern und über Monate vorrätig halten. Laut Koalitionsvertrag werden das die Telekommunikationsunternehmen sein. Die müssen nun Speicher und Datenleitungen aufstocken, diese Kosten werden sie selbstverständlich den Kunden anrechnen. Und so kostet der Überwachungswahn der Großen Koalition, jeden Bürger, jedes Unternehmen, jeden Verein, jede Schule, jede Universität Geld.

Ohnehin scheint der Kombination Merkel/Gabriel nicht viel an Datenleitungen zu liegen. Ihren Ausbau finanziell zu fördern kommt dieser Bundesregierung nicht in den Sinn – das sollen die Telekom-Unternehmen tun. Während Ökostrom, Straßen und Flughäfen staatliche Unterstützung erfahren, ist die wichtigste Infrastruktur des digitalen Zeitalters auf sich allein gestellt.

Ganz viel Sicherheit taucht in diesem Koalitionsvertrag auf. Es soll ein IT-Sicherheitsgesetz geben, das Unternehmen verpflichtet, schwerere Sicherheitsvorfälle (zum Beispiel Hack-Attacken) zu melden – und es bleibt offen, was so richtig mit diesen Informationen geschehen soll. Das Cyberabwehrzentrum soll gestärkt werden, IT-Hersteller für Sicherheitsmängel haften – letzteres dürfte erhebliche Rechtsunsicherheiten hervorrufen. Die Formulierungen lassen den Eindruck aufkommen, die Autoren wussten nicht immer, wovon sie schreiben. So sollen die Bürger besser vor Beleidigungen im Netz geschützt werden, doch wird dies gepaart mit den Begriffen Cybermobbing und Cybergrooming – und die sind etwas anderes als Beleidigungen.

Netzneutralität wird gefordert, doch ominöse Netzwerksteuerung ermöglicht werden. Völlig zusammenhanglos wird dann diese Passage drangestoppelt: „Neutralität ist auch von Suchmaschinen zu verlangen, die sicherstellen müssen, dass alle Angebote diskriminierungsfrei aufzufinden sind.“ Was hat das mit Netzneutralität zu tun? Nichts. Was soll das überhaupt bedeuten? Zusammengeschwurbelter Unsinn, ist das. Alles irgendwie mit Internet, alles einen Sack, passt schon. Marcel Weiß kommentiert dies bei Neunetz: „Eine gesetzlich geregelte Netzneutralität, die der Telekom etwa das Bevorzugen eigener Dienste und Kooperationen zum Beispiel mit Spotify unterbindet und damit einen datendiskrimierungsfreien Internetzugang sicherstellt, wird es nicht geben.“

Ganz wolkig geht es bei der Digitalen Agenda zu. Allen Ernstes wird da vom „Zukunftsprojekt Industrie 4.0“ geschrieben – was 3.0 war dürfte so ziemlich jedem entgangen sein. Luftleerer Begriff folgt da auf luftleeren Begriff, konkret wird wenig. Ein Venture Capital Gesetz soll es geben und wer das liest, kann Angst bekommen. Schließlich hätte die Bundesregierung bei der Umsetzung der Fondsregulierungs-Richtlinie AIFM fast den gesamten deutschen Wagniskapitalmarkt abgewürgt (mehr dazu in der ersten Ausgabe des Internet Magazins).

Absurd wird es bei Formulierungen wie: „Neben dem Zukunftsprojekt Industrie 4.0 werden wir in den Bereichen intelligente Mobilität, Smart Grid, E-Health und Sicherheit Schwerpunkte setzen und damit die Position der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt festigen.“ 

Festigen?

Anscheinend soll es also bei der Rückständigkeit der deutschen Wirtschaft in Sachen digitale Technologien bleiben. Nun, dieses Ziel wird die Regierung Merkel mit Sicherheit erreichen – sie arbeitet schließlich seit Jahren daran.


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