„Nichts interessierte den Menschen mehr als Menschen“, lautet ein alter Journalisten-Lehrsatz. Und deshalb versuchen Medien große und/oder komplizierte Ereignisse anhand von Menschen zu erzählen. So geschah es natürlich auch, als die Griechenland-Krise ihrem Höhepunkt entgegenschwelte. Zwischen dem Herbst 2011 und dem Frühjahr 2012 suchten die Redaktionen dieser Welt nach Geschichten aus dem darbenden Land, am besten aufgehängt an Menschen, die als Symbol für die Zustände der Nation stehen sollten.
Zwei Beispiele zeigen dabei, wie Twitter Journalismus verändern kann – wenn redakteur den Dienst nutzt. Und es ist kein Zufall, dass aus Deutschland dabei das Negativbeispiel kommt – und aus Großbritannien der positive Gegenentwurf.
Sowohl „Handelsblatt“ als auch der „Guardian“ trieb dabei die gleiche Idee: Wir schicken unsere Reporter in das Krisengebiet, dort sollen sie sich mit offenen Augen umsehen und Geschichten erzählen.
Dabei wählte die deutsche Wirtschaftszeitung die dicke Berta: 20 Mitarbeiter flogen nach Athen um dort eine Woche zu berichten. Um den Lesern zu signalisieren, dass dort viele Menschen in ihrem Dienste „Akropolis hallo“ singen, richtete die Online-Redaktion einen Ticker ein. Heraus kam – meine Ex-Kollegen mögen mir verzeihen – eine journalistische Traurigkeit. Denn allein die Idee eines Tickers war schon befremdlich. Schließlich waren die Tage in Athen zu jener Zeit nicht durch eine sich ständig wechselnde Nachrichtenlage geprägt. Sicher, es gab Demos – aber auch eher mal eine pro Tag.
So versuchte man drängende Aktualität vorzutäuschen, wo schlicht keine war. Atemlos berichtete das „Handelsblatt“:
„+++Im noblen Yachthafen von Vouliagmeni machen sich die Reichen rar. In der wärmenden Herbstsonne polieren Angestellte die Luxusschiffe auf Hochglanz. Die Yachten mit so illustren Namen wie „Toys 4 boys“ oder „Happy day“ erhalten von ihren Eignern erst zum Wochenende Besuch.+++
+++3, 2, 1, meins. Die letzten Portionen Bohnensuppe mit Weißbrot sind verteilt. Allein 1.000 Mahlzeiten sind von dieser Ausgabestelle der Athener Erzdiözese der griechisch-orthodoxen Kirche verteilt worden. Sogar eine 68-jährige frühere Kolchosen-Melkerin aus der Ukraine, die als Babysitterin in Athen gelandet ist, hat sich ihr Mittagessen abgeholt. Die meisten Menschen schweigen…“
Noch dazu war die Abordnung aus Deutschland schlecht vorbereitet, mutmaßlich war die Idee in einer Hauruck-Aktion entstanden:
„+++Wer hier reich ist, der braucht Schutz: Evangelos Marinakis, der Präsident des Fußballclubs Olympiakos Piräus ist gleichzeitig Direktor von Capital Product Partners, einer Reederei. Das Büro des viel Beschäftigten, aber auch schwerreichen Managers am Hafen ist deshalb rund um die Uhr bewacht. Gleich vier bewaffnete Mitarbeiter am Empfang begrüßen die Gäste – und das, obwohl der Chef fast nie anwesend ist. Auch wir hatten heute kein Glück.+++“
Ob ein beliebiger Konzern in Deutschland einen mal spontan vorbeischauenden Reporter zum Chef lässt? Ob dort ein Werkschutz steht? Oder Security? Rhetorische Fragen.
Der „Guardian“ dagegen hat nur einen Reporter nach Athen geschickt, einige Monate später war es. Jon Henley war zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich von Twitter überzeugt. Aber er fragte einfach mal, ob jemand interessante Geschichten anbieten könnte. Das Ergebnis ist beeindruckend und wurde zur Serie „Greece on the breadline„:
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von embedded-video.guardianapps.co.uk zu laden.
Was Jon Henley getan hat, war kein sensationeller Kreativitätsausbruch. Er hat einfach nur Twitter genutzt und tut dies weiterhin höchst aktiv. Dies aber ist für deutsche Journalisten noch immer im Bereich des Unvorstellbaren. Nehmen wir nur die Ausgezeichneten beim Henri Nannen Preis 2013. Acht Personen sind es, acht Journalisten. Keiner der Preisträger verfügt über ein eigenes Blog. Und auf Twitter? Ist allein Bernd Ulrich von der „Zeit“, Sieger in der Kategorie Essay. Die anderen stehen aber sicher bereit für einen Nachrichtenticker, wenn gerade mal wieder nichts passiert.
Kommentare
alexwundertsich 24. Mai 2013 um 19:01
Erschütternd. Woher kommt sowas? Liegt es an uns Konsumenten? Wollen wir das so? Kaufen wir ihnen das wirklich alles ab? Oder übertönen die großen (Leit-)Medien in ihrer Kakophonie einfach die vielen aufrichtigen und unaufgeregten Stimmen? Unbegreiflich.
guenterexel 25. Mai 2013 um 8:34
Vielen Dank für den Weckruf – der auch absolut angebracht ist, Herr Knüwer. Deutsche (und österreichische) Journalisten sind gerade erst dabei, das Potenzial von Twitter in der Berichterstattung zu … ERAHNEN.
Allerdings spitzt das von Ihnen gezeichnete Bild den Sachverhalt so zu, dass Trends und Zwischentöne ausgeblendet bleiben. Doch – es tut sich etwas in Sachen Twitter. Nur ein paar Indizien dafür:
– Viel Aufsehen erregte in dieser Woche ein Brand in der Grazer Innenstadt, der zugleich das Interesse für Twitter entflammte – nicht seitens der Journalisten, aber seitens der User. Medien wie Kurier, Kleine Zeitung, Tiroler Tageszeitung oder die lokale Annenpost nutzten Storify, um diese Tweets zu aggregieren und ein. Ich hoffe, dass der Grazer Brand zugleich ein Weckruf für den einen oder anderen Journalisten war.
– Die von Ihnen angeführten Twitter-Reportagen als Krisen-Strategie gibt es sehr wohl auch im deutschsprachigen Raum. Über meinen Reisereportagen-Account @TravelLiveCC lieferte ich bereits 2011 Echtzeit-Impressionen aus Jordanien (www.travellive.cc/reisereportagen/jordanlive) sowie 2012 die erste Reportage der vom GNTO lancierten #truegreece Initiative aus Kreta (www.travellive.cc/reisereportagen/kretalive).
– Stichwort Deutschland: Auch die Deutsche Zentrale für Tourismus setzt seit 2012 auf Twitter-Livereportagen. Erst in den vergangenen Wochen durfte ich für die DZT Livereportagen vom World Travel Market in São Paulo (www.germany.travel/WTM-LA-live) und vom Germany Travel Mart in Stuttgart (www.germany.travel/gtmlive) via Twitter und Storify gestalten.
Fazit: Die Entwicklung geht an Deutschland nicht vorbei – umso wichtiger sind Artikel wie der Ihre, um das Bewusstsein für diese Entwicklung zu schärfen!
Timo Stoppacher 25. Mai 2013 um 10:05
Die falsche Einstellung „Viel hilft viel“ beim Handelsblatt zeigt, dass Social Media nicht verstanden wurde
René Wappler [Mobile] 26. Mai 2013 um 16:36
Lieber Herr Knüwer, da Sie in Ihrem Beitrag einen Link zu mehreren Journalisten setzen, will ich mir die Zeit nehmen, Ihnen als eine dieser Personen zu antworten. Ein eigenes Blog hatte ich früher schon, zum ersten Mal um das Jahr 1997 herum bis zur Jahrtausendwende, dann probierte ich es später erneut, ließ es schließlich aber erst mal bleiben, weil ich den Eindruck hatte, dass sich meine Grundidee dafür totgelaufen hatte.
Ähnlich halte ich es heute noch: Bevor ich was Neues anfange, brauche ich eine gute Idee. Leider scheinen viele Leute eher umgekehrt zu denken, was nach meiner Ansicht zu einem irrelevanten Grundrauschen im Netz führt: erst mal losmachen, die Idee kommt vielleicht später. Oder in vielen Fällen eben gar nicht.
Richtig sagt es ja einer der Kommentatoren hier im Strang: Viel hilft nicht viel. Und ich sehe nicht ein, warum ich ein Blog führen muss, wenn mir der gute Grundgedanke dafür fehlt, der es im besten Falle einzigartig macht. Aus Prinzip? Weil es so viele andere Leute tun? Das sind mir zu schwache Argumente. Und ein Blog als Duplikat der Themen zu bestreiten, über die ich für unsere Zeitung und deren Internetausgabe schreibe, fände ich eher redundant.
Das hätten Sie von mir auch erfahren können, wenn Sie mal direkt nachgefragt hätten, meinetwegen telefonisch in der Redaktion oder über Google . Aber vielleicht wollten Sie sich ja Ihren letzten Satz nicht durch journalistische Arbeit verderben lassen. Wie auch immer: Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Sonntag.
Thomas Knüwer 28. Mai 2013 um 9:21
Herr Wappler, es geht doch nicht allein um Sie. Trotzdem aber: Wieso braucht man eine Idee für Twitter? Braucht man eine für die Nutzung des Telefons? Aber das Problem geht doch weiter: Es müssen doch nicht alle Nannen-Preisträger digital aktiv sein – aber nur ein Twitter-Account unter ihnen? Warum sieht diese Quote in anderen Ländern so anders aus? Warum haben so wenige deutsche Journalisten Lust auf Kommunikation? Darauf, unabhängig von Chefredakteuren und Redakteursschlüssen, Leser von ihren Gedanken und Erlebnissen zu überzeugen? Und was passiert bei der nächsten – defintiv kommenden – Abbaurunde ihres Arbeitgebers? Wen wird der halten wollen? Den digital Aktiven oder den Nur-Print-Schreiber?
René Wappler [Mobile] 26. Mai 2013 um 16:43
Nachtrag: Da das Pluszeichen oben offenbar verschluckt wurde, vervollständige ich auf diesem Weg in meinem vorherigen Eintrag „google” zu „Google plus”.
itbeobachter 27. Mai 2013 um 10:01
Zumindest beim Guardian sollte das nicht überraschen. Die haben mittlerweile mehr als 1 Mio. Follower, die wissen was Social Media bedeutet. Aber wie alexwundertsich muss ich feststellen, dass ich das Verhalten deutscher Journalisten auch erschütternd finde. Sind Kreativität, Improvisation usw. mittlerweile vollständig verloren gegangen? Zählt allein nur noch der Glaube, schiere Größe – hier ein Team von 20 Leuten – wird es schon richten? Traurig, sehr traurig! Obwohl Verzweiflung trifft es dann schon eher, Verzweiflung darüber, dass im Jahr 2013 immer noch das alte Denken u. Handeln den beruflichen Alltag bestimmt. Zurück bleibt die Frage, ob die Akteure auch privat so wenig von diesem ganzen „Internetkram“ nutzen und entdecken.
@Thomas: Wahrscheinlich wolltest Du am Ende dann auf den Hinweis verzichten, dass Verlage so nicht mehr lange existieren werden, weil… Aber auch an dieser Stelle wäre der angebracht gewesen, auch wenn das dann doch wieder etwas von Gebetmühlen gehabt hätte. 😉
Sönke Iwersen 28. Mai 2013 um 10:58
Sehen Sie Herr Wappler,
jetzt haben Sie es schwarz auf weiß: Zum Twittern braucht man keine Ideen. Jedenfalls nicht, wenn man Thomas Knüwer heißt.
Davon abgesehen: Sie dürfen doch bei Thomas Knüwer nicht dieselben Maßstäbe anlegen, die für alle anderen Journalisten gelten. Da würde ja seine Bugwelle auf ein paar Tröpfchen schrumpfen und er säße nur noch als Badewannenkapitän am Steuer.
Also nein, Quellen prüfen, bei der Gegenseite nachfragen – das hat Thomas Knüwer alles nicht nötig. Er ist doch ein Alphablogger! Und Sie? Printjournalist! Das sagt doch schon alles.
Zwar haben Sie für Ihre Arbeit über die Nazi-Szene in der Lausitz gerade den Henri Nannen Preis gewonnen und Knüwer könnte Ihnen nur seinen zweiten Platz beim „Journalistenpreis Ostenergie“ entgegenhalten. Aber was heißt das schon? Knüwer hat einen Twitter Account!! Sie nicht!!!
Unter Ihrem Fenster grölen die Glatzen und beschmieren die Redaktionsräume? Na und! Wenn bei Knüwer jemand einen Kuchen auf den Konferenztisch stellt, wird das SOFORT fotografiert und getwittert! Da sehen Sie mal, wie überlegen Ihnen der Mann ist.
Spaß beiseite. Machen Sie sich nichts aus den Beschimpfungen. Sehen Sie Thomas Knüwer einfach als Trauerfall unserer Branche. Irgendwann falsch abgebogen, aber den Fuß auf dem Gas gelassen. Der US-Sänger Bruce Springsteen hat es schöner gedichtet: „Like a river that don’t know where it’s flowing, I took a wrong turn and I just kept going.”
Apropos USA: Sehen Sie Thomas Knüwer als Sarah Palin des deutschen Journalismus. Sie erinnern sich – die ehemalige Gouverneurin von Alaska wollte 2008 Vizepräsidentin der USA werden. Auch Palin hat ihre Karriere mit einer Leistungsbilanz beendet, die man bescheiden nennen könnte. Doch auch sie stört das nicht. Palin hält Vorträge, gibt Interviews, und twittert. Immerzu und allerorts. Weil sie eben alles besser weiß. So wie Thomas Knüwer.
Ob das jemals aufhört? Eher nicht. Thomas Knüwer folgen auf Twitter fast 30.000 Leute, Palin mehr als 900.000. Beide müssen also ziemlich wichtig sein. Meinen beide. Und so erklärt Palin in den USA, wie man Politik macht, und Knüwer in Deutschland, wie man Journalismus macht.
Und alle, die das seltsam finden, sind eben von gestern.
Thomas Knüwer 28. Mai 2013 um 11:06
Tja, und nun sehen wir: Bei einigen Menschen sind Streitigkeiten nicht vergessen, wenn man sich die Hand gibt.
Ich habe keine Lust auf diese merkwürdigen Streitigkeiten, die Herr Iwersen immer wieder zu provozieren sucht (aus welchen Gründen auch immer).
Jelena D. 28. Mai 2013 um 11:12
Puh, dieser Iwersen strahlt verdammt viel Neid aus. Argumente sehe ich nicht. Merkwürdiger Mensch.
René Wappler 28. Mai 2013 um 11:28
Lieber Herr Knüwer,
natürlich brauche ich eine Idee für die Nutzung des Telefons: Ich sollte mir vor einem Gespräch Gedanken darüber machen, was ich meinem Gegenüber sagen will. Zumindest hilft das bei der Kommunikation.
Umso mehr gilt das für Twitter: Da brauche ich für jeden Eintrag eine Idee, wenn ich keine Banalitäten posten oder lediglich retweeten will. Es gibt ein paar Leute, die diese Kunst auf wenigen Zeilen beherrschen. Aber es sind nicht viele.
Zu Ihrer Frage, wen der Arbeitgeber behalten will – den digital Aktiven oder den reinen Printschreiber: Ich hoffe auch im wirtschaftlichen Interesse der Medienunternehmen, dass sie Journalisten beschäftigen, die ihnen interessante Geschichten liefern. Egal, ob sie das für eine Printausgabe tun, für eine Tabletausgabe oder auf anderen Kanälen.
Und wie wir gerade an der Replik von Herr Iwersen sehen, sind mindestens zwei der von Ihnen verlinkten Journalisten digital aktiv. Womit Ihre schöne These wohl widerlegt wäre. Es sei denn, Sie halten Twitter für das Maß aller Dinge.
Schönen Tag noch!
Sönke Iwersen 28. Mai 2013 um 12:35
Ach Thomas,
es ist doch ganz einfach: Wenn Du keinen Streit willst, dann hör auf, Kollegen zu beleidigen, die einen prima Job machen. René Wappler stellt sich mit seinen Artikeln in der Lausitzer Zeitung den Nazis entgegen. Wolfgang Kaes hat beim Bonner Generalanzeiger mit seinen Artikeln dafür gesorgt, dass ein Mord aufgeklärt wird. Und alles, was Dir dazu einfällt ist, ihr fehlendes Twitter-Account? Du unterstellst ihnen, sie würden ihre Geschichten aus dem Nachrichtenticker ziehen?!
Twitter doch einfach noch ein paar schöne Kuchen-Fotos.
Thomas Knüwer 28. Mai 2013 um 13:02
Ich habe Herrn Wappler beleidigt? Wäre mir neu.
René Wappler 28. Mai 2013 um 13:23
Naja, Herr Knüwer, im Grunde haben Sie – bis auf Bernd Ulrich – alle Journalisten beleidigt, zu denen Ihr Link führt. Eben mit diesem letzten Satz: „Die anderen stehen aber sicher bereit für einen Nachrichtenticker, wenn gerade mal wieder nichts passiert.“
Weil ich mich in meiner Arbeit an härtere Angriffe gewöhnt habe, wollte ich zunächst aber nicht allzu sehr darauf herumreiten. Nun tue ich es doch mal kurz, da Sie die Wirkung Ihrer eigenen Worte in Zweifel ziehen.
Freundlich interpretiert: Vielleicht wollten Sie einfach nur einen saucoolen Abschluss für Ihren Beitrag finden, der dem Rest der Welt zeigt, wie knallhart Sie formulieren können. Früher dachte ich auch mal, mit ähnlichen Knallersätzen, locker aus der Hüfte geschossen, könne ich ein cooler Hund werden. Irgendwann musste ich leider einsehen: Das ist ein Irrglaube.
Thomas Knüwer 28. Mai 2013 um 14:03
Lieber Herr Wappner,
ein ironischer Seitenhieb ist für Sie schon eine Beleidigung? Ehrlich? Ende 2007 bloggte der freie Journalist Don Dahlmann die Gründe für seine Abo-Kündigung bei der „Süddeutschen“: http://don.antville.org/stories/1735553/
Dieser Text ist noch heute gültig. Journalisten halten es für beleidigend, wenn man ihre Arbeit kritisiert. Und sie reagieren, also ob es Majestätsbeleidigung wäre, ihnen einfach mal den Spiegel vorzuhalten und Ihnen ins Gesicht zu sagen und zu schreiben: „Das Internet ist die disruptivste Technologie in der Geschichte der Menschheit. Diese Technologie verändert gerade das Thema Nachrichten? Wäre es nicht Deine verdammte Pflicht im Auftrag der Leser, Deine Arbeitsweise über das Nutzen von Wikipedia und Google hinaus zu ändern?“
Diese Frage ist keine Beleidigung – sie ist ein Aufschrei des Entsetzens. Denn wir brauchen Journalismus in dieser Welt. Nur brauchen wir besseren und zeitgemäßeren Journalismus. Wir brauchen mehr Informationsfluss und weniger Boulevard. Tatsächlich sieht der Alltag des deutschen Journalismus aber so aus: http://courtisane.de/blog/?p=659 Oder so: http://erbloggtes.wordpress.com/2013/05/27/die-uberflussigkeit-der-qualitatspresse-fallbeispiele-aus-spiegel-sz-und-fas/
Natürlich werden Sie sagen: So arbeite ich. Aber so arbeiten eben andere. Viele andere in Ihrem Berufsstand. Wer daran interessiert ist, dass dieser Berufsstand auch künftig eine Bedeutung hat, sollte sich lieber fragen, was sich ändern muss – statt jede Äußerung direkt auf sich zu beziehen. Oder?
René Wappler 28. Mai 2013 um 14:26
Lieber Herr Knüwer,
dieser eine Satz zum Schluss Ihres Beitrags: Er stört mich zunächst, weil er mit der Realität gar nichts zu tun hat. In zweiter Linie missfällt er mir wegen seiner Flapsigkeit, zumal ich finde, dass Sie sich selbst damit einer interessanten Geschichte beraubt haben: Warum finde ich kaum einen der diesjährigen Nannen-Preisträger auf Twitter? Interessiert sie das Internet nicht, wissen die nicht, was Twitter und Facebook sind, oder was ist da los?
Dieser Frage hätten Sie ja zum Beispiel nachgehen können. Schließlich werfen Sie sie selbst in Ihrem Beitrag auf. Aber statt mal mit acht bis zehn Journalisten zu sprechen und sie nach ihren Gründen zu fragen, begnügen Sie sich am Ende mit einer Bemerkung, die suggeriert, wir hätten alle nix begriffen. Das ist natürlich der bequemste Weg.
Ich finde das auch deshalb interessant, weil Sie selbst Journalisten mitunter mangelnde Recherche und Denkfaulheit vorwerfen.
Und eines kann ich Ihnen versichern: Für richtiges Beleidigtsein fehlt mir meistens die Muße. So auch hier und heute.
Thomas Knüwer 28. Mai 2013 um 16:08
Lieber Herr Wappler,
ich nehme an, Sie lesen mein Blog nicht regelmäßig. Das müssen Sie auch gar nicht. Aber ich habe halt einige tausend regelmäßige Leser, die sich langweilen würden, würde ich ständig Grundlegendes Wiederholen wie die Frage, warum, Journalisten in Deutschland so technikunaffin sind. Unter anderem drehte sich ein Artikel aus dem Jahr 2008 um dieses Thema: https://www.indiskretionehrensache.de/2008/12/journalist-social-media/
Für Verlage habe ich das vor einigen Monaten nochmal zusammengeschrieben: https://www.indiskretionehrensache.de/2013/01/strategie-fuer-verlage/
Insofern ist für mich die Tatsache, dass Deutschlands Journalisten in Sachen Digitalkompetenz zurückhängen unbestreitbar. Begründet wird dies vor allem mit einer extrem negativen Haltung gegenüber dem Internet. Die Berichterstattung bildet sich hier voll ab – und die ist bei Digitalthemen ebenfalls massiv negativer als in anderen Ländern der westlichen Welt.
Erst wenn es richtig bitter wird, scheint mancher aufzuwachen: Zahlreiche Ex-Redakteure der G+J-Wirtschaftsmedien wurden in dem Moment aktiv, da der Verlust ihres Arbeitsplatzes sicher war. Und mit einem Mal trifft man sich auch auf Digitalkonferenzen.
René Wappler 28. Mai 2013 um 16:46
Lieber Herr Knüwer,
doch, ich lese regelmäßig bei Ihnen mit. Zum Beispiel über die iPhone-App. Sonst wäre ich auch nicht auf den Link in Ihrem Beitrag hier oben gestoßen. Und dieses eine Mal dachte ich mir: Kann ich dem Herrn Knüwer ja mal direkt antworten, da er indirekt mich mit anspricht.
Ich sags mal anders. Wenn ich genau so vereinfacht und verallgemeinert wie Sie argumentieren würde, nur in umgekehrter Richtung, liefe es wohl darauf hinaus:
„Wie? Der Kollege mag irre Katzenbilder und die lustigen Twitterposts vom Michael-Haneke-Double? Dann kann er aber kein guter Holzmedienjournalist sein, denn die finden ja das Internet doof.“
Im Unterschied zu Ihnen, Herr Knüwer, glaube ich jedoch: Es geht beides. Ein guter Journalist kann an die weltbewegende Kraft von Cat Content und Fake-Haneke-Tweets glauben und zugleich die gedruckte Ausgabe der „Titanic“ lieben, weil das nach wie vor was anderes ist, als sie auf dem iPad zu lesen.
Thomas Knüwer 28. Mai 2013 um 16:57
Lieber Herr Wappler,
natürlich geht beides. Das würden Menschen, die viel im Netz unterwegs sind nie bestreiten – als mediales Produkt muss man aber die Wahl liefern.
Aber was ich massiv beobachte ist eine grundlegende Verweigerungshaltung bei Journalisten gegenüber digitalen Themen. Gleichzeitig sind Dienste wie Facebook die neue Nervenbahn unserer Gesellschaft. Journalismus soll der Gesellschaft aber helfen, das Weltgeschehen einzuordnen. Und nun ist die Frage: Können Journalisten dies, wenn sie in einer anderen Welt leben als ein gewaltig großer Teil der Gesellschaft?
Sönke Iwersen 28. Mai 2013 um 17:50
Ja Thomas,
ganz schlimm, diese Verweigerungshaltung. Zitat:
„Nun salbadern sie alle vom Web 2.0 und Social Software. Wurde ja auch mal wieder Zeit für einen supertollen innovativen Hype. Schade, dass er so durchsichtig und platt daherkommt… Wer also nun von Web 2.0 faselt, macht sich entweder etwas vor, war 99 nicht dabei, oder hat sich das Gedächtnis beim Frustsaufen über Aktienverluste gelöscht. Sollte Ihnen jemand ein tolles Investment in ein Web 2.0-Internet-Unternehmen anbieten – schicken Sie ihn zum Teufel.“
Wer hat das nur geschrieben?! Huch das warst ja Du!
Gründung Facebook: Februar 2004
Gründung YouTube: Februar 2005
Das Zitat aus Deinem Blog : 18. November 2005
Wirklich untrüglich, Dein Gespür für neue Trends.
Du Visionär!
Thomas Knüwer 28. Mai 2013 um 18:27
Yep. Ich habe vor 8 Jahren eine andere Meinung gehabt als heute. Dazu stehe ich.
Sönke Iwersen 28. Mai 2013 um 20:30
Warst halt jung und brauchtest die Visits.
Reiner Langmut 29. Mai 2013 um 9:02
Ich fasse mal kurz die Argumente von Herrn Iversen zusammen:
Knüwer find ich scheiße.
Scheiße finde ich Knüwer.
Knüwer? Voll scheiße.
Springsteen? Der findet Knüwer auch scheiße.
Ich fasse kurz zusammen, wie ich das finde: ärmlich.
Währenddessen tauschen Knüwer und Wappler ernsthafte Argumente aus. Und für den Guardian schreibt der bekannte Medienjournalist Michael Wolff: Twitter, which began as a tool for sharing abbreviated blog posts, has now evolved into a major part of the news media.
Nachzulesen hier: http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2013/may/28/twitter-changing-news-media
Steffen 30. Mai 2013 um 7:23
Iwersens letzter Kommentar zeigt, wie Recht Knüwer hat. Warum lässt das Handelsblatt denn Knüwers altes Blog mit abgeschalteten Kommentaren online obwohl die Inhalte alle hier sind? Wer braucht denn wohl Klicks?
Wer im Steinhaus arbeitet, sollte nicht mit Gläsern werfen..
Sönke Iwersen 30. Mai 2013 um 18:04
Hallo Steffen,
der Eintrag zeigt vor allem Eines: Wie Thomas Knüwer mit denjenigen umgeht, die anders denken als er selbst. Merke: Wenn Sie eine andere Meinung haben als Knüwer, dann, um mit Knüwers Worten zu sprechen, faseln Sie nur und haben sich im Zweifelsfall Ihr Gehirn leergesoffen. Wenn Knüwer dann irgendwann das Gegenteil behauptet, hat er sich nicht etwa um den eigenen Verstand gesoffen, sondern einfach seine Meinung geändert. Fazit: Thomas Knüwer hat immer Recht. Und wer etwas anderes behauptet, ist, laut Knüwer, ein hirnloser Idiot.
teekay 31. Mai 2013 um 6:39
Ich bin erst jetzt auf die Diskussion gestossen und hoffe, dass die Marketing-Abteilung der Handelsblatt-Gruppe Herrn Iwersen mit Lob und Anerkennung ueberschuettet. Ich finde es ausgezeichnet, wie er die Publikation und das Unternehmen nach Aussen repraesentiert und endlich einmal die menschliche Seite des Wirtschaftsjournalismus zeigt. Da kommen hoffentlich noch ganz viele Preise hinterher!
itbeobachter 31. Mai 2013 um 11:26
Holla!!
@Thomas, da hast Du aber jemanden ganz schön verärgert oder?
@Iwersen, ich möchte das einmal etwas diplomatisch als sehr wenig souveränen Ton bezeichnen, den Sie hier anschlagen!
Sönke Iwersen 31. Mai 2013 um 11:50
Hallo IT Beobachter,
nur um Missverständnisse zu vermeiden: Es handelt sich um Zitate von Thomas Knüwer. Wenn Ihnen der Tonfall nicht gefällt, wenden Sie sich am besten direkt an ihn…
tknuewer 14. Juni 2013 um 11:16
Ich zitiere dann mal Armin Wolf vom ORF, einen der angesehensten Journalisten Österreichs: „Ein arbeitender Journalist ohne Twitter ist heute so was wie ein Journalist ohne Telefon oder Internetanschluss.“ Das sagte er am 14.6. bei der Jahrestagung des Netzwerks Recherche.